Berliner Blickwinkel

Zwei Möglichkeiten, über denselben Vorfall zu berichten, ließen sich in Berliner Printmedien (bzw. deren online-Ausgaben) finden. Der Unterschied der beiden Berichterstattungs-Varianten hatte nur eine Ursache: die Quelle


Im Tagesspiegel lautet die Überschrift: Schlägerei zwischen Autofensterputzern und BVG-Mitarbeitern. Weiter heißt es:

… Berlin – Drei Autofensterputzer haben sich am Montag eine Schlägerei mit zwei Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) geliefert. Als Polizisten eingreifen wollten, wurde eine Beamtin bei einem Sturz leicht am Knie verletzt, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Bei der Auseinandersetzung an einer Bushaltestelle in Kreuzberg erlitt einer der BVG-Wachmänner eine Prellung an Nasen- sowie Jochbein und wurde zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert. Sein Kollege wurde leicht verletzt. …

Als Quelle nennt der Tagesspiegel die Polizeimitteilung sowie jz und ddp.

Die taz titelt: BVG prügelt sich mit Roma und weiß zu berichten:

… Zwei Sicherheitsbeamten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wird vorgeworfen, eine Gruppe von Roma am Pfingstmontag angegriffen und verprügelt zu haben. Nach Aussage des Kreuzberger Sozialarbeiters Ercan Yasaroglu, der das Geschehen zufällig beobachtet hat, attackierten zwei BVG-Sicherheitsleute kurz nach 12 Uhr einen jungen Rom an einer Bushaltestelle am Kottbusser Tor. „Die Gruppe hatte am Kotti Autofensterscheiben geputzt. Sie wurde zunächst von BVG-Beamten rassistisch beleidigt und angeschrien, später auch angegriffen“, sagt Yasaroglu am Dienstag der taz. Die BVG-Männer seien zuvor aus dem U-Bahnhof gestürmt und auf die Roma losgegangen. Wahrscheinlich um die unliebsamen Fensterputzer von der Kreuzung am Kotti zu vertreiben, vermutet er. …

Mit der Aussage eines Augenzeugen hat die taz gegenüber dem Tagesspiegel einen Vorteil – sie hat zwei Quellen für denselben Vorfall. So fiel der taz natürlich auch auf, dass der Augenzeugenbericht sich nicht mit dem Polizeibericht deckt:

… Die Polizei ordnet den Vorfall dagegen völlig anders ein. In einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung heißt es, dass zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der BVG von einer Gruppe Autofensterputzern attackiert und verletzt worden seien. Nachdem die Polizei von einem Autofahrer alarmiert worden sei, weil dieser von den „Fensterputzern belästigt wurde“, soll sich die etwa zehnköpfige Roma-Gruppe an die Bushaltestelle in der Skalitzer Straße begeben haben. „Dort kam es zu einem Wortgefecht zwischen ihnen und zwei BVG-Beamten. Im weiteren Verlauf schlugen zwei Männer sowie eine 25-Jährige auf die beiden Wachleute ein“, so die Polizei. Dabei soll ein Sicherheitsbeamter leicht verletzt worden sein, der andere einen Nasenbeinbruch erlitten haben. …

Dass sich die Polizeimeldung nicht mit dem Zeugenbericht deckt, kann dem Tagesspiegel ja nicht aufgefallen sein, da dessen Recherchen bei der Polizeimeldung endeten. Dabei ist es gerade interessant, dass die Perspektive der Polizei (und damit des Tagesspiegel) offenbar lückenhaft ist:

… Yasaroglu selbst hat als Augenzeuge vor der Polizei ausgesagt, nichts davon finde sich in der Darstellung der Polizei, sagt der Sozialarbeiter. Auch nicht, dass die beiden angegriffenen Roma verletzt wurden. … (taz)

Die taz hat aber, neben der Erweiterung der Darstellung auf auf eine zweite Perspektive, auch noch eine dritte Meinung eingeholt, die den Sachverhalt aus etwas Entfernung umso klarer auf den Punkt bringt:

… „Die Polizei muss bei solchen hastigen, voreiligen Schuldzuweisungen vorsichtig sein. Das klären bei uns immer noch die Richter“, sagt Barbara Seid, Fraktionsmitglied der Linkspartei in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. … (taz)

Während der Berliner Tagesspiegel mit Bezugnahme auf Agentur- und Polizeimeldungen unter einer spannenden Überschrift nicht viel mehr als ein ausgeschmücktes Polizeiprotokoll bringt, wurde in der taz-Redaktion mindestens telefoniert, wenn nicht sogar das Haus verlassen, um mit dem Augenzeugen vor Ort zu sprechen.

Die zwei Berliner Blickwinkel zeigen: Die Welt ist komplex. Aber dafür ihre Darstellung nicht unbedingt – es kommt darauf an, was man seinen Lesern zumuten möchte. Und die Polizei wird von einigen Journalisten offenbar gern zur Hilfe genommen, wenn es um die Vereinfachung von Sachverhalten geht. Dementsprechend sehen dann auch die Leser-Kommentare unter dem Tagesspiegel-Artikel aus.

Vergessen in Europa

Verdrängter Alltagsrassismus jetzt auch mit Tortendiagrammen belegt


In mehreren Medien wurde von einer Studie berichtet, die ein offenbar unerwartet hohes Maß an rassistischer Diskriminierung in Europa belegt (u.a. Tagesspiegel: Rassismus trifft vor allem Roma und Afrikaner, Berliner Zeitung: Minderheiten in der EU massiv diskriminiert, ZEIT ONLINE: Rassismus trifft vor allem Roma und Afrikaner, tagesschau.de: Jeder dritte Zuwanderer ist schon diskriminiert worden und SPIEGEL ONLINE: Ausländer beklagen massiven Rassismus in Europa). Stets heißt es, die dargestellte Diskriminierung sei „höher als bisher angenommen“.

Die European Agency for Fundamental Right machte erstmals den Versuch, die Diskriminierung von Minderheiten statistisch in Zahlen darzustellen. Dem Bericht (→pdf) zufolge gehört rassistische Diskriminierung zur alltäglichen Erfahrung der Minderheiten. Neben afrikanischen (oder dem Aussehen nach als solche eingeordneten) Menschen trifft der europäische Rassismus insbesondere die in allen Ländern Europas lebenden Roma, so dass über die Diskriminierung dieser Gruppe ein gesonderter Bericht (→pdf) erschien.

Die heute nahezu ausschließlich sesshaft lebenden Roma werden noch immer gern als „Wandervolk“ dargestellt, die das Bedürfnis nach gelegentlichen Ortswechseln angeblich im Blut hätten. In den Medien werden die europäischen Roma nicht selten aus dem Kontext etwa kriegsbedingter Migration herausgenommen und zu einem separaten „Nomadenvolk“ stilisiert. Bei keiner anderen Gruppe, mag sie „ethnisch“, religiös oder anders begründet sein, wird der Verweis auf eine „Urheimat“ außerhalb Europas und den „Wandertrieb“ derart oft zur Erklärung von Problemen hervorgehoben, wie bei den Roma.

Wie der Unmut der Menschen unter verschiedensten Vorwänden in Hass und Gewalt gegenüber den Roma mündet, konnte in letzter Zeit mehrfach in Ungarn beobachtet werden, so dass die taz titelt Es herrscht „[***]nerhatz“. Auch in Tschechien scheinen sich in letzter Zeit pogromartige Überfälle auf die Minderheit zu häufen (Die Presse: Rassistische Gewalt versetzt tschechische Roma in Angst). Und vor kurzem tauchte ein schockierendes Video auf, von dem u.a. Der Standard berichtete (Slowakische Polizisten misshandelten Roma-Kinder): Kinder zwischen 11 und 16 Jahren werden von slowakischen Polizisten gezwungen, sich gegenseitig möglichst hart in die Gesichter zu schlagen. Während die Polizisten das Geschehen filmen, haben sie hörbar Spaß. Anschließend werden die Kinder von den brüllenden Uniformierten gezwungen, sich auszuziehen und dabei weiter gefilmt. (Das Video existiert bei Youtube Roma Rights Network verlinkt zum Video: Slovakia Police brutality video leaked online) Das Video zeigt nur einen Ausschnitt aus einer langen Reihe gefilmter Misshandlungen, wird in einem Slowakei-Blog berichtet. Die Szenen sollen sich in der Polizeistation der slowakischen Stadt Košice abgespielt haben, am 8. April, dem Internationalen Tag der Roma.

Die statistischen Ergebnisse der Studie übertreffen den Meldungen zufolge die bisherigen Annahmen über das Ausmaß von rassistischer Diskriminierung. In Anbetracht der wiederholten offenen Gewaltausbrüche gegen Roma ist das etwas verwunderlich, denn die Statistik zeigt schlicht die Realität. Zudem ist auch die von Ausgrenzung und sozialer Armut gekennzeichnete Situation eines Großteils der Roma mehr als augenscheinlich und lange bekannt, wenn auch besser verdrängbar, als offene rassistisch motivierte Gewalt. Die Studie bestätigt also nur bekannte Tatsachen. Als beispielhaft für die Situation aller Roma in Europa kann der vor einem Jahr erschienene Artikel von Nikoleta Popkostadinowa Kein Mathe, kein Wasser in Stoliponowo, über das Randdasein der Roma in Bulgarien gesehen werden. In den verschiedenen europäischen Nationalstaaten wächst offenbar die soziale Ausgrenzung dieser Gruppe proportional zur Größe ihres Bevölkerungsanteils. Als beliebte Optionen zur „Lösung“ des Problems wird dann „Integration“ angeführt, die in ihrer Ausführung nichts weiter als Homogenisierung mit der Mehrheitsgesellschaft bedeutet. Auch die BRD der 70er Jahre entschied sich für dieses „Angebot“ gegenüber den deutschen Sinti und Roma. Die bis heute gültige Formel lautet: „Ich habe nichts gegen xyz, solange sie sich benehmen wie hier üblich“. „Ich“ mache die Regeln und „die Anderen“ können mitmachen oder fallen durch.

Die Mechanismen sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung, damit einhergehende Diskriminierung und die Akkumulation von Unmut in Gewalt gegenüber einer Minderheit sollten in Europa eigentlich bekannt und zu Genüge untersucht sein. Aber sind sie das? In genau diesem Europa gibt es zum Beispiel für 2000 Menschen Ein Leben zwischen Ratten und Müll, unter unmenschlichen Bedingungen in Sichtweite zu modernen Hotels, im Zentrum einer Großstadt. Andrej Ivanji berichtet von einem „apokalyptischen Bild“ in Anbetracht dieser Belgrader Romasiedlung.

Was in ganz Europa sehenden Auges auf der Straße und im Alltag geschieht, musste erst in einer „Studie“ erscheinen, um in dem Ausmaß dann die Erwartungen zu übertreffen. Bevor es nicht schwarz auf weiß steht, heißt es: „Ich habe von nichts gewusst!“

Rumäniens brüchiges Image

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Von landläufigen Ansichten


Der insbesondere in Italien durch sensationsorientierte Medienberichterstattung entstandene Image-Schaden Rumäniens braucht Schuldige: Den „***nern“ wird vorgeworfen, den Ruf des Landes zu schänden. Auch in der deutschen Presse ist nun von der Kampagne zu lesen (William Totok: „***ner“ statt „Roma“), die eine komplette Streichung der Bezeichnung Roma zugunsten des auch in Rumänien negativ konnotierten Begriffs „***ner“ fordert.

Per Mail kursiert die Aufforderung, die Online-Petition der Kampagne zu unterzeichnen. In der Mail findet sich auch ein Begründungstext in rumänischer Sprache (hier als pdf). Unter anderem heißt es dort:

„Wenn der italienische Bürger beispielsweise einen Artikel liest, in dem die Termini „Rumäne“ und „Rom“ abwechselnd auftauchen, ist klar, dass das in eine Verwechslung mündet, die nach und nach zur mentalen Überlagerung der beiden Bezeichnungen führt. Wenn sich diese Überlagerung einmal festgesetzt hat, funktioniert sie auch in umgekehrter Richtung; daher hören wir in den Stadions die Fans einer gegnerischen Mannschaft rufen „***ner, ***ner“, womit sie sich auf die Rumänen beziehen.“

Auffällig oft wird in dem Text die italienische Orthographie verwendet – wobei mir nicht klar ist, ob dies eine absichtliche Andeutung sein soll oder vielleicht ein unbeabsichtigter Hinweis auf die Muttersprache des unbekannten Verfassers ist. Allemal wird hier fleißig um den Ruf der „rumänischen Nation“ gefürchtet – auf den weiteren fünf Seiten der unerträglichen Hetzschrift werden die „ethnischen Eigenheiten“ der Roma beleuchtet, die zur Begründung ihres „nicht-europäischen“ Wesens führen. Die Ansicht, dass „***ner eine Plage für das Land“ seien, ist in Rumänien weit verbreitet und wird auch von nahezu allen nachdenkenden Menschen geteilt, die sich selbst als fortschrittlich und europäisch bezeichnen. Für alle Probleme wird reflexartig „der ***ner“ als Schuldiger angeführt.

Auch in der Revista 22 (Ausgabe 12/993) wird die Image-Krise Rumäniens thematisiert – und das ohne eine einzige rassistische „***ner-Darstellung. Der Artikel „Was hat Abtreibung mit gewalttätigen Rumänen zu tun?“ von Lucetta Scaraffia in der Il Reformista wurde aus dem Italienischen ins Rumänische übersetzt (hier online), um den rumänischen LeserInnen das Bild eines dunklen, bedrohlichen Märchenlandes zu präsentieren, das in der italienischen Presse gezeichnet wird. Dabei fehlen im Bild von Signora Scaraffia die „***ner“ oder Roma komplett (nanu, wir dachten, die sind am Schmutzbild Rumäniens Schuld?). Für sie sind einfach die Rumänen (ja) alle potentielle Kriminelle, denn sie stellt einfach die These auf, dass das Abtreibungsverbot vor 1989 eine Menge vermeidbarer Rumänen hervorbrachte, die heute ohne Perspektive ihr Land verlassen müssten. Dieses gedankliche Fabrikat untermalt sie mit Beschreibungen einer Reise durch das Land, dem es an Hoffnung, Blumen und frischem Brot fehle (nochmal ja). Für sie ist es kein Wunder, dass die Rumänen, denen unter Ceauşescu die Seele ausgelöscht wurde, heute aus diesem Land emigrieren. Am Ende des Artikels empfiehlt Lucetta Scaraffia ihren Lesern tatsächlich eine Reise nach Rumänien, um sich von den trostlosen Zuständen dort zu überzeugen.

Die Revista 22 hat daneben den offenen Brief („Ein unanständiger Artikel“, hier auf Rum.) eines Italieners an den Chef der Il Reformista abgedruckt. Der Rumänischprofessor Giovanni Casadio zeigt sich in dem sehr ausführlichen Text entsetzt über die mentale Exkursion von Lucetta Scaraffia, und besonders darüber, dass andere Menschen daran teilhaben müssen.

Wohlgemerkt spielt sich dieser ganze Zirkus nicht an irgendeinem weit entfernten Ort oder bei heimlichen Treffen einer rechtspopulistischen Gruppe ab – nein, wir befinden uns in Europa. Und das bedeutet, dass man eine Gesetzesinitiative im Geiste des 19. Jh. zur Umbenennung einer ethnischen Gruppe startet, weil diese sonst dem nationalen Ansehen schade – und das bedeutet auch, dass in der Presse über einen EU-Mitgliedsstaat geschrieben wird, als handele es sich um ein gerade entdecktes, von Wilden bewohntes Territorium.

Rumäniens Image leidet gewaltig unter dem in Italien von der Presse verbreiteten Schwachsinn, aber offenbar ist auch dort eine Diskussion möglich. Den größten Schaden würde sich aber der rumänische Staat selbst zufügen, wenn er auch nur ansatzweise auf die populistische und rassistische Forderung einginge, die Roma per Gesetz nur noch „***ner“ zu nennen. Denn in Ländern jenseits von Italien bröckelt das rumänische Image oft genug wegen rassistischer Gebärden gegenüber den Roma. Damit könnte Schluss sein.

Bukarest im Frühling

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Wo verändert wird und wo nicht

Tatsächlich ist in Bukarest bereits der Frühling spürbar. Die Erneuerungen sind unübersehbar.

Die Veränderungen in dieser Stadt sind rasant, aber nicht immer im Interesse aller Bukarester. Inzwischen formiert sich Widerstand gegen die Kommerzialisierung und Entgrünung öffentlicher Plätze in der Innenstadt (siehe zwei rumänische Blogs dazu). Der rumänische PSD-Politiker Cristian Diaconescu (momentan rumänischer Außenminister) ging 2008 als Bürgermeister-Kandidat auf Wählerstimmenfang mit der Forderung, das Stadtzentrum nicht den Banken und Juwelier-Shops zu überlassen, sowie mit der Vision einer riesigen Fußgängerzone in der Calea Victoriei. Er wurde nicht Bürgermeister und seine Konkurrenten hatten andere Visionen.

Reflexartige Veränderungen sind ja in Rumänien nicht nur in der Gestaltung der Hauptstadt zu beobachten, sondern spiegeln sich auch in den Wünschen der Sprachgestaltung mit Blick auf die ungeliebte Minderheit der Roma wieder. Der neueste Coup in dieser Richtung ist eine Gesetzesinitiative („proiect de lege“) der Tageszeitung Jurnalul National, in der die Ersetzung des Terminus Roma durch den Begriff „[***]ner“ („ț[***]“) gefordert wird, um nicht den Ruf Rumäniens im Ausland zu schädigen. Im entsprechenden Artikel wird tatsächlich mit dem Hinweis auf die Wortähnlichkeit zwischen Roma und România beklagt, dass ehrlich arbeitende RumänInnen in Italien und anderen westlichen Ländern unter den kriminellen Taten „dieser Ethnie“ Roma zu leiden hätten – weshalb der Begriff „[***]ner“ endlich wieder den klaren Unterschied zur Geltung bringen solle. Mal sehen, wie weit es dieses „Gesetzesprojekt“ schafft.

In anderen Bereichen der Namens- und Sprachgestaltung ist man in Rumänien viel weniger für Veränderung bereit, im Untergrund. Schaut man sich den Plan der Bukarester Metrou an, fallen zwischen den Namen lange verwester Männer besonders die Stations-Bezeichnungen aus Zeiten des nominellen Sozialismus auf: „Platz der Helden“, „Neue Zeiten“, „Platz der Arbeit“, „Jugend“, aber auch „Verteidiger der Heimat“ und „Volksarmee“.


Metrou-Station „Jugend“


Einer der bekanntesten Treffpunkte, die Unterführung der U-Bahn-Station „Universitate“, wurde nun komplett saniert und ist ganz frisch wieder nutzbar – die Geschäfte sind noch nicht einmal wieder eingezogen. Dafür erinnert der Ort nun an eine Hotel-Lobby, und nicht mehr an eine Metrou-Unterführung.


Metrou-Station „Universität“


Nach wie vor existieren Veränderung und Stillstand in Bukarest in extremer Weise nebeneinander. Interessant sind hierbei insbesonere die Prioritäten – was muss verändert werden und was ist Nebensache. Während die Roma wieder „[***]ner“ genannt werden sollen, bleibt die „Verteidigung der Heimat“ unangetastet.

Die Kritik innerhalb Rumäniens nimmt zu

Zwischen Markt und Ethik


Im Artikel Roma sein und Zeitung lesen deutete ich die tendenziöse Form der Berichterstattung über den Mord an Marian Cozma an. Offenbar wird das niedrige journalistische Niveau der rumänischen Presse im eigenen Land als flächendeckendes Phänomen wahrgenommen, so dass den Medien dort vom rumänischen Zentrum für Unabhängigen Journalismus (Centrul Pentru Jurnalism Independent) letzte Woche eine unmissverständliche Rüge erteilt wurde: In einem Appell an die Verantwortung der Journalisten forderte die Organisation die rumänischen Presseorgane auf, sich an journalistische Standards zu halten. In dem kurzen, von zahlreichen NGOs mitgetragenen Aufruf wird explizit der Fall Marian Cozma und die Ressentiments schürende Berichterstattung erwähnt, sowie ein zweiter medialer Missgriff: Ein Fußballspieler des FC Botoşani hatte als Opfer einer Gewalttat die Presse informiert, er sein von einer Gruppe Roma zusammengeschlagen worden. Bei der Polizei sagte er später aus, er habe gelogen – die Täter waren keine Roma. Von den rumänischen Medien war die zuvor gemachte Aussage bereits ohne eigene Recherchen übernommen worden, der erlogene Hinweis auf die ethnische Einordnung der Täter als „Roma“ wurde effektiv an die Kioske und in die Wohnzimmer Rumäniens verteilt.

Die Situation der rumänischen Presse hat nichts mit besonders rumänischen Eigenheiten zu tun. Bis heute lassen sich angesichts der niedrigen Löhne für Journalisten die meisten rumänischen Tageszeitungen, bis auf zwei oder drei, dem Niveau der deutschen BILD-Zeitung zuordnen. Mit Sensations-Journalismus ist das meiste Geld zu verdienen, das nicht unbedingt in der Redaktion aufgeteilt wird. Wohlgemerkt befindet sich ein Großteil der rumänischen Printmedien in deutschem, österreichischem und schweizer Privatbesitz – der südosteuropäische Absatzmarkt floriert im Schmierblattgeschäft und davon haben insbesondere die Unternehmen außerhalb Rumäniens einen Vorteil. Was die Unterordnung unter eine deutsche Verlagsgruppe für die Pressefreiheit in Rumänien bedeuten kann, wurde 2004 deutlich, als die deutsche WAZ Mediengruppe einer rumänischen Zeitung in ihrem Besitz die Themen und sogar den Chefredakteur diktierte (hierzu berichteten taz und telepolis).

Die Übernahme rumänischer Medien durch deutsche Verlagsgruppen bringt also nicht automatisch mehr Pressefreiheit für Rumänien, sondern sogar das Gegenteil kann der Fall sein. Die Defizite der rumänischen Presse können nur in Rumänien konstruktiv diskutiert werden – und die kritischen Anmerkungen von Organisationen wie dem Centrul pentru Jurnalism Independent oder der Agenţia de Monitorizare a Presei sind der Beweis, dass in Rumänien mehr funktioniert, als vielleicht in Deutschland angenommen wird.