Café „St. Oberholz“ wehrt sich gegen „Fraktion Nimm“

Schon praktisch für das Berliner „St. Oberholz“, dass die neuen Regeln des Cafés unmittelbar einen wohlwollenden Artikel des Journalisten Christoph Stollowsky im Tagesspiegel nach sich ziehen. Ich lese Begriffe wie „ausnutzen“, „dreist“, „Stromschnorrer“ oder „Fraktion Nimm“, mit denen Stollowsky die unliebsamen Gäste beschreibt, die das Café bisher als „kostenlosen Arbeitsplatz missbrauchen“. Doch damit sei es jetzt vorbei, lerne ich, denn ab sofort würden Kellnerinnen und Kellner die Gäste „wachsam im Auge behalten“.

Die Gäste, die dazu im Tagesspiegel zitiert werden, finden das toll. Kritische Stimmen fehlen. Dafür wird der Offene Brief erwähnt, in dem Café-Betreiber Ansgar Oberholz ein psychologisches Profil der problematischen Gäste erstellt. Ein mitgebrachter Döner, der im Tagesspiegel als Symbol der Dreistigkeit dient, spielt auch hier eine zentrale Rolle. Er ist Ausgangspunkt mehrerer Absätze, in denen der Café-Betreiber schildert, was er über seine Gäste denkt. Ich zitiere nur einen Satz:

„Die Verhaltensweise der Gäste deutet auf ein vermindertes Schuldempfinden und unterdrückte Schamfähigkeit hin.“

(Für den Kontext: ein Screenshot / Link zum Originaltext)

Vermutlich ist Ansgar Oberholz mit solchen dreisten Deutungen nicht allein. Die Unterstützung eines Tagesspiegel-Journalisten hat er jedenfalls.

AND-EK GHES… — #Berlinale kurz notiert

AND-EK GHES…* ist ein Spiel mit filmischen Mitteln, bei dem die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktion verschwimmen. Es bietet eine Auseinandersetzung mit dem performativen Charakter gefilmter menschlicher Handlungen.

Die Aufnahmen, die von den romanessprachigen Protagonist_innen mit unterschiedlichen Kameras selbst angefertigt wurden, durchbrechen filmisch tradierte Blickrichtungen und reklamieren die Position der Selbstrepräsentation. Sie sind auch eine Abrechnung mit konventionellen Annahmen zur vermeintlichen Objektivität des Dokumentarfilms. Mit sichtbaren Inszenierungen oder selbstironischen Kommentaren wird die Verbindung zwischen den Darstellungen und ihrer Herstellung vergegenwärtigt.

Ein Film, erfrischend und politisch ohne Phrasen.

Einer der beiden Regisseure ist auf twitter: @ColoradoVelcu.

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* Transparenzinfo: Ich bin mit mehreren an dem Film beteiligten Personen, u.a. den beiden Regisseuren, befreundet.

Abschiebung in der Willkommensklasse

[Im folgenden Text ist mehrfach von gewaltvoller staatlicher Repression gegen Non-Citizens / Menschen ohne anerkannten Aufenthaltsstatus die Rede.]

Kinder werden von der Polizei aus der Willkommensklasse* geholt und abgeschoben. An Grundschulen in Berlin passiert so etwas immer wieder, die betroffenen Schüler_innen sind zum Teil erst sieben Jahre alt. Verantwortlich für die Durchführung der Abschiebungen in Berlin ist Innensenator Frank Henkel (CDU), und gegen den richtet sich nun ein „Protest“ von Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) und Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD): Laut Presseberichten äußerten beide auf dem SPD-Sommerfest letzten Freitag (11.9.15) ihren Unmut über die konkrete Praxis, Kinder aus dem laufenden Unterricht zur Abschiebung zu holen.

Ich halte das für eine PR-Aktion. Für einen Versuch, sich mit Pseudo-Kritik in Abgrenzung zur CDU zu inszenieren, wo eigentlich Übereinstimmung herrscht.

Müller wird mit den Worten zitiert, die Praxis des Abschiebens direkt aus dem Klassenzimmer sei „pädagogisch eine Katastrophe“ (rbb, tagesspiegel). Er kritisiert nicht grundsätzlich die Abschiebung von Kindern, sondern nur in Verbindung mit dem Schulbesuch. Ihm geht es um die pädagogische Wirkung auf diejenigen Schüler_innen, die der Abschiebung im Klassenzimmer / in der Schule als nicht Betroffene beiwohnen, diese mit ansehen. Müller will es offenbar vermeiden, dass Kinder hilflos zuzuschauen müssen, wenn Menschen gewaltvoll gegen ihren Willen von deutschen Polizeibeamt_innen in ein anderes Land verfrachtet werden. Er will aber nicht die gewaltvolle Abschiebepraxis ändern, sondern die Sichtbarkeit dieser Praxis einschränken. Vielleicht merkt Herr Müller wie zynisch es ist, wenn er nicht die Abschiebungen von Menschen an sich ablehnt, sondern ihren Anblick für unpädagogisch hält.

Schulsenatorin Scheeres fürchte um das „Vertrauen in die Institution Schule“ (tagesspiegel), sei doch die Schule ein „geschützter Raum“ (Berliner Zeitung). Schule ist überhaupt kein geschützter Raum, augenscheinlich erst recht nicht in Bezug auf Abschiebungen. Solche gewaltvollen Vorgänge, die die Innenbehörde hier umsetzt, sind gesetzlich legitimiert und völlig im Einklang mit dem Rechtsstaat. Davor gibt es keinen Schutz, schon gar nicht in der „Institution Schule“, die als staatliche Einrichtung Teil der staatlichen Herrschaftsstrukturen ist. Schulleitung und Lehrer_innen greifen üblicherweise nicht in eine Abschiebung ein. Es ist Augenwischerei, mit „geschütztem Raum“ zu argumentieren, wo keiner ist. Das Gegenteil ist der Fall: die Kinder sind den Abschiebungen in der Schule ausgeliefert.

Um ja nicht falsch verstanden zu werden, stellt der Berliner Bürgermeister klar:

„Es ist richtig, dass Menschen, die hier keine Perspektive haben, abgeschoben werden“, sagte Müller auf dem Sommerfest der SPD am Freitag. Er habe auch nichts dagegen, dass Innensenator Frank Henkel (CDU) mal ein Exempel statuiere. „Aber es ist inakzeptabel, dass Kinder aus den Willkommensklassen geholt werden.“

Scheeres und Müller haben kein Problem damit, dass abgeschoben wird, sondern nur damit, wie dies geschieht. Vielleicht haben sie bis zum nächsten SPD-Sommerfest konstruktive Ideen, wie Abschiebungen pädagogisch wertvoller gestaltet werden können.

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* Eine Willkommensklasse ist eine Gruppe von Schüler_innen, die von Schulleitungen parallel zum allgemeinen Klassenbetrieb eingerichtet wird, um dort in einem gesonderten, vom Lehrplan unabhängigen Unterricht die Vermittlung der deutschen Sprache in den Mittelpunkt zu stellen. Die Lehrkräfte der üblichen Klassen sollen nämlich nicht mit der Vermittlung von Sprachkenntnissen noch stärker als ohnehin belastet werden, so eine gängige Argumentation. Obwohl es sich de facto um segregierte Klassen handelt, werden die Willkommensklassen in der Öffentlichkeit oft unkritisch als Erfolgsmodell gefeiert.

Kritik aus Berliner SPD: Buschkowsky spielt mit Ressentiments und Rassismen

Heinz Buschkowsky (SPD, Bürgermeister von Berlin-Neukölln) ist jetzt Buchautor. Der deutsche Lokal-Politiker erntet mit der Publikation seiner ersten Textpassagen nicht nur Jubel. Buschkowsky schüre Angst vor Neukölln, dabei brauche er sich vor seinem Bezirk eigentlich nicht zu fürchten, versichert ihm ein Neukölln-Survivor.

Die Lektüre sorgt auch in den Reihen der Berliner SPD für unmissverständliche Kritik: Buschkowsky gebe darin gern gehörte populistische Antworten und lasse Ursachenforschung außer Acht, schreibt Orkan Özdemir (SPD, Vorsitzender der SPD AG Migration und Vielfalt Tempelhof-Schöneberg). Ich finde die Kritik auf den Punkt gebracht und darf sie mit freundlicher Genehmigung von Orkan Özdemir hier veröffentlichen:

Persönliche Stellungnahme von Orkan Özdemir:

Orkan Özdemir, Vorsitzender der SPD AG Migration und Vielfalt Tempelhof- Schöneberg, äußert sich zu den ersten Auszügen aus dem Buch „Neukölln ist überall“ (Bild.de, 17.09.2012) von Heinz Buschkowsky wie folgt:

„Heinz Buschkowsky ist bekannt für seine kontroversen Äußerungen, wenn es um Integrationspolitik geht. Das hat er nicht zuletzt während der Sarrazin-Debatte in ,das wird man doch wohl noch sagen dürfen‘-Manier unter Beweis gestellt. Auch meine GenossInnen und ich aus der SPD AG Migration und Vielfalt stellen uns den kritischen Fragen bzgl. der „Multi-Kulti ist gescheitert“-Debatte.


Es ist immer wieder bemerkenswert wie hartnäckig Heinz Buschkowsky, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz, das Fehlverhalten von jungen, perspektivlosen und prekarisierten Menschen auf ihre Herkunft reduziert und Problemlagen ethnisiert. Es ist bekannt, dass solch populistische Antworten auf grundlegende gesellschaftliche Probleme von der Mehrheitsgesellschaft nur zu gern als Erklärungsmodell in Anspruch genommen wird. Heinz Buschkowsky schlägt genau in diese Kerbe, wenn er Menschen mit einem bestimmten Aussehen markiert und ihnen entsprechende inakzeptable Verhaltensformen nachsagt, aber nie müde wird klarzustellen, dass er ,(…) niemals alle Einwanderer…‘ meine. Buschkowsky spielt hier ganz offensichtlich mit bestehenden Ressentiments und Rassismen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber als arabisch, türkisch und letztendlich muslimisch markierten Bevölkerungsgruppen. Dabei wird die bestehende Ursachenforschung, welche die von Buschkowsky beschriebene Situation erklären, wissentlich außer Acht gelassen und als ,intellektuelles Geschwätz‘ abgetan. Denn sonst müsste sich auch ein Heinz Buschkowsky die Frage gefallen lassen, warum dieser in über 10 Jahren als Bezirksbürgermeister von Neukölln keine nennenswert positiven Ergebnisse in den Migrantenmilieus und deren sozialen Aufstieg verzeichnen kann. Menschen sind immer Produkt ihres sozialen Umfelds. Werden Menschen in gewisse Sozialräume durch Ressentiments und Vorurteile gedrängt, kann gesellschaftliche Teilhabe und sozialer Aufstieg nicht gewährleistet werden. Es ist also eine Frage des sozialen Status und der Zukunftsperspektiven der jungen Menschen als eine Frage der ,ethnischen Herkunft‘.“

Orkan Özdemir (SPD), 19.09.2012

Nachtrag zu Jobcenter, Vattenfall und Drogen-Task-Force

von Fritzi mit direktem Bezug hierzu

Meine Klienten möchten anonym bleiben. Ich schreibe das, weil es ein paar Anregungen gab, die Geschichte an die Presse zu geben.

Neben dem Wunsch anonym zu bleiben baten meine Klienten mich darum, juristischen Rat einzuholen. In dem Einsatzprotokoll, das mir vorlag, war vermerkt, dass die Tür beschädigt wurde und dass btm-suspektes Material gefunden worden ist. Mit diesen Angaben schilderte ich den Fall einer Rechtsberatungsstelle. Von dort hieß es: falls es zur Anzeige kommt wegen der gefundenen Menge, dann kann es passieren, dass die Ausländerbehörde einen Grund hat, die Freizügigkeit meiner Klienten einzuschränken, was zur Folge hätte, dass meine Klienten ihren letzten Anspruch auf existenzsichernde Hilfen verlieren. Zumal sich in letzter Zeit Fälle häufen würden, in denen Jobcenter mit Ausländerbehörden Informationen zum Nachteil des Status der Betroffenen austauschen. Suchen JobCenter gezielt nach Gründen zur Einschränkung der Freizügigkeit von Leistungsbeziehenden ohne deutsche Staatsbürgerschaft?

Nach dem Gespräch mit der juristischen Beratung und der Antwort von Vattenfall auf die Bitte um Stellungnahme bleiben für mich als beobachtende Helferin meiner Klienten Fragen ungeklärt: Woher kam der Anfangsverdacht der Polizei? Die Begründung, mit Vattenfall in der Woche vorher Kontakt gehabt zu haben, scheint mir unzureichend für eine derartige Durchsuchung. Zumal der Durchsuchungsbeschluss des Gerichts zeitlich weit vor letzter Woche liegt. Nach jetzigem Informationsstand scheint mir mein Erklärungsversuch 2 wahrscheinlicher.

Für meine Klienten ist die Situation jedenfalls sehr belastend, da sie sich bereits vor Montag ernsthaft Sorgen um ihre Existenz machen mussten, die nach der Durchsuchung nun noch bedrohter ist.