Offener Brief an Rudolf Sarközi

Dieser Offene Brief wurde ursprünglich bei Der Paria veröffentlicht und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung als Crosspost.
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Sehr geehrter Herr Sarközi,

hiermit möchten wir Sie über unsere Empörung bezüglich Ihrer Positionierung gegen die Kunst von Marika Schmiedt in Kenntnis setzen. Wir sind aufgebracht, dass Sie sich gegen Werke, die auf die gegenwärtige Verfolgung und Unterdrückung von Roma in Europa aufmerksam machen, positionieren und damit die Hetzkampagne und die Kriminalisierung von Widerstand legitimieren. Ihren eigenen Angaben nach empfinden Sie die Kunst von Marika Schmiedt als gegen die Roma-Minderheit gerichtet und finden die Äußerungen der ungarischen Nationalisten gerechtfertigt und begründet: “Ja, das stimmt. Ich kritisiere diese Ausstellung und habe das dem (ungarischen) Botschafter auch so gesagt”. Was Sie noch nicht erwähnt haben ist, warum Sie diese Meinung teilen.

Als Vertreter der Roma-Organisationen aus Österreich, zu dem Sie sich selbst ernannt haben, müssten Sie wissen, dass viele Menschen von Ihren öffentlichen Äußerungen betroffen sind. Das heißt, Sie sprechen nicht nur für sich und Ihre eigene Familie, sondern für alle Roma aus Österreich und, in diesem Fall, auch für alle Roma aus Ungarn. Haben Sie sich über die Situation der Roma in Ungarn tatsächlich informieren lassen?

Durch Ihre Haltung gehen Sie eine Komplizenschaft mit den ungarischen Nationalisten ein, die Roma angreifen, und Sie lassen zu, dass Positionen von Roma zensiert und ihre Arbeit skandalisiert wird. Marika Schmiedt kritisiert gemeinsam mit unserer Initiative Der Paria, dass Sie das rassistische Projekt „Bio-Knoblauch Romanes“ mitinitiiert haben. Dem Anschein nach haben Sie mehr Interesse an der Umsetzung eines Projekts, das Roma zur Arbeit auf Plantagen zwingt, ihnen das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt und keine Kritiken darüber zulässt, als an selbstbestimmten Kunst- und Aktionsformen wie von Marika Schmiedt.

Auf dieser Grundlage treten Sie auf derselben Seite wie die ungarischen Nationalisten auf und ent-solidarisieren sich ein weiteres Mal von Marika Schmiedt. Unserer Meinung nach verursacht Ihre Roma-Vertretung sehr großen Schaden und verschlimmert die Situation. Des Weiteren gibt es bis jetzt von Ihnen keine öffentlichen Statements bezüglich der bedrohlichen Situation für Roma in Ungarn. Als Zsolt Bayer Anfang 2013 öffentlich sagte, ‘Diese Zigeuner sind Tiere und benehmen sich wie Tiere’, waren damit alle Roma gemeint, das heißt, dass Sie auch davon betroffen waren. Deswegen ist es für uns unverständlich, wenn Sie solche öffentlichen Beleidigungen komplett ignorieren, aber die Kunst von Marika Schmiedt verurteilen, ohne Ihre Kritik zu begründen. Als die Neo-Nazis in den ungarischen Dörfern Hassmobs gegen Roma organisiert haben, wie in Gyöngyöspata 2011 der Fall war, wurden Sie als Roma-Vertreter ebenfalls nicht aktiv. Warum beziehen Sie gegen kritische Roma-Positionierungen Stellung und nicht gegen ungarische Nationalisten, wenn diese antiromaistische Deklarationen veröffentlichen und Aktionen leiten?

Wir sind der Meinung, dass Sie nicht das Interesse der Roma-Minderheit vertreten, sondern Ihre eigenen Interessen. Deshalb erkennen wir Sie nicht als Roma-Vertreter an und werden alle Roma-Organisationen, europa- und weltweit, über Ihre Position informieren.

Mit besten Grüßen

Der Paria,
Georgel Caldararu, Filiz Demirova

Rezension: „Reihe Tsiganologie Band 2“, Leipzig

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistischen Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Vorweg: In diesem Gastbeitrag rezensiert Joachim Krauß eine aktuelle Publikation des Leipziger „Forum Tsiganologische Forschung“. Das inflationär in der zitierten Publikation gebrauchte [***]-Wort Wort zur rassistischen Fremdbezeichnung von Roma habe ich zur Vermeidung von Verletzungen unkenntlich gemacht..

tl;dr Die Leipziger „Tsiganolgie“ bringt in diesem neuen Band wenig Erhellendes, schaut nicht über die eigene Forschungsbereichsgrenze und weicht der notwendigen Auseinandersetzung mit der eigenen Forschungstradition konsequent aus.

Gastbeitrag von Joachim Krauß (TU Berlin)

Fabian und Theresa Jacobs (Hg.), Vielheiten. Leipziger Studien zu Roma/[***]ner-Kulturen. Reihe Tsiganologie Band 2, Leipzig: Universitätsverlag 2011, 346 Seiten.

Mit der vorliegenden, zwölf Beiträge umfassenden Publikation erscheint der zweite Band aus der Reihe Tsiganologie des Leipziger Instituts für Ethnologie. Während der erste im Jahr 2008 erschienene Sammelband auch Beiträge externer Autor*innen enthielt, sind in diesem ausschließlich in Leipzig entstandene Texte vertreten, die zum Großteil Studienabschlussarbeiten zur Grundlage haben. Insofern kann die Publikation als Leistungsschau der Leipziger „Tsiganologie“ gelten. Sie bietet die Gelegenheit, nach Entwicklungen, Kontinuitäten, Konzepten und Begrifflichkeiten zu fragen.

Die ethnologische Forschung zu Sinti und Roma und den ihnen zugerechneten Gruppen stellt noch immer ein hochproblematisches Forschungsfeld dar. Darin kommt dem im Jahr 2010 emeritierten Leiter des Leipziger Instituts für Ethnologie Bernhard Streck seit über dreißig Jahren sowohl eine wichtige als auch kontroverse Rolle zu. Seinem Wirken ist die Etablierung der „Tsiganologie“ als Studieninhalt und Forschungsfeld in Leipzig zu verdanken. Folgerichtig fungiert er auch als einer der Herausgeber der Reihe. Ihm ist das rezensierte Buch gewidmet. Streck war einer der Protagonist*innen des „Gießener Projektes für Tsiganologie“ in den 1970er/80er Jahren und hatte sich frühzeitig gegen die Bürgerrechtsbewegung der Sinti in Deutschland gewandt. Über zehn Jahre lehrte er „Tsiganologie“ als ethnologisches Spezialthema in Leipzig.

Hier nun präsentieren einige seiner Schüler*innen die Früchte ihrer und damit seiner Arbeit. Der zeitliche Untersuchungsrahmen liegt in der Gegenwart, räumlich erstrecken sich die Texte vom indischen Subkontinent über Europa bis nach Südamerika. Die inhaltlichen Schwerpunkte sind überaus heterogen. Sie umfassen Versuche der Medienanalyse, des Sprachvergleichs und der Humangeographie. Daneben stehen musikethnologische und ethnografische Darstellungen, die von ideologie- und wissenschaftskritischen Texten begleitet werden. Diese Spannbreite stellt an die Herausgeber*innen hohe Anforderungen, soll der Band nicht als ungeordnetes Sammelsurium erscheinen. Fabian und Theresa Jacobs kommen dieser Aufgabe nicht nach. Die Texte sind weder räumlich noch thematisch gegliedert. Ihre Reihenfolge ist willkürlich und erfährt keine Erläuterung. In ihrem Geleitwort unterlassen es Herausgeberin und Herausgeber zudem, den Buchtitel und den Forschungsstand zu erläutern. Der Titel „Vielheiten“ scheint den Arbeiten von Gilles Deleuze und Félix Guattari entlehnt zu sein. Darauf deutet u.a., dass die beiden Herausgeber*innen die Leipziger Forschung zu einem Netzwerkknoten gereift sehen (S.7) und eine Vielzahl der Texte auf Postmoderne und Poststrukturalismus Bezug nimmt. Überdies sind es so kritische Leipziger Wortschöpfungen wie „[***]nerrhizom“, die ein geringes Problembewusstsein gegenüber biologistischen Formulierungen zeigen. Gerade letzteres verweist auf die dringende Notwendigkeit, sich mit der eigenen Forschungsgeschichte auseinanderzusetzen. Öffentlich wahrnehmbar ist dies seitens der Leipziger „Tsiganologen“ bisher nicht erfolgt.

Diese Unterlassung findet in dem Band ihre Fortsetzung, wie der Beitrag von Maria Melms und Michael Hönicke verdeutlicht: Antiziganismus und Tsiganologie. Versuch einer Standortbestimmung. (S.175-198) Die Autor*innen bemühen sich um eine Verortung der „Tsiganologie“, weshalb der Beitrag an dieser Stelle ausführlicher gewürdigt werden soll, bevor auf die Beiträge zu osteuropäischen Themen einzugehen ist. Als „Tsiganolog*innen“ scheint den Autor*innen eine Infragestellung des eigenen Forschungsschwerpunktes und der gewählten Konzepte und Begrifflichkeiten fremd zu sein. Umfassende Zweifel halten sie hingegen gegenüber der „Antiziganismusforschung“ für begründet. Ihr Anliegen ist legitim: Letztlich möchten sie die Perspektivenvielfalt und höhere Erklärungskraft der „Tsiganologie“ verdeutlichen. Problematisch ist jedoch ihre Vorgehensweise, die guter wissenschaftlicher Praxis zu wider läuft. Sie führen Autoren gegen den Begriff des „Antiziganismus“ ins Feld, berücksichtigen aber deren grundlegenden Einwände gegen die „Tsiganologie“ nicht ansatzweise. Es war der Historiker Michael Zimmermann, der wiederholt eine gut begründete Kritik an der inflationären und unzureichend reflektierten Verwendung des Antiziganismusbegriffs formulierte. Melms und Hönicke zitieren ihn umfassend. Dabei ignorieren sie Zimmermanns Analyse tsiganologischer Forschung vollständig. Bereits 1996 hatte er diagnostiziert, dass die mangelnde Beachtung historischer Entwicklungen aus der Vorstellung resultiert, Kultur und Lebensweise der Sinti und Roma wären besonders resistente, strukturbildende, dauerhafte und raumübergreifende Merkmale, die sich autonom gegenüber den Mehrheitsgesellschaften verhielten.¹

So wie Zimmermann äußerte auch der von den Autor*innen zitierte Berthold Bartel eine weitgehende Kritik an tsiganologischer Textproduktion und Konzeption. Wie schon Zimmermann machte auch er die hochproblematischen Äußerungen Strecks zur Verfolgung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus nochmals deutlich.² Vor diesem Hintergrund ist es kein Lapsus, wenn Melms und Hönicke diese Autoren für ihre Argumentation nutzen, aber die Auseinandersetzung mit der eigenen Forschungsgeschichte unterlassen. Sie reklamieren für sich, mit der „relationistischen Tsiganologie“ oder dem „tsiganologischen Relationismus“ neue Wege zu gehen: „[***]ner ist für uns ein relationaler Begriff, der vor allem Gruppen bezeichnet, die in einem besonderen Verhältnis […] zur Mehrheitsgesellschaft stehen.“ Dabei seien sie in der Lage, die Minderheit „doppelrelational, als Affirmation und Negation der Mehrheitskultur, z.B. in Form von wirtschaftlicher Symbiose und kultureller Dissidenz“ zu verstehen (S.192). Um diese Begriffe – mit besonderem Fokus auf angeblicher „kultureller Dissidenz“ – kreisen alle Publikationen der Leipziger „Tsiganologie“. Die „Gießener Tsiganologie“ operierte in den 1980er Jahren mit dem Begriff „Eigensinn“, um „kulturelle Fremdheit“ zu markieren. Diesbezüglich formulierte Zimmermann: „[…] sie [die „Tsiganologie“] unterschätzte das soziale Elend unter den Betroffenen, ebenso wie die Anziehungskraft die die Mehrheitsgesellschaft auf sie ausübte.“³ Wie gering die Weiterentwicklung ist, lässt sich an den Beiträgen zu Osteuropa verdeutlichen.

Zuvor ist noch auf weitere Beispiele für einen fragwürdigen Umgang mit Texten anderer Autoren zu verweisen. Um eigene Aussagen argumentativ abzustützen formulieren Melms und Hönicke unter Rückgriff auf einen Text von Mark Münzel: „Das Problem einer rein ideologiekritischen Dekonstruktion (…) (des Terminus [***]ner) ist, dass sie ihrerseits ideologisch ist, indem sie grundsätzlich von der Nichtexistenz (…) (von [***]nern) ausgeht, die nicht zum (…) (eigenen Weltbild passen)“ (S.183). Münzels Vorlage bezog sich auf einen vollkommen anderen Zusammenhang, sie steht im Kontext der Frage von Kannibalismus in der Brasilienbeschreibung Hans Stadens im 16. Jahrhundert. Im Original heißt es: „Das Problem einer rein ideologiekritischen Dekonstruktion von Staden ist, dass sie ihrerseits ideologisch ist, indem sie grundsätzlich von der Nichtexistenz der Anthropophagie ausgeht, die nicht zum westlichen Weltbild passt.“⁴ Diese Vorgehensweise ist wissenschaftlich unlauter.

Fünf Beiträge stehen im engen oder weiteren osteuropäischen Kontext. So der erste Text im Band von Julia Glei, Weibliche Lebenswelten – Rituale vor dem Spiegel und im Haushalt in Shutka/Mazedonien (S.11-33). Bei diesem Beitrag handelt es sich vorrangig um ein Nachdenken über das Schreiben in der Ethnologie und einen Schreibversuch anhand eines Aufenthaltes bei einer Romafamilie in Šuto Orizari, einem Ortsteil der mazedonischen Hauptstadt Skopje, der als größte Romasiedlung Europas gilt. Glei entscheidet sich für die Ethnopoesie. Die Umsetzung erinnert an die Darstellung von Roma in Reise-, Landes- und Völkerbeschreibungen des 19. Jahrhunderts, die verheerende Langzeitwirkungen hatten. Es ist das hervorstechende Merkmal des ethnographischen Schreibens über Roma, dass Unwissen durch besonders bildreiche und drastische Sprache und spekulative Ausführungen kaschiert wurde. Gleis Beitrag stellt sich inhaltlich und formal in diese Tradition, da es die Autorin versäumt, Informationen über den Ort, das soziale und ökonomische Umfeld sowie die sehr unterschiedliche Geschichte der an den betreffenden Orten lebenden Roma einzubetten. Die Literatur zur Lage und Rolle der Frauen im ost- und südosteuropäischen Raum wird von Glei nicht reflektiert. Sie stellt ihre Beobachtungen ausschließlich in den Kontext von Untersuchungsergebnissen zu „[***]ner“gruppen anderer Regionen. Den Vergleich zur umgebenen Mehrheitsbevölkerung zieht sie nicht. Damit manifestiert sich einmal mehr einer der Grundmängel der „Tsiganologie“.

Inhaltlich schließt sich der siebte Beitrag an: Andrea Steinke, Die Mitte ist überall – Überlegungen zu „Shutka Book of Records“, dem Fremden und der Exzentrizität (S.147-174). Grundlage des Textes ist der Film des Regisseurs Aleksandar Manic „Shutka – Stadt der Roma, aus dem Jahr 2005, worin er das Leben von 15 Bewohnern der Siedlung künstlerisch dokumentiert. Die Autorin macht deutlich, dass es sich bei dem Film um eine Kunstproduktion handelt, weshalb eine Abbildung der Realität nicht erwartet werden könne. Daher laufe die von Romavertreter*innen geäußerte Kritik, es handele sich um eine Fehldarstellung und Überzeichnung der Roma, fehl. Dieser Hinweis ist sicher richtig. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, wie Steinke der Film dazu dienen kann, Überlegungen zur realen Kultur von Roma anzustellen: „Die Kulturen der Roma/[***]ner sind jene, die sich bei genauer Betrachtung am hartnäckigsten einer Festschreibung entziehen, weil sie sich verschiedenster ‚fremder‘ Kulturelemente bedienen und ‚Zonen der Ununterscheidbarkeit‘ schaffen.“ (S.165). Ihre Ausführungen sind ohne eigenen empirischen Gehalt. Sie referiert Literatur aus anderen zeitlichen und räumlichen Untersuchungszusammenhängen und sieht ihre Idee anhand des Filmes in Shutka bestätigt: eine Stadt der Roma als Hort des Widerstands und der Exzentrik.

Zu Beitrag 5: Tobias Marx, Die Offene Roma-Gesellschaft? – Zur Kritik der Integrationsideologie des OSI und der Decade of Roma Inclusion 2005-2015 (S.95-124). Der Autor versteht seinen Text als ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Offenen Gesellschaft im Kontext der Integrationsversuche in den Ländern Ost- und Südosteuropa. Seinen Schwerpunkt legt er hierbei auf die Ideologiekritik. Über die Integrationsversuche und deren politische, ökonomische sowie soziale Rahmenbedingungen erfährt die Leserin und der Leser nur wenig. Eine Kritik an den Aktivitäten George Soros‘ und seiner Stiftung ist legitim. Auch lässt sich die Frage nach der Bedrohung kultureller Identität durch eindimensionale Integrationsstrategien diskutieren. Wenn dies allerdings geschieht, ohne sich mit den Voraussetzungen und vielschichtigen Diskriminierungsformen in den osteuropäischen Gesellschaften auseinanderzusetzen, gerät die Kritik fehl. Auch in diesem Beitrag scheinen unverkennbar Parallelen zur „Gießener Tsiganologie“ auf, deren Vertreter*innen so vehement gegen jegliche Integrationsmaßnahmen argumentierten.

Die zwei weiteren Beiträge mit Osteuropabezug sind: Esther Nieft, Überall schön, doch zu Hause am besten? – Einschätzungen der Wohnstandortentscheidungen, materiellen Wohnsituation und internen Segmentierung der Bewohner_innen einer ostslowakischen osada (S.257-289) und Nina Stoffers, „Gypsymania!“ Oder: Warum der Hype in der Clubmusik doch nicht so neu ist – Eine Untersuchungen zu Phänomenen der Akzeptanz in der Sozial- und Kulturgeschichte von Roma-/[***]nermusikern (S.199-232).

Zu nennen ist weiterhin der Beitrag von Anne Losemann, „Beobachten, wie wir beobachten“ – Pressediskurse über [***]ner in Mitteldeutschland (S.125-146). Die Analyse der Printmedien hat in den Jahren seit 1990 dank des einfachen und sicheren Quellenzugangs eine relativ umfassende Literatur hervorgebracht. Diese zeigt die große Persistenz in der Tradierung von Sinti- und Romabildern in der deutschen Presse, die oft genug unbestreitbar rassistische Züge trägt, auf. In Losemanns Text werden die Literatur und ihre Ergebnisse allerdings kaum rezipiert. Die Presse in den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt scheint, glaubt man ihren Ergebnissen, von der bisher analysierten Presse abzuweichen. Skepsis befällt den Rezipienten jedoch, wenn die Autorin einerseits den Journalisten große Distanz zu den Beschriebenen diagnostiziert und andererseits meint, „[…], dass regionale Presseerzeugnisse gerade für das Studium nichtsesshafter Gruppen ertragreich sein können, da Dokumente dieser Art als ‚Glücksfälle‘ für das ethnografische Erkenntnisinteresse gelten dürften.“ (S.139) Der Text macht darüber hinaus die im gesamten Band erkennbare Problematik der „[***]ner“-Definition deutlich. Ob Wertfreiheit in der Verwendung des Begriffs deshalb gegeben ist, weil die Autor*innen es für sich reklamieren, ist angesichts der sehr komplexen Begriffsgeschichte mehr als fraglich. Sie halten den Begriff für genauer als die Bezeichnungen „Sinti“ oder „Roma“, da er nicht ausschließend und damit umfassender sei, gerade wenn Unsicherheit darüber bestehe, um was für eine Gruppe es sich im konkreten Fall handelt. In der Umsetzung führen sie diese Annahme ad absurdum: Losemann, wenn ein Pressetext von Sinti in der DDR spricht und sie daraus „[***]ner“ in der DDR macht. Nief, deren Untersuchungsgruppe offensichtlich Romanes sprechend ist, die Autorin aber nicht daran hindert, die Begriffe „[***]ner“ und „Roma“ gleich zu setzten. Das gleiche Problem stellt sich in dem Beitrag von Janina Heckl, Tsiganismen im Französichen – Die Spuren von Roma- und Sinti-Wortschatz in der Sprache Voltaires (S. 73-93). Der Autorin geht es um Entlehnungen aus dem Romanes im französischen Sprachgebrauch. Wieso die Begriffsbildung „Tsiganismen“ eine wertfreie und genauere Bezeichnung sein soll, erklärt sie nicht.

Weitere Beiträge sind Márcio Vilar, Vom Dreißigsten Tag nach dem Tod eines alten Calon (S. 35-49), weitgehend der Wiederabdruck eines 2010 online publizierten Textes, und Agustina Carrizo-Reimann, Topografie der Vielfalt. Barrios gitanos in Buenos Aires (S.51-72). Welchem Ziel die Aufnahme des Textes von Clara Wieck, Zwischen Kontinuität und Wandel – Die Vag Bagria Rajasthans (S.233-256) dient, erläutern weder Herausgeber*innen noch Autorin. Es lässt sich nur vermuten, dass die von Wieck in Anlehnung an „Kontrastkultur“ gewählte Begrifflichkeit auf Parallelitäten zu „[***]nerkulturen“ nach Leipziger Tsiganolog*innenverständnis hinweisen sollen.

Den Abschluss bildet Harika Dauths Text Mobilität und Flexibilität: wandernde Konzepte und ihre Experten – Eine nomadologische Reise in die postmoderne Tsiganologie (S.291-326), der längste Beitrag und eine Art Manifest „postmoderner Tsiganologie“: Zum Untersuchungsgegenstand werden alle menschlichen Zusammenhänge und selbstreflexiv auch die Tsiganolog*innen.

Letztlich bleibt ein ungeordneter Sammelband, in dem kaum etwas über Roma zu erfahren ist. Neue Sicht- oder Herangehensweisen finden sich so wenig wie Auseinandersetzungen mit der aktuellen nicht-„tsiganologischen“ Forschungsliteratur, die sich gerade in den osteuropäischen Ländern entwickelt und ausdifferenziert hat. Erhellend sind die meisten Beiträge allein hinsichtlich der vielfältigen Wege, auf denen die Leipziger „Tsiganolgie“ der dringend notwendigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Forschungstradition konsequent ausweicht.

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¹ Michael Zimmermann, Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der [***]nerfrage“. Hamburg 1996, S.28.
² Gleichfalls: „Der Name [***]ner wurde nicht negativ tabuisiert, er behielt auch im 3. Reich seinen alten Doppelcharakter aus Zerlumptheit und Romantik.“ Streck, Nationalistische Methoden zur „Lösung der [***]nerfrage“, in: Ethnologische Absichten 7 (1981), S.62. Zit. nach Berthold P. Bartel, Vom Antitsiganismus zum antiziganism. Zur Genese eines unbestimmten Begriffs, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Jg. 60 (2008), H.3, S.198.
³ Michael Zimmermann: Antiziganismus – ein Pedant zum Antisemitismus? Überlegungen zu einem bundesdeutschen Neologismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55 (2007), 4, S.305.
⁴ Mark Münzel, Vier Lesarten eines Buches: Zur Rezeption von Hans Stadens ‚Wahrhaftige Historia’, in: Domschke, R. u.a. (Hg.): Martius-Staden-Jahrbuch 53 (2006), S.19.

Schluss mit der rassistischen Hetze gegen Roma! Das Recht auf Asyl duldet keine Unterschiede!

(Anm.: Gemeinsame Presseerklärung von über 20 Roma- und Flüchtlingsinitiativen betreffend jüngster Äußerungen deutscher Politiker*innen zum Thema Asyl, Mitzeichnende s.u. | za hrvatsko-srpsku verziju pogledajte dolje)

15. Oktober 2012 — In den vergangenen Tagen haben konservative Politiker, aber auch Mitglieder der SPD, wiederholt gefordert, die Visumpflicht für serbische und mazedonische StaatsbürgerInnen, die im Dezember 2009 gelockert wurde, wieder einzuführen. Sie möchten damit den „massiven Zustrom von serbischen und mazedonischen Staatsbürgern“ stoppen. Dabei geht es in erster Linie um Mitglieder der Romaminderheit, die seit Aufhebung der Visumpflicht für Kurzaufenthalte im Schengenraum vermehrt in der EU und anderen Schengener Vertragsstaaten Asyl beantragen.

Die Aufhebung der Visumpflicht für die Staaten des sogenannten westlichen Balkans steht am Ende eines langen Prozesses, bei dem die Staaten im Auftrag der EU tiefgreifende Reformen im Bereich der Gesetzgebung und anderen Bereichen (Dokumentensicherheit, Grenzkontrollen und Kontrolle der Wanderbewegungen, usw.) durchführen mussten. Nur im Bereich Menschenrechte blieben die Reformen weit hinter den Erwartungen zurück. Ende August stellte die EU-Kommission in ihrem dritten Bericht zur Visaliberalisierung erneut fest, dass die Roma in allen Balkanstaaten einer umfassenden Diskriminierung ausgesetzt sind, die sie an der Ausübung grundlegender Rechte wie beispielsweise dem Zugang zu Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt hindert.

Nach Aussagen der serbischen Regierung leben circa 60 Prozent der geschätzten 450.000 Roma in Serbien in unsicheren und unhygienischen Lebensverhältnissen; 30 Prozent haben keinen Zugang zu Trinkwasser; 70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation. Serbische Studien belegen, dass Romakinder in Sonderschulen mit einem Anteil von mehr als 30 Prozent deutlich überrepräsentiert sind. Umfragen zufolge gelten sie als die meist diskriminierte Bevölkerungsgruppe in Serbien, eine Diskriminierung, die sich insbesondere im Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich macht. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stellte in ihrem letzten Länderbericht zu Serbien fest, dass die Mehrheit aller Roma von Gelegenheitsjobs, wie beispielsweise dem Sammeln von Altmetall lebt, und dass kaum Roma in staatlichen Betrieben beschäftigt sind.

Auch in Mazedonien sind Roma einer allumfassenden Diskriminierung ausgesetzt. Ebenso wie in Serbien leben sie in Mazedonien oft in abgeschiedenen Siedlungen, wo sie keinen oder nur beschränkten Zugang zu grundlegenden Diensten haben. Romakinder sind in Sonderschulen und in Sonderklassen deutlich überrepräsentiert, was sowohl auf ungeeignete Einstufungstests, als auch auf eine falsche Orientierung der Eltern zurückgeht, wie das Budapester European Roma Rights Centre kürzlich in einer Studie feststellte. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stellte in einem 2010 veröffentlichten Bericht fest, dass 70 Prozent aller Roma in Mazedonien arbeitslos sind, womit ihre Arbeitslosigkeit deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt. ECRI fand auch, dass Roma mit Vorurteilen im Gesundheitssystem konfrontiert sind, was ihren Zugang zu medizinischen Dienstleistungen beeinträchtigt.

Es ist demnach abfällig, wenn Asylanträge von Roma von vornherein als unbegründet bewertet werden. Laut Handbuch des UN-Flüchtlingswerks von 1951 zu den Prozeduren und Kriterien zur Festlegung des Flüchtlingsstatus, das im Dezember 2011, neu aufgelegt wurde, kann Diskriminierung durchaus als Fluchtgrund gewertet werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie dazu führt, dass eine Person nur mehr begrenzt in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Daneben stellt das UN-Flüchtlingswerk auch fest, dass rassistische Diskriminierung eine der deutlichsten Menschenrechtsverletzung darstellt und folglich bei der Festlegung des Flüchtlingsstatus berücksichtigt werden muss.

Auf Druck von Seiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, Schweden, Belgien und Luxemburg, haben Serbien und Mazedonien sowie die anderen Balkanstaaten, deren BürgerInnen kürzlich von der Visumpflicht für Kurzaufenthalte entbunden wurden, in den vergangenen zwei Jahren umfassende Maßnahmen getroffen, um den angeblichen Missbrauch der Visumfreiheit und des Rechts auf Asyl zu beenden. Dazu gehört eine Verschärfung der Grenzkontrollen, in deren Folge Tausende von Menschen, zumeist Roma, aufgrund von zum Teil fadenscheinigen Argumenten und willkürlichen Begründungen an der Ausreise gehindert wurden. Abgeschobenen AsylbewerberInnen droht bei der Rückkehr eine Strafe und der Verlust ihres Passes, womit sie an einer erneuten Ausreise gehindert werden sollen. Roma werden in den Medien und im politischen Diskurs unterschiedslos als „lažni azilanti“, als „ScheinasylantInnen“ bezeichnet und für die drohende Aufhebung der Visumfreiheit verantwortlich gemacht. Rassistische Ressentiments gegen Roma erleben einen erneuten Auftrieb. Die Gewaltbereitschaft gegen sie nimmt zu.

Parallel dazu erleben wir in westlichen Ländern eine selektive Aushebelung des Rechts auf Asyl. Schnellverfahren, wie sie jüngst vom bayrischen Innenminister Joachim Herrmann ins Spiel gebracht wurden, bieten oftmals nicht die Gewähr für eine rigorose Überprüfung des Einzelfalls, wie sie die Genfer Flüchtlingskonvention vorschreibt. Roma aus dem Balkan, die in der EU und der Schweiz Asyl beantragen, unterliegen ohnehin einem Generalverdacht, sogenannte WirtschaftsasylantInnen zu sein, der eine objektive Überprüfung ihres Antrags auf Asyl von vornherein unmöglich macht. Bereits heute werden Anträge von Roma aus Serbien und Mazedonien vielfach vorgezogen, mit dem erklärten Ziel, Roma durch eine zügige Bearbeitung ihres Asylantrags, die in der Regel in der Ablehnung mündet, davon abzuhalten, überhaupt nach Deutschland ein zu reisen und dort Asyl zu beantragen.

In weniger als zwei Wochen wird Bundeskanzlerin Merkel in Berlin das zentrale Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma zur Zeit des Nationalsozialismus einweihen. Die Verfolgung und Ermordung von mehr als einer halben Million Sinti und Roma durch Nazideutschland sollte eine Erinnerung und eine Mahnung sein, wohin Rassismus und Vorurteile führen können. In Serbien wurden mehrere Zehntausende Roma und Juden im Rahmen von sogenannten Vergeltungsaktionen von Wehrmachtsoldaten erschossen. Abertausende starben in den Konzentrationslagern Banjica und Sajmište (Belgrad) und Crveni Krst (Niš).

Es ist demnach völlig gedächtnislos und realitätsfremd, wenn deutsche Politiker heute Schnellverfahren für AsylbewerberInnen aus dem Balkan oder eine Wiedereinführung der Visumpflicht fordern, mit dem ausschließlichen Ziel, Roma an der Einreise nach Deutschland hindern. Sie geben serbischen und mazedonischen PolitikerInnen, die ohnehin keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber Roma machen und Roma in Randgebiete abdrängen, wo sie erst recht keine Möglichkeit zum Überleben haben, einen Blankoschein, Roma weiter zu diskriminieren und in der Ausübung ihrer Grundrechte einzuschränken.

Wir fordern ein Ende der rassistischen Hetze gegen Roma! Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien dürfen nicht vom Recht auf Asyl ausgeschlossen werden. Sie haben ein Recht auf eine Einzelfallprüfung, innerhalb derer die rassistische Diskriminierung in ihren Heimatländern, in angemessener Weise zu berücksichtigen ist.

Wir fordern ein Ende einer restriktiven Ausländer- und Asylpolitik, die dazu geführt hat, dass tausende von Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, die oftmals Opfer von Krieg und Verfolgung waren, nie eine Möglichkeit hatten, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten. Personen, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, müssen ein Rückkehrrecht erhalten. Sie überhaupt als Fremde zu betrachten ist zynisch und eine Verkennung ihrer Rechte.

Chachipe a.s.b.l., Luxemburg

Förderverein Roma e.V., Frankfurt am Main

Rom e.V., Köln

Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V., Berlin

Romane Aglonipe e.V., Hannover

Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung

Flüchtlingsrat Berlin e.V., Berlin

Bayerischer Flüchtlingsrat e.V., München

Redaktion des Hinterland-Magazins

Flüchtlingsrat NRW e.V., Essen

Grüne Alternative Freiburg

Roma Center Göttingen e.V., Göttingen

Hessischer Flüchtlingsrat, Frankfurt am Main

Antirassistische Initiative Rostock

Aktion Bleiberecht Freiburg

Bündnis gegen Abschiebungen (BgA) Mannheim

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Hildesheim

Flüchtlingsrat Brandenburg
, Potsdam

Flüchtlingsrat Hamburg e.V., Hamburg

Bündnis „MünsteranerInnen für ein Bleiberecht der Roma“

Verein für politische Flüchtlinge, Münster

Pro Asyl e.V., Frankfurt am Main

Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA Flüchtlingshilfe), Münster

Initiative Grenzenlos, Karlsruhe

Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., Magdeburg

Roma Union Grenzland e.V., Aachen

Amaro Foro e.V., Berlin

Flüchtlingsrat Bremen

Zaustavite rasističke napade na Rome!
Pravo na azil ne toleriše razlike!

15. Oktobar 2012 — Prethodnih dana su konzervativni političari kao i članovi socijaldemokratske stranke u Nemačkoj više puta tražili da se ponovo uvede vizni režim za državljane Srbije i Makedonije koji je ukinut u decembru 2009. Tim potezom oni žele da zaustave „masivan priliv državljana Srbije i Makedonije“. Meta ove mere su prvenstveno pripadnici romske manjine, koji su u većem broju tražili azil od kada im nije potrebna viza za kratke boravke u šengenskom prostoru, u EU i ostalim državima koje su potpisale šengenski sporazum.

Ukidanje viza za zemlje tzv. Zapadnog Balkana stoji na kraju dugog procesa u kome države u cilju ulaska u EU sprovode dalekosežne reforme u oblasti zakonodavstva i drugih oblasti (sigurnost ličnih dokumenata, kontrola granica i kontrola migracije, itd.). Samo u području ljudskih prava su reforme ostale daleko ispod očekivanja. Na kraju avgusta je Evropska Komisija ponovno utvrdila u svom trećem obaveštenju o liberalizaciji viznog režima da su Romi u svim zemljama Balkana izloženi sveobuhvatnoj diskriminaciji u ostvarivanju temeljnih ljudskih prava, kao i da im je pristup obrazovanju i osposobljavanju, zdravstvu i tržištu rada sprečen.

Prema izjavima srpske vlade, oko 60 procenata od procenjenog broja od 450.000 Roma u Srbiji živi u nesigurnim i nehigijenskim uslovima, 30 posto nema pristup vodi, 70 posto nemaju pristup kanalizaciji. Istraživanja pokazuju da su romska deca više od 30 posto zastupljena u specijalnim školama. Prema anketi, oni se smatraju za najgore diskriminisanu zajednicu u Srbiji, a diskriminacija se posebno pokazuje u pristupu tržištu rada. Evropska komisija protiv rasizma i netolerancije (ECRI) navela je u svom najnovijem izveštaju o Srbiji da većina Roma živi od povremenih ili sezonskih poslova kao što je skupljanje starog gvožđa i da nema Roma koji su zaposleni u državnim preduzećima.

U Makedoniji takodje postoji sveobuhvatna diskriminacija Roma. Kao i u Srbiji, Romi u Makedoniji često žive u izolovanim zajednicama, gde nemaju ili imaju samo ograničen pristup osnovnim uslugama. Romska deca su zastupljena u specijalnim školama ili u posebnim razredima u redovnoj školi, što je rezultat neprimerenih testova, kao i pogrešne orijentacije njihovih roditelja, kao sto je Evropski centar za prava Roma u Budimpešti naveo u nedavnom istraživanju. Evropska komisija protiv rasizma i netolerancije (ECRI) navela je u izveštaju objavljenom 2010 da je 70 posto Roma u Makedoniji nezaposleno, t.j. da je njihova nezaposlenost daleko iznad državnog proseka. ECRI je takođe utvrdio da su Romi suočeni s predrasudama u zdravstvenom sistemu, što utiče na njihov pristup zdravstvenim uslugama.

Prema tome je pogrešno od početka procenjivati zahteve za azil od strane Roma kao neosnovane. Prema priručniku UN o izbeglicama (UNHCR) iz 1951. i postupcima i kriterijumima za određivanje statusa izbeglice, koji je ponovo objavljen u decembru 2011., diskriminacija se može smatrati razlogom za emigraciju. To je posebno slučaj kada osoba ima ograničenu sposobnost da zarađuje za život. UNHCR takođe je utvrdio da je rasna diskriminacija jedan od najčešćih oblika kršenja ljudskih prava i mora, dakle, biti uzeta u obzir pri utvrđivanju statusa izbeglica.

Pod pritiskom EU i njezinih članica, pod vodstvom Nemačke, Švedske, Belgije i Luksemburga, Srbija i Makedonija su, kao i druge balkanske zemlje čiji građani su mogli da putuju bez vize na kraće boravke, u protekle dve godine morale da uvedu opsežne mere za sprečavanje navodne zloupotrebe viznog izuzetka i prava na azil. To uključuje zatezanje granične kontrole, pa su hiljade ljudi, uglavnom Roma, sprečeni prilikom odlaska, iz nejasnih ili proizvoljnih razloga. Tražiteljima azila koji su vraćeni nazad prete kazne i gubitak putnih isprava, tako da su sprečeni da ponovo odu. Romi su u medijima i u političkom diskursu označeni kao lažni azilanti i okrivljeni za predstojeće ukidanje viznog izuzeća. Rasistička ogorčenost protiv Roma dobija novi zamah. Nasilje nad njima je u porastu.

Paralelno s tim, u zapadnim zemljama vidimo selektivno ukidanje prava na azil. Ubrzane procedure, kao što je nedavno potvrdio ministar unutrašnjih poslova Bavarske Joachim Herrmann, često ne nude garancije za rigorozan pregled individualnog slučaja kakav propisuje Ženevska konvencija. Za Rome sa Balkana, koji se za azil prijavljuju u EU i Švajcarskoj, odmah se sumnja da su ekonomske izbeglice pa je pregled njihovog zahtjeva za azil nemoguć od samog početka. Već sada se aplikacije Roma iz Srbije i Makedonije za azil tretiraju kao prioritetne, s deklarisanim ciljem da se Rome, brzom obradom njihovog zahteva za azil koji se po pravilu odbija, odvrati od putovanja u Nemačku i prijema.

Za manje od dve sedmice kancelarka Merkel će u Berlinu inaugurisati središnji spomenik Sintima i Romima ubijenim u vrijeme nacionalsocijalizma. Progon i ubistvo više od pola milona Sinta i Roma od strane nacističke Nemačke bi trebali biti podsetnik i upozorenje do čega mogu dovesti rasizam i predrasude. U Srbiji, nekoliko desetina hiljada Roma i Jevreja su bili ubijeni u okviru tzv odmazde od Wehrmachta. Više hiljada je umrlo u koncentracionim logorima Banjica i Sajmište u Beogradu i Crveni Krst u Nišu.

Bilo bi, dakle, potpuno amnezično i nerealno ako nemački političari sada traže brzi postupak za tražitelje azila iz Balkana ili ponovno uvođenje viznog zahteva s ciljem da se Romima spreči ulazak u Nemačku. Oni ohabruju srpske i makedonske političare koji svakako ne taje svoje antipatije prema Romima da ih sele u područja gdje nemaju način da prežive, i daje im dozvolju za diskriminišu Rome i da ih dalje ograničavaju u ostvarivanju osnovnih prava.

Tražimo kraj rasističkih napada protiv Roma! Romi iz bivše Jugoslavije ne smeju biti isključeni iz prava na azil. Oni imaju pravo na individualne procene koje treba da uzmu u obzir rasnu diskriminaciju u matičnim zemljama na odgovarajući način.

Tražimo kraj restriktivne politike imigracije i azila, koja je dovela do toga da više hiljada Roma iz bivše Jugoslavije, često žrtve rata i progona, nikada nisu imali priliku da dobiju stalan boravak. Ljudi koji su rođeni ili su odrasli u Nemačkoj treba da dobiju pravo na povratak. Tretirati ih kao strance je cinično i pokazuje nepoštovanje njihovih prava.

Chachipe a.s.b.l., Luksemburg

Förderverein Roma e.V., Frankfurt na Majnu

Rom e.V., Keln

Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V., Berlin

Romane Aglonipe e.V., Hannover

Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung

Flüchtlingsrat Berlin e.V., Berlin

Bayerischer Flüchtlingsrat e.V., Minhen

Redaktion des Hinterland-Magazins

Flüchtlingsrat NRW e.V., Esen

Grüne Alternative Freiburg

Roma Center Göttingen e.V., Getingen

Hessischer Flüchtlingsrat, Frankfurt na Majnu

Antirassistische Initiative Rostock

Aktion Bleiberecht Freiburg

Bündnis gegen Abschiebungen (BgA) Manhajm

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Hildeshajm

Flüchtlingsrat Brandenburg, Potsdam

Flüchtlingsrat Hamburg e.V., Hamburg

Bündnis „MünsteranerInnen für ein Bleiberecht der Roma“

Verein für politische Flüchtlinge, Minster

Pro Asyl e.V., Frankfurt na Majnu

Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA Flüchtlingshilfe), Minster

Initiative Grenzenlos, Karlsruhe

Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., Magdeburg

Roma Union Grenzland e.V., Ahen

Amaro Foro e.V., Berlin

Flüchtlingsrat Bremen

Nachtrag zu Jobcenter, Vattenfall und Drogen-Task-Force

von Fritzi mit direktem Bezug hierzu

Meine Klienten möchten anonym bleiben. Ich schreibe das, weil es ein paar Anregungen gab, die Geschichte an die Presse zu geben.

Neben dem Wunsch anonym zu bleiben baten meine Klienten mich darum, juristischen Rat einzuholen. In dem Einsatzprotokoll, das mir vorlag, war vermerkt, dass die Tür beschädigt wurde und dass btm-suspektes Material gefunden worden ist. Mit diesen Angaben schilderte ich den Fall einer Rechtsberatungsstelle. Von dort hieß es: falls es zur Anzeige kommt wegen der gefundenen Menge, dann kann es passieren, dass die Ausländerbehörde einen Grund hat, die Freizügigkeit meiner Klienten einzuschränken, was zur Folge hätte, dass meine Klienten ihren letzten Anspruch auf existenzsichernde Hilfen verlieren. Zumal sich in letzter Zeit Fälle häufen würden, in denen Jobcenter mit Ausländerbehörden Informationen zum Nachteil des Status der Betroffenen austauschen. Suchen JobCenter gezielt nach Gründen zur Einschränkung der Freizügigkeit von Leistungsbeziehenden ohne deutsche Staatsbürgerschaft?

Nach dem Gespräch mit der juristischen Beratung und der Antwort von Vattenfall auf die Bitte um Stellungnahme bleiben für mich als beobachtende Helferin meiner Klienten Fragen ungeklärt: Woher kam der Anfangsverdacht der Polizei? Die Begründung, mit Vattenfall in der Woche vorher Kontakt gehabt zu haben, scheint mir unzureichend für eine derartige Durchsuchung. Zumal der Durchsuchungsbeschluss des Gerichts zeitlich weit vor letzter Woche liegt. Nach jetzigem Informationsstand scheint mir mein Erklärungsversuch 2 wahrscheinlicher.

Für meine Klienten ist die Situation jedenfalls sehr belastend, da sie sich bereits vor Montag ernsthaft Sorgen um ihre Existenz machen mussten, die nach der Durchsuchung nun noch bedrohter ist.

Vattenfall und die Berliner Drogen-Task-Force +3UPDATES

Fritzi, die bereits in diesem Blog schrieb, berichtet Neues aus ihrem Alltag als Berliner Sozialarbeiterin:

Heute morgen [11.6.12] um 10:30 Uhr sind sechs bewaffnete Polizisten mit einem Rammbock gewaltsam in die 1-Zimmer-Wohnung meiner Klienten eingedrungen. Sie zerrten einen aus dem Bett und richteten geladene Waffen auf Beide, während sie die Wohnung durchsuchten. Auf die Frage nach dem Grund, wurde den Beiden mitgeteilt, dass sie unter Verdacht stünden Cannabis in ihrer Wohnung anzubauen. Da ich meine Klienten regelmäßig in ihrer Wohnung besuche, wäre mir sicherlich aufgefallen, wenn sie da eine Plantage hätten. Sie teilen sich eine 50m²-Wohnung, die eingetretene Tür fiel da direkt ins Wohnzimmer. Auf die Frage warum die Polizei nicht geklingelt hat kam zur Antwort, dass in der Zeit bis das Einsatzkommando in den ersten Stock gelangt wäre wichtiges Beweismaterial hätte vernichtet werden können. Auf die Frage, warum sie unter Verdacht stehen, bekamen meine Klienten interessanterweise berichtet, dass die Polizei letzte Woche telefonischen Kontakt zu Vattenfall hatte. Vattenfall habe den Hinweis gegeben, dass in dieser Wohnung ein enormer Stromverbrauch herrscht. Das stimmt, denn die Beiden nutzen elektrische Heizgeräte. Als sie den Polizisten nun die Rechnungen von Vattenfall zeigten, um zu beweisen, dass die Stromrechnungen nicht erst seit letzter Woche so hoch sind, meinten die Beamten nur, dass sei jetzt zu spät. Die Tür bekämen sie auch nicht ersetzt, das sei ihr Problem. Nachdem keinerlei Beweismaterial in der Wohnung gefunden wurde, waren die Polizisten immerhin so nett, die Hausverwaltung zu kontaktieren und den Ersatz der Wohnungstür in Auftrag zu geben – auf Kosten meiner Klienten natürlich.

Ist Vattenfall berechtigt, solche Informationen wie die Höhe der Stromkosten von sich aus weiterzugeben? Wieso schließt die Polizei vom hohen Stromverbrauch direkt auf den Anbau illegaler Substanzen? Wenn der Staat meine Wohnungstür eintritt und seinen Verdacht dann aber nicht bestätigt findet, muss er dann nicht auch für den Schaden aufkommen? Offenbar nicht.

Mir fallen nur zwei mögliche Erklärungsversuche zu dieser “Aktion” ein:
1. Entweder Vattenfall hat ein Abkommen mit der Polizei, alle Haushalte mit hohem Stromverbrauch zu melden. Somit wären wir dem Überwachungsstaat ein Stückchen näher.
2. Oder das JobCenter will meine Klienten repatriieren (sie sind beide britische Staatsbürger). Als sie ihre Leistungen wegen des Vorbehaltes der Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen gestrichen bekamen, legten sie schließlich Widerspruch vor Gericht ein. Das Gericht beschloss immerhin für einen der beiden, dass die Leistungen zumindest für den Monat Mai noch gezahlt werden müssen. Und weil das JobCenter sparen muss, sucht es eventuell Wege, die beiden anders los zu werden. Die Fallmanagerin wusste, dass meine Klienten Cannabis konsumierten und sie wusste, dass sie einen hohen Stromverbrauch haben und sie wusste, dass sie gerade kein Geld haben.

UDATE (12.6.2012 19:30)
geschrieben von Hendrik:
Ich habe heute Vormittag per e-Mail sowohl die Pressestelle der Berliner Polizei als auch von Vattenfall um eine Stellungnahme zu den Schilderungen gebeten. Von Vattenfall hat vorhin ein Pressesprecher geantwortet und schreibt, er sei „auf keinen Hinweis gestoßen, dass Kundendaten an die Polizei übermittelt wurden.“ Damit trifft Erklärungsversuch 1. offenbar nicht zu und es wäre seitens Vattenfall die mündliche Auskunft des Berliner Beamten infrage gestellt. Aber vor allem ergibt sich die Frage, wie denn dann die Information des hohen Stromverbrauchs an die Berliner Polizei gelangte und ob diese Information vielleicht wirklich vom Jobcenter an die Beamten geschickt wurde.

UDATE 2 (13.6.2012 13:10)
Nachdem ich mich für die Antwort bei Vattenfall bedankt hatte, kam jetzt nochmal eine e-Mail. Das mit „keinen Hinweis“ war noch nicht die abschließende Antwort: der Pressesprecher schreibt, sie nehmen die Anfrage sehr ernst und prüfen noch den Sachverhalt und melden sich, wenn das abgeschlossen ist, mit einer abschließenden Antwort.

UDATE 3 (14.6.2012 13:40)
Gestern nachmittag antwortete mir das LKA Berlin zu dem geschilderten Sachverhalt, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt und „die Hoheit über das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Berlin liegt. Nur diese ist als Herrin des Verfahrens zur Auskunftserteilung berechtigt.“ Ich könne also bei der Staatsanwaltschaft anfragen, das LKA weist aber darauf hin, dass ich da nur mit einer berechtigten und nachvollziehbaren Begründung Auskunft erhalte. Kurze Zeit später antwortete auch Vattenfall nochmal und verwies auf die ja bekannte Tatsache, dass sie „gemäß § 161a Strafprozessordnung (Zeugenschaftliche Vernehmung)“ wie jedes Unternehmen verpflichtet sind, „auf Anfrage der Staatsanwaltschaft Daten zu bestimmten Wohnungen bzw. Häusern zu nennen. Die Anfragen beziehen sich in der Regel auf den jährlichen Stromverbrauch eines Wohn- oder Gewerbeobjekt. Rechtsgrundlage ist § 4 BDSG, laut dem Daten übermittelt werden müssen, wenn eine andere Rechtsvorschrift (§161a-StPO) dies anordnet. Derartige Einzelauskünfte werden ausschließlich auf schriftliche Anfrage der Staatsanwaltschaft oder der Vollzugsbeamten der Polizei mit Bezugnahme auf §161a-StPO gegeben. Telefonische Auskünfte werden generell nicht vorgenommen.“

Zusammengefasst: 1. Vattenfall hält sich an Gesetze und spricht nicht über private Kundendaten am Telefon, auch nicht mit der Polizei Berlin. 2. Das LKA Berlin gibt keine Auskunft zu den mündlichen Aussagen des Polizeibeamten und auch nicht, worauf der Anfangsverdacht für die Durchsuchung basiert.

Mehr Informationen kann ich als neugierige*r/ besorgte*r Bürger*in also nicht bekommen (sofern nicht ein großes öffentliches Interesse hier vorliegt, dafür kenne ich mich aber juristisch zu wenig aus). Offene Fragen bleiben nämlich: Auch wenn die Stromrechnung juristisch einwandfrei zur Polizei gelangt ist (also nicht per Telefonat, wie vom Beamten angegeben) erklärt sich mir immmernoch nicht, wie sich ein Anfangsverdacht zum Cannabis-Anbau aus einer hohen Stromrechnung ergibt.