Rezension: „Reihe Tsiganologie Band 2“, Leipzig

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistischen Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Vorweg: In diesem Gastbeitrag rezensiert Joachim Krauß eine aktuelle Publikation des Leipziger „Forum Tsiganologische Forschung“. Das inflationär in der zitierten Publikation gebrauchte [***]-Wort Wort zur rassistischen Fremdbezeichnung von Roma habe ich zur Vermeidung von Verletzungen unkenntlich gemacht..

tl;dr Die Leipziger „Tsiganolgie“ bringt in diesem neuen Band wenig Erhellendes, schaut nicht über die eigene Forschungsbereichsgrenze und weicht der notwendigen Auseinandersetzung mit der eigenen Forschungstradition konsequent aus.

Gastbeitrag von Joachim Krauß (TU Berlin)

Fabian und Theresa Jacobs (Hg.), Vielheiten. Leipziger Studien zu Roma/[***]ner-Kulturen. Reihe Tsiganologie Band 2, Leipzig: Universitätsverlag 2011, 346 Seiten.

Mit der vorliegenden, zwölf Beiträge umfassenden Publikation erscheint der zweite Band aus der Reihe Tsiganologie des Leipziger Instituts für Ethnologie. Während der erste im Jahr 2008 erschienene Sammelband auch Beiträge externer Autor*innen enthielt, sind in diesem ausschließlich in Leipzig entstandene Texte vertreten, die zum Großteil Studienabschlussarbeiten zur Grundlage haben. Insofern kann die Publikation als Leistungsschau der Leipziger „Tsiganologie“ gelten. Sie bietet die Gelegenheit, nach Entwicklungen, Kontinuitäten, Konzepten und Begrifflichkeiten zu fragen.

Die ethnologische Forschung zu Sinti und Roma und den ihnen zugerechneten Gruppen stellt noch immer ein hochproblematisches Forschungsfeld dar. Darin kommt dem im Jahr 2010 emeritierten Leiter des Leipziger Instituts für Ethnologie Bernhard Streck seit über dreißig Jahren sowohl eine wichtige als auch kontroverse Rolle zu. Seinem Wirken ist die Etablierung der „Tsiganologie“ als Studieninhalt und Forschungsfeld in Leipzig zu verdanken. Folgerichtig fungiert er auch als einer der Herausgeber der Reihe. Ihm ist das rezensierte Buch gewidmet. Streck war einer der Protagonist*innen des „Gießener Projektes für Tsiganologie“ in den 1970er/80er Jahren und hatte sich frühzeitig gegen die Bürgerrechtsbewegung der Sinti in Deutschland gewandt. Über zehn Jahre lehrte er „Tsiganologie“ als ethnologisches Spezialthema in Leipzig.

Hier nun präsentieren einige seiner Schüler*innen die Früchte ihrer und damit seiner Arbeit. Der zeitliche Untersuchungsrahmen liegt in der Gegenwart, räumlich erstrecken sich die Texte vom indischen Subkontinent über Europa bis nach Südamerika. Die inhaltlichen Schwerpunkte sind überaus heterogen. Sie umfassen Versuche der Medienanalyse, des Sprachvergleichs und der Humangeographie. Daneben stehen musikethnologische und ethnografische Darstellungen, die von ideologie- und wissenschaftskritischen Texten begleitet werden. Diese Spannbreite stellt an die Herausgeber*innen hohe Anforderungen, soll der Band nicht als ungeordnetes Sammelsurium erscheinen. Fabian und Theresa Jacobs kommen dieser Aufgabe nicht nach. Die Texte sind weder räumlich noch thematisch gegliedert. Ihre Reihenfolge ist willkürlich und erfährt keine Erläuterung. In ihrem Geleitwort unterlassen es Herausgeberin und Herausgeber zudem, den Buchtitel und den Forschungsstand zu erläutern. Der Titel „Vielheiten“ scheint den Arbeiten von Gilles Deleuze und Félix Guattari entlehnt zu sein. Darauf deutet u.a., dass die beiden Herausgeber*innen die Leipziger Forschung zu einem Netzwerkknoten gereift sehen (S.7) und eine Vielzahl der Texte auf Postmoderne und Poststrukturalismus Bezug nimmt. Überdies sind es so kritische Leipziger Wortschöpfungen wie „[***]nerrhizom“, die ein geringes Problembewusstsein gegenüber biologistischen Formulierungen zeigen. Gerade letzteres verweist auf die dringende Notwendigkeit, sich mit der eigenen Forschungsgeschichte auseinanderzusetzen. Öffentlich wahrnehmbar ist dies seitens der Leipziger „Tsiganologen“ bisher nicht erfolgt.

Diese Unterlassung findet in dem Band ihre Fortsetzung, wie der Beitrag von Maria Melms und Michael Hönicke verdeutlicht: Antiziganismus und Tsiganologie. Versuch einer Standortbestimmung. (S.175-198) Die Autor*innen bemühen sich um eine Verortung der „Tsiganologie“, weshalb der Beitrag an dieser Stelle ausführlicher gewürdigt werden soll, bevor auf die Beiträge zu osteuropäischen Themen einzugehen ist. Als „Tsiganolog*innen“ scheint den Autor*innen eine Infragestellung des eigenen Forschungsschwerpunktes und der gewählten Konzepte und Begrifflichkeiten fremd zu sein. Umfassende Zweifel halten sie hingegen gegenüber der „Antiziganismusforschung“ für begründet. Ihr Anliegen ist legitim: Letztlich möchten sie die Perspektivenvielfalt und höhere Erklärungskraft der „Tsiganologie“ verdeutlichen. Problematisch ist jedoch ihre Vorgehensweise, die guter wissenschaftlicher Praxis zu wider läuft. Sie führen Autoren gegen den Begriff des „Antiziganismus“ ins Feld, berücksichtigen aber deren grundlegenden Einwände gegen die „Tsiganologie“ nicht ansatzweise. Es war der Historiker Michael Zimmermann, der wiederholt eine gut begründete Kritik an der inflationären und unzureichend reflektierten Verwendung des Antiziganismusbegriffs formulierte. Melms und Hönicke zitieren ihn umfassend. Dabei ignorieren sie Zimmermanns Analyse tsiganologischer Forschung vollständig. Bereits 1996 hatte er diagnostiziert, dass die mangelnde Beachtung historischer Entwicklungen aus der Vorstellung resultiert, Kultur und Lebensweise der Sinti und Roma wären besonders resistente, strukturbildende, dauerhafte und raumübergreifende Merkmale, die sich autonom gegenüber den Mehrheitsgesellschaften verhielten.¹

So wie Zimmermann äußerte auch der von den Autor*innen zitierte Berthold Bartel eine weitgehende Kritik an tsiganologischer Textproduktion und Konzeption. Wie schon Zimmermann machte auch er die hochproblematischen Äußerungen Strecks zur Verfolgung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus nochmals deutlich.² Vor diesem Hintergrund ist es kein Lapsus, wenn Melms und Hönicke diese Autoren für ihre Argumentation nutzen, aber die Auseinandersetzung mit der eigenen Forschungsgeschichte unterlassen. Sie reklamieren für sich, mit der „relationistischen Tsiganologie“ oder dem „tsiganologischen Relationismus“ neue Wege zu gehen: „[***]ner ist für uns ein relationaler Begriff, der vor allem Gruppen bezeichnet, die in einem besonderen Verhältnis […] zur Mehrheitsgesellschaft stehen.“ Dabei seien sie in der Lage, die Minderheit „doppelrelational, als Affirmation und Negation der Mehrheitskultur, z.B. in Form von wirtschaftlicher Symbiose und kultureller Dissidenz“ zu verstehen (S.192). Um diese Begriffe – mit besonderem Fokus auf angeblicher „kultureller Dissidenz“ – kreisen alle Publikationen der Leipziger „Tsiganologie“. Die „Gießener Tsiganologie“ operierte in den 1980er Jahren mit dem Begriff „Eigensinn“, um „kulturelle Fremdheit“ zu markieren. Diesbezüglich formulierte Zimmermann: „[…] sie [die „Tsiganologie“] unterschätzte das soziale Elend unter den Betroffenen, ebenso wie die Anziehungskraft die die Mehrheitsgesellschaft auf sie ausübte.“³ Wie gering die Weiterentwicklung ist, lässt sich an den Beiträgen zu Osteuropa verdeutlichen.

Zuvor ist noch auf weitere Beispiele für einen fragwürdigen Umgang mit Texten anderer Autoren zu verweisen. Um eigene Aussagen argumentativ abzustützen formulieren Melms und Hönicke unter Rückgriff auf einen Text von Mark Münzel: „Das Problem einer rein ideologiekritischen Dekonstruktion (…) (des Terminus [***]ner) ist, dass sie ihrerseits ideologisch ist, indem sie grundsätzlich von der Nichtexistenz (…) (von [***]nern) ausgeht, die nicht zum (…) (eigenen Weltbild passen)“ (S.183). Münzels Vorlage bezog sich auf einen vollkommen anderen Zusammenhang, sie steht im Kontext der Frage von Kannibalismus in der Brasilienbeschreibung Hans Stadens im 16. Jahrhundert. Im Original heißt es: „Das Problem einer rein ideologiekritischen Dekonstruktion von Staden ist, dass sie ihrerseits ideologisch ist, indem sie grundsätzlich von der Nichtexistenz der Anthropophagie ausgeht, die nicht zum westlichen Weltbild passt.“⁴ Diese Vorgehensweise ist wissenschaftlich unlauter.

Fünf Beiträge stehen im engen oder weiteren osteuropäischen Kontext. So der erste Text im Band von Julia Glei, Weibliche Lebenswelten – Rituale vor dem Spiegel und im Haushalt in Shutka/Mazedonien (S.11-33). Bei diesem Beitrag handelt es sich vorrangig um ein Nachdenken über das Schreiben in der Ethnologie und einen Schreibversuch anhand eines Aufenthaltes bei einer Romafamilie in Šuto Orizari, einem Ortsteil der mazedonischen Hauptstadt Skopje, der als größte Romasiedlung Europas gilt. Glei entscheidet sich für die Ethnopoesie. Die Umsetzung erinnert an die Darstellung von Roma in Reise-, Landes- und Völkerbeschreibungen des 19. Jahrhunderts, die verheerende Langzeitwirkungen hatten. Es ist das hervorstechende Merkmal des ethnographischen Schreibens über Roma, dass Unwissen durch besonders bildreiche und drastische Sprache und spekulative Ausführungen kaschiert wurde. Gleis Beitrag stellt sich inhaltlich und formal in diese Tradition, da es die Autorin versäumt, Informationen über den Ort, das soziale und ökonomische Umfeld sowie die sehr unterschiedliche Geschichte der an den betreffenden Orten lebenden Roma einzubetten. Die Literatur zur Lage und Rolle der Frauen im ost- und südosteuropäischen Raum wird von Glei nicht reflektiert. Sie stellt ihre Beobachtungen ausschließlich in den Kontext von Untersuchungsergebnissen zu „[***]ner“gruppen anderer Regionen. Den Vergleich zur umgebenen Mehrheitsbevölkerung zieht sie nicht. Damit manifestiert sich einmal mehr einer der Grundmängel der „Tsiganologie“.

Inhaltlich schließt sich der siebte Beitrag an: Andrea Steinke, Die Mitte ist überall – Überlegungen zu „Shutka Book of Records“, dem Fremden und der Exzentrizität (S.147-174). Grundlage des Textes ist der Film des Regisseurs Aleksandar Manic „Shutka – Stadt der Roma, aus dem Jahr 2005, worin er das Leben von 15 Bewohnern der Siedlung künstlerisch dokumentiert. Die Autorin macht deutlich, dass es sich bei dem Film um eine Kunstproduktion handelt, weshalb eine Abbildung der Realität nicht erwartet werden könne. Daher laufe die von Romavertreter*innen geäußerte Kritik, es handele sich um eine Fehldarstellung und Überzeichnung der Roma, fehl. Dieser Hinweis ist sicher richtig. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, wie Steinke der Film dazu dienen kann, Überlegungen zur realen Kultur von Roma anzustellen: „Die Kulturen der Roma/[***]ner sind jene, die sich bei genauer Betrachtung am hartnäckigsten einer Festschreibung entziehen, weil sie sich verschiedenster ‚fremder‘ Kulturelemente bedienen und ‚Zonen der Ununterscheidbarkeit‘ schaffen.“ (S.165). Ihre Ausführungen sind ohne eigenen empirischen Gehalt. Sie referiert Literatur aus anderen zeitlichen und räumlichen Untersuchungszusammenhängen und sieht ihre Idee anhand des Filmes in Shutka bestätigt: eine Stadt der Roma als Hort des Widerstands und der Exzentrik.

Zu Beitrag 5: Tobias Marx, Die Offene Roma-Gesellschaft? – Zur Kritik der Integrationsideologie des OSI und der Decade of Roma Inclusion 2005-2015 (S.95-124). Der Autor versteht seinen Text als ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Offenen Gesellschaft im Kontext der Integrationsversuche in den Ländern Ost- und Südosteuropa. Seinen Schwerpunkt legt er hierbei auf die Ideologiekritik. Über die Integrationsversuche und deren politische, ökonomische sowie soziale Rahmenbedingungen erfährt die Leserin und der Leser nur wenig. Eine Kritik an den Aktivitäten George Soros‘ und seiner Stiftung ist legitim. Auch lässt sich die Frage nach der Bedrohung kultureller Identität durch eindimensionale Integrationsstrategien diskutieren. Wenn dies allerdings geschieht, ohne sich mit den Voraussetzungen und vielschichtigen Diskriminierungsformen in den osteuropäischen Gesellschaften auseinanderzusetzen, gerät die Kritik fehl. Auch in diesem Beitrag scheinen unverkennbar Parallelen zur „Gießener Tsiganologie“ auf, deren Vertreter*innen so vehement gegen jegliche Integrationsmaßnahmen argumentierten.

Die zwei weiteren Beiträge mit Osteuropabezug sind: Esther Nieft, Überall schön, doch zu Hause am besten? – Einschätzungen der Wohnstandortentscheidungen, materiellen Wohnsituation und internen Segmentierung der Bewohner_innen einer ostslowakischen osada (S.257-289) und Nina Stoffers, „Gypsymania!“ Oder: Warum der Hype in der Clubmusik doch nicht so neu ist – Eine Untersuchungen zu Phänomenen der Akzeptanz in der Sozial- und Kulturgeschichte von Roma-/[***]nermusikern (S.199-232).

Zu nennen ist weiterhin der Beitrag von Anne Losemann, „Beobachten, wie wir beobachten“ – Pressediskurse über [***]ner in Mitteldeutschland (S.125-146). Die Analyse der Printmedien hat in den Jahren seit 1990 dank des einfachen und sicheren Quellenzugangs eine relativ umfassende Literatur hervorgebracht. Diese zeigt die große Persistenz in der Tradierung von Sinti- und Romabildern in der deutschen Presse, die oft genug unbestreitbar rassistische Züge trägt, auf. In Losemanns Text werden die Literatur und ihre Ergebnisse allerdings kaum rezipiert. Die Presse in den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt scheint, glaubt man ihren Ergebnissen, von der bisher analysierten Presse abzuweichen. Skepsis befällt den Rezipienten jedoch, wenn die Autorin einerseits den Journalisten große Distanz zu den Beschriebenen diagnostiziert und andererseits meint, „[…], dass regionale Presseerzeugnisse gerade für das Studium nichtsesshafter Gruppen ertragreich sein können, da Dokumente dieser Art als ‚Glücksfälle‘ für das ethnografische Erkenntnisinteresse gelten dürften.“ (S.139) Der Text macht darüber hinaus die im gesamten Band erkennbare Problematik der „[***]ner“-Definition deutlich. Ob Wertfreiheit in der Verwendung des Begriffs deshalb gegeben ist, weil die Autor*innen es für sich reklamieren, ist angesichts der sehr komplexen Begriffsgeschichte mehr als fraglich. Sie halten den Begriff für genauer als die Bezeichnungen „Sinti“ oder „Roma“, da er nicht ausschließend und damit umfassender sei, gerade wenn Unsicherheit darüber bestehe, um was für eine Gruppe es sich im konkreten Fall handelt. In der Umsetzung führen sie diese Annahme ad absurdum: Losemann, wenn ein Pressetext von Sinti in der DDR spricht und sie daraus „[***]ner“ in der DDR macht. Nief, deren Untersuchungsgruppe offensichtlich Romanes sprechend ist, die Autorin aber nicht daran hindert, die Begriffe „[***]ner“ und „Roma“ gleich zu setzten. Das gleiche Problem stellt sich in dem Beitrag von Janina Heckl, Tsiganismen im Französichen – Die Spuren von Roma- und Sinti-Wortschatz in der Sprache Voltaires (S. 73-93). Der Autorin geht es um Entlehnungen aus dem Romanes im französischen Sprachgebrauch. Wieso die Begriffsbildung „Tsiganismen“ eine wertfreie und genauere Bezeichnung sein soll, erklärt sie nicht.

Weitere Beiträge sind Márcio Vilar, Vom Dreißigsten Tag nach dem Tod eines alten Calon (S. 35-49), weitgehend der Wiederabdruck eines 2010 online publizierten Textes, und Agustina Carrizo-Reimann, Topografie der Vielfalt. Barrios gitanos in Buenos Aires (S.51-72). Welchem Ziel die Aufnahme des Textes von Clara Wieck, Zwischen Kontinuität und Wandel – Die Vag Bagria Rajasthans (S.233-256) dient, erläutern weder Herausgeber*innen noch Autorin. Es lässt sich nur vermuten, dass die von Wieck in Anlehnung an „Kontrastkultur“ gewählte Begrifflichkeit auf Parallelitäten zu „[***]nerkulturen“ nach Leipziger Tsiganolog*innenverständnis hinweisen sollen.

Den Abschluss bildet Harika Dauths Text Mobilität und Flexibilität: wandernde Konzepte und ihre Experten – Eine nomadologische Reise in die postmoderne Tsiganologie (S.291-326), der längste Beitrag und eine Art Manifest „postmoderner Tsiganologie“: Zum Untersuchungsgegenstand werden alle menschlichen Zusammenhänge und selbstreflexiv auch die Tsiganolog*innen.

Letztlich bleibt ein ungeordneter Sammelband, in dem kaum etwas über Roma zu erfahren ist. Neue Sicht- oder Herangehensweisen finden sich so wenig wie Auseinandersetzungen mit der aktuellen nicht-„tsiganologischen“ Forschungsliteratur, die sich gerade in den osteuropäischen Ländern entwickelt und ausdifferenziert hat. Erhellend sind die meisten Beiträge allein hinsichtlich der vielfältigen Wege, auf denen die Leipziger „Tsiganolgie“ der dringend notwendigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Forschungstradition konsequent ausweicht.

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¹ Michael Zimmermann, Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der [***]nerfrage“. Hamburg 1996, S.28.
² Gleichfalls: „Der Name [***]ner wurde nicht negativ tabuisiert, er behielt auch im 3. Reich seinen alten Doppelcharakter aus Zerlumptheit und Romantik.“ Streck, Nationalistische Methoden zur „Lösung der [***]nerfrage“, in: Ethnologische Absichten 7 (1981), S.62. Zit. nach Berthold P. Bartel, Vom Antitsiganismus zum antiziganism. Zur Genese eines unbestimmten Begriffs, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Jg. 60 (2008), H.3, S.198.
³ Michael Zimmermann: Antiziganismus – ein Pedant zum Antisemitismus? Überlegungen zu einem bundesdeutschen Neologismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55 (2007), 4, S.305.
⁴ Mark Münzel, Vier Lesarten eines Buches: Zur Rezeption von Hans Stadens ‚Wahrhaftige Historia’, in: Domschke, R. u.a. (Hg.): Martius-Staden-Jahrbuch 53 (2006), S.19.

In Leipzig wird protestiert

In Leipzig fürchten Ahnwohner*innen die Idee einer Gemeinschaftsunterkunft geflohener Menschen in ihrem Wohngebiet und protestieren. Sogar eine Bürgerinitiative dagegen haben sie gegründet. In seinem Blog kommentiert Kopfkompas das Phänomen als rassistische Leipziger Dummheit. Dabei würde ich gar nicht behaupten, dass die in dem Beitrag zu Wort kommende aufgebrachte Anwohnerschaft viel rassistischer ist, als die gesamte deutsche Gesellschaft.

http://www.youtube.com/watch?v=wradDRU3jrI

In dem Protest der Anwohnerschaft drückt sich Wut darüber aus, dass die gewohnte Ordnung der alltäglich rassistischen Struktur plötzlich in Frage zu stehen scheint. Denn weiße Deutsche können sich in den meisten Gegenden der Bundesrepublik darauf verlassen, dass geflohene und Schwarze Menschen es selten bis gar nicht in ihre Nachbarschaft schaffen, z.B. wegen institutioneller rassistischer Diskriminierung bei der Wohnungssuche oder weil Geflohene gleich gänzlich fremdbestimmt woanders „untergebracht“ werden. Die Idee der Stadt Leipzig, dass geflohene Schwarze Menschen plötzlich nicht mehr in großer Anzahl auf isoliertem Terrain, sondern gezielt verstreut in kleineren Gemeinschaften unter weißen Deutschen leben, stellt diese Ordnung in Frage. „Das passt halt nicht hier her.“