Gewaltprävention im Konjunktiv

Mögliche Mitteilung zum Thema Gewaltprävention


So könnte eine Pressemitteilung einer Bundeskanzlerin (oder eines Bundeskanzlers) ausgesehen haben, die/der sich zum Thema Jugendgewaltprävention an die Öffentlichkeit wandte:

Liebe Presse, liebe Jugendliche,

als Regierungsvorsitzende_r dieser Republik möchte ich offen sein. Mehr noch: In dieser modernen Demokratie möchte ich ein Vorbild sein, das heißt nachvollziehbar, transparent und ehrlich mit mir und meinen Handlungen umgehen, denn wie wir wissen, steht kein Mensch über den Dingen, niemand ist unfehlbar. Der Grund meines Besuches in mehreren Jugendeinrichtungen ist das Thema Gewalt, das uns und die Medien in der letzten Zeit viel beschäftigt. Wenn ich hier vor Ihnen und Euch stehe und diese Einrichtung mit ihrer erfolgreichen Arbeit zur Prävention von Gewalt gutheiße – nein, bewundere – dann fallen mir ganz konkrete Punkte ein, die ich als ehrlicher Mensch zu eben diesem Thema Gewalt loswerden möchte.

Wir verlangen von den Jugendlichen, Ihr Handeln selbstkritisch zu reflektieren. Darum mache ich das auch. Zunächst ein kurzes Zitat:

„Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. U-Boote und Kriegsschiffe, Kampfjets und Militärhubschrauber, Panzer und Raketenwerfer, Sturmgewehre und Maschinenpistolen, Lizenzen zur Waffenproduktion und ganze Rüstungsfabriken werden weltweit ausgeliefert. Zu den Empfängern zählen auch Diktaturen und autoritäre Regime in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Deutschland ist inzwischen der drittgrößte Rüstungsexporteur weltweit.“ (Aktion Aufschrei)


Das heißt mit Gewalt verdienen unser Staat und unsere Wirtschaft Geld, und zwar eine Menge. Das ist natürlich ein Widerspruch, wenn ich Projekte zur Gewaltprävention gutheiße, aber gleichzeitig nicht den massenhaft von Deutschland aus betriebenen Waffenexport kritisiere. Das ist eigentlich sogar heuchlerisch. Wie soll ich den Jugendlichen erklären, dass Gewalt nicht gut ist, während deutsche Topmanager mit Waffenverkäufen reich werden? Lösungsvorschläge gibt es genug, darum werde ich mir statt wie bisher von deutschen Topmanagern zukünftig Beratung und Hilfe zum Beispiel beim deutschen RüstungsinformationsBüro holen.

Ein anderer Punkt sind gezielte Tötungen. Als Anhängerin des Rechtsstaates favorisiere ich für jede einer Straftat beschuldigte Person, egal, um welche Tat es sich dabei handelt, einen rechtsstaatlichen Gerichtsprozess. Ich lehne die Todesstrafe ab und erst recht lehne ich gezielte Tötungsaktionen ab, da ich die Menschenrechte und die Unverletzbarkeit fremden Lebens respektiere. Ein demokratischer Rechtsstaat kann gar nicht anders, als jede_r/m mutmaßlichen Straftäter_in einen Gerichtsprozess zuzugestehen, gerade das ist ja der Unterschied eines Rechtsstaats zu einem autoritär geführten Staat.

In diesem Sinne werden wir, die gewählten Vertreter_innen dieses Landes, Stellung beziehen – gegen Gewalt. Aus falscher Diplomatie heraus bei gezielten Tötungen einfach zu schweigen, das wäre falsch. Gerade beim Thema Gewalt müssen wir hinsehen und den Mund aufmachen. Wer gezielt tötet, wird unseren Protest zu hören bekommen, und zwar nicht zu knapp meine Damen und Herren und liebe Jugendlichen.

Was ich Ihnen und Euch damit sagen will: Sich selbstkritisch mit dem Thema Gewalt auseinanderzusetzen ist nicht einfach, aber es ist es wert. Gerade, wenn ich vor den Jugendlichen als glaubwürdiges Vorbild stehen möchte.

Meine erste Akte – in den USA? + Nachtrag

Sammelwut


Mein Vater hatte eine Akte bei der Stasi, weil er zu DDR-Zeiten beruflich regelmäßig ins „kapitalistische Ausland“ reiste. Ich habe die Akte gesehen, sie ist nicht groß und eben so, wie man sich so eine Akte vorstellt. In Beamtensprache finden sich dort Bemerkungen zur beschaulichen Plattensammlung meiner Eltern, zu Titeln aus dem Bücherregal und dem Zeitungsständer. Ich stellte offenbar keine Gefahr für den Staat dar als Kind und so bin ich nur einmal ganz kurz erwähnt. An dieser Akte wurde mir deutlich, was oft als Charakteristikum östlicher Geheimdienste angeführt wird: Die Sammelwut. Stasi, Securitate usw. sammelten haufenweise mehr oder weniger sinnlose Daten, nur aus Angst vor der eigenen Bevölkerung – so das gängige Bild.

Gestern wurde bekannt, dass das US-Justizministerium den Mikroblogging-Dienst Twitter anwies, sämtliche private Daten der Accounts von Wikileaks-Mitarbeitern bzw. -Sympathisanten zu übergeben. Und jetzt wurde gemeldet, dass das US-Justizministerium nicht nur die Daten einiger Wikileaks Nahestehender einsammelte, sondern Twitter aufforderte die privaten Daten sämtlicher 637.000 Wikileaks-Follower herauszurücken. (siehe Nachtrag unten) Auch ich bin unter diesen 637.000 Followern von Wikileaks, das heißt im Rahmen der US-Ermittlungen liegen nun auch meine privaten (nicht-öffentlichen) Daten, die Twitter von mir hat (etwa Passwort, IP-Adressen und damit Aufenthaltsorte …), einer US-Behörde vor.

Von heute auf morgen bin ich nun offenbar im Rahmen von Ermittlungen gegen Wikileaks auch auf den Schreibtisch der US-Ermittlungsbehörden geraten. Das beunruhigende an der Sache ist, dass die US-Behörden nicht wollten, dass ich und die anderen das erfahren. Nur weil Twitter sich gegen die Forderung der US-Behörden auf Geheimhaltung wehrte, wurde die Sache bekannt. Inzwischen ist auch das Dokument des US-Justizministeriums geleakt worden.

Zusammengefasst heißt das, ich habe nur per Zufall und gegen den Willen der US-Behörden davon erfahren, als einer der Follower von Wikileaks ins Visier der US-Ermittlungen geraten zu sein. Dass ich das weiß (bzw. ursprünglich eben Twitter und Wikileaks), ist praktisch ein Unfall. Von wie vielen Fällen, in denen private Daten über mich von Internet-Diensten an staatliche Behörden übermittelt werden, weiß ich nicht? Der Rechtsanwalt und law-blogger Udo Vetter redet von „Stapelweise Gerichtsbeschlüssen“ täglich allein in Deutschland, die „Provider und soziale Netzwerke zur Herausgabe aller Daten des Nutzers“ verpflichten.

Noch beunruhigender ist dann die Frage: Wenn diese sensiblen Daten allein per Richterbeschluss täglich an Behörden übergeben werden, welche Daten mögen dann wohl Geheimdienste erst sammeln? Der kürzlich enttarnte V-Mann in Heidelberg oder eine (inzwischen als rechtswidrig verurteilte) Überwachungsaktion gegen einen Journalisten durch den Verfassungsschutz sind nur zwei beunruhigende Fakten, die auf ein behördliches Überwachungsinteresse in Deutschland hinweisen.

Darüber, was deutsche oder andere Behörden heimlich an Daten über mich sammeln, kann ich nur spekulieren. Ganz zu schweigen von Geheimdiensten. Welche Daten aber das US-Justizministerium nun von mir hat, sollte ich nicht wissen, weiß ich aber gegen den Willen von US-Behörden. Geheimgehaltene, staatliche Sammelwut ist seit heute in meinen Augen kein typisches Charakteristikum mehr für „Ost“-Geheimdienste oder -Behörden.

Nachtrag, 10.1.2011
Offenbar existieren unterschiedliche Interpretationen der Formulierungen in dem Schreiben der US-Justiz. Während bisherige Medienberichte sich auf die namentlich in dem Dokument erwähnten Personen beschränken, da diese damit ganz explizit im Fokus der Ermittlungen stehen, warnt Wikileaks per Tweet (s.o.), dass alle seine Follower von den Ermittlungen betroffen sein dürften. Diese Warnung bezieht sich offenbar auf die formulierte Forderung an Twitter, alle

…customer or subscriber account information for each account registered to or associated with [xyz]…

zu liefern – demnach bezieht sich die US-Justiz nicht nur auf die Accounts der benannten Personen, sondern auch auf die Accounts ihrer subscriber („Abonnenten“, Follower). Auch die Formulierung „associated with“ ist ein Hinweis, dass die Informationen zu allen mit den genannten Personen im Zusammenhang stehenden (verbundenen? verknüpften?) Accounts gemeint sind, also konkret die der Follower. Bitte korrigiert diese Deutung, wenn Ihr abweichende Hinweise seht.


Siehe auch:

DOJ subpoenas Twitter records of several WikiLeaks volunteers von Glenn Greenwald.

Und für den Gesamtkontext ist die schwedische Dokumentation in der vom ORF bearbeiteten deutschen Version (Dezember 2010) sehr interessant, sofern Ihr sie nicht schon kennt: https://www.netzpolitik.org/2010/deutsche-version-wikileaks-%E2%80%93-rebellen-im-netz/

Grün minus 20

Zeiten müssen das gewesen sein…


Am 4.1.1991, also vor ziemlich genau 20 Jahren, hielt Joschka Fischer eine flammende Rede gegen die Remilitarisierung der wiedervereinigten Bundesrepublik. Die Grünen trugen noch keine (Bundes)Regierungsverantwortung und Joschka Fischer legte in seiner Rede im Januar 1991 eine für die Grünen seinerzeit noch wesenskennzeichnende kriegskritische Haltung an den Tag. Gerade vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung wollte er seinen Parteifreunden die Gefahren ins Gedächtnis rufen, die sich mit einem vergrößerten und hochgerüsteten NATO-Mitglied Deutschland andeuteten:

(ab 4:23) Wir geraten da in eine Situation, da möcht‘ ich Euch auffordern, lehnt Euch an diesem Punkt nicht zurück! Jetzt kommt die Stunde, wo wir wieder auf die Straße gehen müssen – friedlich, gewaltfrei – aber wo es darum geht, klarzumachen, dass wir den Satz, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll, dass wir den nicht nur sonntäglich hören wollen von unseren Bonner Politikern, sondern dass wir den in der praktischen Politik realisiert sehen wollen. (Joschka Fischer in Fritzlar am 4.1.1991)

http://www.youtube.com/watch?v=tIdfO2BqYas

Das ist 20 Jahre her und in der Zwischenzeit nutzte Joschka Fischer höchstpersönlich die Möglichkeit der „praktischen Politik“, um die Bombardierung eines fremden Landes ohne UN-Mandat, erstmals mit aktiver deutscher Beteiligung nach 1945 („von deutschem Boden aus“) in die Tat umzusetzen. Ob das die unvermeidbare Entwicklung eines politischen Menschen im Zuge einer wichtigen Amtsfunktion ist, kann ich nicht beurteilen. Interessant jedenfalls sind seine rhetorischen Griffe, mit denen er 1999 in Bielefeld vor den Grünen den Krieg rechtfertigt (mit der Logik „Gegen Krieg = für Milošević“ u.v.m.):

http://www.youtube.com/watch?v=7jsKCOTM4Ms

Nicht weniger interessant ist auch die Rede auf dem gleichen Parteitag von Fischers Parteifreundin Annelie Buntenbach, einer Gegnerin dieses Krieges mit deutscher Beteiligung:

http://www.youtube.com/watch?v=UckokjNcDwU

Wen das Thema deutsche Serbien-Bombardierung interessiert: Die Möglichkeiten der Vermeidung dieses Krieges beschrieb Hermann Scheer klar und verständlich in seiner „Denkschrift für eine politische Initiative statt militärischer Eskalation“. Dem jüngst verstorbenen SPD-Mitglied Scheer gelang es nämlich problemlos, Gedanken weit über seine Parteigrenzen hinaus zu formulieren (Hermann Scheer – Energie und Utopie). Heute wird Scheer in grünen und SPD-Nachrufen von Kriegsbefürwortern höflich für seinen „Mut“ gelobt.

Die 20 Jahre alte Rede von Fischer und seine späteren Amtshandlungen verdeutlichen, dass politische Verantwortung sich nicht an Parteigrenzen festmachen lässt. Hans-Christian Ströbele muss unter den mehrheitlich kriegsbefürwortenden Grünen (Kosovo, Afghanistan) 2010 aus einer Minderheitenposition heraus im Bundestag darauf hinweisen, dass der deutsche KFOR-Einsatz nach der Bombardierung Serbiens nicht jener große Erfolg ist, als der er von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP verkauft wurde und wird.

http://www.youtube.com/watch?v=s67tr5cqdEY

Dann schwebt durch den deutschen Bundestag ein Hauch von Grün minus 20 ….
(update: ja, er schwebt, er weht nicht … und was ich damit meine ist die ehrliche Benennung von durch den Krieg geschaffenen Fakten und der Vergleich damit, was Fischer mit dem Krieg versprach)

„Deutschland, wohin zog es deine ***ner?“ – Teil 2

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Unbefristetes Aufenthaltsrecht im deutschen Schlager


(„Deutschland, wohin zog es deine ***ner?“ – Teil 1: Die flotten 30er)

***ner-Schunkler aus den 30ern hatten die deutsche Ausrottungsmaschinerie im Gegensatz zu der besungenen Gruppe problemlos überlebt. Aber damit nicht genug, 1974, also 29 Jahre nach der industriellen Menschenvernichtung, erklimmte ein Hit namens „Aber am Abend da spielt der ***ner“ Platz 12 der deutschen Charts. Einmal mehr waren es nicht etwa Roma oder Sinti selbst, sondern zwei verkleidete Schlager-Deutsche namens Cindy und Bert, die in einem Liedtext das Wesen der „***ner“ melodiös in deutsche Wohnzimmer zu transportieren wussten.

Link zum Youtube-Video „Aber am Abend da spielt der [***]ner“

Aber am Abend, da spielt der ***ner/ auf der Gitarre uns beiden was vor./ Aber am Abend, da träumt unsereiner/ schönere Träume als jemals zuvor./ Aber am Abend, da spielt der ***ner/ auf der Gitarre den Cancion‘ d’amor.

Wir setzen uns’re großen Hüte auf,/ schau’n uns die Leute an, wir pfeifen drauf./ Jetzt ist er heiter, unser Lebenslauf/ Wir singen alle beide:/ „Hasta la vista, la vista, la vista,/ die Liebe, die ist da“

Instrumental

Aber am Abend, da spielt der ***ner/ in der Taverne zum Tanz für uns zwei/ Aber am Abend, da spürt unsereiner/ was wir erleben, das ist für uns neu./ Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ und seine Musik, die ist Zauberei

Die Castagnetten klappern neben mir,/ ich glaub‘, die zählen jeden Kuß von Dir./ D’rum schenke ich sie Dir als Souvenir,/ und sag‘ Dir dann auf Spanisch:/ „Cuanta la gusta, la gusta, la gusta/ die Liebe, die ist da“

Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ ich schau‘ Dir tief in die Augen hinein./ Aber am Abend, da trinkt unsereiner/ ein bisschen viel andalusischen Wein/ Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ wir können beide des Lebens uns freu’n

Aber am Abend, da spielt der ***ner/ in der Taverne zum Tanz für uns zwei./ Aber am Abend, da spürt unsereiner/ Was wir erleben, das ist für uns neu./ Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ und seine Musik, die ist Zauberei.

In welchen deutschen Tavernen auch immer Cindy und Bert ihre „großen Hüte“ aufgesetzt haben mögen, bei Sinti und Roma dürften sie damit in den 70er Jahren kaum Eindruck gemacht haben. Erst in den 80er Jahren wurde der deutsche Genozid an den Sinti und Roma von der Bundesregierung anerkannt – und es war ein steiniger Weg für die „***ner“, dem deutschen Staat dieses Mindestmaß an Einsicht abzuringen. (Für weiterführende Überblicke zur BRD-„***nerpolitik“ siehe u.a. Ravensbrücker Blätter, Förderverein Roma e.V. oder Marko D. Knudsen.)

Ein kritischer Umgang mit diesem zynischen Kapitel des Widerspruchs zwischen deutscher Unterhaltungsindustrie und juristischer Verdrängung ist bis heute nicht zu erkennen. Während überlebende Sinti und Roma jahrzehntelang darum rangen, dass ihre Stimmen nach Auschwitz, Ravensbrück etc. überhaupt gehört wurden, sind im deutschen Unterhaltungsbetrieb bis heute die Stimmen von Cindy und Bert zu hören, und zwar auch 2007 noch mit dem gleichen Playback aus den 70ern:

[Video nicht mehr zu finden]

Ein bisschen Spaß muss offenbar sein – auch, wenn dabei „***ner“ musikalisch im Interesse des deutschen Gemüts bar jeglicher Realität verwertet, geradezu verhöhnt werden. Die deutsche Volksschlagerseele erquickt sich zum Zwecke der Unterhaltung an vermeintlichen „***ner“-Eigenschaften und verdrängt dabei, dass Deutschland unter der Führung der gewählten NSDAP ca. 90% der Sinti und Roma ermordete. Mehr noch: Während „***ner“ als Figuren in deutschen Liedtexten geduldet sind, werden Roma aus der Nachbarschaft abgeschoben. Schlagerfans stimmen ein mit Cindy und Bert: „Hasta la vista, la vista, la vista …“

Eine kleine Auswahl an Presse- und Medienbeiträgen zur deutschen (Roma-)Abschiebepolitik:

29.12.2010 Deutschlandfunk: Rückkehr in die Ungewissheit (Direkt-Links →mp3 oder flash Audio)

21.12.2010 Frankfurter Rundschau: Das verlorene Glück von Hiddestorf

2.12.2010 ProAsyl: Abschiebungen in den Kosovo trotz Winters

19.11.2010 taz: Ein Leben auf Abruf

März 2010 ZDF info: Rückkehr ins Elend – Abschiebung der Roma ins Kosovo, Infos zu der Dokumentation und
der 15-minütige Film:
http://www.youtube.com/watch?v=ocyEJ0YPUmg


Siehe auch:
„Deutschland, wohin zog es deine ***ner?“ – Teil 1: Die flotten 30er

Ab heute heißt Du ***ner!

In europäischen Regierungen lässt sich ein zweifelhafter Umgang mit Diskriminierung beobachten: Diskriminierte Menschen werden zum Problem erklärt. Und für jedes Problem gibt es eine Lösung.

Nachdem in Deutschland Asylbewerbereinrichtungen mit mehrfach tödlichem Ausgang brannten (Hoyerswerda September 1991, Rostock-Lichtenhagen August 1992, Mölln November 1992) und über diese Anschläge hinaus die Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland zunahmen, beschnitt der Bundestag das Asylrecht, um endgültig den „Zuzug von Ausländern“ zu begrenzen, mit dem „Asylkompromiss“ (Beschluss im Dezember 1992, Inkrafttreten im Mai 1993, worauf der Mordanschlag von Solingen folgte) . Der Ansturm unaufhaltbarer „Asylanten“-Massen hat sich als Angstbild in die deutschen Köpfe eingebrannt, so dass bis heute wohl eine Mehrheit von der Richtigkeit dieser Asylrechtsbeschneidung überzeugt ist.


Drei SPIEGEL-Cover von 1991/92 – exemplarisch für die Wahrnehmung von „Asylanten“ in der deutschen Öffentlichkeit? | Quelle spiegel.de

Sozial schwache EU-Bürger, die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit nutzen, können gegenwärtig in dieser Bewegungsfreiheit nicht per Gesetz eingeschränkt werden. Aber mit Geld bestochen. Wenn nun etwa Arbeitsmigranten in der europäischen Öffentlichkeit sichtbar werden und Ressentiments und Ablehnung in dieser Öffentlichkeit hervorrufen, kann es passieren, dass eine Regierung den Arbeitsmigranten Geld bietet, damit diese das Land verlassen (Frankreich und Berlin sind nur bekannte Beispiele).

Nun gibt es interessante Neuigkeiten aus Rumänien, einem Herkunftsland vieler europäischer Arbeitsmigranten: Einige rumänische Politiker wähnen nämlich aufgrund europaweit existierender Vorurteile gegenüber Roma den Ruf ihres Landes „România“ in Gefahr – aber sie fordern nicht die Bekämpfung von Vorurteilen, sondern die gesetzliche Umbenennung der Roma in „***ner“.

Was die beschriebenen Punkte gemeinsam haben: Ursache und Wirkung werden vertauscht. Anstelle der unmenschlichen Vorurteile (bzw. der Gesellschaft, in der diese existieren) werden diskriminierte Menschen selbst zum Problem erklärt („Problemgruppen“). Dieses Denkmuster liegt beispielsweise auch dem Spruch zugrunde: „Ausländer“ sind Schuld an der Fremdenfeindlichkeit.

Der SPIEGEL wusste 1991/92 (s.o.) also vom „Ansturm der Armen“ und fragte: „Wer nimmt die Flüchtlinge?“. Das war vor dem „Asylkompromiss“. Und was zeigen die Bilder dieser drei SPIEGEL-Cover? Gewiss keine Individuen aus unserer Gemeinschaft, die von ihrem guten Recht Gebrauch machen (das sie bis Dezember 1992 sehr wohl hatten), sondern wir sehen als abschreckende Massen schematisierte Figuren, auf zwei Covern noch mit dem Begriff „Ansturm“ beschriftet.

Als Problem werden diejenigen definiert, die eigentlich vom Problem betroffen sind und sie werden vor allen Dingen nicht in die Diskussion mit einbezogen. Es wird über sie berichtet und über sie entschieden, so, wie über einen Fremdkörper. Denn die entsprechenden Menschen werden gar nicht als Teil der Gemeinschaft oder Gesellschaft wahrgenommen.

Von den SPIEGEL-Covern bis zur rumänischen „***ner“-Umbenennungsinitiative lässt sich eine Linie ziehen, die symptomatisch ist für eine Haltung staatlicher Institutionen gegenüber dem, was als fremd gesehen wird: Über einen Fremdkörper kann man bestimmen – ohne dessen Einverständnis. Man kann „Fremde“ [ausweisen/ aufnehmen/ aussperren/ umbenennen/ verfrachten/ integrieren / _______ / _______ / _______ / … ] .

Mit Menschen beredet Mensch Dinge. Mit Fremden macht Mensch Dinge.

update:
Im Februar 2011 wurde der „***ner“-Umbenennungs-Vorschlag im rumänischen Parlament in letzter Instanz vorläufig abgelehnt.