Vergessen in Europa

Verdrängter Alltagsrassismus jetzt auch mit Tortendiagrammen belegt


In mehreren Medien wurde von einer Studie berichtet, die ein offenbar unerwartet hohes Maß an rassistischer Diskriminierung in Europa belegt (u.a. Tagesspiegel: Rassismus trifft vor allem Roma und Afrikaner, Berliner Zeitung: Minderheiten in der EU massiv diskriminiert, ZEIT ONLINE: Rassismus trifft vor allem Roma und Afrikaner, tagesschau.de: Jeder dritte Zuwanderer ist schon diskriminiert worden und SPIEGEL ONLINE: Ausländer beklagen massiven Rassismus in Europa). Stets heißt es, die dargestellte Diskriminierung sei „höher als bisher angenommen“.

Die European Agency for Fundamental Right machte erstmals den Versuch, die Diskriminierung von Minderheiten statistisch in Zahlen darzustellen. Dem Bericht (→pdf) zufolge gehört rassistische Diskriminierung zur alltäglichen Erfahrung der Minderheiten. Neben afrikanischen (oder dem Aussehen nach als solche eingeordneten) Menschen trifft der europäische Rassismus insbesondere die in allen Ländern Europas lebenden Roma, so dass über die Diskriminierung dieser Gruppe ein gesonderter Bericht (→pdf) erschien.

Die heute nahezu ausschließlich sesshaft lebenden Roma werden noch immer gern als „Wandervolk“ dargestellt, die das Bedürfnis nach gelegentlichen Ortswechseln angeblich im Blut hätten. In den Medien werden die europäischen Roma nicht selten aus dem Kontext etwa kriegsbedingter Migration herausgenommen und zu einem separaten „Nomadenvolk“ stilisiert. Bei keiner anderen Gruppe, mag sie „ethnisch“, religiös oder anders begründet sein, wird der Verweis auf eine „Urheimat“ außerhalb Europas und den „Wandertrieb“ derart oft zur Erklärung von Problemen hervorgehoben, wie bei den Roma.

Wie der Unmut der Menschen unter verschiedensten Vorwänden in Hass und Gewalt gegenüber den Roma mündet, konnte in letzter Zeit mehrfach in Ungarn beobachtet werden, so dass die taz titelt Es herrscht „[***]nerhatz“. Auch in Tschechien scheinen sich in letzter Zeit pogromartige Überfälle auf die Minderheit zu häufen (Die Presse: Rassistische Gewalt versetzt tschechische Roma in Angst). Und vor kurzem tauchte ein schockierendes Video auf, von dem u.a. Der Standard berichtete (Slowakische Polizisten misshandelten Roma-Kinder): Kinder zwischen 11 und 16 Jahren werden von slowakischen Polizisten gezwungen, sich gegenseitig möglichst hart in die Gesichter zu schlagen. Während die Polizisten das Geschehen filmen, haben sie hörbar Spaß. Anschließend werden die Kinder von den brüllenden Uniformierten gezwungen, sich auszuziehen und dabei weiter gefilmt. (Das Video existiert bei Youtube Roma Rights Network verlinkt zum Video: Slovakia Police brutality video leaked online) Das Video zeigt nur einen Ausschnitt aus einer langen Reihe gefilmter Misshandlungen, wird in einem Slowakei-Blog berichtet. Die Szenen sollen sich in der Polizeistation der slowakischen Stadt Košice abgespielt haben, am 8. April, dem Internationalen Tag der Roma.

Die statistischen Ergebnisse der Studie übertreffen den Meldungen zufolge die bisherigen Annahmen über das Ausmaß von rassistischer Diskriminierung. In Anbetracht der wiederholten offenen Gewaltausbrüche gegen Roma ist das etwas verwunderlich, denn die Statistik zeigt schlicht die Realität. Zudem ist auch die von Ausgrenzung und sozialer Armut gekennzeichnete Situation eines Großteils der Roma mehr als augenscheinlich und lange bekannt, wenn auch besser verdrängbar, als offene rassistisch motivierte Gewalt. Die Studie bestätigt also nur bekannte Tatsachen. Als beispielhaft für die Situation aller Roma in Europa kann der vor einem Jahr erschienene Artikel von Nikoleta Popkostadinowa Kein Mathe, kein Wasser in Stoliponowo, über das Randdasein der Roma in Bulgarien gesehen werden. In den verschiedenen europäischen Nationalstaaten wächst offenbar die soziale Ausgrenzung dieser Gruppe proportional zur Größe ihres Bevölkerungsanteils. Als beliebte Optionen zur „Lösung“ des Problems wird dann „Integration“ angeführt, die in ihrer Ausführung nichts weiter als Homogenisierung mit der Mehrheitsgesellschaft bedeutet. Auch die BRD der 70er Jahre entschied sich für dieses „Angebot“ gegenüber den deutschen Sinti und Roma. Die bis heute gültige Formel lautet: „Ich habe nichts gegen xyz, solange sie sich benehmen wie hier üblich“. „Ich“ mache die Regeln und „die Anderen“ können mitmachen oder fallen durch.

Die Mechanismen sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung, damit einhergehende Diskriminierung und die Akkumulation von Unmut in Gewalt gegenüber einer Minderheit sollten in Europa eigentlich bekannt und zu Genüge untersucht sein. Aber sind sie das? In genau diesem Europa gibt es zum Beispiel für 2000 Menschen Ein Leben zwischen Ratten und Müll, unter unmenschlichen Bedingungen in Sichtweite zu modernen Hotels, im Zentrum einer Großstadt. Andrej Ivanji berichtet von einem „apokalyptischen Bild“ in Anbetracht dieser Belgrader Romasiedlung.

Was in ganz Europa sehenden Auges auf der Straße und im Alltag geschieht, musste erst in einer „Studie“ erscheinen, um in dem Ausmaß dann die Erwartungen zu übertreffen. Bevor es nicht schwarz auf weiß steht, heißt es: „Ich habe von nichts gewusst!“

Allergisch auf Kritik und Proteste

Das harte Vorgehen gegen als Gewalttäter diskreditierte Demonstranten ist kein Ostblock-Phänomen


Für eine Auseinandersetzung mit den jüngsten Ereignissen in Chişinău lohnt es, den als Konflikt zwischen Opposition und Regierungspartei (zwischen Liberalen und Kommunisten) definierten Streit einmal im europäischen Verhältnis zu betrachten.

Es existieren scheinbar zwei klar definierte Konfliktparteien: Vladimir Voronin mit der „Partei der Kommunisten“ auf der einen und die „liberalen“ und „demokratischen“ Parteien auf der anderen Seite. Das ist der klassische Post-89er-Konflikt in einem vormaligen Sowjetstaat, in dem es nun eine Frage der Zeit wäre, bis die „alten Kräfte“ abgelöst würden. In diesem Kontext ist auch die deutsche Medienberichterstattung zu sehen, die die Parlamentswahlen in dem europäischen Land weitgehend (bis auf wenige Ausnahmen) ignorierte, um dann zwei Tage später in großem Maße zu berichten, als sich Überschriften mit Worten wie „Krawalle“, „Gewalt“, „blutig“, „oppositionelle Proteste“ etc. formulieren ließen.

Ansonsten ist die Ereignislage für deutsche Medien in Moldova ziemlich unspektakulär. Bei der sich „Kommunisten“ nennenden Regierungspartei ist keine eindeutig pro- oder anti-europäische Haltung erkennbar. Auf der einen Seite ist Moldova (im Gegensatz zu Georgien und Ukraine) bekennendes Mitglied der GUS und auf der anderen Seite gibt es das EU-Kooperationsabkommen sowie die Mitgliedschaft im NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“. Diese zweiseitige Ausrichtung veranschaulicht die historisch bedingte Selbstverortung der modernen Republik Moldau.

Die Frage ist doch, ob die Zugehörigkeit des Landes Moldova zu zwei politischen Sphären zwangläufig als eine Konfrontation gedeutet werden muss – warum denn nicht als Bereicherung? War der Mauerfall nun der Beginn einer „Wiedervereinigung“ Europas oder nur die Verschiebung der westlichen Sphäre nach Osten?

Die Menschen, die momentan in Chişinău demonstrieren, verbinden mit der „kommunistischen“ Regierung einen autoritären Apparat aus der Vergangenheit, und dennoch ist Moldova weder Russland noch Belarus. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 hat sich die Situation für die Moldauer nicht zum Besseren entwickelt (viele suchen außerhalb ihr Glück), aber die moldauischen Kommunisten unterwerfen sich den Gesetzen der Marktwirtschaft, wie jede europäische Partei. Vladimir Voronin ist ein kalkulierender Politiker, der ohne Angst, wahrscheinlich sogar gern, eine Zeitung wie die spanische El País für ein Exklusiv-Interview zu sich einlädt. Die Vorwürfe, die er sich für seine Politik machen lassen muss, sind jedenfalls nicht damit zu erklären, dass er sich als einen „Kommunisten“ bezeichnet.

Das übliche Kommunisten-vs.-Demokraten-Schema eignet sich nicht für den Konflikt in Chişinău. Hier stehen sich zwei Gruppen gegenüber, von denen die eine am politischen und individuellen Machterhalt interessiert ist und die andere den Anspruch auf diese Macht zur Geltung bringen möchte. Neben üblichen Mitteln des Wahlkampfs wurden seitens der Machtinhaber schmutzige Methoden verwendet, um es den Konkurrenten schwer zu machen (laut offiziellen Beobachtern hielt sich die Menge der schmutzigen Methoden aber in Grenzen). Die von der Opposition bewusst oder unbewusst mobilisierten Menschenmassen wurden von Vladimir Voronin, mit etwas Kosmetik angereichert, zum „Versuch eines Staatsstreichs“ hochstilisiert und so schaffte es die Republik dann doch noch in die Tagesschau. Hier funktionierte ein Mechanismus, der an das Bündnis der Medien mit der Gewalt erinnert. Vladimir Voronin hat die OSZE als Bürge für seinen Wahlerfolg, während die Opposition als gewalttätig diskreditiert werden soll.

Es braucht nicht bei Putin nach einer möglichen Vorlage für Voronins Vorgehen gesucht werden, denn es bieten sich Beispiele aus jüngster Vergangenheit in der EU, die dazu dienen könnten. Dies bezieht sich auf ganz konkrete Gesten der Machtdemonstration durch die Regierung Voronins in den letzten 14 Tagen. Derart brutales Vorgehen, willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen durch die Polizei sind unentschuldbar und offen anzuklagen. Aber es gibt ganz offensichtlich Parallelen in der Intention, die „öffentliche Ordnung“ wiederherzustellen, wie sie im Falle des brutalen Vorgehens der Polizei in Genua 2001 existierte – und mit einem umstrittenen Gerichtsurteil endete. Eine weitere Erinnerung drängt sich mit der Behandlung von Demonstranten durch die deutsche Polizei in Heiligendamm auf, bei der auch nicht immer die Menschenrechte im Vordergrund standen. Für die Razzien im Vorfeld der Proteste wurde den deutschen Polizisten nachträglich vom Bundesgerichtshof sogar bescheinigt, geltendes Recht verletzt zu haben. Und auch an Rumänien sei erinnert, wo vor einem Jahr vom gewaltvollen Vorgehen der Polizei gegenüber friedlichen NATO-Gegnern die Rede war, die in ihrem Quartier, einer Fabrikhalle, überraschend besucht und (wohlgemerkt unter Ausschluss der Presse) zusammengeschlagen und brutal abtransportiert wurden.

Mag es Zufall sein oder nicht, fast zeitgleich, als das Schengener Abkommen für die deutsch-französische Grenze letzte Woche vorübergehend außer Kraft gesetzt wurde, was tausende friedliche Demonstranten von ihrem Zielort Straßburg abschnitt, wurde friedlichen Demonstranten auf dem Weg nach Chişinău an der rumänisch-moldauischen Grenze die Einreise verwehrt. Und welche Signalwirkung mag es haben, wenn einzelnen Journalisten das kritische Berichten von politischen Versammlungen wie dem NATO-Treffen verwehrt wird?

Es geht nicht um Ost-West, um Kommunist-Demokrat. Es geht um den ganz allgemeinen Grundsatz, dass staatliche Machthaber sich Proteste gefallen lassen müssen – und um deren Sicht auf diesen Grundsatz. Angesichts der Versuche, Unzufriedene und Demonstranten hart zu bekämpfen und zu Gewalttätern zu stilisieren, ist Vladimir Voronins Vorgehen in Chişinău weder speziell kommunistisch noch ostblock-typisch, sondern europäische Gangart. Diese behördlichen Gebärden werden hier wie dort unter derselben Überschrift veranstaltet: „Innere Sicherheit“.


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Moldawien oder Moldau und deutsche Medien

Von einem plötzlich thematisierten Land, das in der deutschen Presse zwei Namen hat


Jetzt, da es in der Republik Moldau knallt, wird in deutschen Medien nachträglich auch erwähnt, dass in dem EU-Anrainerstaat am letzten Sonntag Parlamentswahlen stattgefunden haben. Die Mehrheit der deutschen Printmedien hatte die Wahlen unter den Tisch fallen lassen, ansonsten berichteten einige Radiosender, wie mdr-Info oder auch die schweizerische NZZ – deutsche Tageszeitungen wie FAZ, FR, Süddeutsche und taz verpassten, vergaßen oder ignorierten diesen Wahltag in einem europäischen Land.

Nach wie vor ist in vielen deutschen Medien (und daran angelehnt auch bei wikipedia) von „Moldawien“ die Rede, während dieser Staat offiziell schon lange „Republik Moldau“ heißt (NZZ und FAZ sagen Moldau, Spiegel teilweise). Bei der Namenswahl von Staaten in Fremdsprachen werden die Präferenzen der bezeichneten Länder übrigens mit beachtet, die deutsche Bezeichnung ist also im Sinne der Republica Moldova.

Wer nun trotzdem noch zwischen den beiden Namen aussuchen möchte, sollte sich die Herkunft beider deutschsprachiger Bezeichnungen vor Augen führen:

Moldau: Das Problem wird in der Überschneidung mit der Bezeichnung des tschechischen Flusses gesehen. Aber der Begriff bezeichnet auch das historische „Fürstentum Moldau“ und hatte sich als solcher spätestens mit der deutschen Übersetzung von Dimitrie Cantemirs „Beschreibung der Moldau“ 1771 im deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Dieser Begriff bildet als Übersetzung des rumänischen Namens Moldova bis heute die Grundlage für die Bezeichnung der rumänischen Region Moldau und des Staates Republik Moldau.

Moldawien: Dieser Begriff ist der Versuch einer Übersetzung der russischen Bezeichnung „Moldavija“. Das Wort Moldawien als Name verbreitete sich in der deutschen Sprache, als mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin die Region Bessarabien (heute in etwa dem Territorium der Republik Moldau entsprechend) von Rumänien an die Sowjets ging. Damit wurde „Moldova“ zu „Moldavija“ und im Deutschen Moldau zu Moldawien. Während der Zeit Moldovas als Sowjetrepublik war Moldawien die offizielle deutsche Bezeichnung des Staates.

Der Begriff Moldawien ist nicht problematisch, weil er eine Übersetzung aus dem Russischen ist, sondern weil das benannte Land die Bezeichnung „Republik Moldau“ nach 1990 selbst mitgewählt hat. Teilweise wird im Deutschen auch der Begriff Moldova verwendet, um dem Problem der Übersetzung aus dem Weg zu gehen.

Bei der Hauptstadt Chişinău ist interessant, dass die russische Bezeichnung Kišinev (Kischinjev) in der deutschen Sprache überhaupt nicht mehr verwendet wird – angelehnt, an die heute in der Republik Moldau übliche Bezeichnung der Stadt. Aber in verschiedenen Fernsehsendungen wird einfach die deutsche Aussprache für den moldauisch/rumänischen Namen verwendet („Schisinau“) – darum hier einmal die in etwa korrekte Aussprache:
Chişinău = “ Ki-schi-näou „.


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Was hat die Republik Moldau für eine Wahl ?

Ein Land zwischen den Sphären


Die zuletzt von den Vorwürfen des rumänischen Außenministers weiter strapazierten Spannungen zwischen Rumänien und der Republik Moldau müssen für die amtierende „Partei der Kommunisten der Republik Moldau“ am 5. April zu den Parlamentswahlen nicht unbedingt zum Nachteil sein. Wie erwartet, hat die moldauische Premierministerin Zinaida Greceanîi heute die rumänischen Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, die Abweisungen rumänischer Staatsbürger an der moldauischen Grenze seien alle begründet und legal gewesen. Sie stellt einen Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen her, in die sich der rumänische Staat einmischen wolle. In der Online-Ausgabe der Revista Moldova Azi wird sie zitiert:

„Warum muss jemand in unser Land kommen, mit, sagen wir, destruktiven Absichten, zudem jetzt in der Wahlkampfzeit? (…) Niemand hat das Recht, sich in die internen Angelegenheiten unseres Staates einzumischen. Es gibt akkreditierte Wahlbeobachter, die dazu bestimmt sind, die Wahlen bei uns im Land zu beobachten.“

Dem mag man zustimmen, aber wovor haben die regierenden Kommunisten dann Angst, dass sie so vielen Rumänen die Einreise verweigern? Natürlich braucht die Republik Moldau sich keine großrumänistischen Nationalisten ins Land holen, aber unter den Abgewiesenen waren harmlose Teenie-Pop-Bands. Ja, diese wollten das Jubiläum der Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien feiern, aber das geschieht nicht zum ersten Mal und stellt an sich noch keine Gefahr für die unangezweifelte Souveränität des Landes dar. Die moldauischen Behörden haben, wie die Ausführungen der Regierungschefin zeigen, Angst vor der Beeinflussung der Wahlen.

Die Befürchtungen der moldauischen Regierung sind an dieser Stelle aber keine spezifisch kommunistischen. Es ist auch keine Besonderheit, dass die Republik Moldau als langjähriges Mitglied der GUS intensive Beziehungen zu Moskau pflegt. Vielmehr liegt in der nach 1989 nötig gewordenen Selbstdefinition einer moldauischen nationalen Identität das Bedürfnis nach einem gesunden Abstand zu Rumänien und Russland – beides Länder, die in den letzten Jahrhunderten die kulturelle Identität der Region prägten. Wer der kommunistischen moldauischen Regierung unkritische Russophilie vorwirft, braucht nur nach Transnistrien zu fragen: Die auf der Grundlage russischer Identität nach Unabhängigkeit strebende Region und die dort stationierten russischen Soldaten sind den moldauischen Behörden mindestens ein Dorn im Auge. Auf der anderen Seite liegt der Staat namens Rumänien, der ohne sein Zutun eine potentielle Bedrohung darstellt – nämlich für die moldauische Identität. Straßen und Plätze in Chişinău sind nach den gleichen Künstlern und historischen Gestalten benannt, wie die in Bukarest und Iaşi, man beruft sich auf die gleichen historischen Mythen und man spricht eben auch dieselbe Sprache, wie diese auch immer genannt werden mag (in Transnistrien wird diese Sprache, wie vor 1989, wieder mit kyrillischen Buchstaben geschrieben).

Zurecht oder zu Unrecht, die moldauische Regierung fürchtet um die eigene moldauische Identität und sieht es darum nicht gern, wenn die Oppositionsparteien mit rumänischen Gästen Wahlkampf machen. In der rumänischen Presse existiert die Auffassung, dass der rumänische Staat nicht ganz unbeteiligt an der distanzierten Haltung der Republik Moldau ist: Seit fünf Jahren fehlen auf Seiten Rumäniens Anstrengungen zu gemeinsamen kulturellen Projekten mit Moldova, es wurde nichts getan, um auf der einfachen Ebene den ernstgemeinten Austausch zu fördern. Das gehört zur Vervollständigung ins Bild von den Rumänen, die jetzt im moldauischen Wahlkampf plötzlich zu Hunderten in die Republik Moldau reisen.

Mit den Einreiseverweigerungen für Rumänen könnte die derzeitige moldauische Regierung von den Wählern sogar als konsequent schützende Hand gedeutet werden, die das Ideal einer moldauischen Identität vor fremden Einflüssen bewahrt.

Die Rumänen werden sich in den nächsten Tagen auf die Zunge beißen müssen, wenn sie an einem rumänienfreundlichen Wahlergebnis interessiert sind. Und abgesehen davon, wie stark oder gering der Einfluss Rumäniens auf den moldauischen Wahlverlauf ist, wird sich der rumänische Staat nach dem 5. April in ernsthafter Austauschförderung üben müssen, um glaubhaft zu bleiben. Denn funktionierende Kontakte könnten neben dem einseitigen Transfer billiger Arbeitskräfte endlich auch einen konstruktiven Dialog zwischen den Menschen bewirken.


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