Allergisch auf Kritik und Proteste

Das harte Vorgehen gegen als Gewalttäter diskreditierte Demonstranten ist kein Ostblock-Phänomen


Für eine Auseinandersetzung mit den jüngsten Ereignissen in Chişinău lohnt es, den als Konflikt zwischen Opposition und Regierungspartei (zwischen Liberalen und Kommunisten) definierten Streit einmal im europäischen Verhältnis zu betrachten.

Es existieren scheinbar zwei klar definierte Konfliktparteien: Vladimir Voronin mit der „Partei der Kommunisten“ auf der einen und die „liberalen“ und „demokratischen“ Parteien auf der anderen Seite. Das ist der klassische Post-89er-Konflikt in einem vormaligen Sowjetstaat, in dem es nun eine Frage der Zeit wäre, bis die „alten Kräfte“ abgelöst würden. In diesem Kontext ist auch die deutsche Medienberichterstattung zu sehen, die die Parlamentswahlen in dem europäischen Land weitgehend (bis auf wenige Ausnahmen) ignorierte, um dann zwei Tage später in großem Maße zu berichten, als sich Überschriften mit Worten wie „Krawalle“, „Gewalt“, „blutig“, „oppositionelle Proteste“ etc. formulieren ließen.

Ansonsten ist die Ereignislage für deutsche Medien in Moldova ziemlich unspektakulär. Bei der sich „Kommunisten“ nennenden Regierungspartei ist keine eindeutig pro- oder anti-europäische Haltung erkennbar. Auf der einen Seite ist Moldova (im Gegensatz zu Georgien und Ukraine) bekennendes Mitglied der GUS und auf der anderen Seite gibt es das EU-Kooperationsabkommen sowie die Mitgliedschaft im NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“. Diese zweiseitige Ausrichtung veranschaulicht die historisch bedingte Selbstverortung der modernen Republik Moldau.

Die Frage ist doch, ob die Zugehörigkeit des Landes Moldova zu zwei politischen Sphären zwangläufig als eine Konfrontation gedeutet werden muss – warum denn nicht als Bereicherung? War der Mauerfall nun der Beginn einer „Wiedervereinigung“ Europas oder nur die Verschiebung der westlichen Sphäre nach Osten?

Die Menschen, die momentan in Chişinău demonstrieren, verbinden mit der „kommunistischen“ Regierung einen autoritären Apparat aus der Vergangenheit, und dennoch ist Moldova weder Russland noch Belarus. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 hat sich die Situation für die Moldauer nicht zum Besseren entwickelt (viele suchen außerhalb ihr Glück), aber die moldauischen Kommunisten unterwerfen sich den Gesetzen der Marktwirtschaft, wie jede europäische Partei. Vladimir Voronin ist ein kalkulierender Politiker, der ohne Angst, wahrscheinlich sogar gern, eine Zeitung wie die spanische El País für ein Exklusiv-Interview zu sich einlädt. Die Vorwürfe, die er sich für seine Politik machen lassen muss, sind jedenfalls nicht damit zu erklären, dass er sich als einen „Kommunisten“ bezeichnet.

Das übliche Kommunisten-vs.-Demokraten-Schema eignet sich nicht für den Konflikt in Chişinău. Hier stehen sich zwei Gruppen gegenüber, von denen die eine am politischen und individuellen Machterhalt interessiert ist und die andere den Anspruch auf diese Macht zur Geltung bringen möchte. Neben üblichen Mitteln des Wahlkampfs wurden seitens der Machtinhaber schmutzige Methoden verwendet, um es den Konkurrenten schwer zu machen (laut offiziellen Beobachtern hielt sich die Menge der schmutzigen Methoden aber in Grenzen). Die von der Opposition bewusst oder unbewusst mobilisierten Menschenmassen wurden von Vladimir Voronin, mit etwas Kosmetik angereichert, zum „Versuch eines Staatsstreichs“ hochstilisiert und so schaffte es die Republik dann doch noch in die Tagesschau. Hier funktionierte ein Mechanismus, der an das Bündnis der Medien mit der Gewalt erinnert. Vladimir Voronin hat die OSZE als Bürge für seinen Wahlerfolg, während die Opposition als gewalttätig diskreditiert werden soll.

Es braucht nicht bei Putin nach einer möglichen Vorlage für Voronins Vorgehen gesucht werden, denn es bieten sich Beispiele aus jüngster Vergangenheit in der EU, die dazu dienen könnten. Dies bezieht sich auf ganz konkrete Gesten der Machtdemonstration durch die Regierung Voronins in den letzten 14 Tagen. Derart brutales Vorgehen, willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen durch die Polizei sind unentschuldbar und offen anzuklagen. Aber es gibt ganz offensichtlich Parallelen in der Intention, die „öffentliche Ordnung“ wiederherzustellen, wie sie im Falle des brutalen Vorgehens der Polizei in Genua 2001 existierte – und mit einem umstrittenen Gerichtsurteil endete. Eine weitere Erinnerung drängt sich mit der Behandlung von Demonstranten durch die deutsche Polizei in Heiligendamm auf, bei der auch nicht immer die Menschenrechte im Vordergrund standen. Für die Razzien im Vorfeld der Proteste wurde den deutschen Polizisten nachträglich vom Bundesgerichtshof sogar bescheinigt, geltendes Recht verletzt zu haben. Und auch an Rumänien sei erinnert, wo vor einem Jahr vom gewaltvollen Vorgehen der Polizei gegenüber friedlichen NATO-Gegnern die Rede war, die in ihrem Quartier, einer Fabrikhalle, überraschend besucht und (wohlgemerkt unter Ausschluss der Presse) zusammengeschlagen und brutal abtransportiert wurden.

Mag es Zufall sein oder nicht, fast zeitgleich, als das Schengener Abkommen für die deutsch-französische Grenze letzte Woche vorübergehend außer Kraft gesetzt wurde, was tausende friedliche Demonstranten von ihrem Zielort Straßburg abschnitt, wurde friedlichen Demonstranten auf dem Weg nach Chişinău an der rumänisch-moldauischen Grenze die Einreise verwehrt. Und welche Signalwirkung mag es haben, wenn einzelnen Journalisten das kritische Berichten von politischen Versammlungen wie dem NATO-Treffen verwehrt wird?

Es geht nicht um Ost-West, um Kommunist-Demokrat. Es geht um den ganz allgemeinen Grundsatz, dass staatliche Machthaber sich Proteste gefallen lassen müssen – und um deren Sicht auf diesen Grundsatz. Angesichts der Versuche, Unzufriedene und Demonstranten hart zu bekämpfen und zu Gewalttätern zu stilisieren, ist Vladimir Voronins Vorgehen in Chişinău weder speziell kommunistisch noch ostblock-typisch, sondern europäische Gangart. Diese behördlichen Gebärden werden hier wie dort unter derselben Überschrift veranstaltet: „Innere Sicherheit“.


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