Die FAZ und der „Antiziganismus“¹

Ergebnis im „Wisch“-Vergleich mit dem Tagesspiegel


Im gedruckten FAZ-Feuilleton vom 14.7.2010 berichtet Julia Lauer unter dem Titel Du sollst dir kein Bildnis machen von einer Tagung des Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin über „Antiziganismus“ (9. und 10.7. [Programm – pdf]). Als Besucher und Referent dieser Tagung kann ich einige Punkte an Lauers Kritik teilen (dichtes Programm, wenig Zeit für Diskussion). Was ich nicht teilen kann, ist ihre Argumentation gegen den Eröffnungsvortrag von Wolfgang Benz:

Als Beleg für den anhaltenden Rassismus führte Benz einen Reisebericht der „Süddeutschen Zeitung“ an, dessen Autor Roma-Frauen als im Jammerton bettelnd und in knallig bunte Röcke gekleidet beschreibt. Unbestritten gibt es auch hierzulande Rassismus, gerade vorige Woche forderte die NPD die Abschiebung kosovarischer Roma aus Mecklenburg-Vorpommern mit Verweis auf deren kulturelle Fremdheit. Was aber den Zeitungsartikel betrifft, so ist schwer zu beweisen, dass die Wahrnehmung des Autors vom Klischee determiniert wird. Benz zieht gar nicht erst ins Kalkül, dass Klischees in der Erfahrung Bestätigung finden. Und sind Klischees wirklich per se rassistisch?

Wolfgang Benz wollte gar nicht die Wahrnehmung des Autors „beweisen“, sondern auf eine Tradition von Beschreibungen aufmerksam machen. Er verdeutlichte in seinem Vortrag sehr gut, dass der SZ-Artikel in der Tradition jener Reiseberichte steht, die „zivilisierte Europäer“ in den vergangenen Jahrhunderten über ihre Besuche bei „wilden Völkern“ anfertigten.

Das Problem in der Argumentation Lauers ist meines Erachtens ihre Definition von Rassismus. Die NPD bekennt sich offen zu ihren rassistischen Positionen, da hat man schnell sogenannte „Beweise“. Die Wesensmerkmale rassistischer Konstruktionen, wie sie Benz an der SZ exemplarisch zeigte, sind aber keine „beweisbaren“ Bekenntnisse, sondern jahrhundertealte und immer wiederkehrende Beschreibungsmuster bzw. Beschreibungsprioritäten. Der Autor des SZ-Artikels mag „bunte Röcke“ und „Jammerton“ tatsächlich vernommen haben – wesentlich ist aber die zentrale Stellung, die er diesen Äußerlichkeiten in seinem Reisebericht zukommen lässt. Sie verraten uns nichts über die beschriebenen Menschen in „bunten Röcken“, aber über den Blick und die Prioritäten des Autors.

Schwarze wurde im vergangenen Jahrhundert in den USA oder Europa von den meisten Weißen nicht als ebenbürtige Individuen ernstgenommen, da sie mit ihrer „kaffeebraunen“ oder „schwarzen Haut“, „Kräusellocken“, „großen Kulleraugen“, mal als Bedrohung, vielleicht mal als Opfer – fast immer als soziales „Problem“ – aber insgesamt eben reduziert auf bestimmte Attribute und damit nicht als Teil eines „Wir“ wahrgenommen wurde. Und es ist nichts anderes, wenn im Zentrum der Beschreibungen über Roma ihre „Wildheit“, ihre „bunten Röcke“, „Geheimsprachen“, „Jammertöne“ etc. stehen.

Rassismus lebt von der Ausblendung des Individuums zugunsten von „schwarzer Haut“ und „bunten Röcken“. Die NPD kann als Beispiel für bekennenden Rassismus herhalten, aber um den alltäglichen Rassismus wahrzunehmen, sollten wir auf uns selbst und unser eigenes Umfeld blicken.


Der „Wisch“-Vergleich zeigt: FAZ und Tagesspiegel stehen sich in nichts nach.

Rassismus in der Presse ist lange nicht auf das von Wolfgang Benz angeführte Beispiel in der SZ beschränkt. Ausgerechnet die FAZ, für die Julia Lauer schreibt, bietet ein sehr bedenkenswertes journalistisches Exempel: Vier Tage vor ihrem Artikel zur „Antiziganismus“-Tagung, nämlich am 10.7.2010, erschien in der FAZ der Artikel Wisch und Weg. Diesen Titel hat sich Maximilian Weingartner für die FAZ offenbar beim Berliner Tagesspiegel geborgt. Die Aufmachung auch: Unter dem Titel begegnet dem Leser eine bunt bekleidete Frau beim Putzen einer Autowindschutzscheibe. In welchem Verhältnis diese fotografierten Frauen zu den Artikeln stehen ist unklar, sie werden weder erwähnt noch zitiert. Sie dienen der Verbildlichung des Wortes „Scheibenputzer“ – als Individuen werden diese Frauen von den Autoren in FAZ und Tagesspiegel nicht wahrgenommen.

Derartige Abbildungen von Menschen, reduziert auf äußerliche Signal-Merkmale, dienen den Lesenden als vermeintlich spezifische Assoziationen für die, je nach Bedarf, beschriebene Gruppe. Hier sind es (in zwei voneinander unabhängigen Tageszeitungen und dennoch in nahezu identischer Weise) scheibenputzende Frauen in farbenfroher Kleidung auf Fotos für Artikel über „die Roma“. Andere Autoren benutzen vielleicht einen Mann mit Kipa in einem Artikel über israelische Außenpolitik oder einen Mann mit Turban in einem Artikel über Terrorismus. Diese Fokussierung auf Attribute, Äußerlichkeiten und Verbildlichungen ist ein Problem, das beim Verweis auf den offenen NPD-Rassismus unbeachtet bleibt. Denn ja: es gibt Roma mit Röcken, Israelis mit Kipas und Terroristen mit Turbanen. Das Problem entsteht aber mit der Reduzierung auf ebensolche Attribute bzw. mit den auf diese Attribute zurückgeführten Eigenschaftszuschreibungen – und daraus resultierenden Gruppenwahrnehmungen.

Kontextlose Fotos, die nur der Symbolik dienen, prägen sich bei den Lesenden ein. Ein bekanntes, immer wieder reproduziertes Beispiel ist das Portrait einer Figur mit großer Nase, die „den Juden“ mit „Hakennase“ stellvertretend für eine Gruppe verbildlichen soll.

Auch Begriffe und Attribute können in Bezug auf Gruppen geprägt werden, wenn sie in Beschreibungen über diese wiederholt auftauchen. Im FAZ-Artikel von Maximilian Weingartner taucht, ebenso wie im Tagesspiegel, das Wort „Kolonne“ als Betitelung für die beschriebenen Roma auf (FAZ: „Putzkollonne“, Tagesspiegel: „Scheibenwischerkolonne“). Dieser Begriff hat eine bedrohliche Konnotation, die im Zusammenhang mit den beschriebenen Menschen auf die Lesenden wirkt.

Weingartners Artikel ist außerdem exemplarisch für eine beobachtende Berichterstattung. Die beschriebenen Menschen werden dabei aus der Sicht anderer Menschen, aus der Distanz, mit nur minimaler Annäherung wahrgenommen. Neben verschiedenen Berliner Lokalpolitikern oder dem Polizeisprecher („Wir greifen nur ein, wenn es konkrete Beschwerden gibt, und die haben zugenommen“) zitiert Weingartner immerhin auch ein Mitglied der „Putzkolonne“:

„Es ist immer halb-halb. Manche Leute sind nett, andere böse“, sagt Santino in schlechtem Deutsch.

Wie viele Stunden Recherche in dieser Annäherung an „Santinos“ Leben stecken, weiß ich nicht. Statt weiterer Details über die Hintergründe hält der Autor offenbar seine eigenen Beschreibungen über die Menschen für erwähnenswert:

Santino hat einen wachen, frechen Blick, sein älterer Cousin Pepe guckt böse, der jüngste, Goldi, jugendlich unbekümmert.

Nein, das ist kein Schulaufsatz zum Thema „Beschreibe deine Haustiere“, sondern die FAZ mit einem ganz normalen Artikel über Roma. Nach seiner Expedition zum Kottbusser Tor kann der Autor auch die Überlebensstrategien der Kinder präzise schildern:

Seine Masche: Mitleid erwecken. Nicht seine Ausrüstung, also Wischer und Eimer, ist sein Kapital, sondern sein Lächeln, sein ärmliches Aussehen, seine traurigen Augen. Santino weiß, wann er traurig schauen muss und wann fröhlich.

Die beobachtende Haltung ist symptomatisch für derartige Beschreibungen. Der Autor weiß, was die Beobachteten denken, wie sie handeln und warum. Er beobachtet diese Menschen wie Tiere im Zoo und versorgt die Lesenden mit seinen Entdeckungen.

Meiner Meinung nach wissen Autoren, die für den Tagesspiegel und die FAZ schreiben, was sie tun. Sie wissen, dass sie ein Publikum haben, wenn sie das Lächeln von einen Tag lang beobachteten, „schlecht Deutsch“ sprechenden Kindern analysieren. Sie wissen, dass sie die gleichen Beobachtungen an allen Menschen der Welt oder an sich selbst machen könnten. Sie wissen auch, dass ein längeres Gespräch einschließlich Dolmetscher und eine Reise für die Hintergrundrecherche zu einem differenzierteren Ergebnis führen. Die Frage ist, ob man sich wirklich differenziert mit Menschen wie „Santino“ auseinandersetzen möchte. FAZ und Tagesspiegel haben sich in je einem Artikel identisch entschieden: „Wisch und weg“.

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¹ Zur Kritik am Begriff vgl. z.B. Demirova, Filiz: „Wer spricht in der Antiziganismusforschung“.

Journalistischer Eiertanz

Zur selektiven Wahrnehmung der Neuwiedenthaler Gewalteskalation

Die brutale Gewalt, die den Polizisten in Neuwiedenthal widerfuhr und zu teilweise schweren Verletzungen führte, ist nicht zu rechtfertigen. Für eine journalistische Auseinandersetzung mit dem Geschehen dürfen keine Fakten weggelassen oder verdreht werden, wenn ernsthaft die Frage im Raum steht, wie es zu der Eskalation kommen konnte.

Ein Handyvideo zeigt die Situation bevor sie eskalierte. Dieses Video, in dem die Schläge eines Polizisten gegen einen wehrlos am Boden liegenden Mann zu sehen sind, wird inzwischen in den Medien thematisiert. Aber interessant ist, wie diese Thematisierung stattfinden kann: Welt Online bezieht sich auf die Aussage des Polizisten, er habe zugeschlagen, weil der am Boden Liegende ihm in den Unterleib hauen wollte, was aus dem Video nicht hervorgehe. Mit anderen Worten: die Schläge waren Selbstverteidigung. Wenn man sich das Video aber ansieht und insbesondere auch anhört, vernimmt man die deutlichen Worte desselben Polizisten, bestimmt für den am Boden Liegenden: „Soll ich dir in die Eier schlagen, oder was?“

Auf welchem Rechtsverständnis dieser Satz fußt, weiß ich nicht, dieser Ausruf ist den Journalisten von Welt Online zumindest keine Zeile wert – obwohl sie das Video thematisieren. Stattdessen wird nur die Schlag-Rechtfertigung des Polizisten und dessen Angst um den eigenen Unterleib thematisiert.

Auch Bild.de und Hamburger Abendblatt thematisieren zwar das Video und die Polizeischläge, aber die Eier-Schladgdrohungen des Polizisten werden mit keinem Wort erwähnt.

Ich empfinde das als journalistisches Herumwinden um vorliegende Fakten. Aus welchen Gründen auch immer werden die Leser o.g. Medien nur mit Bruchteilen dessen informiert, was an Informationen tatsächlich vorliegt. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Geschehenen ist das nicht. Wer die Androhung von Schlägen „in die Eier“ oder auch die Aufforderung „Komm her, du Feigling!“ aus dem Mund der Polizei ignoriert, ist nicht ernsthaft an der Beantwortung der Frage interessiert, wie es zu der gewalttätigen Eskalation in Neuwiedenthal kommen konnte.

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siehe auch: vom Gerichtsprozess zu dem Fall berichtet die taz (3.3.2011): Wenn Polizisten schweigen

Jedem seinen Mob

Ein Mob für die Welt (oder: Wenn er erstmal tobt)


„Hier hat sich der Mob ausgetobt“ titelte Welt Online gestern mit einem Joachim-Lenders-Zitat. Was mit „hier“ gemeint ist, sieht man in den Kommentarspalten: die sind nämlich leer und gesperrt. Auweia, was wurde da nur geschrieben, was zur Zensur in der Welt führte?

In einem neueren Welt-Artikel zum gleichen Thema existiert die Kommentarspalte noch, da kann man sehen, wie die Geduld der Welt-Leser sich gegenüber (kriminellen!) Migranten gen Ende neigt. Im Tobe-Mob-Artikel ging es dann sicher noch einen Zahn schärfer zu.

Darum:


[…]


(2 Screenshots von Welt Online)

Ist Kommentare-Löschen eigentlich schon Leser-Mobbing … ?

Polizeigewalt in Hamburg

Darauf habe ich gewartet: Das aufgetauchte Video und was es mir über die Unverhältnismäßigkeit medialer Berichterstattung und das Verschweigen von Zusammenhängen verrät.


Ganz ehrlich: Als ich im Radio die Meldung von der großen Gruppe verärgerter Anwohner hörte, die eine in der Unterzahl befindliche Gruppe Polizisten krankenhausreif schlug, war ich bereits skeptisch, was die Vollständigkeit der Ereignisse bzw. des Berichts anging. Das Schema ist nämlich oft gleich: Die Polizei gibt eine Pressemitteilung heraus, woraufhin eine Agentur oder ein großes Medium diese einfach reproduzieren. Eigene Recherchearbeit gibt es dabei in so einem Fall von Agentur-Blaupausen nicht. Von Skepsis gegenüber dem Sachverhalt, gar kritischem Journalismus ganz zu schweigen. Dabei ist doch klar: Es gab einen gewaltvollen Konflikt zwischen zwei Gruppen. Allein angesichts dieser Situation müssten doch mindestens erst einmal beide Gruppen, also beide Konfliktparteien, zu Wort gekommen sein, bevor man Meldungen über Hergang und Schuld verbreitet. Nicht so in unseren den meisten Medien.

Heute dann berichtet das Internetportal gulli.com ausführlich von einem aufgetauchten Video, in dem Polizeigewalt zu sehen ist, die den eskalierten Ausschreitungen vorausgegangen ist (als Höhepunkt verbaler Provokationen auch durch die Polizei). Das heißt jetzt, wo bereits gegen Migranten (rechte und konservative Blätter), „Unterschicht“ und „Abschaum“ (Joachim Lenders, Lvors. der dt. Polizeigewerkschaft HH) gehetzt und über angeblich grundlose Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber der Polizei berichtet wird, kommt nur per Zufall die andere Perspektive zum Vorschein. Per Zufall, ja. Und ja, „darauf habe ich gewartet“, auf diese Perspektive, die Aufschluss über den tatsächlichen Hergang gibt, über das, was sich vor der Eskalation abspielte und welchen Beitrag die Polizeibeamten zur Eskalation leisteten. Diese Perspektive, die zeigt, dass nicht alles so einfach und schwarz-weiß ist, wie die Logik der uniformierten Herren, die „das Maß voll“ sehen und „die volle Härte des Rechtsstaates“ (Joachim Lenders) herbeisehnen – für Andere wohlgemerkt.

Screenshot aus dem Video: Nach den Knüppelschlägen des Polizisten liegt der Mann am Boden. Die zwei Polizisten halten dessen Freunde von ihm fern. Der am Boden Liegende bekommt noch weitere Schläge im Verlauf des Videos. Er fragt den Beamten, warum er ihn mit dem Knüppel schlägt. Die Jugendlichen hinter der Kamera bitten die Polizisten, aufzuhören. Ohne Erfolg. (via gulli.com)

Es bleibt abzuwarten, wie lange (die meisten) Medien und Behörden, die ihre Urteile über die „Schuldigen“ bereits gefällt bzw. verbreitet haben, brauchen werden, um sich den Tatsachen, die in diesem Video zu sehen sind, ein bisschen zu nähern.

Meine Skepsis bei der Radiomeldung sehe ich nun nachträglich als berechtigt. Diese Skepsis wird auch zukünftig angesichts unserer der meisten Medien und ihrer unkritischen Haltung gegenüber behördlichen Meldungen bestehen bleiben oder sogar wachsen. Menschen, wie der am Boden liegende, wehrlose Mann, der den Knüppelschlägen eines Polizisten ausgeliefert ist (wobei ein Polizeikollege tatenlos daneben steht), haben mindestens dieselbe mediale Aufmerksamkeit verdient, wie die in der Eskalation verletzten Polizisten.

Eine generelle Frage ist, wo die kritisch-journalistische Distanz zu Ereignissen bleibt, die nur aus der Sicht einer von zwei betroffenen Konfliktparteien bekannt ist. Und eine konkrete Frage zu Fällen wie dem vorliegenden ist, ob Medien die Perspektive eines Opfers von Polizeigewalt in die (andauernde) Berichterstattung über Polizei und Gewalt einbeziehen möchten.

Auch die Polizei besteht nur aus Menschen, unter denen es eben einzelne gewaltbereite gibt. Diese sollten für sinnlose Gewalt genauso rechtsstaatlich zur Rechenschaft gezogen werden, wie alle anderen Menschen – und das darf nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Darum ist es wichtig, dass Medien nachhaken und nicht nur reproduzieren. Dass Medien skeptisch sind, genaue Quellen nennen und eben auch betonen, wenn Sachverhalte noch nicht endgültig geklärt sind. Dass Medien sich nicht von der Polizei zugunsten von Law-and-Order-Gedöns und zum Nachteil von faktenbasierter Berichterstattung vor den Karren spannen lassen.

update (19:30)
Inzwischen hat Welt Online einen Artikel gepostet, in dem das Video thematisiert wird. Über einzelne dortige Beschreibungen des Gezeigten kann man sicher streiten. Der ursprüngliche und einseitige Artikel auf Welt Online von heute morgen ist auch noch online.

In der Taz werden die Ereignisse in zwei Artikeln in einen größeren Zusammenhang gestellt, außerdem kommen die Anwohner von Neuwiedenthal und auch der Zusammengeschlagene zu Wort: hier und hier. Lesenswert auch der Kommentar von Jan Kahlcke: Die Polizei hat viel falsch gemacht.

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siehe auch: vom Gerichtsprozess zu dem Fall berichtet die taz (3.3.2011): Wenn Polizisten schweigen

Das Video (via gulli.com)

Ja, diese Shitstorm-Community

Als Journalist könnte man sich vom „Internet“ eine Portion Humor abschneiden


Die wesentliche Unterscheidung zwischen Bloggern und Journalisten ergibt sich wohl zuallererst aus der Selbstzuschreibung in den Köpfen der Autoren beider Varianten. Viele Menschen ohne journalistische Ausbildung können als (Mikro)blogger zum Beispiel auf den sozial unterkühlten Tweet von Kristina Schröder reagieren (ohne sich Journalisten nennen zu müssen). Die digitale Äußerung der Familienministerin ist fast vier Tage alt und trotzdem noch immer ein angesagtes Thema in den Weiten des deutschsprachigen Webs, weil Menschen mit einer eigenen Meinung nicht auf den guten Willen einer Redaktion angewiesen sind.

Gestern waren die Meinungen und Reaktionen zu Frau Schröders Tweet dem großen Nachrichtenportal Spiegel Online einen Artikel wert. Und in diesem Artikel bastelt Florian Gathmann fleißig am Kopfkunstrukt der Zweiteilung zwischen Blogosphäre und Journalismus. Ein Merkmal dieser Bastelei ist, wie angestrengt sie wirkt.

„Die Community schlägt zurück“, leitet Gathmann seinen Artikel ein. „Community“ ist ein, wenn auch harmloser, aber klar abgrenzender Begriff, unter dem (Zehn?)Tausende verschiedenster Menschen, die auf Krisitna Schröders Äußerung reagierten, zusammengefasst werden sollen. Dieser Begriff erinnert an Christian Wulffs Homepage, auf der man bis vor kurzem noch mit „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Internetnutzer“ begrüßt wurde: als bestünde die Welt aus Menschen einerseits und „Internetusern“ andererseits.

Statt „Community“ könnte Gathmann einfach „Menschen“ schreiben, aber dann würde ja klar werden, dass das Internet von eben diesen Menschen nur als Hilfsmittel zur Äußerung der eigenen Meinung genutzt wird, mehr nicht. Die Kreation eines „zurückschlagenden“ Gespenstes namens „Internet-Community“ versucht die komplexe Erscheinung der über die Welt verstreuten, allein denkenden und handelnden Menschen auf das Bild einer „Interessengruppe“ herunterzubrechen. Florian Gathmann stellt „Internetuser“ so als eine homogene, gleichgeschaltet handelnde Gruppe dar.

Wenn Gathmann dann den Begriff „Shitstorm“ zu übersetzen versucht und Phänomene aus „der Szene“ beschreibt, wird peinlich deutlich, wie fremd diese „Internetwelt“ ihm doch sein muss. Bemerkt Gathmann, wie komisch es anmutet, wenn er sich den Spiegel-Online-Lesern hier als szenekundiger Experte verkauft? Als hätte er sich heimlich eingeschlichen, in diese „Internet-Community“.

Gathmanns Vokabular ist nötig, wenn man einen Insider-Bericht über die rauhe Welt des Internets verfassen möchte. In diese Wahrnehmung gehört auch, die kritischen Mikroblog-Reaktionen auf Beschimpfungen zu reduzieren. Hätte Gathmann etwas tiefere Einblicke in die „Szene“ zugelassen, dann wäre er auf die schöne Tweet-Sammlung im Marx-Blog gestoßen, die den Humor und die Kreativität zeigt, mit der Schröders Äußerungen satirisch verarbeitet wurden. Aber so gibt Gathmann nur einen Einblick in seine bierernste „Community“-Wahrnehmung.
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