Neukölln limited

Tagesspiegel und Respekt – Polizei und Journalismus (oder ohne und) in Zeiten der Respektlosigkeit


Wenn Journalisten die Respektlosigkeit der Bürger gegenüber Polizisten thematisieren, können Fakten schon mal als knetbare Auslegungssache ganz im Sinne journalistischer Unabhängigkeit verwendet werden.

Nicht so beim Tagesspiegel, hier spricht man nicht über irgendetwas, sondern es wird direkt vom „Brennpunkt“ aus berichtet. Und wer könnte neutraler über die Respektlosigkeit gegenüber Polizisten berichten, als ein Tagesspiegel-Journalist? Ein Polizist. Das spart den Tagesspieglern auch eigenen Rechercheaufwand.

Ein Schild mit der Beschriftung „Neukölln“ (Quelle: Jcornelius/ Wikimedia Commons)


„Neukölln“ in den Titel und ein neuer Beitrag ist (fast) fertig. Der trockene Polizeibericht muss nur in eine authentische, für das Tagesspiegel-Publikum nachvollziehbare Sprache gebracht werden. Gut dafür eignen sich direkte Zitate, in denen die Sprachschwächen der Delinquenten erkennbar werden:

„Warum, … hast du Problem?“ oder „Ich kenne Fahrer, bleib da, ich holen!“ sowie „Ich fahren Daimler – und jetzt?“ (tagesspiegel.de vom 1.6.2010 Was ein Polizist auf Streife in Neukölln erlebt)

In einem echten Neukölln-Artikel darf das nicht fehlen, so wird die Perspektive der Gegenseite, also der Menschen mit ähm, Migrationshintergrund, würdig in die Beschreibung mit eingeflochten. Nur auf dieser Grundlage können sich die Tagesspiegel-LeserInnen ihre eigene und unabhängige Meinung bilden.

Aber um dem Rassismus-Verdacht zu entgehen (bei häufigen Signalherkunftsbezeichnungen wie „türkische Frau“, „arabische Sätze“, „arabischer Herkunft“, „afghanischer Herkunft“ und den o.g. authentischen Slang-Zitaten) müssen den Migrationshintergründlern auch deutsche Polizeirespektlose an die Seite gestellt werden:

„Ach, übrigens: Die 16 Fahrradfahrer – allesamt ohne Migrationshintergrund –, die mir heute rasant und ohne schlechtes Gewissen auf den Gehwegen entgegenkamen, mich fast umfuhren, möchte ich nur vollständigkeitshalber erwähnen. Von ihnen bekam ich fast immer dasselbe zu hören: „Ist denn das Fahrradfahren auf dem Gehweg verboten?“, oder: „Kümmern Sie sich lieber um wichtigere Dinge!“ – in der Mehrzahl verbunden mit dem Hinweis, wie ökologisch wertvoll ihr Beitrag zum Straßenverkehr sei. Ihr persönlicher „Persilschein“ für jegliche Verkehrsverstöße.“ (tagesspiegel.de vom 1.6.2010 Was ein Polizist auf Streife in Neukölln erlebt)

Prima, nun ist der Neukölln-Bericht „vollständig“ und es wird ganz ausdrücklich betont, das auch perfekt hochdeutsch sprechende Menschen ohne Migrationshintergrund frech gegenüber Polizisten sind. Aber woher weiß der Autor, dass die RadfahrerInnen alle ohne Migrationshintergrund waren? Fehlender Slang? Sonnenbrand?

Halt halt halt, hier geht es nicht um Informationen, sondern um Eindrücke. Schließlich soll in der ganzen Polizeirespekt-Diskussion endlich mal einer der geschädigten Repräsentanten jener Polizei zu Wort kommen, die sonst von den Medien eher kritisch beäugt wird.

Zu tiefes journalistisches Vordringen in die Materie, zu viel kritisches Nachfragen würde nur die grundlegenden Probleme verschleiern. Längerfristige Betrachtungen der Berliner Polizeiarbeit, Bewertungen über Erfolge und Misserfolge von Strategien der Berliner Polizei, kritische Berichte über Polizeiausbildung, -strukturen, über die finanzielle Situation sind unnötig. Ganz zu schweigen von Background-Infos über fehlende Bildungs- und Sozialstrukturen in Berlin, überforderte Lehrer, überfüllte Schulklassen … das alles würde nur den echten Kern des Problems verschleiern. „Ich fahren Daimler – und jetzt?“ beschreibt das eigentliche Problem am besten. Darum: Was ein Polizist auf Streife in Neukölln erlebt (tagesspiegel.de vom 1.6.2010).

Frankfurter Rundschau: kiffender und saufender „Roma“

Qualitätsjournalismus aus deutschen Gerichtssälen: Stefan Behr macht in der Frankfurter Rundschau kurzen Prozess


Der Einsatzort von Stefan Behr ist der Gerichtssaal. Denn:

„Behr macht kurzen Prozess“ – FR-Gerichtsreporter Stefan Behr berichtet über kuriose, traurige, aufwühlende und schockierende Prozesse.“

Zuletzt ging es um einen Mann namens Daniel S., der alte Frauen beklaute. Interessant sind hier die Informationen über jenen Daniel S., die Behr für erwähnenswert hält, zum Beispiel:

Im Zuschauersaal plärren seine vier kleinen Kinder, der Rest der zahlreich anwesenden Familie ist auch nicht viel leiser.

Aber Behr hat noch eine weitere Information über jene „plärrenden Kinder“ und die „nicht viel leisere, zahlreich anwesende Familie“. Vom Anwalt:

Der Anwalt von S. kennt die Familie. Er hat schon den Vater vor Gericht vertreten, die Mutter, die Geschwister. „Ein Umfeld, bei dem es sehr schwierig ist, da sauber durchzukommen.“ Sein Mandant sei in dieser Zeit oft „mit anderen Jungs“ unterwegs gewesen, es habe „erhöhter Finanzbedarf“ bestanden, weil ordentlich gekifft und gesoffen und sonst was wurde. „Wenn ein Roma mal abhängig ist, braucht er viel Geld.“

Herr Behr lässt wichtige Fragen offen:
1. Kam der „Roma“ im Gerichtssaal selbst zu Wort?
2. Warum lässt Herr Behr den „Roma“ nicht im Artikel zu Wort kommen und zitiert nur dessen Anwalt?
3. Ist der Anwalt ein Pflichtverteidiger oder wurde er vom „Roma“ selbst gewählt?
4. Wenn der Angeklagte ein „Roma“ ist, was sind dann Herr Behr und der Anwalt? „Deutsche“? Nicht-„Roma“? Japaner? Pferde?
4.a Welchen Mitteilungswert sieht Behr in der zitierten Information, dass es sich bei dem Angeklagten um einen „Roma“ handelt, wenn er den gleichen Mitteilungswert nicht sieht, zu erwähnen, um was es sich bei ihm und dem Anwalt handelt?

Diesen offenen Fragen gegenüber steht der Erkenntniswert des Artikels, der sich mit den von Behr gegebenen Informationen so darstellt: (ich habe nur die Reihenfolge verändert, um den Erkenntniswert zu verdeutlichen)

– Daniel S. ist „Roma“
– er hat vier „plärrende“ Kinder
– er hat eine große Familie, die auch laut ist
– ein Großteil der Familie stand bereits vor Gericht
– bei „dem Umfeld“ ist es „schwierig sauber durchzukommen“
– Daniel S. kifft und säuft „ordentlich“, hat einen erhöhten Finanzbedarf

(Ich habe jetzt die „alten Damen“, „Rollatoren“, „halbblind“, „24.000 Euro Schaden“ aus der anderen Artikelhälfte weggelassen. Übrigens hat die Geschichte ein Happy End: die satte Strafe bringt den „Roma“ zum „Aufwachen“, aber das kann jeder selbst nachlesen …)

Ach, und mir fällt noch eine Frage ein: Wie heißt der Anwalt bzw. warum zitiert Behr ihn anonym?

tagesspiegel.de: Kritik unerwünscht?

Wie tagesspiegel.de begründete, dass meine kritischen Anmerkungen nicht in den Kommentarspalten von tagesspiegel.de auftauchen sollen.


Alles begann mit dem Tagesspiegel-Artikel „Wisch und Weg“ bzw. Scheibenputzer – wisch und weg. In diesem Artikel fiel mir die Häufigkeit von Schlagworten auf, die im Zusammenhang mit den Roma dort verwendet wurden, sodass ich eine kleine Collage aus den drastischsten dieser Signalwörter anfertigte. Ich wollte damit verdeutlichen, wie schematisch in dem Tagesspiegel-Artikel negativ konnotierte Attribute im Zusammenhang mit der ethnischen Bezeichnung Roma aufgezählt werden.

Was dieser Artikel auslöst, wurde für mich auch wieder am Minderheiten-Bashing in der Kommentarspalte zu dem Tagesspiegel-Artikel sichtbar. Und hierbei handelt es sich wohlgemerkt ausschließlich um redaktionell geprüfte Inhalte – ich würde gern Anzahl und Inhalt der noch offener rassistischen Kommentare kennen, die es nicht durch den Filter schafften. Hier einige Auszüge aus den von tagesspiegel.de zugelassenen Kommentaren:

von kalliope | 16.05.2010 09:39 Uhr | Schlecht: 0 Stimmen | Gut: 8 Stimmen
Scheibenputzer
Ja, sie nerven. Nein, nicht das Elend, sondern „sie“: Die Scheibenputzer, „Musiker“ in den öffentlichen oder Akkordeon-Körperverletzer in der Fußgängerzone, Hallo-Motzzeitungsträger oder Hallo-Einkaufswagenzusammenschieber vorm Supermarkt (kennen wir uns?) und all die anderen, die mich per direkter Belästigung beglücken wollen mit etwas, dass ich nicht haben will. […]

von christina | 16.05.2010 11:24 Uhr |Schlecht: 0 Stimmen | Gut: 4 Stimmen
schelmisch?
Ganz ehrlich, die Herrschaften sind nicht schelmisch. Sie sind dreist und oft auch bedrohlich. […]

von achauffeur | 16.05.2010 13:06 Uhr | Schlecht: 0 Stimmen | Gut: 0 Stimmen
Antwort auf iustus vom 16.05.2010 11:34 Uhr
danke
danke für diese worte. sie sind völlig auf den punkt. was immer diese volksgruppe auch in „ihren“ ländermn ausgesetzt ist – mit ihrem verhalten hier machen sie sich jedenfalls auch keine freunde.

von super.neon | 16.05.2010 13:55 Uhr | Schlecht: 0 Stimmen | Gut: 2 Stimmen
Wegelagerer
Ich bin es Leid, an jeder größeren Kreuzung die Scheibenwischer anstellen zu müssen um nicht diesen Wegelagerern mit ihren Schmutzwasserattacken zum Opfer fallen zu müssen […]
Was diese im Newspeak genannten Roma da betreiben ist 100 prozentige Nötigung, die Untätigkeit der Stadtverwaltung ein Skandal! […]

von nurbis | 16.05.2010 17:29 Uhr | Schlecht: 2 Stimmen | Gut: 2 Stimmen
Antwort auf NurProbleme vom 16.05.2010 11:03 Uhr
Das wird üblich sein[…] Merken die Fensterputzer, dass es kein Problem ist, so zu handeln, müssen wir eben blechen oder haben zerkratzte Fahrzeuge.[…]

von henchan | 16.05.2010 21:18 Uhr | Schlecht: 0 Stimmen | Gut: 1 Stimme
[…]
Zuerst waren es die Punks, dann Polen oder andere Osteuropäer.
Einmal Kopfschütteln reichte. Wer hier aber negativ auffällt, sind eben die Sinti und Roma, oder Roma oder Sinti. Wie auch immer.
Es sind definitiv nicht alle Roma, aber aus ihrer Gruppe rekrutiert sich doch der grösste Teil, die für die Unannehmlichkeiten sorgen.
Schade eigentlich, dass sie an ihrem negativen Image arbeiten.

Das ist nur ein Auszug. Kritische Bemerkungen über den Tagesspiegel-Artikel gibt es kaum, in den meisten Kommentaren wird sich Luft zum Thema Roma, Fensterputzer oder „Wandervölker“ gemacht, nur in einigen Kommentaren wird eine sachliche Diskussion gefordert. Ich wollte nun auch meinen Standpunkt zu dem mit negativen Schlagworten konnotierten Artikel posten. So machte ich es mir bequem und verwies auf meine Tagesspiegel-Schlagwort-Collage (ca. 13:00):

Titel
viele Schlagworte
Text
… wie immer bei diesem Thema. Aus den verwendeten konnotierten Begriffen lässt sich ein Roma-Artikel-Bauset machen: http://sibiuaner.noblogs.org/2010/05/15/roma-artikel-bauset/

Der Kommentar erschien nicht. Ich dachte mir, dass vielleicht das einfache Verweisen auf einen Link für die online-Redaktion nicht als Kommentar durchgeht. Darum startete ich einen zweiten Versuch und tippte einen etwas ausführlicheren Kommentar (ca.16:00, inzwischen hatte ich auch eine Mail an die Tagesspiegel-Online-Redaktion geschrieben, in der ich um eine Erklärung für die nächtliche Umbenennung des Artikels bat – diese Mail erwähne ich hier in dem Kommentar:)

Titel
zweiter Versuch
Text
Vielleicht habe ich diesmal Glück. Mein vorheriger Kommentar hat es leider nicht durch die „redaktionelle Prüfung“ geschafft. Vielleicht liegt das daran, dass ich der Online-Redaktion auch eine Mail geschrieben habe, in der ich auf meinen Blogeintrag (sibiuaner.de) hinweise. Oder es liegt an meiner Frage in der Mail, warum der Titel des Artikels übernacht von „Wisch und weg“ in „Scheibenputzer – wisch und weg“ geändert wurde. In meinem Bloghabe ich die Schlagwörter des Artikels extrahiert, um zu zeigen, wie einfach man einen Artikel über Roma basteln kann. Bestimmte negativ konnotierte Stichworte a la „unerwünschte Wischer“, „schelmig“, „Scheibenputzkolonne“ etc. sorgen nämlich für die richtige Stimmung in so einem Artikel. Enttäuschend, dass der Tagesspiegel sich weiter als Plattform für unsachliches Minderheiten-Bashing hergibt. Liebe Grüße Hendrik Kraft.

Auch dieser Kommentar erschien nicht. Ich fragte nun in die Kommentarspalten und zu Twitter hinein, warum meine Kommentare nicht publiziert würden. Dann hatte ich plötzlich eine Antwortmail im Posteingang:

Sehr geehrte/r sibiuaner,

wir haben Ihren Kommentar nicht veröffentlicht, da Sie uns Stimmungsmache unterstellen.
Unsere Autoren setzen sich gerne mit sachlicher Kritik an unseren Artikeln und der Themenwahl auseinander, jedoch ohne Unterstellungen und Vorwürfe.

Mit freundlichen Grüßen,
die Community-Redaktion/ es

Also meine fehlende Sachlichkeit war das Problem. Das hätte ich wissen müssen, dass für Autoren, die ihre Artikel über autoputzende Roma „Wisch und weg“ nennen sowie für eine online-Redaktion, die oben zitierte Kommentare zulässt, natürlich Sachlichkeit an erster Stelle steht. Ich antwortete:

Sehr geehrte Community-Redaktion,

vielen Dank für die offene Information. Ich finde es schon ziemlich interessant, dass Sie mir Stimmungsmache (hatte mich hier wirklich vertippt, dann aber per Mail korrigiert) Unterstellungen vorwerfen in Anbetracht der Schlagworte, die ich aus Ihrem Artikel gezogen habe. Aber gut, Sie wollen sich mit meinen Vorwürfen nicht auseinandersetzen, das ist Ihr gutes Recht und spricht für Ihre Arbeitsweise. Schade, dass Sie mich als Leser nicht ernstnehmen, sondern mir ein Vorwurfsverbot erteilen.

Nun zu Ihren 3 Vorwürfen (1. „Stimmungsmache“ |2. „Unterstellungen“ |3. „Vorwürfe“), mit denen ich mich gern auseinandersetze:
1. Ich unterstelle Ihnen zunächst mal keine Stimmungsmache, sondern gehe vom Bestmöglichen aus. Der Rückgriff auf Schlagworte wie „Wisch und weg“, „unerwünschte Wischer“, „schelmig“, „Scheibenputzkolonne“ usw. mag völlig naiv und ohne böse Absicht Ihrer Autoren passiert sein. Ich halte diese Begriffe aber für fatal, insbesondere mit Bezug auf eine ethnisch definierte Gruppe. Wenn man nicht weiß, was solche klar negativ konnotierten Begriffe mit Bezug auf Roma, Juden, Homosexuelle oder wie auch immer definierte und betitelte Minderheiten für Folgen haben können, ist das sogar sehr gefährlich. Wenn Sie es für Stimmungsmache Unterstellungen halten, dass ich in meinem Blog und in meinen Kommentaren auf die o.g. von Ihnen gemachte Wortwahl bezugnehme, diese sogar einfach nicht veröffentlichen, bin ich von Ihrem Medium noch enttäuschter, als ich es nur durch den einen Artikel war.
2. Ich unterstelle Ihnen nichts, ich habe Sie nur zitiert.
3. Ein journalistisches Medium, in deren Kommentarspalten man keine Vorwürfe posten darf, erinnert mich an andere Zeiten oder andere Länder.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich eines Tages über kritische Leser freuen und Vorwürfe zum Anlass nehmen, nachzudenken und zu diskutieren, statt zu löschen.

Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Kraft.

Roma-Artikel-Bauset

Beim Tagesspiegel ist Frühling:


Folgende Fetzen entstammen in genau dieser Reihenfolge dem Tagesspiegel-Artikel Wisch und Weg (15.5.2010). Diese Schlagworte und Schlagsätze sind die Zutaten, wenn (nicht nur, aber auch, und vielleicht gerade) deutscher Journalismus mit dem Thema Roma ein breites Lesepublikum erreichen will:

[Updates unten]

Der letzte Absatz des Artikels enthält als einziger Teil des langen Wischer-Verrisses keine Schlagworte:

Hamze Bytyci, Vorstand des Vereins „Amaro Drom“, einer Organisation von Roma und Nichtroma in Berlin, kritisiert, dass die Debatte um die Roma aus Osteuropa meist nur am Betteln und Scheibenwischen aufgehängt werde. (…) (Wisch und Weg)

Der Tagesspiegel fand wohl, das musste mal gesagt werden.

________________________
Update1, 16.5.10: 1. Das Veröffentlichungsdatum über dem Tagesspiegel-Artikel täuscht, der Artikel war bereits am 15.5. vor 22 Uhr online. 2. Der Tagesspiegel-Artikel war gestern, am 15.5.10 mit „Wisch und weg“ betitelt, wie meinem Screenshot zu entnehmen ist. Inzwischen heißt der Artikel „Scheibenputzer – wisch und weg„. Warum?
update2, 16.5.10 17:45: Ich habe inzwischen zwei kritische Kommentare für den Tagesspiegel-Artikel abgegeben, einen um ca. 13:00 und einen um ca. 16:00. Keiner hat es offenbar durch die „redaktionelle Prüfung“ geschafft, zumindest ist keiner meiner Kommentare veröffentlicht – obwohl ich die Tagesspiegel-Kommentier-Richtlienen beachtet habe. Von meinem zweiten Kommentar habe ich ein Screenshot angefertigt. Warum wird er nicht in der Kommentarspalte veröffentlicht?

Update3, 17.5.10: tagesspiegel.de: Kritik unerwünscht?

Antisemitismus in Wannsee, Wilmersdorf oder Wedding

Dreimal darfste raten!


„Die Jüdische Gemeinde hat sich besorgt über einen antisemitischen Angriff in Wedding geäußert“

Mit diesem Satz beginnt eine Meldung, die sich in identischer Formulierung und mit Quellenangabe „ddp“ u.a. bei berlinonline, yahoo, euronews oder Open-Report finden lässt. Zur originalen ddp-Meldung habe ich keinen Zugang, tippe aber mal, dass das die tatsächliche Quelle ist, da sich die Online-Meldungen Wort für Wort gleichen.

[update, s.u.:] Jedenfalls wurde die Jüdische Gemeinde Berlin, ob vom ddp oder den Medien, hier definitiv falsch zitiert. [update Ende, s.u.]

Das Problem: der Vorfall passierte nicht in Wedding. Stattdessen gab es am letzten Wochenende zwei antijüdisch motivierte, gewalttätige Vorfälle – einen in Wannsee und einen in Charlottenburg-Wilmersdorf. Problemlos bei der Berliner Polizei nachlesbar: Erstere Tat ereignete sich am 26.3. mittags auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Wannsee und letztere (derzeit nur als Screenshot einer Google-Suche verfügbar) in der Nacht zum 27.3. am Wilmersdorfer U-Bahnhof Güntzelstraße. Die Güntzelstraße wird übrigens in der ddp-Meldung auch genannt und damit als Wedding verkauft.

Auch die Rheinische Post verbannte einen antisemitischen Vorfall, allerdings nur per Kurzmeldung, nach Wedding – mit ddp-Kürzel.

Ursache für die Weddingisierung der Vorfälle ist scheinbar ein ddp-Polizeimeldungssalat (und die Faulheit der anderen Medien, selbst nachzulesen): Eine dritte Polizeimeldung über eine Gewalttat am Weddinger Leopoldplatz (27.3. um 17 Uhr, ohne Hinweise auf antijüdische Motive) wurde hier offenbar einfach mit den offen antijüdischen Vorfällen gemischt.

Wedding passt vielleicht besser ins Bild, wenn es um den Antisemitismus „südländisch aussehender“ Jugendlicher geht. In Wannsee und Wilmersdorf gibt es sowas nicht.

Immerhin der Tagesspiegel berichtete korrekt – hätten Rheinische Post und berlinonline (!) mal lieber da abgeschrieben, statt vom ddp.

update: (13.4.2010)
Ich habe bei der Jüdischen Gemeinde Berlin nachgefragt, die Pressemitteilung liegt mir nun vor. Das Wort Wedding taucht darin nicht auf und wurde vom ddp also falsch zitiert. Ich frage beim ddp nach.

update2: (16.4.2010)
In einem Telefonat versicherte mir eine ddp-Mitarbeiterin, bei ihren Recherchen sei sie zunächst auf den Bezirk Wedding (U-Bhf. Leopoldplatz) als Ausgangspunkt des Vorfalls gestoßen, der in der U-Bahn bis zur Station Güntzelstraße andauerte und dort in Gewalt eskalierte, wobei sie sich auf ein Telefonat mit der Berliner Polizei berief. Die Pressemitteilungen der Berliner Polizei (ohne die Erwähnung Weddings) wurden erst nach der ddp-Meldung veröffentlicht. Damit wäre das Thema erledigt.