Ja, diese Shitstorm-Community

Als Journalist könnte man sich vom „Internet“ eine Portion Humor abschneiden


Die wesentliche Unterscheidung zwischen Bloggern und Journalisten ergibt sich wohl zuallererst aus der Selbstzuschreibung in den Köpfen der Autoren beider Varianten. Viele Menschen ohne journalistische Ausbildung können als (Mikro)blogger zum Beispiel auf den sozial unterkühlten Tweet von Kristina Schröder reagieren (ohne sich Journalisten nennen zu müssen). Die digitale Äußerung der Familienministerin ist fast vier Tage alt und trotzdem noch immer ein angesagtes Thema in den Weiten des deutschsprachigen Webs, weil Menschen mit einer eigenen Meinung nicht auf den guten Willen einer Redaktion angewiesen sind.

Gestern waren die Meinungen und Reaktionen zu Frau Schröders Tweet dem großen Nachrichtenportal Spiegel Online einen Artikel wert. Und in diesem Artikel bastelt Florian Gathmann fleißig am Kopfkunstrukt der Zweiteilung zwischen Blogosphäre und Journalismus. Ein Merkmal dieser Bastelei ist, wie angestrengt sie wirkt.

„Die Community schlägt zurück“, leitet Gathmann seinen Artikel ein. „Community“ ist ein, wenn auch harmloser, aber klar abgrenzender Begriff, unter dem (Zehn?)Tausende verschiedenster Menschen, die auf Krisitna Schröders Äußerung reagierten, zusammengefasst werden sollen. Dieser Begriff erinnert an Christian Wulffs Homepage, auf der man bis vor kurzem noch mit „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Internetnutzer“ begrüßt wurde: als bestünde die Welt aus Menschen einerseits und „Internetusern“ andererseits.

Statt „Community“ könnte Gathmann einfach „Menschen“ schreiben, aber dann würde ja klar werden, dass das Internet von eben diesen Menschen nur als Hilfsmittel zur Äußerung der eigenen Meinung genutzt wird, mehr nicht. Die Kreation eines „zurückschlagenden“ Gespenstes namens „Internet-Community“ versucht die komplexe Erscheinung der über die Welt verstreuten, allein denkenden und handelnden Menschen auf das Bild einer „Interessengruppe“ herunterzubrechen. Florian Gathmann stellt „Internetuser“ so als eine homogene, gleichgeschaltet handelnde Gruppe dar.

Wenn Gathmann dann den Begriff „Shitstorm“ zu übersetzen versucht und Phänomene aus „der Szene“ beschreibt, wird peinlich deutlich, wie fremd diese „Internetwelt“ ihm doch sein muss. Bemerkt Gathmann, wie komisch es anmutet, wenn er sich den Spiegel-Online-Lesern hier als szenekundiger Experte verkauft? Als hätte er sich heimlich eingeschlichen, in diese „Internet-Community“.

Gathmanns Vokabular ist nötig, wenn man einen Insider-Bericht über die rauhe Welt des Internets verfassen möchte. In diese Wahrnehmung gehört auch, die kritischen Mikroblog-Reaktionen auf Beschimpfungen zu reduzieren. Hätte Gathmann etwas tiefere Einblicke in die „Szene“ zugelassen, dann wäre er auf die schöne Tweet-Sammlung im Marx-Blog gestoßen, die den Humor und die Kreativität zeigt, mit der Schröders Äußerungen satirisch verarbeitet wurden. Aber so gibt Gathmann nur einen Einblick in seine bierernste „Community“-Wahrnehmung.
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