Das Europa von Opa

Parteien, die mit Landkarten und Nationalideen aus Großvaters Generation werben, werden stärker.


Rechtswähler = Protestwähler? Ob die Stimmen nun aus gezieltem Protest oder politischer Verblendung rühren, stellenweise gab es bei den gestrigen Kommunalwahlen davon unangenehm viele. Die fehlende 5-Prozent-Hürde passt zur Begründung der Neonazi-Erfolge nur noch für größere Städte wie Gera, Eisenach, Weimar, Dresden, Leipzig und Chemnitz. Langsam sollten sich die „Volksparteien“ ernsthaft Gedanken machen, ob sie sich an die Anwesenheit nationalistischer Parlamentarier gewöhnen wollen, oder den Menschen zur Wiedererlangung von Perspektiven und Lebensgrundlagen verhelfen möchten. Denn auf kommunaler Ebene konnte die NPD trotz einiger Rückschläge ihre Ergebnisse von den letzten Wahlen stabilisieren oder ausbauen.

Dennoch, die Nationalisten bilden in Deutschland (noch?) keine ernstzunehmende politische Kraft, ihre Misserfolge werden auch den innerparteilichen Verfehlungen zugeschrieben – was bedeutet: Wählerpotential gäbe es, bisher scheiterte der Erfolg der deutschen Rechten an der schlechten Selbstorganisation sowie Korruptionsaffären.

Schaut man über Deutschland hinaus, auf die gestrige Europawahl, drohen Verdauungsprobleme: Die Liste erfolgreicher rechtsextremer Parteien ist lang. Die Nationalisten anderer Länder sind offenbar besser organisiert als die deutschen. Hier schlägt sich die aus den gegenwärtigen Unsicherheiten der Menschen entstandene Sehnsucht nach einem „Europa von Opa“ nieder: mit dem Ruf nach einer starken Nation, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in europäischen Ländern ertönte.

Bleibt zu hoffen, dass diese erschreckenden Anzeichen in Europa ernst genommen werden – und dass die deutschen Neonazis bis dahin nicht von ausländischen dazulernen.

Signal, 3.6.2009

Kunst und Kultur in Jena und Berlin


Beim diesjährigen Festival de Colores in Jena vom 5. bis 14. Juni ist die Region Südosteuropa, besser bekannt als „der Balkan“, thematischer Schwerpunkt. Das Programm ist reichhaltig (Filme, Lesungen, Konzerte, Partys, Vorträge) – und hier nachzulesen.

Die mazedonische Albanerin Mimoza Veliu eröffnet am Donnerstag, 4.6.09 um 20:00 im Berliner Schillerpalais (Schillerpromenade 4) ihre Fotoausstellung. Bis 18. Juni können die Bilder dort betrachtet werden, erste Eindrücke können auf ihrer Homepage gesammelt werden.

Berliner Blickwinkel

Zwei Möglichkeiten, über denselben Vorfall zu berichten, ließen sich in Berliner Printmedien (bzw. deren online-Ausgaben) finden. Der Unterschied der beiden Berichterstattungs-Varianten hatte nur eine Ursache: die Quelle


Im Tagesspiegel lautet die Überschrift: Schlägerei zwischen Autofensterputzern und BVG-Mitarbeitern. Weiter heißt es:

… Berlin – Drei Autofensterputzer haben sich am Montag eine Schlägerei mit zwei Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) geliefert. Als Polizisten eingreifen wollten, wurde eine Beamtin bei einem Sturz leicht am Knie verletzt, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Bei der Auseinandersetzung an einer Bushaltestelle in Kreuzberg erlitt einer der BVG-Wachmänner eine Prellung an Nasen- sowie Jochbein und wurde zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert. Sein Kollege wurde leicht verletzt. …

Als Quelle nennt der Tagesspiegel die Polizeimitteilung sowie jz und ddp.

Die taz titelt: BVG prügelt sich mit Roma und weiß zu berichten:

… Zwei Sicherheitsbeamten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wird vorgeworfen, eine Gruppe von Roma am Pfingstmontag angegriffen und verprügelt zu haben. Nach Aussage des Kreuzberger Sozialarbeiters Ercan Yasaroglu, der das Geschehen zufällig beobachtet hat, attackierten zwei BVG-Sicherheitsleute kurz nach 12 Uhr einen jungen Rom an einer Bushaltestelle am Kottbusser Tor. „Die Gruppe hatte am Kotti Autofensterscheiben geputzt. Sie wurde zunächst von BVG-Beamten rassistisch beleidigt und angeschrien, später auch angegriffen“, sagt Yasaroglu am Dienstag der taz. Die BVG-Männer seien zuvor aus dem U-Bahnhof gestürmt und auf die Roma losgegangen. Wahrscheinlich um die unliebsamen Fensterputzer von der Kreuzung am Kotti zu vertreiben, vermutet er. …

Mit der Aussage eines Augenzeugen hat die taz gegenüber dem Tagesspiegel einen Vorteil – sie hat zwei Quellen für denselben Vorfall. So fiel der taz natürlich auch auf, dass der Augenzeugenbericht sich nicht mit dem Polizeibericht deckt:

… Die Polizei ordnet den Vorfall dagegen völlig anders ein. In einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung heißt es, dass zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der BVG von einer Gruppe Autofensterputzern attackiert und verletzt worden seien. Nachdem die Polizei von einem Autofahrer alarmiert worden sei, weil dieser von den „Fensterputzern belästigt wurde“, soll sich die etwa zehnköpfige Roma-Gruppe an die Bushaltestelle in der Skalitzer Straße begeben haben. „Dort kam es zu einem Wortgefecht zwischen ihnen und zwei BVG-Beamten. Im weiteren Verlauf schlugen zwei Männer sowie eine 25-Jährige auf die beiden Wachleute ein“, so die Polizei. Dabei soll ein Sicherheitsbeamter leicht verletzt worden sein, der andere einen Nasenbeinbruch erlitten haben. …

Dass sich die Polizeimeldung nicht mit dem Zeugenbericht deckt, kann dem Tagesspiegel ja nicht aufgefallen sein, da dessen Recherchen bei der Polizeimeldung endeten. Dabei ist es gerade interessant, dass die Perspektive der Polizei (und damit des Tagesspiegel) offenbar lückenhaft ist:

… Yasaroglu selbst hat als Augenzeuge vor der Polizei ausgesagt, nichts davon finde sich in der Darstellung der Polizei, sagt der Sozialarbeiter. Auch nicht, dass die beiden angegriffenen Roma verletzt wurden. … (taz)

Die taz hat aber, neben der Erweiterung der Darstellung auf auf eine zweite Perspektive, auch noch eine dritte Meinung eingeholt, die den Sachverhalt aus etwas Entfernung umso klarer auf den Punkt bringt:

… „Die Polizei muss bei solchen hastigen, voreiligen Schuldzuweisungen vorsichtig sein. Das klären bei uns immer noch die Richter“, sagt Barbara Seid, Fraktionsmitglied der Linkspartei in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. … (taz)

Während der Berliner Tagesspiegel mit Bezugnahme auf Agentur- und Polizeimeldungen unter einer spannenden Überschrift nicht viel mehr als ein ausgeschmücktes Polizeiprotokoll bringt, wurde in der taz-Redaktion mindestens telefoniert, wenn nicht sogar das Haus verlassen, um mit dem Augenzeugen vor Ort zu sprechen.

Die zwei Berliner Blickwinkel zeigen: Die Welt ist komplex. Aber dafür ihre Darstellung nicht unbedingt – es kommt darauf an, was man seinen Lesern zumuten möchte. Und die Polizei wird von einigen Journalisten offenbar gern zur Hilfe genommen, wenn es um die Vereinfachung von Sachverhalten geht. Dementsprechend sehen dann auch die Leser-Kommentare unter dem Tagesspiegel-Artikel aus.

Signal, 31.5.2009

Ein Musikgymnasium in Varna, ungekannte historische rumänische Filme und Erinnerung an eine pfingstliche „Ausschüttung der besonderen Art“ vor 10 Jahren im serbischen Dorf Varvarin können wahrgenommen werden:


Der Alltag aus einem bulgarischen Musikgymnasium erreicht uns per Fernsehsignal als Wiederholung einer ZDF-Produktion von 2004. Arte sendet die Reihe Schulgeschichten und am Donnerstag (4.6.2009) wird morgens um 8:40 das Musikgymnasium „Dobri Hristov“ in Varna vorgestellt. Details bei arte.

Das 25. internationale Kurzfilm Festival in Hamburg, das gleich startet (2.6.-8.6. 2009), widmet sein Sonderprogramm dieses Jahr dem rumänischen (insbesondere historischen) Film und will damit „eine Dokumentarfilm-Avantgarde sichtbar machen“. Zum Sonderprogramm auf der Homepage.

Der Gymnasiallehrer Michael Felten erinnerte vorgestern im Politischen Feuilleton unter dem Titel Pfingstpassion an die serbischen Pfingsten vor 10 Jahren, wo zur Zeit, die als „Ausschüttung des Heiligen Geistes“ gesehen wird, die NATO über dem Dorf Varvarin ihre Bomben ausschüttete. Der Text ist eine kritische Mahnung zu einem hier fast vergessenen Thema und einer vergessenen europäischen Region. Er kann nachgelesen oder nachgehört (→mp3) werden.

„Z***“ holt UEFA-Pokal

Einmal mehr – hält „der Z***“ her.


Einige europäische Journalisten nutzen für die „Belebung“ der Sprache, insbesondere bei der Beschreibung anderer Menschen, ausgewählte Elemente einer Bildsprache, die an die alten, rassistischen Stereotype vergangener Jahrhunderte erinnert. Uwe Klußmann konnte es sich nicht verkneifen, den moldauischen Präsidenten Voronin mit einem „Z***baron“ zu vergleichen, um die „Clan“-artigen Verstrickungen und die Korruption ein bisschen ethnisch zu bebildern (Medien machen Moldau) und jetzt haut Michele Brambilla in der Sportredaktion des italienischen Il Giornale in die gleiche Kerbe:

„Mircea Lucescu, der 64jährige rumänische Z*** von der Reservebank, nimmt den Pokal mit nach Hause: Schachtar Donezk schlägt Werder Bremen und gewinnt den letzten UEFA-Cup.“

Weniger aufsehenerregend wäre der italienische Artikel (Coppa Uefa Lucescu porta lo Shaktar alla prima vittoria europea), wenn Mircea Lucescu tatsächlich ein Rom wäre. Denn dann ginge es „nur“ darum, ob er sich gefallen lassen möchte, von anderen als „Z***“ bezeichnet zu werden – da das aber nicht der Fall ist, geht es darum, dass die Bezeichnung „Z***“ einen konkreten Zweck erfüllt: Genau wie beim „Z***baron“ von Klußmann soll „der Z*** von der Reservebank“ Assoziationen beim Leser wecken, die allgemein beim Begriff „Z***“ vom Leser erwartet werden. Im Falle Lucescus wird darauf angespielt, dass dieser als Trainer mehrmals die Clubs wechselte und nun den Pokal „mit nach Hause nimmt“. Beide Artikelschreiber scheinen sich auf den rassistischen Instinkt ihrer Leser im Zusammenhang mit dem Wort „Z***“ zu verlassen, oder sind vielleicht gar mitverantwortlich, dass dieser erst animiert wird.

Screenshot Johann Heinrich Zedlers Universallexicon/ Wikipedia (gemeinfrei)

Das rumänische Nachrichtenportal hotnews.ro berichtet von der Empörung, die die Bezeichnung „Z***“ für Lucescu unter den Lesern des italienischen Blattes auslöste, sowie von einem Offenen Brief der rumänischen Botschaft an die Zeitung. Für dieses offizielle rumänische Schreiben, in dem die rassistische und xenophobe Konnotation der Formulierung kritisiert wird, hat Michele Brambilla nach Angaben von hotnews.ro nur Zynismus und Ironie übrig, flankiert seine Sätze mit den Worten „liebe Freunde von der Botschaft“ und verweist reflexartig auf andere, die auch „Z***“ sagen.

Diejenigen, die ihre Sprache mit ethnischen Schubladen schmücken, berufen sich gern auf andere, die das auch tun, betonen ihre stets guten Intentionen und bewerten entgegnete Kritik als übertrieben. Diese Schutzhaltung, aber auch die Ignoranz gegenüber Minderheiten (seien sie ethnischer, religiöser, sexueller oder sonstwelcher Natur), sind symptomatisch für die Tradierung rassistischer und anderer Stereotype. Tabuisierung oder gar Verbote als Reaktionen auf derartige Entgleisungen in europäischen Medien sind Quatsch, stattdessen ist endlich die öffentliche Thematisierung von geduldetem Rassismus gegenüber Roma in der europäischen Presse nötig. Was hier in der Journalistensprache am Beispiel der „Z***“ zutage kommt, sind Mechanismen, die an anderer Stelle in Europa gern als „überwunden“ gefeiert werden.

Der europäische Rassismus ist nicht überwunden, wie der EU-Bericht über die Diskriminierung von Minderheiten kürzlich bewies (Vergessen in Europa). Die Roma brauchen kein Mitleid und keine Bewunderung, sondern Europa braucht eine ernsthafte, intensive Auseinandersetzung mit seiner Geschichte und den gesellschaftlichen Mechanismen der Ausgrenzung und Diskriminierung. Nur so könnte ein allgemeines Bewusstsein für Fälle rassistisch konnotierter Pressesprache entstehen – bis dahin aber muss auch für große europäische Medienhäuser „der Z***“ weiter herhalten.