Z***baron, Judenzins und N***kuss

Für den Deutschen Presserat ist die Bezeichnung „Z***baron“ nicht diskriminierend, sondern ein „musikhistorisch-literarischer Vergleich“.


In Uwe Klußmanns Artikel zur politischen Lage in der Republik Moldova vom April 2009, Europas Armenhaus wird zwischen Ost und West zerrieben, war mir die Verwendung rassistischer Stereotype unangenehm aufgestoßen (Medien machen Moldau). Im Zusammenhang mit der Korruption des „Familienclans um den Präsidenten Wladimir Woronin“ vergleicht er diesen mit einem „Z***baron“. Begriffe wie „Woronin-Clan“, „clevere KP-Ideologen“ und ihre „Taschenspieler-Art“ bestimmen die persönliche Note Klußmanns zur Beschreibung der politischen Lage in Moldova.


Screenshot von: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,619586,00.html


Insbesondere die Bezeichnung „Z***baron“ trägt in dem Zusammenhang eine rassistische Konotation. Die von Klußmann aufgeführten negativen Eigenschaften Woronins (Misswirtschaft, Korruption, Clanstruktur, Bonzentum) werden mit einem ethnischen Attribut versehen. Wohlgemerkt geht es gar nicht um Roma in dem Artikel, sondern um einen Menschen, der als schlecht dargestellt werden soll – hierfür appelliert Klußmann mit dem Begriff „Z***“ an die beim Leser vermuteten Vorurteile. (Ein Franzosenbaron oder Schwedenkönig etwa würde die erwarteten Assoziationen nicht erbringen).

Der Deutsche Presserat, die moralische Hüterin journalistischer Standards in Deutschland, ist anderer Meinung. Im Antwortschreiben auf meine Beschwerde zum Klußmann-Artikel heißt es:

„Der Autor verwendet einen musikhistorisch-literarischen Vergleich: Der amtierende Präsident Wladimir Woronin als „Z***baron“. Der Vergleich mag unglücklich gewesen sein, eine Herabsetzung aller mit „Z***“ umschriebenen Angehörigen der Gruppe der Roma enthält er allerdings nicht.“

Die „musikhistorisch-literarische“ Aufladung des „Z***baron“-Vergleichs ergibt sich für den Presserat scheinbar aus der gleichnamigen Strauss-Operette. Dass die Verwendung des Begriffs dadurch weniger rassistisch wird, glaube ich nicht. Im Gegenteil: Brigitte Mihok und Peter Widmann beschäftigen sich mit den fest etablierten, traditionellen Vorurteilen gegenüber „Z***“. Diese Geschichte eines europäischen Rassismus ist weit mehr als nur „unglücklich“

Weil ein rassistisches Stereotyp eine literarische oder „musikhistorische“ Tradition hat, ist es keinesfalls weniger rassistisch. Oder würde man bei Spiegel-TV „Zehn Kleine N****“ als Vergleich für irgendeine Situation heranziehen, nur weil es ein traditionelles Lied ist?

Der N***kuss ist aus den Läden verschwunden. Die Z***sauce noch nicht. In diesem Sinne repräsentiert der Presserat den gegenwärtigen Umgang mit rassistischer Bildsprache.

Würden Begriffe wie „Judenzins“ und „Wucherer“ in einem antisemitischen Artikel zur Finanzkrise vom Presserat gerügt werden? Oder rassistische Begriffe wie „Kanakenbande“ und „N***kriminalität“, wenn es um Polizeistatistiken geht? Sicherlich, denn diese Begriffe geben Problemen eine unberechtigte ethnische Dimension: Sie lassen Zusammenhänge zwischen Banken und Juden oder Kriminalität und „Ausländern“ als zwangsläufig erscheinen und reduzieren die bezeichneten Gruppen auf negative Zusammenhänge. Entsprechendes Vokabular ist darum zurecht geächtet.

Aber der Z***baron zur Veranschaulichung von Clan-Korruption? Da blicken wir auf eine musikhistorische, literarische Tradition zurück, die so schnell nicht zerstört werden soll.


andere Artikel über Rassismus

Recht und Ordnung à la RTL

RTL macht im deutschen Fernsehen vor, wie gute Zusammenarbeit zwischen Ordnungshütern, Staat und Journalisten funktioniert.


Ich erinnere mich nicht mehr an den Titel, aber kürzlich lief eine dieser historischen DDR-Dokus, in denen ein Kamerateam die vorbildliche Arbeit der DDR-Polizei dokumentiert. Ein sächsischer Abschnittsbevollmächtigter (ABV) half älteren Menschen über die Straße oder vermittelte zwischen Staat und Punks. Das Hauptinteresse dieser Fernsehproduktion war unverkennbar die Image-Aufbesserung der unbeliebten ABVs.

Gestern sah ich meine erste Folge „Recht und Ordnung“ bei RTL (noch bis 27.12. online ansehbar) und staunte, wie sehr mich das Konzept an jenes aus dem DDR-Fernsehen erinnerte. Es stützt sich auf drei wichtige Eckpfeiler: 1.Ein Kamerateam schaut den Hütern von „Recht und Ordnung“ bei ihrer Arbeit (scheinbar neutral) über die Schulter. 2.Neben den Ordnungshütern dargestellte Menschen kommen nicht zu Wort, außer, um Fragen der Polizei oder Sicherheitsdienste zu beantworten. Das heißt die Ordnungshüter sind die einzigen, die die Situationen für das Publikum aus ihrer Perspektive kommentieren und deuten. 3.Keine kritischen Fragen.

Der Medi-Max-Elektronikmarkt im Einkaufszentrum Sophienhof in Kiel und die nächtliche Kölner Innenstadt sind die Schauplätze der von mir geschauten Folge. Das Kamerateam begleitet in Kiel zwei Ladendetektive und in Köln zwei Streifenpolizisten, wobei die Geschichten nicht nacheinander, sondern zur Spannungssteigerung ineinander geschnitten erzählt werden. Suggestiv werden so, ganz dem Titel entsprechend, die Arbeit von privatem Sicherheitspersonal und staatliche Polizeiarbeit auf eine Ebene gestellt. Die Unterschiede zwischen beiden gesetzlich klar getrennten Formen werden nicht thematisiert (allein die Tatsache wird mehrfach betont, dass die Privatsecurity die Leute nicht gegen ihren Willen anfassen darf).

Jens B. und Daniel D. werden mit Bonnie Tylers „I need a Hero“ eingeführt. Nachdem beide das Erfolgsrezept ihres Teams erläutert haben (Daniel D. präsentiert die ausgereifte Kameratechnik der Medi-Max-Filiale und Jens B. erzählt, dass Menschen, die sich an die Nase fassen, mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit Ladendiebe sind) geht es zum Einsatz. Ein junger Mann würde sich „verdächtig“ verhalten, „guckt die ganze Zeit“ und kommt den Detektiven „spanisch vor“. Ins Hinterzimmer gebeten, wird der „Verdächtige“ aufgefordert, seine Taschen zu leeren und alles auf den Tisch zu packen, an dem zwei Medi-Max-Mitarbeiter gerade ihr Essen einnehmen. Die Kamera macht Nahaufnahmen des Tascheninhalts. „Doch hier: Fehlanzeige – Zeit sich zu entschuldigen“, so der Kommentator. Die zwei entschuldigen sich, natürlich nicht ohne den mehrfachen Hinweis, dass sie nur ihren Job machen.


Quelle: http://rtl-now.rtl.de/rechtundordnung.php


Trotz High-Tech-Kameras hatte niemand etwas gesehen. Es gab keine eindeutigen Hinweise, die Aktion basierte nur auf den „verdächtigen“ und „spanischen“ Gefühlen der Detektive. Was dieser Handlungsspielraum einer Privatfirma für unschuldig verdächtigte Menschen bedeutet, wird nicht thematisiert. Der Jugendliche kommt nicht zu Wort. Das Thema ist erledigt, Schnitt, nächster Schauplatz.

Und genau so geht es weiter. „Siehste, einer guckt sich um (…) und der andere könnte sich das schonmal reingesteckt haben. Die sind zu dritt sogar, nicht zu zweit.“ Darauf der Kommentator: „Klauen statt Kaufen, im Elektrodiscounter an der Tagesordnung“. Aber wieder Fehlalarm: Die drei Männer mit schwarzer Hautfarbe waren zwar anderthalb Stunden im Laden, hatten Verpackungen geöffnet und passten damit ins Beuteschema der Privatjäger, aber niemand hatte etwas geklaut. „Die waren ja richtig nett“, meint Daniel B. nur. Na sowas.

Zum Schluss dann kommt es doch noch zum angestrebten Erfolg: Nachdem ein beim Klauen gefilmter Jugendlicher in das Hinterzimmer gebeten wurde, wird bei ihm „Diebesgut“ gefunden. Fazit: In zwei von drei Fällen wurden die von den „erfahrenen“ Detektiven vermuteten Diebe zu unrecht verdächtigt. In diesen beiden Fällen gab es keine klaren Hinweise, nur „verdächtige“ Bewegungen oder Blicke. In nur einem Fall, in dem der Klau auch klar gefilmt wurde, handelte es sich um einen Diebstahl. Damit liegt Daniel B. mit seiner eingangs genannten Quote von 30% ziemlich richtig. Aber die anderen zwei Drittel der Fälle, in denen Leute zu Unrecht von den Privatdetektiven verdächtigt werden und unter Androhung von Polizei ihre Taschen leeren sollen, bleiben unerwähnt.

Die zwei Streifenpolizisten Hermann T. und Susanne K. „kämpfen gegen Gewalt und für Sicherheit im Kölner Nachtleben“. Nachdem sich die beiden einen Überblick über die Menge des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs verschafft haben, aber keine „Action“ da ist, wird ein betrunkener Flaschensammler angesprochen, der bei Rot die Ampel überquerte. „Brauchen wa heute Abend ’ne Brille, oder was“ ist die Anredeform, mit der sich die Ordnungshüterin an den Mann wendet. Wie mit einem kleinen Kind redet die Beamtin mit ihm. Offenbar hat dieser gerade mit der Verletzung seiner bürgerlichen Pflicht auch sein Recht, als mündiger Bürger behandelt zu werden, verspielt. Mit „Jut. Dann weiterfahren.“ beendet die Polizistin die Konversation.

Jetzt gehen die Zwei in die U-Bahn-Unterführung. Dort müssen sie „bei ihren Kontrollgängen für Recht und Ordnung sorgen“, da „Randale und Schlägereien keine Seltenheit“ sind, verrät der Kommentator. Man sieht zwei sich leicht schubsende junge Männer in einer Gruppe von 5-6 Leuten, auf die der Beamte T. gleich zusteuert und ein insistierendes „Hallo“ von sich gibt. Einer aus der Gruppe erklärt sofort: „Das ist der Bruder von ihm, wir wollen ihn heimkriegen. Das ist alles. Junggesellenabschied.“ Die Sache könnte erledigt sein, die zwei Rangelnden sind im Hintergrund friedlich miteinander zu sehen. Die Jugendlichen haben aber ein Problem mit der Kamera. Mehrfaches, zunächst freundliches Bitten, die Kamera abzuschalten, wird vom Kameramann und dem Polizisten ignoriert. T. übergeht die wiederholten Forderungen der Jugendlichen einfach, indem er mehrmals fragt „Wer heiratet?“ und sich so ein bisschen inszeniert, wohl nicht ohne Interesse des Kamerateams. „Herzlichen Glückwunsch“ sagt er, und als einer der Jugendlichen direkt zum Kamreateam geht, kann T. endlich einschreiten: „Hey, heeey, sagmal habt ihr sie noch alle?“. Die Jugendlichen, sichtlich verärgert, „Ja watt soll datt denn hier, Öffentlichkeit immer, die Scheiße!“. Nun stehen die zwei Polizisten schützend vor der Kamera. Und in diesem Bild wird das ganze Sendekonzept erkennbar: Die Staatsmacht geht mit dem medialen Auge auf Tour – dabei sind sich die Polizisten T. und K. nicht zu schade, es auf einen Konflikt ankommen zu lassen, der ganz klar erst durch die Aufdringlichkeit der Kamera entsteht. Man hält drauf und ignoriert das mehrfach klar geäußerte Missfallen der Menschen.


Quelle: http://rtl-now.rtl.de/rechtundordnung.php


Die Raffinesse des Polizei-Medien-Rezepts wird in ihrem gesamten Ausmaß dann aber erst ersichtlich, als K. und T. im Anschluss an die Szene von der zunehmenden Aggression auf Deutschlands Straßen sprechen. Es ist beschämend, wenn T. sagt: „Die Leute meinen, sie müssten einen provozieren“, während sich aus der Szene nur erschließt, dass er selbst und die Kamera provoziert haben. Aber selbstkritisches Nachdenken gibt es in der „Doku“ nicht. Und die „Provokateure“ kommen ohnehin nicht zu Wort. Umso mehr dürfen die Polizisten ihre Erfahrungen mit „Beleidigungen, Beschimpfungen“ verbreiten und dass „die Leute“ nicht mehr wissen „wo die Grenze ist“ – ohne irgendeinen Bezug zu den gezeigten Bildern.

Die Lächerlichkeit der konstruierten Szenen kann selbst durch die Schnittkunst von RTL nicht verdeckt werden. Weitere Lappalien werden inszeniert, die Kamera immer im sicheren Fahrwasser der zwei mutigen Gewalt-„Bekämpfer“ mitschwimmend. Ein „öffentlich“ urinierender Betrunkener und ein falsch angeschlossenes Fahrrad gehören zum Arbeitsalltag, sowie ein weiterer betrunkener Obdachloser, dem aufgrund von Zeugenaussagen Pöbeleien unterstellt werden. Dieser Mann wird von Frau K. dann „der Besoffene“ genannt, nach dem man gucken müsse. Mit einem lauten „Hey“ leitet der Beamte T. seine Begrüßung ein. „Watt sindse hier so am Rumschimpfen und Leute-Anmachen?“, wird der Prozess eröffnet. Die Aussagen von vier Zeugen reichen, um dem Verdächtigen die Pöbeleien zu unterstellen. Dieser streitet ab, das ist aber egal: Platzverweis. Mehrfach äußert der Mann, dass ihn Kamera und Licht stören, worauf Frau K. nur den Hinweis gibt, er solle da gar nicht drauf achten. Wieder zeigt sich unverblümt, wie gut sich Kamera und Ordnungsmacht miteinander arrangiert haben. „Das blendet nicht! Konzentrieren sie sich auf ihre Flaschen!“

„Die Flaschen sind für den Obdachlosen bares Geld wert“ sagt der Kommentator, und ich frage mich, ob dieser Satz von dem Menschen, der ihn sagte, für eine wertvolle Information gehalten wurde. Ich frage mich, welchen Erkenntniswert diese ganze Sendung hat, die bei RTL als „Doku-Serie“ kategorisiert ist. Spätestens jetzt will ich umschalten und zwinge mich, den Rest auch noch zu schauen. Ich höre mir Frau K.s Phrasen über den Realitätsverlust alkoholisierter Menschen an. Sie hat ein gefestigtes Bild, das dem Sendekonzept perfekt entspricht. Sie sieht ihre Aufgabe als wichtig und ist überzeugt von dem, was sie tut, auch, wenn andere Menschen durch ihr Handeln und Auftreten, durch eine laufende Kamera und grelles Scheinwerferlicht gedemütigt werden. Meine Scham ist inzwischen ernsthafte Trauer.

Abschließend finden sich dann auch noch zwei Fälle von Gewalt, gegen die K. und T. kämpfen können. Allerdings kommen sie samt Kamera in beiden Fällen erst nachträglich an den „Tatort“ und finden dementsprechend auch hier erstmal nur Verdächtige, keine Täter. Macht nichts. „Soll eine Frau geschlagen haben“, „wurde wohl gesehen, wie er…“, reicht aus, um den Verdächtigen von hinten zu filmen, während er im Griff zweier Polizisten vor Schmerz schreit. Der Sachverhalt ist juristisch noch unklar, aber die Hinweise reichen RTL, um den Verdächtigen als Gewalttäter erscheinen zu lassen. Dabei geht tatsächlich sichtbare Gewalt in dieser Szene nur von den Polizisten aus, die den Verdächtigen in einem sichtlich unangenehmen Griff fixiert haben und ihm damit Schmerzensschreie entlocken. Das sind auch die einzigen Äußerungen, die RTL dem Verdächtigten vor laufender Kamera zugesteht.

Nicht viel mehr Gehalt bietet der Fall einer Frau, die von drei Beamten, einschließlich der Beamten K. und T., unter Protest mit Handschellen fixiert wird. Auch ihr wird Gewalt – gegen eine Polizistin – vorgeworfen. Was überhaupt geschah, wird nur von Frau K. unter Verwendung von „wahrscheinlich“ und „haben soll“ rekonstruiert. Die verdächtigte Frau selbst kommt nicht zu Wort.

Der Fernsehsender RTL und die Ordnungshüter haben im Rahmen der „Doku“ die alleinige Deutungshoheit über alle Situationen. Jene aber, über die gesprochen wird, kommen nicht zu Wort. Im Gegenteil, aus den gezeigten Bildern werden gegenteilige Darstellungen abgeleitet: Während die Kaufhaus-Detektive in 2 von 3 gezeigten Fällen nur zu unrecht Verdächtigte jagten, tun RTL und die Detektive so, als würde die Arbeit für Sicherheit sorgen. Was der Sicherheitsdienst aber tatsächlich anrichtet, wurde in der Sendung nicht thematisiert, da die Verdächtigten nicht zu Wort kamen. Und während die zwei Kölner Polizeibeamten von zunehmender Aggression und RTL von Jagd auf Gewalt sprechen, sind zweifelhafte Umgangsformen mit Obdachlosen zu sehen, sowie die Provokation von Streit durch die Kamera und Ignoranz seitens der zwei Beamten, ein urinierender Mann, ein falsch angeschlossenes Fahrrad und zudem zwei Fälle gewaltvoller Festnahmen aufgrund von Verdächtigungen.

Ich wusste, dass es solche Sendungen gibt, aber wie drastisch diese mediale Verflechtung von Staat und Fernsehen bzw. privatem Sicherheitsdienst und Fernsehen sein kann, war mir in diesem Ausmaß nicht klar. Die Vorverurteilung von Menschen, die Herabwürdigung durch respektlose Anreden und Ignoranz, die zusätzliche Demütigung durch eine Kamera samt Scheinwerferlicht, vor die sich die Staatsdiener schützend stellen – das alles bringt Fernsehen im 21. Jahrhundert.


Siehe auch:
Die Opfer einer Doku-Soap – Bericht aus Zapp plus vom 16.12.09

Signal, 4.12.09

Sammeln, Sorgen, Schieben


Über das Schieben und Sammeln von Geld: Die Dokumentation „Kapitalismus, unser Geheimrezept“ (56 min) von Alexandru Solomon kann noch für einige Tage bei arte+7 nachgesehen werden. Darüber hinaus wird der Film laut arte-Programm am 10.12.09 um 10:50 im Fernsehen wiederholt.

Sorgenfalten im Süden: Harald Neuber schrieb bei Telepolis am 26.11. zur Situation in und um den jüngsten Staat Europas.

Über das Sammeln und Schieben von Menschen: Bei Deutschlandfunk gab es am 27.11. einen kurzen Bericht von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster über die von der EU finanzierten Auffanglager in der Ukraine, wo der Umgang mit den Flüchtlingen nicht den Menschenrechten entspricht. (Als Audio Browser-integriert oder →mp3)

Broder’s tit-for-tat

Wenn es nach Henryk M. Broder ginge, hat die Schweiz nur den Anfang gemacht – für einen neuen Umgang mit „dem Islam“


Henryk M. Broder kommentiert das Minarettverbot in der Welt Online mit gewohnter Ironie (Einer muss den Anfang machen). Er hat recht, wenn er sagt, dass ein Volksentscheid sich nicht nach den Interessen anderer Länder zu richten hat. Aber viel weiter kann ich Broder nicht folgen.

„Moslems dürfen in Europa Gebetshäuser bauen, Christen in den arabisch-islamischen Ländern dürfen es nicht (von den Juden und anderen Dhimmis nicht zu reden). In Afghanistan und Pakistan droht Konvertiten die Todesstrafe, Touristen dürfen nach Saudi-Arabien nicht einmal Bibeln im Gepäck mitführen. Das sind Zustände, die nicht toleriert werden können.“ (Henryk M. Broder: „Einer muss den Anfang machen“, Welt Online)

Diese Zustände sind nach Broder’s Logik eine gute Begründung für das Minarett-Verbot: Weil autoritäre und diktatorische Regime Andersdenkende verfolgen, müssen Muslime hier in Europa nach dem „tit-for-tat“-Prinzip behandelt werden.

„So wie zwischen den Regierungen Slots für die Fluggesellschaften ausgehandelt werden, werden jetzt auch „Landerechte” für den Bau von religiösen Einrichtungen vereinbart. Natürlich nicht im Verhältnis eins zu eins, aber grundsätzlich.“ (Henryk M. Broder: „Einer muss den Anfang machen“, Welt Online)

Hinter dieser Ironie verbirgt sich Broder’s Vorstellung einer homogenen „muslimisch-arabischen“ Welt, der es entgegenzutreten gilt. Nicht in einzelnen Menschen, sondern im Islam sieht Broder die Bedrohung. Und dieser Islam wird für Broder gleichermaßen von den Ahmadinedschads dieser Welt, wie von muslimischen Schweizern oder Flüchtlingen repräsentiert. Denn sonst würde auch Broder klar sein, dass ein Schweizer Minarettverbot die Diktatoren anderer Länder wohl kaum stört (oder eher freut).

„Wenn es in Bonn eine König-Fahd-Akademie geben kann, die nicht der Schulaufsicht untersteht, muss es in Riad oder Jedda eine Evangelische, eine Katholische oder eine Akademie für Theorie und Praxis des Atheismus geben können.“ (Henryk M. Broder: „Einer muss den Anfang machen“, Welt Online)

Ist Broder nun dafür, dass verschiedene Religionen an einem Ort ihre Repräsentationsbauten haben sollen oder dagegen? Ist Broder nun für religiös-differenzierte Bildung, also muslimische neben christlichen und jüdischen Einrichtungen, oder dagegen? Seinem Text nach zu urteilen hat er keinen klaren Standpunkt, sondern einen Erziehungsauftrag gegenüber dem „Kollektiv der Muslime“. Broder möchte endlich ein bisschen mehr von der Intoleranz diktatorischer Regime als eigenen Maßstab nehmen, um den Muslimen ein Zeichen zu setzen. Das ist Broder’s tit-for-tat. Wie gesagt, nicht eins zu eins, für die Wiedereinführung der Todesstrafe wird Broder nicht sein. Aber mit ein bisschen Minarettverbot hier und da, meint er, könnte man die „arabisch-muslimische Welt“ schon mal provozieren.

Bei allen vermeintlichen und tatsächlichen Werten Europas, sie werden nicht bewahrt, indem man die eigene Intoleranz an die anpasst, die man anderen vorwirft.

Rumänisches Judentum und die Gegenwart

Ein paar Zeilen zum neuen Mahnmal und zu Andrei Oişteanu


Bei einestages.spiegel.de erschien neulich ein Interview mit dem Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz anlässlich der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Bukarest. Dabei fiel mir ein neulich gelesenes Interview mit dem rumänischen Hebraisten und Religionshistoriker Andrei Oişteanu ein (wegen Benz‘ einleitender Feststellung, Rumänien habe in den letzten Jahren große Fortschritte bei der eigenen Vergangenheitsbewältigung gemacht und wegen seiner abschließenden Bemerkung, dass Rumänien nach Deutschland im intensivsten Maße am Juden- (und Roma-) mord beteiligt gewesen war).

Die „Dilemateca“, das Magazin der Dilema Veche, führte im Oktober ein Gespräch mit Oişteanu. Neben den Inspirationen für seine Rockband in den 60er und 70er Jahren wie auch einigen Gedanken zu Mircea Eliade und der Hippie-Bewegung, fand ich insbesondere Oişteanus Gedanken zur gegenwärtigen Situation des rumänischen Judentums interessant. Angesprochen auf sein Buch über die „imaginären Juden“ äußert er sich zufrieden über die jüngsten Entwicklungen in der rumänischen Politik, Gesellschaft und in den Massenmedien. Hier sieht er Rumänien als positives Beispiel im Vergleich zu Ungarn, wo gegenwärtig eine extrem-rechte Bewegung an Einfluss gewinnt. Rechte rumänische Parteien aus den 90er Jahren, wie die PUNR (Partidul Unităţii Naţionale a Românilor) seien inzwischen vergessen, die Vatra Românească kenne heute kein Student mehr. Sogar Parteien wie die PRM und die PNG sieht Oişteanu heute als politische Randerscheinungen. Lediglich eine Organisation wie die ASCOR (Asociaţia Studenţilor Creştini Ortodocşi din România) mit ihren sehr rechtsgerichteten, xenophoben und homophoben Ansichten zählt er zu den unangenehmen Erscheinungen der Gegenwart. Im Gegensatz zu anderen Ländern habe sich aber laut Oişteanu zumindest die offen nationalistische und antisemitische Stimmung der 90er Jahre inzwischen gelegt. Die Frage nach dem latenten Rassismus in Rumänien bleibt dabei natürlich unbeantwortet.

Andrei Oişteanu hat sich als erster rumänischer Wissenschaftler systematisch mit der Rolle des rumänischen und europäischen Antisemitismus in der rumänischen Kultur befasst, den er als historischen Bestandteil der nationalen rumänischen Identität rekonstruierte. Für seine Arbeit trug Oişteanu eine große Menge an Quellenmaterial zusammen, mit dem er zeigt, wie der „imaginäre Jude“ als kulturelle Negativ-Blaupause für alles „Unrumänische“ herhielt. „Imaginea Evreului“ ist inzwischen in den USA auf Englisch erschienen, eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit.

Oişteanus Hoffnung ist es, die Geschichte und gegenwärtige Situation der jüdischen Gemeinde Rumäniens in der Welt bekannter zu machen. Die rumänischen Juden blieben bisher weitgehend unbeachtet – obwohl dort mit 800.000 Mitgliedern im Jahre 1939 zeitweise eine der weltweit größten jüdischen Gemeinschaften lebte. Heute leben laut Volkszählung rund 8000 Juden in Rumänien.

Aber seine Arbeit zur Geschichte der rumänischen Juden möchte Oişteanu weder als einfachen historiografischen Abriss noch als ethnozentrischen Blick verstanden wissen, sondern als Versuch einer möglichst objektiven Betrachtung des Stereotypen-Inventars zum „evreul imaginar“. Der imaginäre Andere und jene kulturell tradierten Ausgrenzungsmechanismen, die Oişteanu rekonstruiert, sind aber nicht nur in Rumänien anzutreffen. Mit den regionalen Facetten des rumänischen Antisemitismus demonstriert Oişteanu ein Phänomen, das, in verschiedenen Formen weltweit verbreitet, im Kern immer gleich ist. Darum hat sein Buch weit über Rumänien hinaus Bedeutung.

Beim Umgang mit dem jüdisch-kulturellen Erbe sieht Oişteanu noch großen Sensibilisierungsbedarf in der rumänischen Gesellschaft und beim rumänischen Staat. Es sei noch nicht jedem klar, dass Juden keine Außerirdischen, sondern ein Teil der rumänischen Nation sind. Deswegen wiesen noch immer Teile der rumänischen Gesellschaft die Verantwortung im Umgang mit der jüdischen Geschichte und mit ihrem reichen kulturellen Beitrag von sich.

Vielleicht markiert das Mahnmal den Anfang einer neuen Auseinandersetzung der rumänischen Gesellschaft mit sich selbst und der eigenen Geschichte. Aber dass die rumänische Mehrheit das Judentum als Teil der eigenen Kultur begreift, wird sich wohl nicht mit einem Mahnmal ergeben.


Das vollständige Interview mit Andrei Oişteanu auf Rumänisch gibt es in der Dilemateca Ausgabe Nr. 41/ Oktober 2009, S.58-66.

Außerdem zum Thema sei folgendes Buch von Dietmar Müller ausdrücklich empfohlen: „Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878-1941“.