Rumänisches Judentum und die Gegenwart

Ein paar Zeilen zum neuen Mahnmal und zu Andrei Oişteanu


Bei einestages.spiegel.de erschien neulich ein Interview mit dem Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz anlässlich der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Bukarest. Dabei fiel mir ein neulich gelesenes Interview mit dem rumänischen Hebraisten und Religionshistoriker Andrei Oişteanu ein (wegen Benz‘ einleitender Feststellung, Rumänien habe in den letzten Jahren große Fortschritte bei der eigenen Vergangenheitsbewältigung gemacht und wegen seiner abschließenden Bemerkung, dass Rumänien nach Deutschland im intensivsten Maße am Juden- (und Roma-) mord beteiligt gewesen war).

Die „Dilemateca“, das Magazin der Dilema Veche, führte im Oktober ein Gespräch mit Oişteanu. Neben den Inspirationen für seine Rockband in den 60er und 70er Jahren wie auch einigen Gedanken zu Mircea Eliade und der Hippie-Bewegung, fand ich insbesondere Oişteanus Gedanken zur gegenwärtigen Situation des rumänischen Judentums interessant. Angesprochen auf sein Buch über die „imaginären Juden“ äußert er sich zufrieden über die jüngsten Entwicklungen in der rumänischen Politik, Gesellschaft und in den Massenmedien. Hier sieht er Rumänien als positives Beispiel im Vergleich zu Ungarn, wo gegenwärtig eine extrem-rechte Bewegung an Einfluss gewinnt. Rechte rumänische Parteien aus den 90er Jahren, wie die PUNR (Partidul Unităţii Naţionale a Românilor) seien inzwischen vergessen, die Vatra Românească kenne heute kein Student mehr. Sogar Parteien wie die PRM und die PNG sieht Oişteanu heute als politische Randerscheinungen. Lediglich eine Organisation wie die ASCOR (Asociaţia Studenţilor Creştini Ortodocşi din România) mit ihren sehr rechtsgerichteten, xenophoben und homophoben Ansichten zählt er zu den unangenehmen Erscheinungen der Gegenwart. Im Gegensatz zu anderen Ländern habe sich aber laut Oişteanu zumindest die offen nationalistische und antisemitische Stimmung der 90er Jahre inzwischen gelegt. Die Frage nach dem latenten Rassismus in Rumänien bleibt dabei natürlich unbeantwortet.

Andrei Oişteanu hat sich als erster rumänischer Wissenschaftler systematisch mit der Rolle des rumänischen und europäischen Antisemitismus in der rumänischen Kultur befasst, den er als historischen Bestandteil der nationalen rumänischen Identität rekonstruierte. Für seine Arbeit trug Oişteanu eine große Menge an Quellenmaterial zusammen, mit dem er zeigt, wie der „imaginäre Jude“ als kulturelle Negativ-Blaupause für alles „Unrumänische“ herhielt. „Imaginea Evreului“ ist inzwischen in den USA auf Englisch erschienen, eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit.

Oişteanus Hoffnung ist es, die Geschichte und gegenwärtige Situation der jüdischen Gemeinde Rumäniens in der Welt bekannter zu machen. Die rumänischen Juden blieben bisher weitgehend unbeachtet – obwohl dort mit 800.000 Mitgliedern im Jahre 1939 zeitweise eine der weltweit größten jüdischen Gemeinschaften lebte. Heute leben laut Volkszählung rund 8000 Juden in Rumänien.

Aber seine Arbeit zur Geschichte der rumänischen Juden möchte Oişteanu weder als einfachen historiografischen Abriss noch als ethnozentrischen Blick verstanden wissen, sondern als Versuch einer möglichst objektiven Betrachtung des Stereotypen-Inventars zum „evreul imaginar“. Der imaginäre Andere und jene kulturell tradierten Ausgrenzungsmechanismen, die Oişteanu rekonstruiert, sind aber nicht nur in Rumänien anzutreffen. Mit den regionalen Facetten des rumänischen Antisemitismus demonstriert Oişteanu ein Phänomen, das, in verschiedenen Formen weltweit verbreitet, im Kern immer gleich ist. Darum hat sein Buch weit über Rumänien hinaus Bedeutung.

Beim Umgang mit dem jüdisch-kulturellen Erbe sieht Oişteanu noch großen Sensibilisierungsbedarf in der rumänischen Gesellschaft und beim rumänischen Staat. Es sei noch nicht jedem klar, dass Juden keine Außerirdischen, sondern ein Teil der rumänischen Nation sind. Deswegen wiesen noch immer Teile der rumänischen Gesellschaft die Verantwortung im Umgang mit der jüdischen Geschichte und mit ihrem reichen kulturellen Beitrag von sich.

Vielleicht markiert das Mahnmal den Anfang einer neuen Auseinandersetzung der rumänischen Gesellschaft mit sich selbst und der eigenen Geschichte. Aber dass die rumänische Mehrheit das Judentum als Teil der eigenen Kultur begreift, wird sich wohl nicht mit einem Mahnmal ergeben.


Das vollständige Interview mit Andrei Oişteanu auf Rumänisch gibt es in der Dilemateca Ausgabe Nr. 41/ Oktober 2009, S.58-66.

Außerdem zum Thema sei folgendes Buch von Dietmar Müller ausdrücklich empfohlen: „Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878-1941“.