[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]
In meinem veröffentlichten Schreiben an SPIEGEL TV behauptete ich über den SPIEGEL-TV-Bericht „Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße“:
„Der Titel, wie auch der gesamte Bericht, lassen reflektierte Berichterstattung und journalistische Sorgfalt vermissen“.
Mit solchen Fällen beschäftigt sich eigentlich der Presserat, der ist aber für TV-Beiträge nicht zuständig, also kann ich dort keine Beschwerde einreichen. Mir ist es aber wichtig, die tendenziöse Berichterstattung des Beitrags und die meiner Meinung nach vorliegenden Verstöße gegen journalistische Standards zu diskutieren, darum werde ich konkret und liste zentrale Punkte meiner Kritik hier im Detail auf:
Verwendung des Begriffs „[***]ner“ der rassistischen Fremdbezeichnung von Rom_nija :
1. SPIEGEL TV behauptet, diese Menschen würden sich als „ț[***]“ bezeichnen, bleibt aber einen Beleg dafür schuldig.
2. Der Begriff „[***]ner“ Die deutsche Übersetzung des Begriffs wird von Roma-Repräsentant/innen (in D und international) mehrheitlich abgelehnt. Der Begriff ist bis heute negativ konnotiert (vgl. N-Wort) und beschreibt ein Machtverhältnis, denn der Begriff ist keine Eigen-, sondern eine Fremdbezeichnung. Darum bleibt es immer ein Unterschied, ob der Begriff aus einer privilegierten Position heraus für andere Menschen verwendet oder von Menschen für sich selbst verwendet wird. Die individuelle Bezeichnung von Menschen untereinander als „ț[***]“ reicht nicht als Begründung, um Menschen von einer Außenperspektive aus zu einem Kollektiv unter der Bezeichnung „[***]ner“ zusammenzufassen, aber so macht SPIEGEL TV aus einer individuellen Selbstbezeichnung eine kollektive Fremdbezeichnung.
3. Der Begriff „ț[***]“ ist rumänisch und „[***]ner“ ist deutsch. Rumänien und Deutschland haben ähnliche, aber jeweils eigene rassistische Kontexte, in denen die Begriffe bis heute Bestand haben. Genau wie seine deutsche Übersetzung ist „ț[***]“ in Rumänien aufgrund seiner rassistischen Begriffsgeschichte und der bis heute mitschwingenden Konnotation in der Öffentlichkeit heftig umstritten und wird von den meisten Roma-Verbänden abgelehnt. In Rumänien waren „ț[***]“ bis ins 19. Jahrhundert Sklaven, das heißt der Begriff transportiert ganz konkrete rassistische Machtverhältnisse, und zwar gerade in seiner Funkion als Fremdbezeichnung. Die Übersetzung und Gleichsetzung des rumänischen mit dem deutschen Begriff ist also nicht sauber und insbesondere die unkritische Aneignung des Begriffs in einem deutschen journalistischen Kontext sehr problematisch.
Rumänische Ausschreibung über den Verkauf von „[***]ner-Sklaven“ aus dem Jahre 1852, Quelle: Wikipedia
Verallgemeinernde, diffamierende und teils rassistische Beschreibungen der gezeigten Menschen zulasten einer Betrachtung ihrer konkreten, individuellen Situationen:
1. „Clan“ und „Treck“: Die Begriffe „Clan“ und „Treck“ können in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben, von denen aber definitiv keine aus dem gezeigten TV-Beitrag hervorgeht. Stattdessen werden beide Begriffe assoziativ verwendet, indem sie sich nicht auf die gezeigte Situation beziehen, sondern als Assoziationen zu den gezeigten Menschen. So wird eine Familie ohne erkennbaren Grund zu einem „siebenköpfigen Clan“ bei SPIEGEL TV. Außerdem werden die in dem Beitrag angesprochenen „über 90 Gewerbeanmeldungen“ zum „Armutstreck“, gar sei der „Treck der Armutsflüchtlinge aus Osteuropa nicht mehr aufzuhalten“.
2. „Hinter den vielen Gewerbeneugründungen steckt offenbar System“: Das ist eine Behauptung bzw. eine Gefühlsäußerung, denn einen Beleg bleibt SPIEGEL TV schuldig.
3. „(…) eigentlich kennt man sich“: Diese Behauptung bleibt entgegen der Aussagen von Betroffenen im Raum stehen.
4. „Die xyz“: Mittels oberflächlicher und subjektiver Beschreibungen von „Ruhestörung“, „Dreck“, „Diebstahl“ oder das Beziehen von Sozalleistungen werden Vergehen, Fehlverhalten oder Regelverstöße einzelner Menschen suggeriert. Die einseitigen Beschreibungen transportieren eine Vorverurteilung, aber damit nicht genug wird die Ebene des Konkreten, Sichtbaren verlassen und im Kommentar stets allgemein Bezug auf „die Roma“ oder „die [***]ner“ genommen. Die Verbindung von Handlungen einzelner Individuen mit einer abstrakten Gruppe ist ein Kernmerkmal von Rassismus.
5. „(…) so bleiben Kinder für viele [***]ner die einzig feste Einkommensquelle (…) mehr Nachwuchs bedeutet mehr Euro.“: Im Beitrag selbst werden viele einzelne, kinderlose, männliche Menschen vorgestellt, die im Widerspruch zu dieser Behauptung stehen. Dass „[***]ner“ ihre Kinder zur „Einkommensquelle“ machen wird also verallgemeinernd behauptet, obwohl sich in dem Bericht selbst mehrere Beispiele für das Gegenteil finden. Die Stabilität rassistischer Stereotype wird an ihrer Immunität gegenüber Fakten deutlich.
6. „Die nächste Welle von Armutsflüchtlingen ist schon im Anmarsch“: Diese bedrohliche Behauptung von SPIEGEL TV bleibt ohne Belege.
7. „Die Einwanderungswelle in den Westen hat gerade erst begonnen“: Diese apokalyptische Behauptung von SPIEGEL TV bleibt ohne Belege.
Verletzung der Privatsphäre und des Schutzes personenbezogener Daten
1. Mehrere Menschen werden deutlich erkennbar gegen ihren Willen gefilmt und in dem SPIEGEL-TV-Beitrag unverpixelt gezeigt.
2. Die Liste des Gewerbeamtes, die den SPIEGEL-TV-Journalisten als Grundlage für die Suche nach Menschen in einem Berliner Mietshaus dient, wird ungeschwärzt in dem Bericht eingeblendet, so dass persönliche Daten wie Namen, Berufe und Wohnadressen der Betroffenen für alle Zuschauer/innen des Beitrags erkennbar sind.
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siehe auch: Portal gegen Rechts attestiert SPIEGEL-TV-Beiträgen „Antiziganismus“,
Antwort von Spiegel TV: “Ihre Kritik können wir in keiner Weise nachvollziehen”