„Wir sind gegen das Wort [***]ner“¹

[Trigger-Warnung: Foto mit ausgeschriebeneer rassistischer Fremdbezeichnung von Rom_nija]


https://www.facebook.com/photo.php?fbid=3316593906635&set=p.3316593906635&type=1&theater

¹Hinweis: Nach dem berechtigten Hinweis vom Braunen Mob e.V., dass die rassistische Fremdbezeichnung von Betroffenen als verbale Gewalt erfahren werden kann, habe ich es in der Überschrift unkenntlich gemacht und den entsprechenden Tweet gelöscht. Um ihre Ablehnung zu diesem Begriff zu zeigen, zitieren Betroffene selbst auf dem Foto den Begriff, was etwas anderes ist, als wenn ich diesen Begriff losgelöst von dem Foto verbreite.

_____________
Weitere Infos:
Homepage von Harri Stojka,
ROMBASE Uni Graz über die Familie Stojka

Antwort von Spiegel TV: „Ihre Kritik können wir in keiner Weise nachvollziehen“

Der zuständige Redakteur Hendrik Vöhringer von Spiegel TV hat sich auf meine letzte Bitte um Stellungnahme gemeldet. Soviel vorweg: Er geht leider nicht auf meine Punkte, sondern nur auf den Offenen Brief der FFM ein. Warum, weiß ich erstmal nicht. Ich hab meine Bitte um Stellungnahme nochmal erneut geschrieben (unten), zunächst hier aber die ganze Antwort von Herrn Vöhringer:

Sehr geehrter Herr Kraft,
vielen Dank erst mal für Ihr Interesse an der Sendung. Gleichzeitig bitte ich die Verzögerung bei der Beantwortung Ihres Schreibens zu entschuldigen. Gerne hole ich das hiermit nach.

Ihre Kritik an dem Beitrag können wir in keiner Weise nachvollziehen, Ihre Vorwürfe einer einseitigen Berichterstattung weisen wir entschieden zurück. Uns geht es um die Beschreibung von sozialen, politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Missständen. Die Herkunft oder Nationalität von Personen spielen für uns keine Rolle. Wir lassen uns von Rudolf Augstein leiten: „Sagen, was ist.“

Konkret zu dem Filmbeitrag: Finden Sie es nicht auch seltsam, wie übrigens auch das Neuköllner Gewerbeamt in Berlin, dass allein in der Harzerstrasse über 90 Gewerbeanmeldungen vorliegen? Wie Sie dem Beitrag entnehmen können, ist es uns sehr schwer gefallen, die angeblich selbstständigen Unternehmer ausfindig zu machen. Wenn jemand ein Gewerbe anmeldet, dann kann man doch davon ausgehen, dass er/sie auch Arbeit/Aufträge finden will. Wie soll das aber gehen, wenn keiner Werbung macht? Wenn teilweise die Meldeadressen nicht stimmen?

Weiter möchten wir darauf hinweisen, dass die Gewerbedatenbank in Berlin für die Öffentlichkeit frei zugänglich ist. Es handelt sich hier also keineswegs um geheime Daten. Hier der dazu passende Link: https://www.berlin.de/gewerbeauskunft/eauskunft/ega?op=su

Außerdem möchten wir Sie darauf hinweisen, dass in dem Beitrag die Begriffe „Illegale“, „Scheinselbstständige“ und „Sozialschmarotzer“ (wie von Ihnen behauptet) nicht vorkommen. Dass wir mit unserer Berichterstattung „Pogrome auf Roma“ begünstigen würden, glauben Sie doch selbst nicht. Gerne verweisen wir auch auf die Beurteilung des Deutschen Presserates auf eine Beschwerde vom 28.9.2011. Hier heißt es unter anderem: „Einen Verstoß gegen die Menschenwürde können wir nicht erkennen, da die dargestellten Personen nicht herabgewürdigt oder in irgendeiner Form verächtlich dargestellt werden.“ Weiter heißt es: „Diskriminierend ist der Beitrag nach unserer Auffassung ebenfalls nicht. Das Aufzeigen von Problemen gehört zu den ureigensten Aufgaben des Journalismus. (…) Unserer Auffassung nach wird an keiner Stelle in dem Video die Ethnie an sich diskriminierend dargestellt oder in den Vordergrund gerückt.“ (Quelle: Deutscher Presserat vom 13.1.2012)

Wir haben schon mehrere Beiträge über die Situation der Minderheiten in Rumänien erstellt. Über das Elend, über die Not in diesem Land. Und auch über die Diskriminierung. Im Anhang haben wir Ihnen weitere Beispiele
unserer journalistischen Arbeit angefügt.

Mit freundlichen Grüßen

Anhang:
http://www.spiegel.de/video/video-1146038.html
http://www.spiegel.de/video/video-1040327.html
http://www.spiegel.de/video/video-1080433.html

———————————-
Hendrik Vöhringer

SPIEGEL TV GmbH

Meine Antwort:

Sehr geehrter Herr Vöhringer,

danke für Ihre Antwort. Leider bezieht die sich auf den Offenen Brief der “Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V.”, wie mir Ihre Zitate zeigen. Auf meine Kritikpunkte gehen Sie jedenfalls nicht ein, vielleicht verwechseln Sie die beiden Briefe. Um Ihnen das erneute Nachlesen zu ersparen, fasse ich meine drei Kernpunkte mit wiederholter Bitte um Ihre Stellungnahme zusammen und gehe bei der Gelegenheit auch auf Ihr Schreiben ein:

1.
Die Liste vom Gewerbeamt ist öffentlich, Gewerbe werden gewöhnlich beworben, da gebe ich Ihnen Recht. Sicherlich sind die Daten nicht geheim, aber angesichts der Stimmung und der Perspektive, die Sie in Ihrem Beitragstitel “Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße” bereits vorgeben, geschieht das ungeschwärzte Einblenden der Adressliste ja in einem bestimmten Kontext. Ihre Überschrift mit den Signalworten “Bukarest” und “Rumänien” widerspricht augenscheinlich Ihrer Aussage in der Mail “Die Herkunft oder Nationalität von Personen spielen für uns keine Rolle”. Für die Logik Ihres Beitrags ist es eben wesentlich, den “deutschen Sozialstaat” auf der einen und die rumänischen Einwander*innen auf der anderen Seite als Gegensatzpaar zu konstruieren. Und in diesem Zusammenhang ist das Einblenden der ungeschwärzten Liste mit Adressen dieser Einwander*innen kein neutrales Abbilden, sondern hoch problematisch. Warum haben Sie die Namen nicht geschwärzt oder einfach auf die Quelle im Internet verwiesen?

2.
Damit bin ich bei Ihrem Zitat von Augsteins Worten “Sagen, was ist.” Ich interpretiere diese als Bekenntnis zu intensiver journalistischer Recherche für Beiträge mit (neuem) Informationsgehalt. Dazu zähle ich nicht Ihr in dem Beitrag gezeigtes Filmen rumänischer Einwander*innen, die ganz klar erkennbar signalisieren, nicht gefilmt werden zu wollen (auch nicht, wenn ihre Adressen als Gewerbe gemeldet sind). Warum haben Sie für die Sendung nicht wenigstens die Gesichter dieser Menschen, darunter Minderjährige, unkenntlich gemacht?

3.
Über die Menschen, die Sie mit der Adressliste bei laufender Kamera suchen, heißt es gleich zu Beginn aus dem Off, die meisten seien Roma, die sich selbst “ț***”, “Z***” nennen. Sodann ist in Ihrem gesamten Beitrag mit Blick auf die gefilmten Menschen ausschließlich von “Z***” die Rede — das heißt Sie nehmen die rumänische Bezeichnung einiger Individuen untereinander als Grundlage für den undifferenzierten deutschen Begriff “Z***” und nutzen diesen, als sei er völlig neutral. Ist Ihnen bewusst, dass die Benutzung des N-Worts unter Schwarzen nicht bedeutet, dass diese und andere Menschen im deutschen Fernsehen mit dem N-Wort bezeichnet werden wollen? Können Sie sich vorstellen, dass Menschen, die sich untereinander “țigani” nennen, von Ihnen im deutschen Fernsehen nicht mit dem deutschen Wort “Z***” bezeichnet werden wollen?

Die von Ihnen angeführten Zitate des Presserats (dessen Arbeit wichtig und wertvoll ist) beantworten im konkreten Fall keine meiner Fragen. Darum bitte ich Sie erneut darum.

Übrigens, ist Ihnen bekannt, dass ‘Pro Deutschland’ für einen tausendfach in Berlin verteilten Flyer einen Screenshot Ihres besagten Beitrags unter der Überschrift ‘Spiegel TV schlägt “Z***alarm”‘ verwendet — und dass auf diesem Flyer ein Mann zu sehen ist, der von Ihnen gegen seinen Willen gefilmt wurde?

Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Kraft.

Das Schweigen der Spiegel-TV-Redaktion

Seit meiner Kritik an dem Beitrag von Spiegel TV sind vier Monate vergangen. Das andauernde Schweigen der Spiegel-TV-Redaktion beantworte ich mit einem weiteren Versuch:

Sehr geehrter Herr Vöhringer, sehr geehrter Herr Schindler,

Anfang November 2011 teilte mir Frau Bote aus Ihrer Redaktion mit, Ihnen meine Kritik an Ihrem Beitrag „Klein-Rumänien in der Harzerstraße“ mit Bitte um Beantwortung weitergeleitet zu haben. Seit vier Monaten warte ich auf Ihre Antwort. Für den betreffenden Beitrag haben Sie mehrere Menschen gegen deren offensichtlichen Willen gefilmt, deren Gesichter, darunter von Minderjährigen, öffentlich ausgestrahlt und eine Liste sensibler privater Daten von Menschen ungeschwärzt eingeblendet. Warum beziehen Sie nicht Stellung zu dieser, Ihrer, journalistischen Praxis?

Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Kraft

____________________
Siehe auch:

Demo in Neukölln — für Solidarität mit Roma und gegen Rassismus

Letzten Samstag bewegte sich bei schönem Frühlings-Vorgeschmack-Wetter die Demo gegen Rassismus durch Berlin Neukölln. Wesentlicher Auslöser für die Demo waren Flyer, die der Berliner Ableger von „Pro-Deutschland“ in den letzten Tagen in Neuköllner Hausbriefkästen warf. Darin hieß es u.a., Roma würden „mehrheitlich nicht arbeiten und von unseren Steuergeldern leben“. Als Quelle für diese Behauptung nannte „Pro Berlin“ den tendenziösen Spiegel-TV-Bericht von 2011 und betitelte den Flyer: „Spiegel TV schlägt „Z***alarm“.“

Um ein Zeichen zu setzen gegen den in Deutschland sichtbar erstarkenden Rassismus gegenüber Roma, der von den Mainstream-Medien bzw. der „Mitte“ der Gesellschaft nahtlos zum rechten Rand reicht, sind ca. 500 Menschen (erwartet waren 300) durch Neuköllns Norden demonstriert. Redebeiträge gab es von unterschiedlichen Vereinen und Bündnissen (würde die gern hier verlinken, für Skripte bin ich dankbar).

Unterwegs reihten sich viele Menschen in den Zug ein, um sich mit lauter Musik und dem Motto „Willkommen in Neukölln — willkommen zu Hause!“ auf Romanes, Rumänisch und Deutsch bemerkbar zu machen. Tanzend fand die Demo in der Dämmerung ihren Ausklang.