Recht und Ordnung à la RTL

RTL macht im deutschen Fernsehen vor, wie gute Zusammenarbeit zwischen Ordnungshütern, Staat und Journalisten funktioniert.


Ich erinnere mich nicht mehr an den Titel, aber kürzlich lief eine dieser historischen DDR-Dokus, in denen ein Kamerateam die vorbildliche Arbeit der DDR-Polizei dokumentiert. Ein sächsischer Abschnittsbevollmächtigter (ABV) half älteren Menschen über die Straße oder vermittelte zwischen Staat und Punks. Das Hauptinteresse dieser Fernsehproduktion war unverkennbar die Image-Aufbesserung der unbeliebten ABVs.

Gestern sah ich meine erste Folge „Recht und Ordnung“ bei RTL (noch bis 27.12. online ansehbar) und staunte, wie sehr mich das Konzept an jenes aus dem DDR-Fernsehen erinnerte. Es stützt sich auf drei wichtige Eckpfeiler: 1.Ein Kamerateam schaut den Hütern von „Recht und Ordnung“ bei ihrer Arbeit (scheinbar neutral) über die Schulter. 2.Neben den Ordnungshütern dargestellte Menschen kommen nicht zu Wort, außer, um Fragen der Polizei oder Sicherheitsdienste zu beantworten. Das heißt die Ordnungshüter sind die einzigen, die die Situationen für das Publikum aus ihrer Perspektive kommentieren und deuten. 3.Keine kritischen Fragen.

Der Medi-Max-Elektronikmarkt im Einkaufszentrum Sophienhof in Kiel und die nächtliche Kölner Innenstadt sind die Schauplätze der von mir geschauten Folge. Das Kamerateam begleitet in Kiel zwei Ladendetektive und in Köln zwei Streifenpolizisten, wobei die Geschichten nicht nacheinander, sondern zur Spannungssteigerung ineinander geschnitten erzählt werden. Suggestiv werden so, ganz dem Titel entsprechend, die Arbeit von privatem Sicherheitspersonal und staatliche Polizeiarbeit auf eine Ebene gestellt. Die Unterschiede zwischen beiden gesetzlich klar getrennten Formen werden nicht thematisiert (allein die Tatsache wird mehrfach betont, dass die Privatsecurity die Leute nicht gegen ihren Willen anfassen darf).

Jens B. und Daniel D. werden mit Bonnie Tylers „I need a Hero“ eingeführt. Nachdem beide das Erfolgsrezept ihres Teams erläutert haben (Daniel D. präsentiert die ausgereifte Kameratechnik der Medi-Max-Filiale und Jens B. erzählt, dass Menschen, die sich an die Nase fassen, mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit Ladendiebe sind) geht es zum Einsatz. Ein junger Mann würde sich „verdächtig“ verhalten, „guckt die ganze Zeit“ und kommt den Detektiven „spanisch vor“. Ins Hinterzimmer gebeten, wird der „Verdächtige“ aufgefordert, seine Taschen zu leeren und alles auf den Tisch zu packen, an dem zwei Medi-Max-Mitarbeiter gerade ihr Essen einnehmen. Die Kamera macht Nahaufnahmen des Tascheninhalts. „Doch hier: Fehlanzeige – Zeit sich zu entschuldigen“, so der Kommentator. Die zwei entschuldigen sich, natürlich nicht ohne den mehrfachen Hinweis, dass sie nur ihren Job machen.


Quelle: http://rtl-now.rtl.de/rechtundordnung.php


Trotz High-Tech-Kameras hatte niemand etwas gesehen. Es gab keine eindeutigen Hinweise, die Aktion basierte nur auf den „verdächtigen“ und „spanischen“ Gefühlen der Detektive. Was dieser Handlungsspielraum einer Privatfirma für unschuldig verdächtigte Menschen bedeutet, wird nicht thematisiert. Der Jugendliche kommt nicht zu Wort. Das Thema ist erledigt, Schnitt, nächster Schauplatz.

Und genau so geht es weiter. „Siehste, einer guckt sich um (…) und der andere könnte sich das schonmal reingesteckt haben. Die sind zu dritt sogar, nicht zu zweit.“ Darauf der Kommentator: „Klauen statt Kaufen, im Elektrodiscounter an der Tagesordnung“. Aber wieder Fehlalarm: Die drei Männer mit schwarzer Hautfarbe waren zwar anderthalb Stunden im Laden, hatten Verpackungen geöffnet und passten damit ins Beuteschema der Privatjäger, aber niemand hatte etwas geklaut. „Die waren ja richtig nett“, meint Daniel B. nur. Na sowas.

Zum Schluss dann kommt es doch noch zum angestrebten Erfolg: Nachdem ein beim Klauen gefilmter Jugendlicher in das Hinterzimmer gebeten wurde, wird bei ihm „Diebesgut“ gefunden. Fazit: In zwei von drei Fällen wurden die von den „erfahrenen“ Detektiven vermuteten Diebe zu unrecht verdächtigt. In diesen beiden Fällen gab es keine klaren Hinweise, nur „verdächtige“ Bewegungen oder Blicke. In nur einem Fall, in dem der Klau auch klar gefilmt wurde, handelte es sich um einen Diebstahl. Damit liegt Daniel B. mit seiner eingangs genannten Quote von 30% ziemlich richtig. Aber die anderen zwei Drittel der Fälle, in denen Leute zu Unrecht von den Privatdetektiven verdächtigt werden und unter Androhung von Polizei ihre Taschen leeren sollen, bleiben unerwähnt.

Die zwei Streifenpolizisten Hermann T. und Susanne K. „kämpfen gegen Gewalt und für Sicherheit im Kölner Nachtleben“. Nachdem sich die beiden einen Überblick über die Menge des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs verschafft haben, aber keine „Action“ da ist, wird ein betrunkener Flaschensammler angesprochen, der bei Rot die Ampel überquerte. „Brauchen wa heute Abend ’ne Brille, oder was“ ist die Anredeform, mit der sich die Ordnungshüterin an den Mann wendet. Wie mit einem kleinen Kind redet die Beamtin mit ihm. Offenbar hat dieser gerade mit der Verletzung seiner bürgerlichen Pflicht auch sein Recht, als mündiger Bürger behandelt zu werden, verspielt. Mit „Jut. Dann weiterfahren.“ beendet die Polizistin die Konversation.

Jetzt gehen die Zwei in die U-Bahn-Unterführung. Dort müssen sie „bei ihren Kontrollgängen für Recht und Ordnung sorgen“, da „Randale und Schlägereien keine Seltenheit“ sind, verrät der Kommentator. Man sieht zwei sich leicht schubsende junge Männer in einer Gruppe von 5-6 Leuten, auf die der Beamte T. gleich zusteuert und ein insistierendes „Hallo“ von sich gibt. Einer aus der Gruppe erklärt sofort: „Das ist der Bruder von ihm, wir wollen ihn heimkriegen. Das ist alles. Junggesellenabschied.“ Die Sache könnte erledigt sein, die zwei Rangelnden sind im Hintergrund friedlich miteinander zu sehen. Die Jugendlichen haben aber ein Problem mit der Kamera. Mehrfaches, zunächst freundliches Bitten, die Kamera abzuschalten, wird vom Kameramann und dem Polizisten ignoriert. T. übergeht die wiederholten Forderungen der Jugendlichen einfach, indem er mehrmals fragt „Wer heiratet?“ und sich so ein bisschen inszeniert, wohl nicht ohne Interesse des Kamerateams. „Herzlichen Glückwunsch“ sagt er, und als einer der Jugendlichen direkt zum Kamreateam geht, kann T. endlich einschreiten: „Hey, heeey, sagmal habt ihr sie noch alle?“. Die Jugendlichen, sichtlich verärgert, „Ja watt soll datt denn hier, Öffentlichkeit immer, die Scheiße!“. Nun stehen die zwei Polizisten schützend vor der Kamera. Und in diesem Bild wird das ganze Sendekonzept erkennbar: Die Staatsmacht geht mit dem medialen Auge auf Tour – dabei sind sich die Polizisten T. und K. nicht zu schade, es auf einen Konflikt ankommen zu lassen, der ganz klar erst durch die Aufdringlichkeit der Kamera entsteht. Man hält drauf und ignoriert das mehrfach klar geäußerte Missfallen der Menschen.


Quelle: http://rtl-now.rtl.de/rechtundordnung.php


Die Raffinesse des Polizei-Medien-Rezepts wird in ihrem gesamten Ausmaß dann aber erst ersichtlich, als K. und T. im Anschluss an die Szene von der zunehmenden Aggression auf Deutschlands Straßen sprechen. Es ist beschämend, wenn T. sagt: „Die Leute meinen, sie müssten einen provozieren“, während sich aus der Szene nur erschließt, dass er selbst und die Kamera provoziert haben. Aber selbstkritisches Nachdenken gibt es in der „Doku“ nicht. Und die „Provokateure“ kommen ohnehin nicht zu Wort. Umso mehr dürfen die Polizisten ihre Erfahrungen mit „Beleidigungen, Beschimpfungen“ verbreiten und dass „die Leute“ nicht mehr wissen „wo die Grenze ist“ – ohne irgendeinen Bezug zu den gezeigten Bildern.

Die Lächerlichkeit der konstruierten Szenen kann selbst durch die Schnittkunst von RTL nicht verdeckt werden. Weitere Lappalien werden inszeniert, die Kamera immer im sicheren Fahrwasser der zwei mutigen Gewalt-„Bekämpfer“ mitschwimmend. Ein „öffentlich“ urinierender Betrunkener und ein falsch angeschlossenes Fahrrad gehören zum Arbeitsalltag, sowie ein weiterer betrunkener Obdachloser, dem aufgrund von Zeugenaussagen Pöbeleien unterstellt werden. Dieser Mann wird von Frau K. dann „der Besoffene“ genannt, nach dem man gucken müsse. Mit einem lauten „Hey“ leitet der Beamte T. seine Begrüßung ein. „Watt sindse hier so am Rumschimpfen und Leute-Anmachen?“, wird der Prozess eröffnet. Die Aussagen von vier Zeugen reichen, um dem Verdächtigen die Pöbeleien zu unterstellen. Dieser streitet ab, das ist aber egal: Platzverweis. Mehrfach äußert der Mann, dass ihn Kamera und Licht stören, worauf Frau K. nur den Hinweis gibt, er solle da gar nicht drauf achten. Wieder zeigt sich unverblümt, wie gut sich Kamera und Ordnungsmacht miteinander arrangiert haben. „Das blendet nicht! Konzentrieren sie sich auf ihre Flaschen!“

„Die Flaschen sind für den Obdachlosen bares Geld wert“ sagt der Kommentator, und ich frage mich, ob dieser Satz von dem Menschen, der ihn sagte, für eine wertvolle Information gehalten wurde. Ich frage mich, welchen Erkenntniswert diese ganze Sendung hat, die bei RTL als „Doku-Serie“ kategorisiert ist. Spätestens jetzt will ich umschalten und zwinge mich, den Rest auch noch zu schauen. Ich höre mir Frau K.s Phrasen über den Realitätsverlust alkoholisierter Menschen an. Sie hat ein gefestigtes Bild, das dem Sendekonzept perfekt entspricht. Sie sieht ihre Aufgabe als wichtig und ist überzeugt von dem, was sie tut, auch, wenn andere Menschen durch ihr Handeln und Auftreten, durch eine laufende Kamera und grelles Scheinwerferlicht gedemütigt werden. Meine Scham ist inzwischen ernsthafte Trauer.

Abschließend finden sich dann auch noch zwei Fälle von Gewalt, gegen die K. und T. kämpfen können. Allerdings kommen sie samt Kamera in beiden Fällen erst nachträglich an den „Tatort“ und finden dementsprechend auch hier erstmal nur Verdächtige, keine Täter. Macht nichts. „Soll eine Frau geschlagen haben“, „wurde wohl gesehen, wie er…“, reicht aus, um den Verdächtigen von hinten zu filmen, während er im Griff zweier Polizisten vor Schmerz schreit. Der Sachverhalt ist juristisch noch unklar, aber die Hinweise reichen RTL, um den Verdächtigen als Gewalttäter erscheinen zu lassen. Dabei geht tatsächlich sichtbare Gewalt in dieser Szene nur von den Polizisten aus, die den Verdächtigen in einem sichtlich unangenehmen Griff fixiert haben und ihm damit Schmerzensschreie entlocken. Das sind auch die einzigen Äußerungen, die RTL dem Verdächtigten vor laufender Kamera zugesteht.

Nicht viel mehr Gehalt bietet der Fall einer Frau, die von drei Beamten, einschließlich der Beamten K. und T., unter Protest mit Handschellen fixiert wird. Auch ihr wird Gewalt – gegen eine Polizistin – vorgeworfen. Was überhaupt geschah, wird nur von Frau K. unter Verwendung von „wahrscheinlich“ und „haben soll“ rekonstruiert. Die verdächtigte Frau selbst kommt nicht zu Wort.

Der Fernsehsender RTL und die Ordnungshüter haben im Rahmen der „Doku“ die alleinige Deutungshoheit über alle Situationen. Jene aber, über die gesprochen wird, kommen nicht zu Wort. Im Gegenteil, aus den gezeigten Bildern werden gegenteilige Darstellungen abgeleitet: Während die Kaufhaus-Detektive in 2 von 3 gezeigten Fällen nur zu unrecht Verdächtigte jagten, tun RTL und die Detektive so, als würde die Arbeit für Sicherheit sorgen. Was der Sicherheitsdienst aber tatsächlich anrichtet, wurde in der Sendung nicht thematisiert, da die Verdächtigten nicht zu Wort kamen. Und während die zwei Kölner Polizeibeamten von zunehmender Aggression und RTL von Jagd auf Gewalt sprechen, sind zweifelhafte Umgangsformen mit Obdachlosen zu sehen, sowie die Provokation von Streit durch die Kamera und Ignoranz seitens der zwei Beamten, ein urinierender Mann, ein falsch angeschlossenes Fahrrad und zudem zwei Fälle gewaltvoller Festnahmen aufgrund von Verdächtigungen.

Ich wusste, dass es solche Sendungen gibt, aber wie drastisch diese mediale Verflechtung von Staat und Fernsehen bzw. privatem Sicherheitsdienst und Fernsehen sein kann, war mir in diesem Ausmaß nicht klar. Die Vorverurteilung von Menschen, die Herabwürdigung durch respektlose Anreden und Ignoranz, die zusätzliche Demütigung durch eine Kamera samt Scheinwerferlicht, vor die sich die Staatsdiener schützend stellen – das alles bringt Fernsehen im 21. Jahrhundert.


Siehe auch:
Die Opfer einer Doku-Soap – Bericht aus Zapp plus vom 16.12.09

Bald Brandzeichen für Roma?

Was in Europa möglich ist und vielleicht von Manchem für unmöglich gehalten wurde


Die französische Polizei „markiert“ Roma, so eine Nachricht, die gestern die Runde machte. Damit wäre Frankreich nach Italien das nächste Land, in dem die Verwaltung von Menschen an die der Nazis erinnert. Rund 100 Roma sollen Stempel auf die Arme bekommen haben – und das wurde von der zuständigen Behörde auch noch damit gerechtfertigt, dass nur so eine doppelte Kontrolle derselben Person verhindert werden könne. Das ist kein plausibler Grund, sondern dieser Begründungsversuch zeigt nur das faschistoide Potential, das sich bis heute in europäischen Verwaltungsapparaten gehalten zu haben scheint. Denn mit dieser Argumentation werden die gestempelten Menschen zu einer Herde degradiert, wie Vieh, das man der Übersicht halber markiert. Vielleicht gibt es dann das nächste Mal gleich Brandzeichen oder Strichcodes.

Was den Behörden das Recht gibt, diese Menschen überhaupt zu kontrollieren? Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigungen. In diesem Sinne sind die gestempelten Roma nicht mehr als die konsequente Umsetzung der EU-Logik: Es wird nach klaren Regeln ausgewählt wer rein darf und wer draußen bleiben muss. Was nach einer französischen Provinzposse aussieht, sollte als Warnung vor einem Europa der Selektion verstanden werden. Und wer das für eine Übertreibung hält, kann sich ja seine Falschpark-Knöllchen oder GEZ-Mahnungen mal ins Gesicht drucken lassen, nur so für das Gefühl, für einen behördlichen Verwaltungsakt markiert worden zu sein – ist nämlich ein anderes, als bei einem Disko-Stempel.


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Berliner Blickwinkel

Zwei Möglichkeiten, über denselben Vorfall zu berichten, ließen sich in Berliner Printmedien (bzw. deren online-Ausgaben) finden. Der Unterschied der beiden Berichterstattungs-Varianten hatte nur eine Ursache: die Quelle


Im Tagesspiegel lautet die Überschrift: Schlägerei zwischen Autofensterputzern und BVG-Mitarbeitern. Weiter heißt es:

… Berlin – Drei Autofensterputzer haben sich am Montag eine Schlägerei mit zwei Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) geliefert. Als Polizisten eingreifen wollten, wurde eine Beamtin bei einem Sturz leicht am Knie verletzt, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Bei der Auseinandersetzung an einer Bushaltestelle in Kreuzberg erlitt einer der BVG-Wachmänner eine Prellung an Nasen- sowie Jochbein und wurde zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert. Sein Kollege wurde leicht verletzt. …

Als Quelle nennt der Tagesspiegel die Polizeimitteilung sowie jz und ddp.

Die taz titelt: BVG prügelt sich mit Roma und weiß zu berichten:

… Zwei Sicherheitsbeamten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wird vorgeworfen, eine Gruppe von Roma am Pfingstmontag angegriffen und verprügelt zu haben. Nach Aussage des Kreuzberger Sozialarbeiters Ercan Yasaroglu, der das Geschehen zufällig beobachtet hat, attackierten zwei BVG-Sicherheitsleute kurz nach 12 Uhr einen jungen Rom an einer Bushaltestelle am Kottbusser Tor. „Die Gruppe hatte am Kotti Autofensterscheiben geputzt. Sie wurde zunächst von BVG-Beamten rassistisch beleidigt und angeschrien, später auch angegriffen“, sagt Yasaroglu am Dienstag der taz. Die BVG-Männer seien zuvor aus dem U-Bahnhof gestürmt und auf die Roma losgegangen. Wahrscheinlich um die unliebsamen Fensterputzer von der Kreuzung am Kotti zu vertreiben, vermutet er. …

Mit der Aussage eines Augenzeugen hat die taz gegenüber dem Tagesspiegel einen Vorteil – sie hat zwei Quellen für denselben Vorfall. So fiel der taz natürlich auch auf, dass der Augenzeugenbericht sich nicht mit dem Polizeibericht deckt:

… Die Polizei ordnet den Vorfall dagegen völlig anders ein. In einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung heißt es, dass zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der BVG von einer Gruppe Autofensterputzern attackiert und verletzt worden seien. Nachdem die Polizei von einem Autofahrer alarmiert worden sei, weil dieser von den „Fensterputzern belästigt wurde“, soll sich die etwa zehnköpfige Roma-Gruppe an die Bushaltestelle in der Skalitzer Straße begeben haben. „Dort kam es zu einem Wortgefecht zwischen ihnen und zwei BVG-Beamten. Im weiteren Verlauf schlugen zwei Männer sowie eine 25-Jährige auf die beiden Wachleute ein“, so die Polizei. Dabei soll ein Sicherheitsbeamter leicht verletzt worden sein, der andere einen Nasenbeinbruch erlitten haben. …

Dass sich die Polizeimeldung nicht mit dem Zeugenbericht deckt, kann dem Tagesspiegel ja nicht aufgefallen sein, da dessen Recherchen bei der Polizeimeldung endeten. Dabei ist es gerade interessant, dass die Perspektive der Polizei (und damit des Tagesspiegel) offenbar lückenhaft ist:

… Yasaroglu selbst hat als Augenzeuge vor der Polizei ausgesagt, nichts davon finde sich in der Darstellung der Polizei, sagt der Sozialarbeiter. Auch nicht, dass die beiden angegriffenen Roma verletzt wurden. … (taz)

Die taz hat aber, neben der Erweiterung der Darstellung auf auf eine zweite Perspektive, auch noch eine dritte Meinung eingeholt, die den Sachverhalt aus etwas Entfernung umso klarer auf den Punkt bringt:

… „Die Polizei muss bei solchen hastigen, voreiligen Schuldzuweisungen vorsichtig sein. Das klären bei uns immer noch die Richter“, sagt Barbara Seid, Fraktionsmitglied der Linkspartei in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. … (taz)

Während der Berliner Tagesspiegel mit Bezugnahme auf Agentur- und Polizeimeldungen unter einer spannenden Überschrift nicht viel mehr als ein ausgeschmücktes Polizeiprotokoll bringt, wurde in der taz-Redaktion mindestens telefoniert, wenn nicht sogar das Haus verlassen, um mit dem Augenzeugen vor Ort zu sprechen.

Die zwei Berliner Blickwinkel zeigen: Die Welt ist komplex. Aber dafür ihre Darstellung nicht unbedingt – es kommt darauf an, was man seinen Lesern zumuten möchte. Und die Polizei wird von einigen Journalisten offenbar gern zur Hilfe genommen, wenn es um die Vereinfachung von Sachverhalten geht. Dementsprechend sehen dann auch die Leser-Kommentare unter dem Tagesspiegel-Artikel aus.

Allergisch auf Kritik und Proteste

Das harte Vorgehen gegen als Gewalttäter diskreditierte Demonstranten ist kein Ostblock-Phänomen


Für eine Auseinandersetzung mit den jüngsten Ereignissen in Chişinău lohnt es, den als Konflikt zwischen Opposition und Regierungspartei (zwischen Liberalen und Kommunisten) definierten Streit einmal im europäischen Verhältnis zu betrachten.

Es existieren scheinbar zwei klar definierte Konfliktparteien: Vladimir Voronin mit der „Partei der Kommunisten“ auf der einen und die „liberalen“ und „demokratischen“ Parteien auf der anderen Seite. Das ist der klassische Post-89er-Konflikt in einem vormaligen Sowjetstaat, in dem es nun eine Frage der Zeit wäre, bis die „alten Kräfte“ abgelöst würden. In diesem Kontext ist auch die deutsche Medienberichterstattung zu sehen, die die Parlamentswahlen in dem europäischen Land weitgehend (bis auf wenige Ausnahmen) ignorierte, um dann zwei Tage später in großem Maße zu berichten, als sich Überschriften mit Worten wie „Krawalle“, „Gewalt“, „blutig“, „oppositionelle Proteste“ etc. formulieren ließen.

Ansonsten ist die Ereignislage für deutsche Medien in Moldova ziemlich unspektakulär. Bei der sich „Kommunisten“ nennenden Regierungspartei ist keine eindeutig pro- oder anti-europäische Haltung erkennbar. Auf der einen Seite ist Moldova (im Gegensatz zu Georgien und Ukraine) bekennendes Mitglied der GUS und auf der anderen Seite gibt es das EU-Kooperationsabkommen sowie die Mitgliedschaft im NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“. Diese zweiseitige Ausrichtung veranschaulicht die historisch bedingte Selbstverortung der modernen Republik Moldau.

Die Frage ist doch, ob die Zugehörigkeit des Landes Moldova zu zwei politischen Sphären zwangläufig als eine Konfrontation gedeutet werden muss – warum denn nicht als Bereicherung? War der Mauerfall nun der Beginn einer „Wiedervereinigung“ Europas oder nur die Verschiebung der westlichen Sphäre nach Osten?

Die Menschen, die momentan in Chişinău demonstrieren, verbinden mit der „kommunistischen“ Regierung einen autoritären Apparat aus der Vergangenheit, und dennoch ist Moldova weder Russland noch Belarus. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 hat sich die Situation für die Moldauer nicht zum Besseren entwickelt (viele suchen außerhalb ihr Glück), aber die moldauischen Kommunisten unterwerfen sich den Gesetzen der Marktwirtschaft, wie jede europäische Partei. Vladimir Voronin ist ein kalkulierender Politiker, der ohne Angst, wahrscheinlich sogar gern, eine Zeitung wie die spanische El País für ein Exklusiv-Interview zu sich einlädt. Die Vorwürfe, die er sich für seine Politik machen lassen muss, sind jedenfalls nicht damit zu erklären, dass er sich als einen „Kommunisten“ bezeichnet.

Das übliche Kommunisten-vs.-Demokraten-Schema eignet sich nicht für den Konflikt in Chişinău. Hier stehen sich zwei Gruppen gegenüber, von denen die eine am politischen und individuellen Machterhalt interessiert ist und die andere den Anspruch auf diese Macht zur Geltung bringen möchte. Neben üblichen Mitteln des Wahlkampfs wurden seitens der Machtinhaber schmutzige Methoden verwendet, um es den Konkurrenten schwer zu machen (laut offiziellen Beobachtern hielt sich die Menge der schmutzigen Methoden aber in Grenzen). Die von der Opposition bewusst oder unbewusst mobilisierten Menschenmassen wurden von Vladimir Voronin, mit etwas Kosmetik angereichert, zum „Versuch eines Staatsstreichs“ hochstilisiert und so schaffte es die Republik dann doch noch in die Tagesschau. Hier funktionierte ein Mechanismus, der an das Bündnis der Medien mit der Gewalt erinnert. Vladimir Voronin hat die OSZE als Bürge für seinen Wahlerfolg, während die Opposition als gewalttätig diskreditiert werden soll.

Es braucht nicht bei Putin nach einer möglichen Vorlage für Voronins Vorgehen gesucht werden, denn es bieten sich Beispiele aus jüngster Vergangenheit in der EU, die dazu dienen könnten. Dies bezieht sich auf ganz konkrete Gesten der Machtdemonstration durch die Regierung Voronins in den letzten 14 Tagen. Derart brutales Vorgehen, willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen durch die Polizei sind unentschuldbar und offen anzuklagen. Aber es gibt ganz offensichtlich Parallelen in der Intention, die „öffentliche Ordnung“ wiederherzustellen, wie sie im Falle des brutalen Vorgehens der Polizei in Genua 2001 existierte – und mit einem umstrittenen Gerichtsurteil endete. Eine weitere Erinnerung drängt sich mit der Behandlung von Demonstranten durch die deutsche Polizei in Heiligendamm auf, bei der auch nicht immer die Menschenrechte im Vordergrund standen. Für die Razzien im Vorfeld der Proteste wurde den deutschen Polizisten nachträglich vom Bundesgerichtshof sogar bescheinigt, geltendes Recht verletzt zu haben. Und auch an Rumänien sei erinnert, wo vor einem Jahr vom gewaltvollen Vorgehen der Polizei gegenüber friedlichen NATO-Gegnern die Rede war, die in ihrem Quartier, einer Fabrikhalle, überraschend besucht und (wohlgemerkt unter Ausschluss der Presse) zusammengeschlagen und brutal abtransportiert wurden.

Mag es Zufall sein oder nicht, fast zeitgleich, als das Schengener Abkommen für die deutsch-französische Grenze letzte Woche vorübergehend außer Kraft gesetzt wurde, was tausende friedliche Demonstranten von ihrem Zielort Straßburg abschnitt, wurde friedlichen Demonstranten auf dem Weg nach Chişinău an der rumänisch-moldauischen Grenze die Einreise verwehrt. Und welche Signalwirkung mag es haben, wenn einzelnen Journalisten das kritische Berichten von politischen Versammlungen wie dem NATO-Treffen verwehrt wird?

Es geht nicht um Ost-West, um Kommunist-Demokrat. Es geht um den ganz allgemeinen Grundsatz, dass staatliche Machthaber sich Proteste gefallen lassen müssen – und um deren Sicht auf diesen Grundsatz. Angesichts der Versuche, Unzufriedene und Demonstranten hart zu bekämpfen und zu Gewalttätern zu stilisieren, ist Vladimir Voronins Vorgehen in Chişinău weder speziell kommunistisch noch ostblock-typisch, sondern europäische Gangart. Diese behördlichen Gebärden werden hier wie dort unter derselben Überschrift veranstaltet: „Innere Sicherheit“.


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Weiter Unklarheit in Chișinău

NGOs und Medien zweifeln an Vladimir Voronins Glaubwürdigkeit, dieser sieht die Souveränität des Staates gefährdet


Die Neuauszählung der Wählerstimmen in der Republik Moldau steht fest und ist für den 15. April 2009 angesetzt. Während Opposition und zivile Organisationen der Regierung Wahlfälschung vorwerfen, sprechen internationale Beobachter von einer insgesamt demokratisch verlaufenen Wahl – wie hier ein OSZE-Beobachter im Interview auf deutsch. Für zweifelnde Wähler wurde zwecks Abgabe von Hinweisen auf Wahlfälschungen von Regierungsgegnern eine Internetseite eingerichtet. Sie fordern komplette Neuwahlen statt einer Neuauszählung.

Die gewaltvollen Ausschreitungen in Chişinău am Dienstag (7.4.09) bekommen mit einem jüngst aufgetauchten Video einen neuen Interpretationsrahmen. In dem Amateurfilm ist zu sehen, wie die Personen, die die rumänische und die EU-Flagge während der Eskalationen auf dem Dach des moldauischen Präsidentensitzes hissten, von einem Polizist dabei in Ruhe beobachtet wurden. (Bei DW auf Rumänisch thematisiert.) Demnach wäre diese symbolische anti-moldauische Geste im Einvernehmen mit den Behörden veranstaltet worden, denn niemand von den anderen Demonstranten soll Zugang zu den oberen Etagen gehabt haben. Die Regierung sieht sich nun mit Vorwürfen konfrontiert, sie habe die nationalistisch-rumänische Note der Proteste mit arrangiert, um die Demonstranten in Verruf zu bringen.

Daneben sorgen sich Demonstranten und auch die Presse um die einschüchternden Umgangsweisen ihnen gegenüber durch Polizei und Behörden. Amnesty International kritisiert die unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizei. Rumänischer und moldauischer Journalisten-Verband richten ihre Appelle an europäische und internationale Institutionen und Medien, das Vorgehen moldauischer Behörden gegen die Meinungs- und Pressefreiheit (Verhaftungen, Ausweisungen, Einschüchterung) zur Kenntnis zu nehmen und bitten um Unterstützung.

Eine EU-Delegation befindet sich laut RIA Novosti bereits in Moldova, um die Lage zu beobachten. Am morgigen Dienstag sollen die Entwicklungen in der Republik Moldau auf EU-Ebene diskutiert werden.

Vladimir Voronin bleibt bei seinen Vorwürfen, der rumänische Staat habe sich geheimdienstlich in die Proteste der Opposition eingemischt bzw. diese initiiert. In einem heute, am Ostermontag online erschienenen Interview in der spanischen Zeitung El País spricht der moldauische Präsident nun auch von serbischen Staatsbürgern, die die Proteste mitgesteuert und -organisiert haben sollen (auf Rumänisch bei DW). In dem Interview betont Vladimir Voronin auch, dass er am Weg der Republik Moldau in die EU festhalten wolle, aber dieser führe „über Brüssel, nicht über Bukarest“.


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