Kritik aus Berliner SPD: Buschkowsky spielt mit Ressentiments und Rassismen

Heinz Buschkowsky (SPD, Bürgermeister von Berlin-Neukölln) ist jetzt Buchautor. Der deutsche Lokal-Politiker erntet mit der Publikation seiner ersten Textpassagen nicht nur Jubel. Buschkowsky schüre Angst vor Neukölln, dabei brauche er sich vor seinem Bezirk eigentlich nicht zu fürchten, versichert ihm ein Neukölln-Survivor.

Die Lektüre sorgt auch in den Reihen der Berliner SPD für unmissverständliche Kritik: Buschkowsky gebe darin gern gehörte populistische Antworten und lasse Ursachenforschung außer Acht, schreibt Orkan Özdemir (SPD, Vorsitzender der SPD AG Migration und Vielfalt Tempelhof-Schöneberg). Ich finde die Kritik auf den Punkt gebracht und darf sie mit freundlicher Genehmigung von Orkan Özdemir hier veröffentlichen:

Persönliche Stellungnahme von Orkan Özdemir:

Orkan Özdemir, Vorsitzender der SPD AG Migration und Vielfalt Tempelhof- Schöneberg, äußert sich zu den ersten Auszügen aus dem Buch „Neukölln ist überall“ (Bild.de, 17.09.2012) von Heinz Buschkowsky wie folgt:

„Heinz Buschkowsky ist bekannt für seine kontroversen Äußerungen, wenn es um Integrationspolitik geht. Das hat er nicht zuletzt während der Sarrazin-Debatte in ,das wird man doch wohl noch sagen dürfen‘-Manier unter Beweis gestellt. Auch meine GenossInnen und ich aus der SPD AG Migration und Vielfalt stellen uns den kritischen Fragen bzgl. der „Multi-Kulti ist gescheitert“-Debatte.


Es ist immer wieder bemerkenswert wie hartnäckig Heinz Buschkowsky, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz, das Fehlverhalten von jungen, perspektivlosen und prekarisierten Menschen auf ihre Herkunft reduziert und Problemlagen ethnisiert. Es ist bekannt, dass solch populistische Antworten auf grundlegende gesellschaftliche Probleme von der Mehrheitsgesellschaft nur zu gern als Erklärungsmodell in Anspruch genommen wird. Heinz Buschkowsky schlägt genau in diese Kerbe, wenn er Menschen mit einem bestimmten Aussehen markiert und ihnen entsprechende inakzeptable Verhaltensformen nachsagt, aber nie müde wird klarzustellen, dass er ,(…) niemals alle Einwanderer…‘ meine. Buschkowsky spielt hier ganz offensichtlich mit bestehenden Ressentiments und Rassismen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber als arabisch, türkisch und letztendlich muslimisch markierten Bevölkerungsgruppen. Dabei wird die bestehende Ursachenforschung, welche die von Buschkowsky beschriebene Situation erklären, wissentlich außer Acht gelassen und als ,intellektuelles Geschwätz‘ abgetan. Denn sonst müsste sich auch ein Heinz Buschkowsky die Frage gefallen lassen, warum dieser in über 10 Jahren als Bezirksbürgermeister von Neukölln keine nennenswert positiven Ergebnisse in den Migrantenmilieus und deren sozialen Aufstieg verzeichnen kann. Menschen sind immer Produkt ihres sozialen Umfelds. Werden Menschen in gewisse Sozialräume durch Ressentiments und Vorurteile gedrängt, kann gesellschaftliche Teilhabe und sozialer Aufstieg nicht gewährleistet werden. Es ist also eine Frage des sozialen Status und der Zukunftsperspektiven der jungen Menschen als eine Frage der ,ethnischen Herkunft‘.“

Orkan Özdemir (SPD), 19.09.2012

Spiegel TV macht wieder Stimmung

Im Mai 2012 erschien ein neuer Spiegel-TV-Beitrag zum Thema Migration in Berlin. Darin geht es um einen „lukrativen Trick mit der Gewerbeanmeldung“ (spiegel.de), durch den insbesondere Roma aus Bulgarien und Rumänien ins „Paradies Neukölln“ (spiegel.tv) gelangen würden. Die Botschaft ist eindeutig: Mit einem „Trick“ würden sich diese Menschen Zugang zu deutschen Sozialleistungen verschaffen. (Zufällig ist der Autor Hendrik Vöhringer derselbe wie von diesem Spiegel-TV-Beitrag 2011, meine Kritik dazu dort). Der neue Beitrag wird in der Beschreibung auf spiegel.de als „wertfreie Faktenanalyse“ angepriesen. Wesentliche Fakten habe ich mir darum mal genauer angesehen:

1: Der „Trick“

In der ersten Minute wird das Spiegel-TV-Publikum aus dem Off informiert:

„Viele Roma-Familien zieht es nach Berlin Neukölln. Eigentlich dürfen sie nach EU-Gesetzen nur drei Monate als Touristen hier sein, doch es gibt einen Trick: Wer ein Gewerbe anmeldet, darf unbefristet bleiben und hat Anspruch auf Sozialleistungen.“ [SpTV-Beitrag 0:47]

Die Formulierung ist missverständlich, denn es gibt keine Aufenthaltsgesetze, die sich speziell auf Roma beziehen. Außerdem ist es nicht verboten, sich spontan für eine legale Wohnsitznahme in einem EU-Land zu entschließen, denn EU-Staatsangehörige müssen sich nicht im Vorfeld festlegen, ob sie aus touristischen Gründen, zur Existenzgründung oder für ein Gaststudium ein EU-Land bereisen. Richtig ist: Für bulgarische und rumänische Staatsangehörige gelten bis 31.12.2013 aufgrund der vom deutschen Bundestag beschlossenen Einschränkung des Freizügigkeitsgesetzes hohe Hürden bei der Suche nach einem Arbeitsplatz in Deutschland. Nicht betroffen von dieser Einschränkung sind selbständige Berufe, das heißt die Anmeldung eines Gewerbes in Deutschland ist für Staatsangehörige Rumäniens und Bulgariens gesetzlich problemlos möglich. Darum führt die Ausländerbehörde Berlin auf ihrer Homepage aus, dass sich die Beschränkungen für bulgarische und rumänische Staatsangehörige auf eine „unselbstständige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung)“ beziehen. Und auch die Stadt Hamburg informiert über die Rechte rumänischer und bulgarischer Staatsangehöriger verständlich:

„Die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit ist nur abhängig von den üblichen auch für Deutsche geltenden gewerbe- und steuerrechtlichen Vorschriften und einer eventuell erforderlichen Zulassung zur Berufsausübung (z.B. bei Ärzten).“

In der „wertfreien Faktenanalyse“ von Spiegel TV wird es als „Trick“ bezeichnet, wenn Menschen in Deutschland ihr Recht auf Gewerbeanmeldung (das in behördlichen Online-Portalen nachlesbar ist) nutzen und damit folgerichtig gesetzlichen Anspruch auf eine Sozialleistung wie Kindergeld erhalten.

2: Die Anzahl der Gewerbeanmeldungen

Aus dem 2. Neuköllner Roma-Statusbericht (2012) zitiert Spiegel TV, „dass 1377 bulgarische und 1034 rumänische Personen ein Gewerbe in Neukölln angemeldet haben“. Das ist der Status Quo von März 2012, aber sind diese Zahlen besonders hoch? In Berlin melden mehrere Tausend Menschen im Jahr ohne deutsche Staatsbürgerschaft Gewerbe an, so zumindest heißt es für 2009 in einer Informationsbroschüre vom BildungsWerk in Kreuzberg (2011):

„Insgesamt wurden im Jahr 2009 von ausländischen Mitbürgern über 9.394 Gewerbe neu errichtet, was einem Anteil von 33% an allen Berliner Firmengründungen entspricht.“ (BWK-Broschüre „Erfolgreich Gründen in Berlin“, S.6)

Damit sind insgesamt 2400 von bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen betriebene Gewerbe in einem bevölkerungsstarken Bezirk wie Neukölln eher kein Skandal. Und wenn laut der BWK-Broschüre die Zahl der Neugründungen durch Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft bereits seit den 80er Jahren stetig wächst, dann sind diese Zahlen sogar einfach Ausdruck einer über 40 Jahre alten Entwicklung. Nein, Moment:

„Inzwischen bilden sich in einigen Ecken Neuköllns wahre Gewerbe-Ghettos, in der ***Str. sind 61 Firmen angemeldet. In der ***Str. zu Spitzenzeiten sogar 91. Und allein in diesem Haus in der ***Str. gibt es 73 Gewerbe auf engstem Raum“ [SpTV-Beitrag 1:26]

„Ghettos“, aha. Für Berlin, die „Gründermetropole Nr.1 in Deutschland“ (Gründerindex 2012 der Bürgschaftsbank Berlin), sind unter 100 Gewerbe pro Straße völlig gängig, wenn nicht sogar wenig: Im Online-Auftritt der Berliner Gewerbedatenauskunft lassen sich angemeldete Gewerbe für alle Berliner Straßen anzeigen und, ob in Steglitz oder Prenzlauer Berg, Neukölln oder Marzahn, es gibt selten unter 100 und oft bis zu 500 angemeldete Gewerbe pro Straße.


Ein Stempel mit regisitrierter Gewerbe-Anzahl und Herkunft, Quelle: Spiegel TV

Erst die Kombination der Zahlen mit der bulgarischen und rumänischen Nationalflagge verdeutlicht ein zentrales Anliegen des Beitrags: Die Herkunft der gewerbemeldenden Menschen. Die Einblendung eines Stempels mit den Symbolen der Herkunftsländer zur Markierung der Berliner „Gewerbe-Ghettos“ treibt die „wertfreie Faktenanalyse“ voran.

3: Der deutsche Sozialstaat

Mehrmals geht es um den Anspruch auf Kindergeld:

„Die neuen Selbständigen sind meist im Abriss- und Baugewerbe tätig. Die Bezahlung ist schlecht – wie gut, dass es noch Kindergeld vom deutschen Staat gibt.“ [SpTV-Beitrag 1:45]

„Doch es gibt Trost. Die Familie hat inzwischen die Unterlagen für das Kindergeld zusammen. Der deutsche Sozialstaat hilft da gerne.“ [SpTV-Beitrag 8:22]

Mit Ironie wird der gesetzlich zugesicherte Anspruch von gewerbetreibenden Menschen auf Kindergeld kommentiert, als würde etwas damit nicht stimmen. In diesem Sinne hat auch der Immobilienmakler Lutz Thinius „inzwischen Zweifel am System“ (SpTV-Beitrag 5:47). Dieser Mann, der sich laut Spiegel TV „um zahlreiche Roma-Familien kümmert“ (ebd.), schätzt die Situation von Roma in Berlin so ein: „Die ham’s sehr leicht“ (SpTV-Beitrag 5:57). Nur warum muss er sich dann um sie „kümmern“? Mögliche Hinweise gibt ein stern.de-Artikel von Juni 2011 über die Immobilien-Geschäfte von Thinius. (Über Hintergründe von Berliner Immobilienaktivitäten im Zusammenhang mit Notlagen bulgarischer und rumänischer Staatsangehöriger berichtete vor wenigen Tagen auch das Magazin Frontal21.) Wie ein Teil der Berliner Immobilienbranche von der Situation der Roma profitiert, darüber sagt Spiegel TV nichts, aber über den Sozialstaat darf ein Immobilienmakler in die Kamera plaudern. Und das, wo inzwischen aktuelle Forschungsergebnisse über die Zusammenhänge von Sozialleistungen und Migration vorliegen, die das populistische Vorurteil einer kausalen Verbindung blass aussehen lassen.

Fazit

Die Inanspruchnahme von geltendem Recht zur Gewerbeanmeldung in Deutschland durch bulgarische und rumänische Staatsangehörige, unter ihnen Roma, bezeichnet Spiegel TV als „Trick“. Vergleichsweise gewöhnliche Berliner Gewerbe-Zahlen werden nach Herkunft sortiert und mit Nationalkolorit-Stempeln als „Gewerbe-Ghettos“ beweisartig präsentiert. Der rechtmäßige Zugang zu Sozialleistungen wie Kindergeld wird ironisch kommentiert und ein Immobilienmakler darf mit seinen Einschätzungen das Zerrbild vom „Paradies Neukölln“ flankieren. Das ist keine Informationsvermittlung, sondern einseitige Stimmungsmache gegen soziale Grundrechte. Denn Fakten, die dem rassistischen Narrativ der „Zuwanderung in den Sozialstaat“ widersprechen, werden in dem Spiegel-TV-Beitrag genau so ignoriert, wie die profitablen Geschäfte, die einige Berliner Immoblilienbüros auf Kosten von Roma aus Rumänien und Bulgarien treiben. Was Spiegel TV hier als „wertfreie Faktenanalyse“ anbietet, verdient eher das Label „astreiner Populismus“.

Antwort von Spiegel TV: „Ihre Kritik können wir in keiner Weise nachvollziehen“

Der zuständige Redakteur Hendrik Vöhringer von Spiegel TV hat sich auf meine letzte Bitte um Stellungnahme gemeldet. Soviel vorweg: Er geht leider nicht auf meine Punkte, sondern nur auf den Offenen Brief der FFM ein. Warum, weiß ich erstmal nicht. Ich hab meine Bitte um Stellungnahme nochmal erneut geschrieben (unten), zunächst hier aber die ganze Antwort von Herrn Vöhringer:

Sehr geehrter Herr Kraft,
vielen Dank erst mal für Ihr Interesse an der Sendung. Gleichzeitig bitte ich die Verzögerung bei der Beantwortung Ihres Schreibens zu entschuldigen. Gerne hole ich das hiermit nach.

Ihre Kritik an dem Beitrag können wir in keiner Weise nachvollziehen, Ihre Vorwürfe einer einseitigen Berichterstattung weisen wir entschieden zurück. Uns geht es um die Beschreibung von sozialen, politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Missständen. Die Herkunft oder Nationalität von Personen spielen für uns keine Rolle. Wir lassen uns von Rudolf Augstein leiten: „Sagen, was ist.“

Konkret zu dem Filmbeitrag: Finden Sie es nicht auch seltsam, wie übrigens auch das Neuköllner Gewerbeamt in Berlin, dass allein in der Harzerstrasse über 90 Gewerbeanmeldungen vorliegen? Wie Sie dem Beitrag entnehmen können, ist es uns sehr schwer gefallen, die angeblich selbstständigen Unternehmer ausfindig zu machen. Wenn jemand ein Gewerbe anmeldet, dann kann man doch davon ausgehen, dass er/sie auch Arbeit/Aufträge finden will. Wie soll das aber gehen, wenn keiner Werbung macht? Wenn teilweise die Meldeadressen nicht stimmen?

Weiter möchten wir darauf hinweisen, dass die Gewerbedatenbank in Berlin für die Öffentlichkeit frei zugänglich ist. Es handelt sich hier also keineswegs um geheime Daten. Hier der dazu passende Link: https://www.berlin.de/gewerbeauskunft/eauskunft/ega?op=su

Außerdem möchten wir Sie darauf hinweisen, dass in dem Beitrag die Begriffe „Illegale“, „Scheinselbstständige“ und „Sozialschmarotzer“ (wie von Ihnen behauptet) nicht vorkommen. Dass wir mit unserer Berichterstattung „Pogrome auf Roma“ begünstigen würden, glauben Sie doch selbst nicht. Gerne verweisen wir auch auf die Beurteilung des Deutschen Presserates auf eine Beschwerde vom 28.9.2011. Hier heißt es unter anderem: „Einen Verstoß gegen die Menschenwürde können wir nicht erkennen, da die dargestellten Personen nicht herabgewürdigt oder in irgendeiner Form verächtlich dargestellt werden.“ Weiter heißt es: „Diskriminierend ist der Beitrag nach unserer Auffassung ebenfalls nicht. Das Aufzeigen von Problemen gehört zu den ureigensten Aufgaben des Journalismus. (…) Unserer Auffassung nach wird an keiner Stelle in dem Video die Ethnie an sich diskriminierend dargestellt oder in den Vordergrund gerückt.“ (Quelle: Deutscher Presserat vom 13.1.2012)

Wir haben schon mehrere Beiträge über die Situation der Minderheiten in Rumänien erstellt. Über das Elend, über die Not in diesem Land. Und auch über die Diskriminierung. Im Anhang haben wir Ihnen weitere Beispiele
unserer journalistischen Arbeit angefügt.

Mit freundlichen Grüßen

Anhang:
http://www.spiegel.de/video/video-1146038.html
http://www.spiegel.de/video/video-1040327.html
http://www.spiegel.de/video/video-1080433.html

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Hendrik Vöhringer

SPIEGEL TV GmbH

Meine Antwort:

Sehr geehrter Herr Vöhringer,

danke für Ihre Antwort. Leider bezieht die sich auf den Offenen Brief der “Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V.”, wie mir Ihre Zitate zeigen. Auf meine Kritikpunkte gehen Sie jedenfalls nicht ein, vielleicht verwechseln Sie die beiden Briefe. Um Ihnen das erneute Nachlesen zu ersparen, fasse ich meine drei Kernpunkte mit wiederholter Bitte um Ihre Stellungnahme zusammen und gehe bei der Gelegenheit auch auf Ihr Schreiben ein:

1.
Die Liste vom Gewerbeamt ist öffentlich, Gewerbe werden gewöhnlich beworben, da gebe ich Ihnen Recht. Sicherlich sind die Daten nicht geheim, aber angesichts der Stimmung und der Perspektive, die Sie in Ihrem Beitragstitel “Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße” bereits vorgeben, geschieht das ungeschwärzte Einblenden der Adressliste ja in einem bestimmten Kontext. Ihre Überschrift mit den Signalworten “Bukarest” und “Rumänien” widerspricht augenscheinlich Ihrer Aussage in der Mail “Die Herkunft oder Nationalität von Personen spielen für uns keine Rolle”. Für die Logik Ihres Beitrags ist es eben wesentlich, den “deutschen Sozialstaat” auf der einen und die rumänischen Einwander*innen auf der anderen Seite als Gegensatzpaar zu konstruieren. Und in diesem Zusammenhang ist das Einblenden der ungeschwärzten Liste mit Adressen dieser Einwander*innen kein neutrales Abbilden, sondern hoch problematisch. Warum haben Sie die Namen nicht geschwärzt oder einfach auf die Quelle im Internet verwiesen?

2.
Damit bin ich bei Ihrem Zitat von Augsteins Worten “Sagen, was ist.” Ich interpretiere diese als Bekenntnis zu intensiver journalistischer Recherche für Beiträge mit (neuem) Informationsgehalt. Dazu zähle ich nicht Ihr in dem Beitrag gezeigtes Filmen rumänischer Einwander*innen, die ganz klar erkennbar signalisieren, nicht gefilmt werden zu wollen (auch nicht, wenn ihre Adressen als Gewerbe gemeldet sind). Warum haben Sie für die Sendung nicht wenigstens die Gesichter dieser Menschen, darunter Minderjährige, unkenntlich gemacht?

3.
Über die Menschen, die Sie mit der Adressliste bei laufender Kamera suchen, heißt es gleich zu Beginn aus dem Off, die meisten seien Roma, die sich selbst “ț***”, “Z***” nennen. Sodann ist in Ihrem gesamten Beitrag mit Blick auf die gefilmten Menschen ausschließlich von “Z***” die Rede — das heißt Sie nehmen die rumänische Bezeichnung einiger Individuen untereinander als Grundlage für den undifferenzierten deutschen Begriff “Z***” und nutzen diesen, als sei er völlig neutral. Ist Ihnen bewusst, dass die Benutzung des N-Worts unter Schwarzen nicht bedeutet, dass diese und andere Menschen im deutschen Fernsehen mit dem N-Wort bezeichnet werden wollen? Können Sie sich vorstellen, dass Menschen, die sich untereinander “țigani” nennen, von Ihnen im deutschen Fernsehen nicht mit dem deutschen Wort “Z***” bezeichnet werden wollen?

Die von Ihnen angeführten Zitate des Presserats (dessen Arbeit wichtig und wertvoll ist) beantworten im konkreten Fall keine meiner Fragen. Darum bitte ich Sie erneut darum.

Übrigens, ist Ihnen bekannt, dass ‘Pro Deutschland’ für einen tausendfach in Berlin verteilten Flyer einen Screenshot Ihres besagten Beitrags unter der Überschrift ‘Spiegel TV schlägt “Z***alarm”‘ verwendet — und dass auf diesem Flyer ein Mann zu sehen ist, der von Ihnen gegen seinen Willen gefilmt wurde?

Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Kraft.

Das Schweigen der Spiegel-TV-Redaktion

Seit meiner Kritik an dem Beitrag von Spiegel TV sind vier Monate vergangen. Das andauernde Schweigen der Spiegel-TV-Redaktion beantworte ich mit einem weiteren Versuch:

Sehr geehrter Herr Vöhringer, sehr geehrter Herr Schindler,

Anfang November 2011 teilte mir Frau Bote aus Ihrer Redaktion mit, Ihnen meine Kritik an Ihrem Beitrag „Klein-Rumänien in der Harzerstraße“ mit Bitte um Beantwortung weitergeleitet zu haben. Seit vier Monaten warte ich auf Ihre Antwort. Für den betreffenden Beitrag haben Sie mehrere Menschen gegen deren offensichtlichen Willen gefilmt, deren Gesichter, darunter von Minderjährigen, öffentlich ausgestrahlt und eine Liste sensibler privater Daten von Menschen ungeschwärzt eingeblendet. Warum beziehen Sie nicht Stellung zu dieser, Ihrer, journalistischen Praxis?

Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Kraft

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Siehe auch:

Demo in Neukölln — für Solidarität mit Roma und gegen Rassismus

Letzten Samstag bewegte sich bei schönem Frühlings-Vorgeschmack-Wetter die Demo gegen Rassismus durch Berlin Neukölln. Wesentlicher Auslöser für die Demo waren Flyer, die der Berliner Ableger von „Pro-Deutschland“ in den letzten Tagen in Neuköllner Hausbriefkästen warf. Darin hieß es u.a., Roma würden „mehrheitlich nicht arbeiten und von unseren Steuergeldern leben“. Als Quelle für diese Behauptung nannte „Pro Berlin“ den tendenziösen Spiegel-TV-Bericht von 2011 und betitelte den Flyer: „Spiegel TV schlägt „Z***alarm“.“

Um ein Zeichen zu setzen gegen den in Deutschland sichtbar erstarkenden Rassismus gegenüber Roma, der von den Mainstream-Medien bzw. der „Mitte“ der Gesellschaft nahtlos zum rechten Rand reicht, sind ca. 500 Menschen (erwartet waren 300) durch Neuköllns Norden demonstriert. Redebeiträge gab es von unterschiedlichen Vereinen und Bündnissen (würde die gern hier verlinken, für Skripte bin ich dankbar).

Unterwegs reihten sich viele Menschen in den Zug ein, um sich mit lauter Musik und dem Motto „Willkommen in Neukölln — willkommen zu Hause!“ auf Romanes, Rumänisch und Deutsch bemerkbar zu machen. Tanzend fand die Demo in der Dämmerung ihren Ausklang.