Rumäniens brüchiges Image

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Von landläufigen Ansichten


Der insbesondere in Italien durch sensationsorientierte Medienberichterstattung entstandene Image-Schaden Rumäniens braucht Schuldige: Den „***nern“ wird vorgeworfen, den Ruf des Landes zu schänden. Auch in der deutschen Presse ist nun von der Kampagne zu lesen (William Totok: „***ner“ statt „Roma“), die eine komplette Streichung der Bezeichnung Roma zugunsten des auch in Rumänien negativ konnotierten Begriffs „***ner“ fordert.

Per Mail kursiert die Aufforderung, die Online-Petition der Kampagne zu unterzeichnen. In der Mail findet sich auch ein Begründungstext in rumänischer Sprache (hier als pdf). Unter anderem heißt es dort:

„Wenn der italienische Bürger beispielsweise einen Artikel liest, in dem die Termini „Rumäne“ und „Rom“ abwechselnd auftauchen, ist klar, dass das in eine Verwechslung mündet, die nach und nach zur mentalen Überlagerung der beiden Bezeichnungen führt. Wenn sich diese Überlagerung einmal festgesetzt hat, funktioniert sie auch in umgekehrter Richtung; daher hören wir in den Stadions die Fans einer gegnerischen Mannschaft rufen „***ner, ***ner“, womit sie sich auf die Rumänen beziehen.“

Auffällig oft wird in dem Text die italienische Orthographie verwendet – wobei mir nicht klar ist, ob dies eine absichtliche Andeutung sein soll oder vielleicht ein unbeabsichtigter Hinweis auf die Muttersprache des unbekannten Verfassers ist. Allemal wird hier fleißig um den Ruf der „rumänischen Nation“ gefürchtet – auf den weiteren fünf Seiten der unerträglichen Hetzschrift werden die „ethnischen Eigenheiten“ der Roma beleuchtet, die zur Begründung ihres „nicht-europäischen“ Wesens führen. Die Ansicht, dass „***ner eine Plage für das Land“ seien, ist in Rumänien weit verbreitet und wird auch von nahezu allen nachdenkenden Menschen geteilt, die sich selbst als fortschrittlich und europäisch bezeichnen. Für alle Probleme wird reflexartig „der ***ner“ als Schuldiger angeführt.

Auch in der Revista 22 (Ausgabe 12/993) wird die Image-Krise Rumäniens thematisiert – und das ohne eine einzige rassistische „***ner-Darstellung. Der Artikel „Was hat Abtreibung mit gewalttätigen Rumänen zu tun?“ von Lucetta Scaraffia in der Il Reformista wurde aus dem Italienischen ins Rumänische übersetzt (hier online), um den rumänischen LeserInnen das Bild eines dunklen, bedrohlichen Märchenlandes zu präsentieren, das in der italienischen Presse gezeichnet wird. Dabei fehlen im Bild von Signora Scaraffia die „***ner“ oder Roma komplett (nanu, wir dachten, die sind am Schmutzbild Rumäniens Schuld?). Für sie sind einfach die Rumänen (ja) alle potentielle Kriminelle, denn sie stellt einfach die These auf, dass das Abtreibungsverbot vor 1989 eine Menge vermeidbarer Rumänen hervorbrachte, die heute ohne Perspektive ihr Land verlassen müssten. Dieses gedankliche Fabrikat untermalt sie mit Beschreibungen einer Reise durch das Land, dem es an Hoffnung, Blumen und frischem Brot fehle (nochmal ja). Für sie ist es kein Wunder, dass die Rumänen, denen unter Ceauşescu die Seele ausgelöscht wurde, heute aus diesem Land emigrieren. Am Ende des Artikels empfiehlt Lucetta Scaraffia ihren Lesern tatsächlich eine Reise nach Rumänien, um sich von den trostlosen Zuständen dort zu überzeugen.

Die Revista 22 hat daneben den offenen Brief („Ein unanständiger Artikel“, hier auf Rum.) eines Italieners an den Chef der Il Reformista abgedruckt. Der Rumänischprofessor Giovanni Casadio zeigt sich in dem sehr ausführlichen Text entsetzt über die mentale Exkursion von Lucetta Scaraffia, und besonders darüber, dass andere Menschen daran teilhaben müssen.

Wohlgemerkt spielt sich dieser ganze Zirkus nicht an irgendeinem weit entfernten Ort oder bei heimlichen Treffen einer rechtspopulistischen Gruppe ab – nein, wir befinden uns in Europa. Und das bedeutet, dass man eine Gesetzesinitiative im Geiste des 19. Jh. zur Umbenennung einer ethnischen Gruppe startet, weil diese sonst dem nationalen Ansehen schade – und das bedeutet auch, dass in der Presse über einen EU-Mitgliedsstaat geschrieben wird, als handele es sich um ein gerade entdecktes, von Wilden bewohntes Territorium.

Rumäniens Image leidet gewaltig unter dem in Italien von der Presse verbreiteten Schwachsinn, aber offenbar ist auch dort eine Diskussion möglich. Den größten Schaden würde sich aber der rumänische Staat selbst zufügen, wenn er auch nur ansatzweise auf die populistische und rassistische Forderung einginge, die Roma per Gesetz nur noch „***ner“ zu nennen. Denn in Ländern jenseits von Italien bröckelt das rumänische Image oft genug wegen rassistischer Gebärden gegenüber den Roma. Damit könnte Schluss sein.

Die Kritik innerhalb Rumäniens nimmt zu

Zwischen Markt und Ethik


Im Artikel Roma sein und Zeitung lesen deutete ich die tendenziöse Form der Berichterstattung über den Mord an Marian Cozma an. Offenbar wird das niedrige journalistische Niveau der rumänischen Presse im eigenen Land als flächendeckendes Phänomen wahrgenommen, so dass den Medien dort vom rumänischen Zentrum für Unabhängigen Journalismus (Centrul Pentru Jurnalism Independent) letzte Woche eine unmissverständliche Rüge erteilt wurde: In einem Appell an die Verantwortung der Journalisten forderte die Organisation die rumänischen Presseorgane auf, sich an journalistische Standards zu halten. In dem kurzen, von zahlreichen NGOs mitgetragenen Aufruf wird explizit der Fall Marian Cozma und die Ressentiments schürende Berichterstattung erwähnt, sowie ein zweiter medialer Missgriff: Ein Fußballspieler des FC Botoşani hatte als Opfer einer Gewalttat die Presse informiert, er sein von einer Gruppe Roma zusammengeschlagen worden. Bei der Polizei sagte er später aus, er habe gelogen – die Täter waren keine Roma. Von den rumänischen Medien war die zuvor gemachte Aussage bereits ohne eigene Recherchen übernommen worden, der erlogene Hinweis auf die ethnische Einordnung der Täter als „Roma“ wurde effektiv an die Kioske und in die Wohnzimmer Rumäniens verteilt.

Die Situation der rumänischen Presse hat nichts mit besonders rumänischen Eigenheiten zu tun. Bis heute lassen sich angesichts der niedrigen Löhne für Journalisten die meisten rumänischen Tageszeitungen, bis auf zwei oder drei, dem Niveau der deutschen BILD-Zeitung zuordnen. Mit Sensations-Journalismus ist das meiste Geld zu verdienen, das nicht unbedingt in der Redaktion aufgeteilt wird. Wohlgemerkt befindet sich ein Großteil der rumänischen Printmedien in deutschem, österreichischem und schweizer Privatbesitz – der südosteuropäische Absatzmarkt floriert im Schmierblattgeschäft und davon haben insbesondere die Unternehmen außerhalb Rumäniens einen Vorteil. Was die Unterordnung unter eine deutsche Verlagsgruppe für die Pressefreiheit in Rumänien bedeuten kann, wurde 2004 deutlich, als die deutsche WAZ Mediengruppe einer rumänischen Zeitung in ihrem Besitz die Themen und sogar den Chefredakteur diktierte (hierzu berichteten taz und telepolis).

Die Übernahme rumänischer Medien durch deutsche Verlagsgruppen bringt also nicht automatisch mehr Pressefreiheit für Rumänien, sondern sogar das Gegenteil kann der Fall sein. Die Defizite der rumänischen Presse können nur in Rumänien konstruktiv diskutiert werden – und die kritischen Anmerkungen von Organisationen wie dem Centrul pentru Jurnalism Independent oder der Agenţia de Monitorizare a Presei sind der Beweis, dass in Rumänien mehr funktioniert, als vielleicht in Deutschland angenommen wird.

Roma sein und Zeitung lesen

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Zur Ethnisierung von Kriminalität in der Pressesprache


Der rumänische Handballspieler Marian Cozma wurde in der ungarischen Stadt Veszprém in der Nacht zum 8.2. in einer Diskothek ermordet. Im World Wide Web bieten verschiedene Autoren ihre Ideen zum Tathergang und den Motiven an. Den kleinsten gemeinsamen Nenner haben aber fast alle Meldungen in der expliziten Feststellung, dass es sich bei den Tätern um Personen „der Ethnie Roma“ gehandelt habe. Auf der rumänischen Online-Nachrichtenseite hotnews.ro wird am Morgen nach dem Vorfall in einer Meldung ein Zitat übernommen, in dem von „einer Gruppe [***]ner“ oder auch „einigen [***]ner mit Pistolen“ die Rede ist. Ein Zusammenhang zwischen dieser Bezeichnung der Täter und dem eigentlichen Artikel-Thema ist nicht erkennbar. Der Artikel liefert keine Hintergrundinformationen zu dem Mord, stattdessen werden die Täter ethnisch kategorisiert. Es entsteht der Eindruck, die Einordnung der Täter als Roma würde die Fragen nach den Hintergründen der Tat beantworten.

Das gleiche rumänische Nachrichtenportal Hotnews.ro beschäftigte sich gestern, am 11.2., mit den Äußerungen eines ungarischen Soziologen, der auf den anti-Roma-Rassismus der Ungarn hinweist. Die Ressentiments der ungarischen Mehrheitsbevölkerung gegenüber den Roma würden bereits das Niveau bürgerkriegsähnlicher Zustände erreichen. Der Mord an Cozma dürfte auf keinen Fall zu „verallgemeinernden Schlussfolgerungen“ gegenüber den Roma führen, ist in dem rumänischen Artikel zu lesen, als es um den ungarischen Rassismus gegenüber Roma geht.

Ebenso am gestrigen Mittwoch berichtete die Süddeutsche Zeitung von dem Mord. Hier heißt es: „Ihren rassistischen Kontext bekommt die Tat dadurch, dass solche Messerattacken tatsächlich als typische Racheakte von Roma-Banden gelten.“ Was genau daran nun Roma-typisch sein soll, einen Mann zu erstechen, wird nicht geschrieben. Und wer überhaupt diese Behauptung in den Raum gestellt hat, diese Tat sei Roma-typisch, bleibt auch unklar – stattdessen wird das Bild der messerstechenden Roma einfach weiterverbreitet. Zumal es ein paar Zeilen weiter heißt, es sei „ungeklärt, ob die Täter Roma waren“. Der Artikel trägt den Namen „Stich ins Herz“. Und eine Unterüberschrift: „Ungarn und Rumänien streiten nach dem Mord an einem Handballprofi“. Aber von dem Streit ist im Text nirgends die Rede. Stattdessen heißt es, die Rumänen seien „gerührt über das Mitleid der Mehrheit der Magyaren mit ihrem Handball-Legionär“ – die Trauer um Cozma lässt demnach Ungarn und Rumänen einander näherkommen. Der reine Informationsgehalt dieses Zeitungsartikels ist mager und verwirrend zugleich. In Ungarn wie in Rumänien wird die Stimmung gegenüber Roma vermutlich angespannt sein, begünstigt durch die jeweils einheimische Berichterstattung. Die Süddeutsche Zeitung leistet ihren Beitrag für die deutschsprachige Leserschaft.