Das Schweigen der Spiegel-TV-Redaktion

Seit meiner Kritik an dem Beitrag von Spiegel TV sind vier Monate vergangen. Das andauernde Schweigen der Spiegel-TV-Redaktion beantworte ich mit einem weiteren Versuch:

Sehr geehrter Herr Vöhringer, sehr geehrter Herr Schindler,

Anfang November 2011 teilte mir Frau Bote aus Ihrer Redaktion mit, Ihnen meine Kritik an Ihrem Beitrag „Klein-Rumänien in der Harzerstraße“ mit Bitte um Beantwortung weitergeleitet zu haben. Seit vier Monaten warte ich auf Ihre Antwort. Für den betreffenden Beitrag haben Sie mehrere Menschen gegen deren offensichtlichen Willen gefilmt, deren Gesichter, darunter von Minderjährigen, öffentlich ausgestrahlt und eine Liste sensibler privater Daten von Menschen ungeschwärzt eingeblendet. Warum beziehen Sie nicht Stellung zu dieser, Ihrer, journalistischen Praxis?

Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Kraft

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Siehe auch:

Demo in Neukölln — für Solidarität mit Roma und gegen Rassismus

Letzten Samstag bewegte sich bei schönem Frühlings-Vorgeschmack-Wetter die Demo gegen Rassismus durch Berlin Neukölln. Wesentlicher Auslöser für die Demo waren Flyer, die der Berliner Ableger von „Pro-Deutschland“ in den letzten Tagen in Neuköllner Hausbriefkästen warf. Darin hieß es u.a., Roma würden „mehrheitlich nicht arbeiten und von unseren Steuergeldern leben“. Als Quelle für diese Behauptung nannte „Pro Berlin“ den tendenziösen Spiegel-TV-Bericht von 2011 und betitelte den Flyer: „Spiegel TV schlägt „Z***alarm“.“

Um ein Zeichen zu setzen gegen den in Deutschland sichtbar erstarkenden Rassismus gegenüber Roma, der von den Mainstream-Medien bzw. der „Mitte“ der Gesellschaft nahtlos zum rechten Rand reicht, sind ca. 500 Menschen (erwartet waren 300) durch Neuköllns Norden demonstriert. Redebeiträge gab es von unterschiedlichen Vereinen und Bündnissen (würde die gern hier verlinken, für Skripte bin ich dankbar).

Unterwegs reihten sich viele Menschen in den Zug ein, um sich mit lauter Musik und dem Motto „Willkommen in Neukölln — willkommen zu Hause!“ auf Romanes, Rumänisch und Deutsch bemerkbar zu machen. Tanzend fand die Demo in der Dämmerung ihren Ausklang.

DiePresse.com, ein deutscher Schriftsteller und die „***ner“

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Die Rehabilitation des Begriffs „***ner“ in der deutschen Sprache scheint in vollem Gange. Der in Deutschland auch als Schimpfwort verbreitete Terminus wurde im September 2011 mal eben von Spiegel-TV-Reportern zum journalistischen Arbeitsbegriff erhoben, und zwar mit der Begründung, rumänische Roma nannten sich ja „țigani“ untereinander. Im österreichischen online-Portal DiePresse.com heißt es seit 12.01.2012:

„Das Wort Rom beleidigt mich, nenn mich [***ner]!“ – Ein deutscher Schriftsteller hat auf dem Balkan recherchiert und meint nun: Das Wort „***ner“ ist zu Unrecht verpönt.

Das Problem an dem Artikel: Die Diskussion, die bereits seit Jahren in Rumänien zu dem Thema existiert, wird einfach ignoriert, und damit auch die Kritik an der in dem Presse-Artikel formulierten Position. Seit Tagen tippe ich immer wieder folgenden Kommentar unter den Artikel bei DiePresse.com:

Sehe ich es richtig, es geht darum „Wir, die Nicht-Roma sollen wieder [***ner] sagen dürfen“? Aufhänger ist, was ein „deutscher Schriftsteller“ von seiner „Balkanreise“ mitbringt. Und die (lange währende, alte) Debatte innerhalb Rumäniens wird damit einfach weggewischt? Hier mal die Gegensicht aus Rumänien (kein_e deutsche_r Schriftsteller_in) von Delia Grigore: „Warum rrom und nicht tigan“ (De ce rrom si nu tigan). Sie erläutert die Geschichte und Bedeutungen beider Begriffe und führt aus, dass viele Sprecher_innen des Romanes eher zu „Roma“ tendieren, weil es im Romanes das Wort „tigani“ nicht gibt. „Tigani“ ist aus der Sprache der Nicht-Roma und in Rumänien verbunden mit den Wortbedeutungen „Sklaven“, „Leibeigene“. Warum fehlen solche kritischen Bezüge, die immerhin die Debatte vor Ort widerspiegeln, warum ist der Aufhänger, was deutsche in Rumänien „recherchieren“?

Mein Kommentar ist nach 6-maligem Eintippen über mehrere Tage verteilt bis heute nicht unter dem Artikel erschienen. Meine Nachfrage via twitter und eine andere per e-Mail blieben unbeantwortet. Ich weiß nicht so recht warum.

Portal gegen Rechts attestiert SPIEGEL-TV-Beiträgen „Antiziganismus“¹

Die fragwürdigen zwei SPIEGEL-TV-Berichte über Einwander_innen aus Rumänien (sibiuaner berichtete: 1, 2 und 3) hat Linda Polónyi gestern unter dem Titel „Spiegel antiziganistischer Vorurteile“ für das vom STERN und der Amadeu Antonio Stiftung betriebene Portal „MUT GEGEN RECHTE GEWALT“ aufgegriffen. Sie kommt zu dem Schluss:

Während die Berichterstattung deutscher Zeitungen und Magazine zu dieser Thematik in den letzten Monaten wesentlich differenzierter ausfiel, als dies noch bis vor Kurzem der Fall war, fällt der Spiegel mit diesen beiden Reportagen weit hinter die Ansprüche an eine professionell demokratischen Berichterstattung zurück. Die Art von Meinungsmache, wie sie in diesen Berichten betrieben wird, ist nicht nur bedenklich, sondern auch potentiell gefährlich. Sie füttert ein seit Jahrhunderten tradiertes Bild von den Sinti und Roma an, das weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht und die Grundlage der Anerkennung von Ausgrenzung, Ausweisung und mangelnder Bekämpfung von Angriffen auf Roma in ganz Europa bildet. Vom Spiegel hat man mehr erwartet. Bisher war Spiegel-TV nicht bereit, ein Statement zu den Berichten abzugeben. (Zitiert aus: „Spiegel antiziganistischer Vorurteile“.)

Seit dem 06.09.2011 warte auch ich auf eine Antwort von SPIEGEL TV (u.a. zu diesen Kritikpunkten) und wurde auf weiteres Nachfragen gebeten, die Anfrage erneut zu senden. Am 09.11.2011 schließlich erhielt ich eine Antwort aus der Abteilung „Zuschaueranfragen“. Darin hieß es, meine Anfrage samt Bitte um Beantwortung sei an die zuständigen Redakteure weitergeleitet worden. Zudem wurde ich um Verständnis gebeten, „wenn es etwas dauert, da die Redakteure sehr selten im Hause sind.“ Seitdem nichts.

Das öffentliche Interesse an Rassismus in Deutschland ist nach den Ereignissen und Enthüllungen um den NSU zweifellos gestiegen, viele Medien zeigen sich stärker sensibilisiert dafür als vorher. Trotzdem wird Rassismus weniger in seinen alltäglichen Erscheinungsformen, sondern weiter vornehmlich im Zusammenhang mit Rechtsextremismus thematisiert (Einige Bemerkungen zur aktuellen Debatte um die Morde des NSU). Im Quoten-Wettbewerb zum Thema NSU wurde übrigens die SPIEGEL-Gruppe vom Deutschen Journalistenverband dafür kritisiert, dass sie für einen Exklusivzugriff auf das NSU-Bekennervideo Geld gezahlt haben soll (Nazi-DVD: Mediengeschäft mit Terror). SPIEGEL TV strahlte dann auch als erstes Medium in Deutschland Auszüge aus dem NSU-Bekennervideo aus. Auf Anfragen zum Thema Rassismus in der eigenen Berichterstattung von SPIEGEL TV heißt es aber weiter: abwarten.

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¹ Den Begriff habe ich nachträglich mit Anführungszeichen versehen, da ich ihn hier eindeutig als Zitat markieren möchte. Zur Kritik am Begriff vgl. z.B. Demirova, Filiz: „Wer spricht in der Antiziganismusforschung“.

Rassismus und Datenschutzverstöße bei SPIEGEL TV?

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

In meinem veröffentlichten Schreiben an SPIEGEL TV behauptete ich über den SPIEGEL-TV-Bericht „Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße“:

„Der Titel, wie auch der gesamte Bericht, lassen reflektierte Berichterstattung und journalistische Sorgfalt vermissen“.

Mit solchen Fällen beschäftigt sich eigentlich der Presserat, der ist aber für TV-Beiträge nicht zuständig, also kann ich dort keine Beschwerde einreichen. Mir ist es aber wichtig, die tendenziöse Berichterstattung des Beitrags und die meiner Meinung nach vorliegenden Verstöße gegen journalistische Standards zu diskutieren, darum werde ich konkret und liste zentrale Punkte meiner Kritik hier im Detail auf:

Verwendung des Begriffs „[***]ner“ der rassistischen Fremdbezeichnung von Rom_nija :

    1. SPIEGEL TV behauptet, diese Menschen würden sich als „ț[***]“ bezeichnen, bleibt aber einen Beleg dafür schuldig.
    2. Der Begriff „[***]ner“ Die deutsche Übersetzung des Begriffs wird von Roma-Repräsentant/innen (in D und international) mehrheitlich abgelehnt. Der Begriff ist bis heute negativ konnotiert (vgl. N-Wort) und beschreibt ein Machtverhältnis, denn der Begriff ist keine Eigen-, sondern eine Fremdbezeichnung. Darum bleibt es immer ein Unterschied, ob der Begriff aus einer privilegierten Position heraus für andere Menschen verwendet oder von Menschen für sich selbst verwendet wird. Die individuelle Bezeichnung von Menschen untereinander als „ț[***]“ reicht nicht als Begründung, um Menschen von einer Außenperspektive aus zu einem Kollektiv unter der Bezeichnung „[***]ner“ zusammenzufassen, aber so macht SPIEGEL TV aus einer individuellen Selbstbezeichnung eine kollektive Fremdbezeichnung.
    3. Der Begriff „ț[***]“ ist rumänisch und „[***]ner“ ist deutsch. Rumänien und Deutschland haben ähnliche, aber jeweils eigene rassistische Kontexte, in denen die Begriffe bis heute Bestand haben. Genau wie seine deutsche Übersetzung ist „ț[***]“ in Rumänien aufgrund seiner rassistischen Begriffsgeschichte und der bis heute mitschwingenden Konnotation in der Öffentlichkeit heftig umstritten und wird von den meisten Roma-Verbänden abgelehnt. In Rumänien waren „ț[***]“ bis ins 19. Jahrhundert Sklaven, das heißt der Begriff transportiert ganz konkrete rassistische Machtverhältnisse, und zwar gerade in seiner Funkion als Fremdbezeichnung. Die Übersetzung und Gleichsetzung des rumänischen mit dem deutschen Begriff ist also nicht sauber und insbesondere die unkritische Aneignung des Begriffs in einem deutschen journalistischen Kontext sehr problematisch.


Rumänische Ausschreibung über den Verkauf von „[***]ner-Sklaven“ aus dem Jahre 1852, Quelle: Wikipedia

Verallgemeinernde, diffamierende und teils rassistische Beschreibungen der gezeigten Menschen zulasten einer Betrachtung ihrer konkreten, individuellen Situationen:

    1. „Clan“ und „Treck“: Die Begriffe „Clan“ und „Treck“ können in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben, von denen aber definitiv keine aus dem gezeigten TV-Beitrag hervorgeht. Stattdessen werden beide Begriffe assoziativ verwendet, indem sie sich nicht auf die gezeigte Situation beziehen, sondern als Assoziationen zu den gezeigten Menschen. So wird eine Familie ohne erkennbaren Grund zu einem „siebenköpfigen Clan“ bei SPIEGEL TV. Außerdem werden die in dem Beitrag angesprochenen „über 90 Gewerbeanmeldungen“ zum „Armutstreck“, gar sei der „Treck der Armutsflüchtlinge aus Osteuropa nicht mehr aufzuhalten“.
    2. „Hinter den vielen Gewerbeneugründungen steckt offenbar System“: Das ist eine Behauptung bzw. eine Gefühlsäußerung, denn einen Beleg bleibt SPIEGEL TV schuldig.
    3. „(…) eigentlich kennt man sich“: Diese Behauptung bleibt entgegen der Aussagen von Betroffenen im Raum stehen.
    4. „Die xyz“: Mittels oberflächlicher und subjektiver Beschreibungen von „Ruhestörung“, „Dreck“, „Diebstahl“ oder das Beziehen von Sozalleistungen werden Vergehen, Fehlverhalten oder Regelverstöße einzelner Menschen suggeriert. Die einseitigen Beschreibungen transportieren eine Vorverurteilung, aber damit nicht genug wird die Ebene des Konkreten, Sichtbaren verlassen und im Kommentar stets allgemein Bezug auf „die Roma“ oder „die [***]ner“ genommen. Die Verbindung von Handlungen einzelner Individuen mit einer abstrakten Gruppe ist ein Kernmerkmal von Rassismus.
    5. „(…) so bleiben Kinder für viele [***]ner die einzig feste Einkommensquelle (…) mehr Nachwuchs bedeutet mehr Euro.“: Im Beitrag selbst werden viele einzelne, kinderlose, männliche Menschen vorgestellt, die im Widerspruch zu dieser Behauptung stehen. Dass „[***]ner“ ihre Kinder zur „Einkommensquelle“ machen wird also verallgemeinernd behauptet, obwohl sich in dem Bericht selbst mehrere Beispiele für das Gegenteil finden. Die Stabilität rassistischer Stereotype wird an ihrer Immunität gegenüber Fakten deutlich.
    6. „Die nächste Welle von Armutsflüchtlingen ist schon im Anmarsch“: Diese bedrohliche Behauptung von SPIEGEL TV bleibt ohne Belege.
    7. „Die Einwanderungswelle in den Westen hat gerade erst begonnen“: Diese apokalyptische Behauptung von SPIEGEL TV bleibt ohne Belege.

Verletzung der Privatsphäre und des Schutzes personenbezogener Daten

    1. Mehrere Menschen werden deutlich erkennbar gegen ihren Willen gefilmt und in dem SPIEGEL-TV-Beitrag unverpixelt gezeigt.
    2. Die Liste des Gewerbeamtes, die den SPIEGEL-TV-Journalisten als Grundlage für die Suche nach Menschen in einem Berliner Mietshaus dient, wird ungeschwärzt in dem Bericht eingeblendet, so dass persönliche Daten wie Namen, Berufe und Wohnadressen der Betroffenen für alle Zuschauer/innen des Beitrags erkennbar sind.

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siehe auch: Portal gegen Rechts attestiert SPIEGEL-TV-Beiträgen „Antiziganismus“,
Antwort von Spiegel TV: “Ihre Kritik können wir in keiner Weise nachvollziehen”