Ihr Bukarest-Konzert hätte so unspektakulär an allen vorbeigehen können. Aber dann fühlte sich ein Teil des Publikums (und nun offenbar auch Medien) auf den Schlips getreten, weil Madonna Intoleranz kritisierte.
Ich weiß nicht, wie das Madonna-Konzert vorgestern in Bukarest war. Ich war nicht dabei. Es gab wohl organisatorische Probleme. Für einige Zehntausend der 60.000 verschwand die Pop-Queen zeitweise hinter einer Wand von Bukarester Straßenstaub. Ärgerlich, denn Madonna ist nicht oft in der rumänischen Hauptstadt. Aber es gibt viel Interessanteres von dem Konzert zu berichten.
Madonna sprach bewusst ein Thema an, das nun auch die rumänische Presse bewegt. Offen verurteilte sie die Diskriminierung von Roma in Rumänien und erntete dafür spontane und deutliche Buh-Rufe aus dem Publikum:
http://www.youtube.com/watch?v=Whsgf_Bb3bw
„I’ve been paying attention to news-reports and it’s been brought to my attention that there is a lot of discrimination against Romanies and Gypsies in general, in Eastern Europe. And that makes me feel very sad. Because we don’t believe in discrimination against anyone. We believe in freedom and equal rights for everyone. Right? Gypsies, homosexuals, people who are different, everyone is equal – and should be treated with respect. Ok? Let’s not forget that.“
Dann setzten Geigen ein. Madonna machte weiter im Programm und überhörte das Missfallen. Was bleibt, ist die Verstörung. Im Publikum hatte niemand mit einer politischen Aussage der Künstlerin gerechnet, man wollte nur Spaß haben.
Es ist sicher nicht ganz unverständlich, dass sich das rumänische Publikum von der selbstinszenierten Weltretterin keine Unterrichtsstunden in Nächstenliebe geben lassen will. Madonna kennt Rumänien nicht, auch nicht „Eastern Europe“, außer vielleicht aus den „news-reports“. Aber sie ist nun mal ein Mensch und hat als dieser auch eine Meinung, die sie sagen kann, wo sie will – auch auf Arbeit.
„Es war nicht der richtige Moment für so etwas.
Wir waren dort auf einem Konzert und hätten
uns also auch amüsieren müssen.“ Gândul
Der „Sportler“ Ilie Năstase nahm Madonnas Rassismus-Kritik offenbar nicht so sportlich, was Gândul eine Meldung wert ist. Der Journalist Cristian Tudor Popescu meint gar:
„Das ist eine Sache des Konsumentenschutzes. Der Konsument des von Madonna gelieferten künstlerisch-medialen Produktes hat dafür bezahlt, eine Show zu hören und zu sehen und nicht, um einem politischen Lehrgang beizuwohnen wie bei Ştefan Gheorghiu.“ (Gândul)
„Was die [***]ner und Homosexuellen betrifft, sollen sie doch Madamme Madonna innig lieben“ Gândul
Klar. Solange Madonnas Musiker und Tänzerinnen, unter ihnen auch Roma, fleißig den Konsumwunsch nach Unterhaltung bedienen, gibt’s Applaus. Aber sobald Madonna die faktisch nun einmal existierende Diskriminierung dieser Gruppe anspricht, macht sie sich unbeliebt. Wohlgemerkt nicht nur beim Publikum, sondern bei den Medien (Gândul ist nur ein Beispiel, die Reaktionen sind überall weitestgehend gleich). Man hat nichts gegen die Romni, solange sie nur tanzt. So funktioniert Zirkus ja nicht nur in Rumänien.
Der Wunsch an Madonna, ihre antirassistische Botschaft für sich zu behalten, wäre verständlicher, wenn in Rumänien wenigstens eine Auseinandersetzung über die Diskriminierung der Roma stattfinden würde. Aber da das nicht der Fall ist, kann diese mediale Erregung nur als Teil einer andauernden Tabuisierung des rumänischen Rassismus gesehen werden. Auch wenn es für Madonna kein großer Aufwand ist, die humane Missionarin zu spielen – die profanen Reflex-Reaktionen darauf zeigen, wie wenig man bereit ist, diese Ansage in Rumänien mal als Anlass für eine kritische Selbstbetrachtung zu nehmen. Madonna ist aber nicht die erste, die das erfahren muss.
In Deutschland braucht niemand den Zeigefinger nach Rumänien richten. Eine hier etablierte political correctness überdeckt den offenen Rassismus. Es ist nicht schick, über Roma zu hetzen, das heißt aber nicht, dass in Deutschland der Rassismus verschwunden ist, er ist nur unsichtbar. Die Alltagspräsenz rassistischer Vorurteile in Deutschland wird deutlich, wenn man sich die Tagesspiegel-Berichte über die Roma in Berlin zu Gemüte führt (Collage von Markus End: „Kokettes Berlin“ →pdf aus der Zeitschrift Hinterland) oder auch im Supermarktregal das Etikett so manch scharfer Sauce genau betrachtet. Madonna hätte also auch in Deutschland Grund, bei ihren Konzerten auf die alltäglichen Vorurteile gegenüber Sinti und Roma hinzuweisen. Sie müsste aber intensiver danach suchen. Beziehungsweise ihre Berater.
Dass Roma-Hass kein osteuropäisches Phänomen ist und hierzulande auch bis vor kurzer Zeit noch offener anzutreffen war, wurde in einer Diskussionsrunde im SWR2 am 24.8.2009 thematisiert.
Sowohl offener als auch latenter Rassismus müssen, zum Beispiel mit der Aufdeckung von Vorurteilen, bekämpft werden. Und wenn ein Weltstar die Bühne nutzt, um sich gegen Diskriminierung zu positionieren, kann das doch begrüßt werden. Ob das nur Teil der Selbstvermarktung ist, wird man nie ganz klären können. Die Diskussion ist eröffnet, mal sehen, wie sie weiter verläuft.