Dürfen Deutsche ungeschminkt Juden spielen?

So, nochmal Schlosspark-Theater. In Beiträgen pro Blackface wird die Diskussion oft auf die Frage runtergebrochen „Wenn Deutsche nun nicht mehr Schwarze spielen dürfen, können sie dann auch nicht mehr xyz spielen?“ (Hallervorden selbst fragt: „Darf Hallervorden einen Juden spielen, obwohl er kein Jude ist?“)

1. Die Frage ist scheinheilig, denn die Praxis hat bereits geantwortet: Deutsche dürfen alles. Die Blackface-Aufführung findet problemlos statt, mit breiter Rückendeckung von Theatern und deutschen Medien. Die Norm („dürfen“, „sollen“, „können“) steht gar nicht infrage, sondern ist solide verankert: Ja, in Deutschland wird Schwarzsein mit Blackface auf die Bühne gebracht. So what? It’s Deutschland!

2. Soll die Diskussion suggerieren, Schwarzsein und Deutschsein oder Jüdischsein und Deutschsein seien Gegensätze? Schließt Deutschsein denn Schwarzsein oder Jüdischsein aus? Ich dachte, die Zeiten sind vorbei. Wie war das nochmal mit den neuerdings rassismuskritischen Medien?

3. Die Frage lenkt vom Problem ab, denn die Kritik bezieht sich gar nicht aufs „Spielen“, sondern auf die Bemalung. Die rassistische Handlung ist nicht, dass x eine_n y spielt, sondern woran primäre, in diesem Fall als gruppen-/ ethno-/ rassetypisch konstruierte, Merkmale einer Figur für das Publikum sichtbar festgemacht werden. (Und was dadurch überhaupt an primären Merkmalen [re]konstruiert wird.) Wenn es nur ums Spielen ginge, bräuchte es keine (wohlgemerkt „Haut“!-)Farbe. Deutsche sollen spielen was sie wollen, aber die Bemalung eines weißen Schauspielers, also die Rassifizierung einer Figur über das Merkmal „Farbe“ aus der weißen Perspektive ist das Problem. Deutsche weiße können auch Juden spielen, aber wenn sie sich dafür mit einer speziellen Nase maskieren wollten, dann wäre das auch rassistisch.

„Farben“, Nasengrößen, Schädelformen o.ä. sind ja wohl unbestritten Kriterien zur rassistischen Einteilung von Menschen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret in Deutschland (huch) und nicht nur mehr historisch. Und diese unsägliche Debatte konstruiert zusätzlich nebenbei Deutschsein=Weißsein und Schwarzsein=Schminke auf weißem? Warum werden nochmal Menschen in Deutschland gejagt und ermordet? Achso, wegen ihres Aussehens. Das ist ja nur „Farbe“, hab ich im Theater gesehen, die kannst du dir abwaschen! Oh, leider nur als weißer.

Diese Schminke rekonstruiert (im doppelten Sinne, praktisch und abstrakt) ein rassistisches Kriterium. Der Vorgang des Schminkens suggeriert, Schwarzsein sei eine Frage von 30 Minuten Schminkprozess. Hunderte Jahre Sklaverei, Unterdrückung, Kolonisation und gegenwärtige Rassismuserfahrung kann ich mir einfach ins Gesicht schminken. Weil ichs kann. Ich bin weiß. Vielen Dank für den Applaus.

Schwarze wissen bereits, was weiße mit ihrem Recht, ihrer Freiheit, ihren Privilegien alles „können“. In der Haltung „Diskussion egal, Schwarzsein ist nur Schminke“ steckt keine neue Errungenschaft, sondern ein historisches Privileg. Glückwunsch.

Es geht nicht darum, ob etwas rassistisch ist. Es geht darum, wie ich damit umgehe, wenn mich jemand darauf hinweist, dass in meiner Handlung Rassismus sichtbar wird. Es ist gar keine Frage, ob Deutsche Juden, Muslime, PoC (People of Colour) spielen „dürfen“. Sie können es sogar sein! Aber wer sich eine Nase aufsetzt, um Jüdischsein zu „spielen“, oder wer sich mit Schuhcreme schminkt, um Schwarzsein zu „spielen“, sollte dankbar sein für den Hinweis, dass das rassistisch ist. Besonders in Deutschland.

Die Macht Rassismus zu definieren

Die öffentliche Kritik an der Methode des Blackface, die aktuell im Schlossparktheater Berlin eingesetzt wird, erhält breite mediale Aufmerksamkeit. Allerdings geht es immer mehr um die Frage, wer etwas rassistisch findet oder nicht und warum. Ob etwas überhaupt rassistisch sein kann, wenn es nicht so gemeint ist, wird gefragt. Oder ob heute noch rassistisch ist, was „früher“ rassistisch war. Problematisch ist nicht nur die verklärte Vorstellung von Rassismus, die sich in diesen scheinbar unschuldigen Fragen zeigt, sondern insbesondere, dass kaum Stimmen der von Rassismus Betroffenen selbst zu hören sind. Mehrheitlich diskutieren weiße Deutsche. Das heißt weiße Deutsche tauschen sich darüber aus, ob sie sich selbst rassistisch finden oder nicht. Das ist keine Diskussion, sondern das ist das Problem.

Es geht nicht darum, was irgendwelche weißen Deutschen fühlen, wenn sie sich selbst anmalen und damit Schwarze „spielen“, sondern es geht darum, ob die, die sowas machen, sich ernsthaft mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen wollen oder nicht. Eine mögliche Haltung ist: Nein. Rassismus interessiert mich nicht (als gegenwärtiges Phänomen) und auch nicht das Verhältnis zwischen meinem Handeln und Rassismus. Eine andere mögliche Haltung ist: Ich höre insbesondere Betroffenen von Rassismus mal zu und erkenne die Realität an, dass Rassismus eine wesentliche Rolle in meiner Umwelt spielt. Ob ich mich selbst als rassistisch definiere hat dafür überhaupt keine Bedeutung. Dann erkenne ich an, dass ich mit (bewussten oder unbewussten) Unsensibilitäten selbst als Teil einer rassistischen Struktur funktioniere, und dass es dafür nämlich gar nicht notwendig ist, mich selbst rassistisch zu finden. Und erst recht als Betreiber von Blackface auf deutschen Bühnen nehme ich mal zur Kenntnis, dass die Menschen, die ich glaube „spielen“ zu können, eine eigene Perspektive haben.

Die erste Haltung scheint die aktuelle Debatte zu dominieren. Es gäbe ja kein Problem mit Rassismus, das sei ja alles nicht so gemeint. Die Verteidiger_innen von Blackface zeigen sich unbeeindruckt von Menschen mit konkreten Rassismuserfahrungen und von den Stimmen derer, die mit dem Blackfacing „gespielt“ werden sollen. Genau das ist ein Wesensmerkmal von Rassismus: weiße allein wollen festlegen, was Rassismus ist.
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Leseempfehlungen zum Thema:
Kunst, Herrschaft und Rassismus,
Deutscher Werberat: historische Amnesie im Fall Schlosspark Theater / Hallervorden / Blackface

Rassismus in der Sprache

Plötzlich werden rassistische Formulierungen der deutschen Sprache einem kritischen Blick unterzogen, das ist sehr zu begrüßen. Begriffe, die gestern noch für reißerische Schlagzeilen in Print und Fernsehen sorgten, werden von vielen dieser Medien jetzt kritisch reflektiert. Erschütternd ist, dass offenbar erst dieser unglaubliche Fall mit vielen Toten und behördlichen Verstrickungen bekannt werden musste, damit sich eine breitere Öffentlichkeit für deutschen Alltagsrassismus interessiert.

Es könnte auch sein, dass die auffällig rassismuskritische Haltung vieler Medien nur ein Hype ist, der mit abnehmender Aktualität der Ereignisse wieder verfliegt. Hoffentlich aber nicht. Alltagsrassismus und dessen Wirkung auf die Sprache hätten viel mehr Sensibilität verdient in Deutschland.

Hans-Peter Friedrich und die Islamisten

mitverantwortlich


Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich fordert das „Ende der Anonymität im Netz“ und formuliert in dem Zusammenhang noch andere Gedanken:

Für die Bildung einer aggressiven islamfeindlichen Bewegung in Europa macht der CSU-Politiker auch Islamisten mitverantwortlich. „Man muss auch sehen, dass der Missbrauch des Islam durch islamistische Gewalttäter dazu beigetragen hat.“ (SpOn)

Diese Kausalkette ist äußerst fragwürdig, denn Ursache und Wirkung werden durcheinandergebracht. Warum problematisiert Friedrich nicht die islamfeindliche Bewegung mit ihrer Gleichsetzung von Islamisten und Islam? Warum kritisiert er nicht den rassistischen Denkansatz, mit dem von einzelnen Islamisten auf alle Muslime geschlossen wird?

Die Straftaten sogenannter Islamisten können gar keine Erklärung für Islamhass sein, denn der Auslöser rassistischer Reaktionen ist ja nicht für den Rassismus verantwortlich. Das Problem liegt allein in der rassistischen Struktur selbst, also dort, wo der Rassismus herkommt, dort, wo von einzelnen Islamisten auf den ganzen Islam verallgemeinert wird.

Statt den Fokus auf islamistische Gewalttäter zu richten, obwohl er über die rassistischen Reaktionen spricht, könnte Friedrich einfach den Rassismus selbst als Problem benennen. Aber er kritisiert fehlende Anonymität im Netz.

Zeit für pfandgeben.de

Von einer „Idee“


In den letzten Tagen wird ein „praktisches Tool“ für Leute, die „keinen Bock mehr auf Berge von Pfandflaschen“ haben als „starkes Projekt„, nämlich „für eine gute Sache“ angepriesen. Dahinter steht der Berliner Student Jonas Kakoschke. „Er sah die vielen bedürftigen Flaschensammler und hatte eine Idee„.

Die Idee: Zugang zu bisher ungenutzten Ressourcen ermöglichen für Menschen, die auf das Sammeln von Pfandflaschen angewiesen sind, und zwar indem sie ihre Handynummer in die Online-Maske von pfandgeben.de eintippen. Die Handynummer ist dann eine unter mehreren online einsehbaren Nummern und wer Pfandflaschen aus der Wohnung loswerden möchte, ruft einfach eine davon an.

Das durchgehend positive Echo spricht für das Projekt, die Community ist sich offenbar einig, überall ist vom potentiell großen Nutzen die Rede. Ich finde allerdings, in der positiven Stimmung gehen ein paar Gedanken unter.

Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass pfandgeben.de ohne Punkt gelesen „Pfandgebende“ heißt. Leute, die auf Pfand nicht angewiesen sind, können bequem Gutes tun, „Gebende“ sein. Pfandgebende. Der positive Nebeneffekt für die Pfandgebenden ist, dass ihre Küche oder das Büro entmüllt wird.

Das ist keine neue Idee, sondern uralt. Die Win-Win-Situation resultiert aus der Nutzbarmachung eines sozialen Missstandes, eines Abhängigkeitsverhältnisses, bei dem die eine Seite optional handelt (Ich muss meine Pfandflaschen ja nicht vergeben) und die andere Seite angewiesen ist (Ich muss Flaschen sammeln für meine Existenzsicherung). Auf diesem Missverhältnis basiert unsere ganze Gesellschaft, es ist Konsens. Millionen Menschen stehen morgens auf, um tagsüber ihr Existenzminimum durch Lohnarbeit zu sichern, das wissen wir. Aber das wird hinterfragt, gerade von jüngeren Menschen, die sich neue Formen des Broterwerbs im Zusammenhang mit dem Internet zu erschließen versuchen. Deshalb müsste pfandgeben.de, wo fremde Menschen für mich Flaschen aus meiner Wohnung tragen sollen und ausdrücklich meine Bequemlichkeit als Anreiz dient, eigentlich zu Diskussionen anregen. Oder sollen wir uns sogar gut dabei fühlen, dass wir großzügig Leute anklingeln und diese unser Leergut wegtragen lassen?

Der Kern von pfandgeben.de, Andere für sich die Flaschen wegschleppen zu lassen, ist keine neue Idee. Neu ist vielleicht, dass sowas im Rahmen von Social-Media eine Infrastruktur erhält, mit der jenseits vom gesteuerten „Arbeitsmarkt“ die Rahmenbedingungen gegeben werden, soziale Abhängigkeitsverhältnisse Web-2.0-tauglich zu nutzen. Der breiten Zustimmung nach zu urteilen war es Zeit für pfandgeben.de. Im nächsten Schritt käme dann ein Bewertungssystem. Stellen wir uns „like“- oder „+1“- Buttons vor, mit denen wir die „Pfandsammler“ dann benoten.