Zeit für pfandgeben.de

Von einer „Idee“


In den letzten Tagen wird ein „praktisches Tool“ für Leute, die „keinen Bock mehr auf Berge von Pfandflaschen“ haben als „starkes Projekt„, nämlich „für eine gute Sache“ angepriesen. Dahinter steht der Berliner Student Jonas Kakoschke. „Er sah die vielen bedürftigen Flaschensammler und hatte eine Idee„.

Die Idee: Zugang zu bisher ungenutzten Ressourcen ermöglichen für Menschen, die auf das Sammeln von Pfandflaschen angewiesen sind, und zwar indem sie ihre Handynummer in die Online-Maske von pfandgeben.de eintippen. Die Handynummer ist dann eine unter mehreren online einsehbaren Nummern und wer Pfandflaschen aus der Wohnung loswerden möchte, ruft einfach eine davon an.

Das durchgehend positive Echo spricht für das Projekt, die Community ist sich offenbar einig, überall ist vom potentiell großen Nutzen die Rede. Ich finde allerdings, in der positiven Stimmung gehen ein paar Gedanken unter.

Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass pfandgeben.de ohne Punkt gelesen „Pfandgebende“ heißt. Leute, die auf Pfand nicht angewiesen sind, können bequem Gutes tun, „Gebende“ sein. Pfandgebende. Der positive Nebeneffekt für die Pfandgebenden ist, dass ihre Küche oder das Büro entmüllt wird.

Das ist keine neue Idee, sondern uralt. Die Win-Win-Situation resultiert aus der Nutzbarmachung eines sozialen Missstandes, eines Abhängigkeitsverhältnisses, bei dem die eine Seite optional handelt (Ich muss meine Pfandflaschen ja nicht vergeben) und die andere Seite angewiesen ist (Ich muss Flaschen sammeln für meine Existenzsicherung). Auf diesem Missverhältnis basiert unsere ganze Gesellschaft, es ist Konsens. Millionen Menschen stehen morgens auf, um tagsüber ihr Existenzminimum durch Lohnarbeit zu sichern, das wissen wir. Aber das wird hinterfragt, gerade von jüngeren Menschen, die sich neue Formen des Broterwerbs im Zusammenhang mit dem Internet zu erschließen versuchen. Deshalb müsste pfandgeben.de, wo fremde Menschen für mich Flaschen aus meiner Wohnung tragen sollen und ausdrücklich meine Bequemlichkeit als Anreiz dient, eigentlich zu Diskussionen anregen. Oder sollen wir uns sogar gut dabei fühlen, dass wir großzügig Leute anklingeln und diese unser Leergut wegtragen lassen?

Der Kern von pfandgeben.de, Andere für sich die Flaschen wegschleppen zu lassen, ist keine neue Idee. Neu ist vielleicht, dass sowas im Rahmen von Social-Media eine Infrastruktur erhält, mit der jenseits vom gesteuerten „Arbeitsmarkt“ die Rahmenbedingungen gegeben werden, soziale Abhängigkeitsverhältnisse Web-2.0-tauglich zu nutzen. Der breiten Zustimmung nach zu urteilen war es Zeit für pfandgeben.de. Im nächsten Schritt käme dann ein Bewertungssystem. Stellen wir uns „like“- oder „+1“- Buttons vor, mit denen wir die „Pfandsammler“ dann benoten.

Kristina Schröder, Hartz IV und ein Gerichtsurteil

Hartz und nicht herzlich

So reagierte Kristina Schröder auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Hartz-IV-Sätze für Kinder im Februar 2010:

http://www.youtube.com/watch?v=JkA0joRSadA

„Klarer Handlungsauftrag“, „tatsächliche Lebenswelt vieler Familien mit Kindern berücksichtigt, die auf Hartz IV angewisen sind“, „Bedürfnisse der Kinder“, „kindsspezifischem Bedarf gerecht werden“ … zählen alle diese Äußerungen nicht mehr? Kristina Schröder fragt per Tweet: „Eine Familie in Hartz IV, 2 Kinder, erhält inkl. Elterngeld 1885 € vom Staat. Netto! Ist das gerecht gegenüber denen, die arbeiten?“

Dieser Frage, die mich an Westerwelles Dekadenz-Rhetorik erinnert, liegt die Einteilung von Menschen mit niedrigem Einkommen in zwei Gruppen zugrunde: „Arbeitende“ und „Hartz-IV-Bezieher“ (bzw. sogar „Hartz-IV-Familien“). Die Tatsache, dass beide Gruppen eigentlich Teil derselben sind, die von sehr wenig Geld leben müssen, führt bei Frau Schröder nicht etwa zu der Frage, wie diese Menschen mehr Einkommen erhalten könnten, sondern zur Frage, ob 1885 Euro für vier Personen „gerecht“ (im Sinne von „in dieser Höhe gerechtfertigt“) sind. Ist die politische Welt so billig, das politische Verständnis einer Ministerin für Familie (!) so primitiv, dass ernsthaft eine Logik nicht nur gebilligt, sondern forciert wird, nach der unterbezahlte Lohnabhängige die Sozialleistungen einer vierköpfigen Familie missbilligen sollen? An welche ekelhaften Ressentiments soll mit so einer Frage appelliert werden?

In einer halbwegs aufgeklärten Gesellschaft werden die Menschen nicht auf billigen Populismus hereinfallen – und sich nicht von Frau Schröder, Herrn Westerwelle und Co in sozial Schwache mit Arbeitsplatz (Menschen die nicht nach „Freibier fragen“) und sozial Schwache ohne Arbeitsplatz (Menschen die nur auf „Freibier“ warten) einteilen bzw. spalten lassen. Schon gar nicht durch Menschen, für die Hartz IV ein Arbeitsbegriff ist, ein Werkzeug, und nicht Lebensrealität.

Mal sehen, ob das Bundesverfassungsgericht zu den neuen Sparplänen auch was sagt. Und dann wieder Frau Schröder. Und dann wieder … Demokratie 2010.

Achja, ich glaube ja, es geht so aus: Frau Schröder wird sagen, sie hat das nicht selbst getweetet, das war ein Mitarbeiter … [update] nein, es geht doch anders aus: Während Frau Schröder mit BLick auf die zu hohe Höhe des Elterngeldes bei twitter an den Gerechtigkeitssinn appelliert, erzählt sie Journalisten was anderes – Elterngeld für Hartz-IV-Familien war eh „systemwidrig“. Aha, verfassungswidrig geht nich, das entscheiden nämlich andere (siehe Video oben), also „systemwidrig“. Na da haben Frau Schröder und die Familien nochmal Glück gehabt, dass dank des Sparpakets nun eine Systemwidrigkeit aufgefallen ist.


Jörg Marx und Johnny Haeusler widmeten den Tweet-Äußerungen Kristina Schröders bereits Beiträge. Lesenswerte Kommentare zu den Schröderschen Kinderkürzungen gibt es auch im genderblog, bei Zivilschein, Volker König und unqualifiziert.net.