[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistischen Fremdbezeichnung von Rom_nija]
Was die rumänische Presse aus der Stimmung in Italien macht
Die Agenţia de Monitorizare a Presei ist eine respektierte und gefürchtete Nichtregierungsorganisation in Rumänien, die zahlreiche Analysen zur Situation der rumänischen Presse und den journalistischen Rahmenbedingungen im Lande erstellt. Eine neuere Veröffentlichung ist der Presseberichterstattung über rumänische Roma in einem ganz speziellen Zusammenhang gewidmet: Kriminalität in Italien. Dafür wurden anhand der online-Ausgaben von drei rumänischen Tageszeitungen (Evenimentul Zilei, Jurnalul National und Libertatea) die Nachrichten der ersten Novembertage 2007 zu dem in Rom verübten Mord an Giovanna Reggiani unter die Lupe genommen.
Der Analyse zufolge (ausführlich hier als PDF, rumänisch) widmen sich die rumänischen Nachrichten in erster Linie den diplomatischen Verstimmungen zwischen Rumänien und Italien, dem „Phänomen“ der Kriminalität von rumänischen Staatsbürgern sowie dem Vorhaben, „kriminelle EU-Bürger“ aus Italien abzuschieben. So würde laut Bericht der in den italienischen Medien angestimmte Zusammenhang zwischen Kriminalität und nicht-italienisch-Sein ohne faktische Grundlage übernommen.
Weit weniger sei hingegen von den „xenophoben Attacken“ gegenüber rumänischen Staatsbürgern in Italien berichtet worden. Außerdem gibt Anlass zum Nachdenken, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung von den rumänischen JournalistInnen mehrheitlich missachtet worden sein soll – die rumänische Presse hätte damit aus dem rumänischen Tatverdächtigen bereits einen Täter gemacht, ganz im Sinne populärer Ansichten in Italien. Im Zusammenhang damit steht offensichtlich, dass der Mann den Roma (in den Zeitungen nicht selten als „[***]ner“¹ tituliert) zugeordnet wurde, die in den analysierten Artikeln fast nur in negativen Kontexten thematisiert werden (Vergewaltigung, Diebstahl, Verbrechen, Mord, Bettelei …). Mehrfach soll in den betrachteten Zeitungsberichten die Sorge um den Ruf Rumäniens im Ausland zur Geltung gebracht worden sein.
Das Ergebnis der Analyse lautet, dass in Rumänien eine professionelle Berichterstattung des Mordfalls verfehlt wurde, da mehrfach folgende Verstöße gegen journalistische Standards begangen wurden:
- Missachtung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung
- Irrelevante ethnische Kategorisierung des Tatverdächtigen
- Zitieren unbestätigter Daten und ohne Quellenangaben
- Generalisierung von Fakten auf der Grundlage eine Einzelfalles
- Weglassen wichtiger Informationen
Die italienischen wie auch die rumänischen Medien haben laut Analyse die in Italien arbeitenden Nicht-ItalienerInnen zu „Immigranten“ stilisiert und damit das EU-weit gewährte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes ausgeblendet. Aus einem einzelnen Verbrechen wurde, so das Ergebnis weiter, ein allgemeines „Phänomen“ rumänischer/romischer Kriminalität konstruiert. Abschließend heißt es:
Die mediale Aufbereitung des „Falles Mailat“ kann als eine Meisterleistung journalistischen Unvermögens betrachtet werden. Die rumänischen Publikationen haben nahezu ausschließlich die mit der italienischen Presse gelieferten Informationen weiterverbreitet
Das Thema ist hochaktuell – ein in Italien wegen Vergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens angeklagter rumänischer Staatsbürger sagt laut heutiger Meldung aus (hier auf Englisch), er sei von italienischen und rumänischen Beamten unter Ausübung körperlicher und psychischer Gewalt zu einem Geständnis gezwungen worden.
Zwischen dem rumänischem Innenminister und seinem italienischen Amtskollegen stehen Gespräche bevor.
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¹ Begriff zur rassistischen Fremdbezeichnung von Rom_nija nachträglich entfernt.