Abwerfend

Plus Minus


Am stärksten im östlichen Europa ging 2009 Rumäniens Kaufkraft zurück, nämlich um 5%, meldete Standart.at (auf Grundlage von APA) am 17.3.2010.



Ein Geben und Nehmen. (Quelle: sxc.hu)


Der Inhalt soweit: RumänInnen konsumierten 2009 weniger als 2008, wobei sich konkrete Ursachen aus der Zahl nicht erschließen lassen (Armut? Sparsamkeit? Nachdenklichkeit?).

Aber: Ist denn die sinkende Kaufkraft schlecht für „die Wirtschaft“? Nicht für die deutsche: Rewe meldete, auch am 17.3.2010, einen prima 2009er Umsatz, „voraussichtlich über dem Rekordergebnis 2008„.

Mit ihren Billas und Penny-Märkten ist die Rewe Gruppe in den letzten Jahren europaweit ordentlich expandiert. So heißt es zum Beispiel in der hauseigenen Pressemitteilung: „…in Rumänien zeigt sich die Leistungskraft von Penny mit jetzt 99 Filialen in der schnellen und konsequenten Expansion“.



Der Bürgermeister Gheorghe Ile eröffnet in seiner Stadt Vulcan (Hunedoara) am 10.7.2007 den ersten Supermarkt, einen Penny-Markt. (Quelle: servuspress.ro)


Außerdem heißt es bei Rewe: „Die Anzahl der Märkte in Europa erhöhte sich im Jahr 2009 um 5 Prozent“, aber: „Insgesamt waren im vergangenen Jahr 326.000 Mitarbeiter und damit 2 Prozent mehr als im Vorjahr bei der REWE Group europaweit beschäftigt.“ (beides hier)

Also: Mehr Filialen mit weniger Angestellten. Was für ein Zufall, wenn Rewe selbst mitverantwortlich wäre für die sinkende Kaufkraft in Rumänien. Schnell und konsequent.

Gewerkschaft droht Dacia mit Streik

Die rumänischen Arbeiter wollen auch etwas von den Dacia-Gewinnen


Laut einer Meldung von RFI Romania sind die Verhandlungen am Montag zwischen Gewerkschaftsführervize Ion Iordache und Unternehmensvertretern von Dacia gescheitert. Für die rund 14.000 Arbeiter in Mioveni werden 20% mehr Lohn gefordert, so RFI.

Die seitens der rumänischen Renault-Tochter Dacia in den Verhandlungen angebotene Lohnerhöhung sei laut Iordache unbefriedigend gewesen. Den Formalitäten entsprechend werde noch die Antwort des Generaldirektors abgewartet, sowie mit regionalen Vertretern gesprochen, aber der Arbeitskampf wurde von den Gewerkschaftern offiziell eröffnet.

Ion Iordache habe die Lohnerhöhungen mit dem hohen Gewinn Dacias im Jahre 2009 gerechtfertigt. Tatsächlich scheint das letzte Jahr für das Unternehmen ertragreich gewesen zu sein: zum Beispiel berichtete N24 von den Preissenkungen bei Dacia, die vom Unternehmen mit den guten Verkaufszahlen gerechtfertigt worden sein sollen.

Den letzten großen Streik erlebte Dacia vor zwei Jahren. Zwei ausführliche deutschsprachige Artikel dazu: Der Fall Dacia (Stéphane Luçon, Le Monde Diplomatique, Übersetzung aus dem Französischen), Auf der Aufholspur (Komisch, wurde umbenannt, hieß vorher „Auf der Überholspur“) (Philipp Lichterbeck, Tagesspiegel).

update:(10.2.2010)
Offenbar sind die Gespräche zwischen Gewerkschaft und Generaldirektor am gestrigen Dienstag auch gescheitert. Das berichtet masini.ro unter Berufung auf eine Agenturmeldung. Ion Iordache, stellvertretender Vorsitzender der Dacia-Gewerkschaft SAD (Sindicat Automobile Dacia), soll von „großen Schritten in Richtung Streik“ gesprochen haben. Weiter wird er zitiert:

„Die Führung stellt ihre Arroganz unter Beweis, wenn sie die Dacia-Angestellten mit der Arbeitslosen-Situation in Rumänien zu erschrecken versucht. Wir haben solide Argumente für unsere Forderungen, denn 2009 war ein exzeptionelles Jahr für Dacia und 2010 kündigt sich als ebensolches an.“ (Zitiert/ übersetzt von hier.)

Die Gewerkschaft fordert 520 Lei (ca. 125 Euro) mehr für jeden Dacia-Arbeiter im Monat, was etwa 20% des derzeitigen Lohns entspricht. Das Unternehmen wollte nur einer Lohnerhöhung von maximal 170 Lei (ca. 40 Euro) zustimmen. Abzuwarten bleibt nach den mündlichen Absagen nun die formale Antwort des Unternehmens auf die schriftlich eingereichten Forderungen. Diese wird für Mittwoch erwartet.

update: (11.2.2010)
Die Verhandlungen dauern an. Die angebotene Lohnerhöhung wurde seitens Dacia von 170 auf 200 Lei aufgestockt, Iordache gibt sich bisher damit nicht zufrieden. Derweil widmen sich andere Medien der rumänischen Erfolgsstory: Dacia war im Jahre 2009 offenbar die einzige Automarke der Renault-Gruppe, die Profit abwarf. Daran dürfte die deutsche Abwrackprämie nicht ganz unschuldig gewesen sein – denn Deutschland war Dacias größter Absatzmarkt. Hier soll Dacia über 85.000 der rund 300.000 hergestellten Autos verkauft haben (in Rumänien dagegen nur gut die Hälfte mit 45.000 verkauften Wagen).

update: (2.3.2010)
Mit großer Verspätung sei darauf hingewiesen, dass seit 17.2.2010 eine Einigung im Arbeitskampf zwischen dem Dacia-Konzern und den Arbeitern feststeht. Mit der Androhung von Streik wurde eine Lohnerhöhung von 300 Lei (gut 70€) erwirkt, die im kommenden in diesem Jahr jedem rumänischen Dacia-Arbeiter winken soll.

Heute wird gemeldet, dass für die Dacia-Angestellten sogar zwei Samstagsschichten neu eingeführt werden, um der großen Nachfrage nach neuen Dacia-Modellen gerecht zu werden.

Signal, 22.1.2010

Film und Realität


In einem Beitrag in der Frankfurter Rundschau (online) am 19.1. wies Ernest Wichner auf ein frisch erschienenes Buch über Siegfried Jägendorf, „Rumäniens Schindler“, hin: Der Wundertäter von Moghilev.

Ebenfalls am 19.1. gab es im dROMa-Blog eine Meldung samt weiterführenden Informationen und Links zur italienischen Minderheitenpolitik: Größte Roma-Siedlung Italiens wird abgerissen.

Im Nachrichtenportal npr widmete sich Howie Movshovitz am 11.1. dem rumänischen Regisseur Corneliu Porumboiu (Poliţist, adj., A fost sau n-a fost) und dessen Gedanken über seine Arbeit: In Romania, A Quest For Clarity Between The Lines.

Rumänisches Judentum und die Gegenwart

Ein paar Zeilen zum neuen Mahnmal und zu Andrei Oişteanu


Bei einestages.spiegel.de erschien neulich ein Interview mit dem Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz anlässlich der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Bukarest. Dabei fiel mir ein neulich gelesenes Interview mit dem rumänischen Hebraisten und Religionshistoriker Andrei Oişteanu ein (wegen Benz‘ einleitender Feststellung, Rumänien habe in den letzten Jahren große Fortschritte bei der eigenen Vergangenheitsbewältigung gemacht und wegen seiner abschließenden Bemerkung, dass Rumänien nach Deutschland im intensivsten Maße am Juden- (und Roma-) mord beteiligt gewesen war).

Die „Dilemateca“, das Magazin der Dilema Veche, führte im Oktober ein Gespräch mit Oişteanu. Neben den Inspirationen für seine Rockband in den 60er und 70er Jahren wie auch einigen Gedanken zu Mircea Eliade und der Hippie-Bewegung, fand ich insbesondere Oişteanus Gedanken zur gegenwärtigen Situation des rumänischen Judentums interessant. Angesprochen auf sein Buch über die „imaginären Juden“ äußert er sich zufrieden über die jüngsten Entwicklungen in der rumänischen Politik, Gesellschaft und in den Massenmedien. Hier sieht er Rumänien als positives Beispiel im Vergleich zu Ungarn, wo gegenwärtig eine extrem-rechte Bewegung an Einfluss gewinnt. Rechte rumänische Parteien aus den 90er Jahren, wie die PUNR (Partidul Unităţii Naţionale a Românilor) seien inzwischen vergessen, die Vatra Românească kenne heute kein Student mehr. Sogar Parteien wie die PRM und die PNG sieht Oişteanu heute als politische Randerscheinungen. Lediglich eine Organisation wie die ASCOR (Asociaţia Studenţilor Creştini Ortodocşi din România) mit ihren sehr rechtsgerichteten, xenophoben und homophoben Ansichten zählt er zu den unangenehmen Erscheinungen der Gegenwart. Im Gegensatz zu anderen Ländern habe sich aber laut Oişteanu zumindest die offen nationalistische und antisemitische Stimmung der 90er Jahre inzwischen gelegt. Die Frage nach dem latenten Rassismus in Rumänien bleibt dabei natürlich unbeantwortet.

Andrei Oişteanu hat sich als erster rumänischer Wissenschaftler systematisch mit der Rolle des rumänischen und europäischen Antisemitismus in der rumänischen Kultur befasst, den er als historischen Bestandteil der nationalen rumänischen Identität rekonstruierte. Für seine Arbeit trug Oişteanu eine große Menge an Quellenmaterial zusammen, mit dem er zeigt, wie der „imaginäre Jude“ als kulturelle Negativ-Blaupause für alles „Unrumänische“ herhielt. „Imaginea Evreului“ ist inzwischen in den USA auf Englisch erschienen, eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit.

Oişteanus Hoffnung ist es, die Geschichte und gegenwärtige Situation der jüdischen Gemeinde Rumäniens in der Welt bekannter zu machen. Die rumänischen Juden blieben bisher weitgehend unbeachtet – obwohl dort mit 800.000 Mitgliedern im Jahre 1939 zeitweise eine der weltweit größten jüdischen Gemeinschaften lebte. Heute leben laut Volkszählung rund 8000 Juden in Rumänien.

Aber seine Arbeit zur Geschichte der rumänischen Juden möchte Oişteanu weder als einfachen historiografischen Abriss noch als ethnozentrischen Blick verstanden wissen, sondern als Versuch einer möglichst objektiven Betrachtung des Stereotypen-Inventars zum „evreul imaginar“. Der imaginäre Andere und jene kulturell tradierten Ausgrenzungsmechanismen, die Oişteanu rekonstruiert, sind aber nicht nur in Rumänien anzutreffen. Mit den regionalen Facetten des rumänischen Antisemitismus demonstriert Oişteanu ein Phänomen, das, in verschiedenen Formen weltweit verbreitet, im Kern immer gleich ist. Darum hat sein Buch weit über Rumänien hinaus Bedeutung.

Beim Umgang mit dem jüdisch-kulturellen Erbe sieht Oişteanu noch großen Sensibilisierungsbedarf in der rumänischen Gesellschaft und beim rumänischen Staat. Es sei noch nicht jedem klar, dass Juden keine Außerirdischen, sondern ein Teil der rumänischen Nation sind. Deswegen wiesen noch immer Teile der rumänischen Gesellschaft die Verantwortung im Umgang mit der jüdischen Geschichte und mit ihrem reichen kulturellen Beitrag von sich.

Vielleicht markiert das Mahnmal den Anfang einer neuen Auseinandersetzung der rumänischen Gesellschaft mit sich selbst und der eigenen Geschichte. Aber dass die rumänische Mehrheit das Judentum als Teil der eigenen Kultur begreift, wird sich wohl nicht mit einem Mahnmal ergeben.


Das vollständige Interview mit Andrei Oişteanu auf Rumänisch gibt es in der Dilemateca Ausgabe Nr. 41/ Oktober 2009, S.58-66.

Außerdem zum Thema sei folgendes Buch von Dietmar Müller ausdrücklich empfohlen: „Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878-1941“.

Signal, 6.11.2009

Zweimal Kunst, ein dokumentierter Konflikt und ein Blick in die Geschichte:


Die rumänische NGO Romani CRISS hat jetzt Filmmaterial zu den Anti-Roma Ausschreitungen diesen Jahres in Sânmărtin, Harghita, veröffentlicht:

http://www.youtube.com/watch?v=jDwfmyvEfS0

(Für einen Text zu den Ereignissen siehe Die Ethnie im Visier.)

Kommende Woche beginnt das FilmFestival Cottbus, Festival des osteuropäischen Films. Der Vorverkauf ist wohl vorbei, aber Besucher werden vor Ort zu den jeweiligen Filmen Karten bekommen. Hier die Preise, hier die Kontaktadressen.
(siehe auch: Filmfestival Cottbus beginnt)

Vom 15. bis 19. November findet in Bad Kissingen eine Tagung unter der Überschrift „Deutsch-jüdische Kultur- und Beziehungsgeschichte in Ostmitteleuropa“ statt. Infos, Programm und Referentenliste gibt es hier.

In Berlin gibt es ab morgen (7.11.) eine Fotoausstellung zum Leben an der rumänischen Donau: „Einmal Alltag und zurück“. Vor der Vernissage gibt es ein Konzert, Veranstaltungsort ist das Rumänische Kulturinstitut im Grunewald (Königsallee 20A). Alle Infos hier.