Kaisers Kollegen 2

Realismus


Eine „Kaiser’s“-Filiale in Berlin. Der Mann vor mir an der Kasse möchte seine Sachen bezahlen, zuvor jedoch muss sein Vorgänger noch die zwei Kisten im Einkaufswagen anheben. „Einma‘ anheben bitte! Tut mir leid, aber wir werden ja alle kontrolliert.“ meint die Kassiererin. „Macht do nüscht!“, erwidert der Mann.

Mein Vorgänger pflichtet kritisch bei: „Naja, is schon rischtee, manche werdn wegen ’nem Pfandbon jekündicht. Is‘ doch neulich passiert, bei Lidl, war doch überall inne Medien.“ Darauf die Kassiererin: „Nich‘ bei Lidl, bei Kaisers war dit. Die wurde verdächtigt, dass se fremde Pfandbons einjelöst hat. Und dafür wurde se jekündicht. Weil Verdacht is ausreichend.“

Beide meinen den „Fall Emmely“. Wie auch immer man zu dieser Frau und dem Kündigungsgrund stehen mag, er repräsentiert für mich die Entfremdung zwischen Unternehmen und Angestellten. An dieser Frau wurde ein Exempel statuiert, das meiner Meinung nach für Einschüchterung am Arbeitsplatz sorgt. Momentan liegt der Fall wohl beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt.

Mein Kassenschlangenvorgänger hat Hoffnung: „Also ick bin dafür, dass die Recht kricht“. Die Kassiererin richtet ihr Gesicht nicht auf und brubbelt leise: „Die krüscht keen Recht. Die krüscht keen Recht.“ Ob sie das geringschätzig oder resigniert meint, kann ich nicht erkennen. Fest steht: Sie hat aus der Pfandbon-Geschichte ihre Schlüsse gezogen. Ihre pragmatisch-realistische Einschätzung zeigt, wo sie sich selber sieht. In der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts.


siehe auch:
Kaisers Kollegen (1)
sowie ein neues Interview mit Günter Wallraff: Aus der schönen neuen Welt (Radio F.R.E.I. Erfurt)

Abwerfend

Plus Minus


Am stärksten im östlichen Europa ging 2009 Rumäniens Kaufkraft zurück, nämlich um 5%, meldete Standart.at (auf Grundlage von APA) am 17.3.2010.



Ein Geben und Nehmen. (Quelle: sxc.hu)


Der Inhalt soweit: RumänInnen konsumierten 2009 weniger als 2008, wobei sich konkrete Ursachen aus der Zahl nicht erschließen lassen (Armut? Sparsamkeit? Nachdenklichkeit?).

Aber: Ist denn die sinkende Kaufkraft schlecht für „die Wirtschaft“? Nicht für die deutsche: Rewe meldete, auch am 17.3.2010, einen prima 2009er Umsatz, „voraussichtlich über dem Rekordergebnis 2008„.

Mit ihren Billas und Penny-Märkten ist die Rewe Gruppe in den letzten Jahren europaweit ordentlich expandiert. So heißt es zum Beispiel in der hauseigenen Pressemitteilung: „…in Rumänien zeigt sich die Leistungskraft von Penny mit jetzt 99 Filialen in der schnellen und konsequenten Expansion“.



Der Bürgermeister Gheorghe Ile eröffnet in seiner Stadt Vulcan (Hunedoara) am 10.7.2007 den ersten Supermarkt, einen Penny-Markt. (Quelle: servuspress.ro)


Außerdem heißt es bei Rewe: „Die Anzahl der Märkte in Europa erhöhte sich im Jahr 2009 um 5 Prozent“, aber: „Insgesamt waren im vergangenen Jahr 326.000 Mitarbeiter und damit 2 Prozent mehr als im Vorjahr bei der REWE Group europaweit beschäftigt.“ (beides hier)

Also: Mehr Filialen mit weniger Angestellten. Was für ein Zufall, wenn Rewe selbst mitverantwortlich wäre für die sinkende Kaufkraft in Rumänien. Schnell und konsequent.

Kaisers Kollegen

Klimawandel im Supermarkt


Bei meinem heutigen Einkauf in einer Berliner Filiale der Supermarktkette Kaiser’s überraschten mich am Kühlregal die Worte „(…) der an’na Kasse is’n großer Idiot (…)“. Sie wurden von einer Mitarbeiterin der Filiale laut an sich selbst und/ oder an die Welt gerichtet. Da ich mich ganz allein im akkustischen Empfangsfeld dieser Frau befand, erwiderte ich: „Aber nich‘ so unfreundlich, is‘ doch ein Kollege.“ Darauf verbesserte sie mich prompt: „Nee, is‘ kein Kollege, is‘ nur’n GFB“.

Die Frau schimpfte noch laut, dass der Mann an der Kasse beim vorangegangenen Einräumen der Kühlregale Fehler gemacht habe. Wie dem auch sei, für mich ließ sich nicht prüfen, ob die Qualifizierung als Idiot der Wahrheit entsprach. Der Mann saß an der einzig offenen Kasse der Filiale und kassierte mich freundlich ab, wie überall.

Die drei Buchstaben bestätigten nach kurzer Recherche meine Vermutung: GfB steht für Geringfügig Beschäftigte. Ob er ein Idiot ist oder nicht, er ist auf jeden Fall kein Kollege, sondern ein GfB. Warum ist der Kaisers-Mitarbeiterin diese Unterscheidung so wichtig? Mir fällt keine schnelle Antwort ein. Dafür habe ich eine Ahnung davon bekommen, welches Arbeitsklima in einem deutschen Supermarkt herrscht. Obwohl alle dort die gleiche rot-weiße Arbeitskleidung tragen, herrscht zwischen ihnen nur Geringfügige Kollegialität.

So wird man nicht nur vom Chef, sondern sogar von den eigenen Kollegen Mit-Mitarbeitern für ersetzbar gehalten. Das belebt den Arbeitsmarkt und erhöht die Chancen für 4 Millionen Wartende: GfB statt ALG – aber Kollege, neee.