Europäische DNA-Datenbank-Union

Gestern gab es vor der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin eine Aktion der Kampagne fingerwegvonmeinerDNA.de, mit der gegen die geplante Vernetzung polizeilicher DNA-Datenbanken in Europa protestiert wurde. Annalist und netzpolitik.org hatten was zu dem Thema und wiesen auf die Aktion hin. Auch das Chaosradio hatte dazu eine Sendung, die hoffentlich auch noch als Podcast nachhörbar sein wird.

Weil ich neugierig war, wie die angekündigte „Versenkung von einer DNA-Datenbank in einem Kübel voller Speichelproben vor der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin“ in der Praxis aussehen könnte, bin ich gestern um 12 dort gewesen. Bedingt durch die Mittagshitze (hab jetzt Sonnenbrand) und die Kurzfristigkeit der Ankündigung blieb die Publikumsgröße übersichtlich.

Allerdings gab es unter den vorbeilaufenden Leuten doch einige Interessierte (zumal bei dem alltäglichen Berliner Straßen-Informations-Überfluss) und darunter waren auch ältere Menschen, die stehen blieben und das Gespräch zu dem Thema suchten. Von einem Jüngeren hingegen hörte ich „sone Scheiße interessiert mich nicht“. Da lässt sich überhaupt keine Verallgemeinerung von ableiten, aber klar ist dennoch, dass die Frage nach Interesse oder Desinteresse an Themen wie zunehmender staatlicher Überwachung gar nichts mit dem Alter zu tun hat.

Die erwartete Versenkung einer „DNA-Datenbank“ verlief relativ rasch, leider waren zum entscheidenden Zeitpunkt meine Fotoapparat-Akkus leer. Auf dem Bild hier sind aber Datenbank und Speichelproben-Kübel gut erkennbar.

Auch einige Damen und Herren aus dem Gebäude der EU-Kommission schauten bei der Versenkung zu. Direktes Interesse an dem mit Speichelproben durchnässten Server haben sie erstmal nicht erkennen lassen.

Dabei ist das Interesse europäischer Polizeien an der massenhaften Speicherung von DNA-Profilen offenbar sehr hoch, in der BKA-Datenbank sind bereits 700.000 DNA-Profile, monatlich kommen über 8000 neue hinzu. Durch einen bereits ausgehandelten EU-Beschluss soll nun die systematische Vernetzung der DNA-Datenbanken von den verschiedenen EU-Mitgliedsländern ermöglicht werden. Das hier nur Täter_innen „harter Gewaltverbrechen“ erfasst werden stimmt nicht – denn weniger als 4 Prozent der gespeicherten DNA-Daten beziehen sich auf Gewaltstraftaten und Tötungsdelikte. (Details dazu gibts im aktuellen Heft des gen-ethischen Informationsdienstes). Darum fordert die Kampagne eindeutige Regelungen und verbindliche Vorschriften zum Umgang mit den DNA-Daten, beispielsweise was die polizeiliche Sammlung von DNA-Profilen ohne richterliche Beschlüsse betrifft, die Speicherdauer oder unabhängige Kontrollmöglichkeiten. Der offenen Brief dazu kann hier nachgelesen und auch unterzeichnet werden.

Sächsischer Polizeibesuch in Jena verurteilt

Ein Ausflug mit Folgen?


Heute wurden in Jena die Räume des Jugendpfarrers Lothar König in der Jungen Gemeinde durchsucht. (mdr.de: „Razzia bei Jugendpfarrer König„) Pikant daran ist, dass die Durchsuchung von sächsischen Behörden im Rahmen der Untersuchungen zu Anti-Nazi-Protesten vom 19. Februar 2011 durchgeführt wurde. Die sächsische Polizei macht mit ihren Ermittlungsmethoden in diesem Fall ja seit einiger Zeit Schlagzeilen. Die Thüringer Polizei soll von der Aktion der sächsischen Kollegen nichts gewusst haben. Ich hätte ja nicht mal vermutet, dass die Polizei eines Bundeslandes einfach in fremden Bundesländern schalten und walten darf, wie sie will. Lothar König selbst war wohl nicht vor Ort.

Auch kirchliche Behörden fühlen sich überrumpelt und übergangen. Ralf Kleist vom evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Jena verweist auf die Schweigepflicht, der Lothar Königs Arbeit unterliegt und die damit verbundene Brisanz des Eingriffs durch die sächsische Polizei, die (neben dem Lauti-Wagen) wohl mindestens einen Computer beschlagnahmte. Fotos, Hintergründe und weitere Entwicklungen gibts im haskala-Blog und bei Lothar Königs Tochter @KatharinaKoenig auf Twitter.

Der Jenaer OB Albrecht Schröter verurteilte den Polizeibesuch und hat für einen amtierenden SPD-Politiker verhältnismäßig klare Worte darüber verloren: Er bezeichnet die Aktion der sächsischen Polizei als einen Einschüchterungsversuch, der sich „gegen das Engagement gegen Rechtsextremismus der Stadt Jena“ richte. Er kündigte an, bei Naziveranstaltungen in Dresden auch zukünftig wieder mit gegen Nazis zu protestieren. Schröter erklärte sich uneingeschränkt solidarisch mit Lothar König. Hier die ganze Rede von der spontanen Protestkundgebung vorhin in Jena vor der JG (via Jenapolis):
http://www.youtube.com/watch?v=9xu5hesDlOU

Achso, nicht zu vergessen, Katharina König gab Radio Corax ein Interview kurz nach dem Vorfall.

Ein Video-Beitrag noch von der OTZ (via @SachsensDemo)
http://www.youtube.com/watch?v=8tO9udvZ6Cs

Und hier die Vorwürfe von Polizei und Staatsanwaltschaft Sachsen in Textform (auch via @SachsensDemo).

Mich interessiert ja die ganze Sache nur so stark, weil ich mehrere Jahre zum Studium in Jena gelebt habe. Lothar König und auch Albrecht Schröter sind wichtige politische Figuren in der Stadt, die auch mal Parteigrenzen vergessen können und vor allem aktiv werden bei Protesten gegen Nazis. Bin mal gespannt was das vielleicht für Folgen hat, dass da einfach die sächsische Polizei in Jena einreitet. Katharina König hat in dem Radio-Corax-Interview gesagt, dass bewaffnete Polizisten nicht einfach die Grenzen eines Bundeslandes ungefragt überschreiten dürften, das soll jetzt geprüft werden. Also der Ruf der sächsischen Polizei dürfte nach dem Handyüberwachungs-Skandal mit dem heutigen Tag nicht besser geworden sein.

Noch was: Die „Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus zur polizeilichen Durchsuchung kirchlicher Räume in Jena und dem Vorgehen gegen Jugendpfarrer Lothar König“ gibt es hier als Text.

Und taz.de schreibt: Razzia bei Anti-Nazi-Pfarrer.

Zuletzt der Verweis auf den Artikel mit großer Linkliste zum Thema beim Watchblog npd-blog.info.

Zwangsvollstreckte Geldstrafe für sexistische Äußerungen in Rumänien

Der für rassistische und polulistische Äußerungen bekannte rumänische Europaparlamentsabgeordnete und Unternehmer George „Gigi“ Becali weigerte sich, eine gegen ihn verhängte Geldstrafe für sexistische Äußerungen zu zahlen – jetzt folgt die Zwangsvollstreckung.


Rumänische Behörden wollen offenbar kein Auge zudrücken. Der nationalistische Politiker und Finanzierer des FC Steaua Bucureşti „Gigi“ Becali hatte in der Antena-2-Sendung „Agentul VIP“ im April 2011 wiederholt frauenfeindliche und sexistische Bemerkungen fallen gelassen, wofür er vor einigen Tagen von der rumänischen Behörde namens „Nationalrat zur Bekämpfung von Diskriminierung“ (Consiliul Naţional pentru Combaterea Discriminării, Homepage) zu einer Geldstrafe von 2000 Lei (ca. 474€) verurteilt worden sein soll, wie das Nachrichtenportal hotnews.ro berichtet. Becali soll sich jedoch geweigert haben, diese Strafe zu zahlen. Das Bezirksrathaus des Sector 1 in Bukarest wurde letzte Woche angewiesen, die Geldstrafe zwangszuvollstrecken.

Die rumänische Medienaufsichtsbehörde „Consiliul Naţional al Audiovizualului“ (CNA, Homepage) sprach zudem eine öffentliche Rüge gegen den betreffenden TV-Sender Antena 2 aus. In der Rüge wurde neben den Äußerungen Becalis auch kritisiert, dass der Moderator der Sendung „Agentul VIP“ nicht adäquat auf Becalis Sexismus reagiert hätte. Das CNA sah in der ausgestrahlten Sendung einen Verstoß gegen das Verbot, Menschen aufgrund von „Rasse, Religion, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Etnie“ zu diskriminieren.

Über 1 Million mehr Kinobesuche in Rumänien

… trotz weniger Kinos


Die staatliche rumänische Filmförderungsanstalt CNC hat ihre Jahresberichte mit interessanten Zahlen für 2010 veröffentlicht. Unverkennbar lässt sich aus diesen lesen: In Rumänien wird mehr ins Kino gegangen. 2010 besuchten 6,5 Mio Rumän_innen die einheimischen Lichtspielhäuser, das sind über eine Million mehr Kinogäste als die 5,3 Mio im Vorjahr 2009 und das bedeutet einen Zuwachs von über 20%. Bei 20 Mio Einwohner_innen ist das vielleicht noch nicht sooo viel. Zum Vergleich: Deutschland mit 80 Mio EW hatte 2010 allein 124 Mio Kinogäste – 2009 aber noch 146, also mit fallendem Trend. (Quelle: FFA-Bericht [pdf])

In Rumänien, wo 2007 noch weniger als 3 Mio Menschen die Kinos besuchten, ist also ein in der Relation starker Aufwärtstrend erkennbar. Warum die Info? Thematisch passt die Meldung ja dazu, dass hierzulande gestern kino.to abgeschaltet wurde, wobei es auch Verhaftungen gab (oben zitierter FFA-Bericht, aus dem Besucher_innenrückgang um 15% und Umsatzeinbußen um 7% für die deutsche Filmwirtschaft erkennbar werden, ist übrigens auch keinen Monat alt). Nein, nicht deswegen finde ich die rumänischen Zahlen interessant, sondern weil internationale Filmkritiken zu rumänischen Filmen fast immer (berechtigt) die rumänische Kinoinfrastruktur negativ erwähnen (z.B. hier, hier oder da). Die neuen Zahlen vom CNC geben da vielleicht einen ganz kleinen Lichtblick.


Cinema Republica, 2009 in Iaşi

Zwar ist die Anzahl der intakten Lichtspielhäuser von 74 (2009) auf 68 (2010) in Rumänien gesunken, aber die Zahl der Kinositze ist im gleichen Jahr um 1000 auf fast 51.000 und die der Leinwände um 12 auf 194 gestiegen. Das liegt definitiv an den neu gebauten Multiplexen, wo einfach in weniger Kinos mehr reinpasst. Beim Thema Multiplex sind wir dann auch bei einem entscheidenden Motiv rumänischer Kinogäste: US-amerikanische Filme. Denn mehr Kinobesuche sind noch kein Indiz dafür, dass die Leute auch die einheimischen, zum großen Teil international ausgezeichneten, Produktionen anschauen.

Das ist ein wesentlicher Punkt, denn rumänische Filme, die im Ausland unheimlich abräumen, sind in Rumänien manchmal kaum bekannt. (Das ist aber kein rumänisches Phänomen: Andreas Dresens Filme z.B. laufen regelmäßig auf internationalen Festivals, während innerhalb Deutschlands US-Blockbuster oder Til Schweiger an der Kinokasse abräumen). In Zahlen drückt sich das krass aus: Nur 2,7% der rumänischen Kinogäste 2010 sahen sich rumänische Produktionen an – dafür 89% US-amerikanische (zum Vergleich: in Deutschland sahen 17% der Besucher_innen inländische Produktionen und 75% US-amerikanische [Quelle pdf s.o.], wobei aber dazugehört, dass Deutschland eine viel produktivere Filmwirtschaft hat).

In Rumänien sprechen die Zahlen insgesamt immerhin für grundsätzlich mehr Kinobesuche mit stetig steigender Tendenz, was ja bei ebenso steigenden Bilet-Preisen und fortschreitender Heimkinematisierung schon mal erwähnenswert ist. So können den Artikeln, die (ja auch berechtigterweise) von desaströser rumänischer Kino-Infrastruktur berichten, jetzt wenigstens Fakten über ein Fünftel mehr Kinobesuche beigepackt werden.


Homepages der beiden nationalen Filmförderungsanstalten, von denen die verlinkten Berichte sind:
Centrul Naţional al Cinematografiei und Filmförderungsanstalt.

Eben am Brandenburger Tor +update

… ein Auftakt?


Als die Metronauten twitterten, dass sich bereits über 100 Leute am Brandenburger Tor bei der spontan angekündigten Berliner Protestveranstaltung versammelten, hab ich auch mal vorbeigeschaut.

Über 100 waren es wohl. Für eine spontane Veranstaltung, die nur wenige Stunden vor Beginn bekannt wurde, sind das sicher nicht wenig. Mal sehen ob das der Auftakt für Proteste wie in Spanien war. Es gab eine kleine Ansprache mit Forderungen, angelehnt an jene, wie sie das lose Bündnis „Echte Demokratie Jetzt!“ formulierte und soweit ich es mitbekam, wurde auch konkret Hartz IV angesprochen. Die meisten Transpis waren auf Spanisch, wie auch viele Parolen.

https://www.youtube.com/watch?v=y6oRSJ6C21o

Entschuldigt bitte die Qualität meiner antiken Digitalkamera. Die Polizei hat klar erkennbar modernere Filmtechnik als ich, was sicher in HD auch für ein größeres Sehvergnügen im Revierkino sorgt. Ich musste bei dem filmenden Beamten an das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin denken, demzufolge verdachtsunabhängiges Filmen von Demonstrationen durch die Polizei ungesetzlich sei. Sicherlich gibt es da beim Thema Verdacht aber viel Interpretationsspielraum.

Die Polizei überprüfte dann noch die Personalien einer Person (die sich wohl als Veranstalter zu erkennen gab) und bat diese dann auch, die Veranstaltung für beendet zu erklären. Problemlos verteilten sich die Leute darauf hin auch langsam in alle Richtungen, zumal es sowieso anfing zu regnen. Damit waren die ersten anderthalb Stunden #germanrevolution* vorbei.

Die Transpis wurden eingerollt, die untergehende Sonne warf ein schönes Licht auf den Pariser Platz und es wehte ein angenehm frischer Wind. Na mal sehen.


*Eine kritische (historische) Beleuchtung des Begriffs #germanrevolution gibt’s beim Metronaut.

update:
Der YouTubler TramyBerlin hat ein weiteres Video von der Versammlung gestern (zu hören sind u.a. Teile der spanischen Forderungen, ins Deutsche übersetzt):
www.youtube.com/watch?v=-nUXmtNfFRg


weitere geplante Termine sind (laut Spreeblick):
Hamburg: Samstag, 21. Mai, 12 Uhr, Mittelweg 37 (Spanisches Generalkonsulat)
Düsseldorf: Samstag, 21. Mai, 15 12 Uhr, Burgplatz