Neu-Auszählung der Stimmen in der Republik Moldau?

Emotionen, Zugeständnisse, Forderungen


update3: (7.4.09, 22:00 / MOL RO 23:00)
Es gibt keine Neuigkeiten, nur Bekundungen. Unter anderem auch die der Besorgnis aus der EU, was ja eine Pflicht ist.

Hotnews.ro postet unkommentiert den Satz „Bukarest 1989: erste im Fernsehen übertragene Revolution. Chisinau 2009: erste online übertragene Revolution“. Dieser direkte Vergleich ist äußerst fragwürdig, war Rumänien 1989 eine Diktatur und die Wahlen in der Republik Moldau vor drei Tagen zumindest im Großen und Ganzen von internationalen Beobachtern wie der OSZE als rechtmäßig durchgeführt bestätigt worden.

Aber anhand dieser aus twitter zitierten Parole zeigt sich, was für eine Rolle einem so unglaublich schnellen Medium wie dem Internet als Auslöser für soziale Unruhen zukommen kann. Denn dieser, sich in Windeseile verbreitende Spruch ist viel schneller vermittelt, als über ein Transparent, gerade von einer sonst seriös berichtenden Seite wie dem genannten Nachrichtenportal. Es ist beispielhaft dafür, wenn die Emotionen den Faktengehalt von Nachrichtenmeldungen überlagern.

Die Zerstörungswut einiger Demonstranten brachte den Ereignissen in Chişinău den vorletzten Platz in der heutigen 20-Uhr-Tagesschau. Immerhin boten die Ausschreitungen damit eine Gelegenheit, einigen Zuschauern mitzuteilen, dass am Sonntag in der Republik Moldau Parlamentswahlen stattfanden.

update2: (7.4.09, 20:00 / MOL RO 21:00)
Die Meldungen überschlagen sich und unterscheiden sich zunehmend, je nachdem, welche Quelle man nutzt. Fakt ist, dass die Polizei nicht zimperlich mit den Demonstranten umgeht. Die Regierung vermutet einen ernsthaften Putschversuch hinter den Protesten. Eltern wurden aufgerufen, ihre minderjährigen Kinder aus dem Stadtzentrum nach Hause zu nehmen. Verhaftungen von vermeintlichen Initiatoren finden auch statt, die Zahl der Verletzten soll bereits 100 übersteigen.

Der moldauische Botschafter wurde aus Bukarest abgezogen. Der rumänische Außenminister hat ein Statement zu den Entwicklungen in Chişinău angekündigt.

update: (7.4.09, 19:00 / MOL RO 20:00)
Nach Verhandlungen zwischen Opposition und Regierungspartei habe man sich laut ITAR-TASS auf eine Neuauszählung der Wählerstimmen geeinigt.

Eine der beiden liberalen Partei scheint mit der Einigung nicht einverstanden zu sein und fordert gänzliche Neuwahlen.

Die OSZE hat inzwischen die Gewalt „auf allen Seiten“ kritisiert. Auf der Seite wird auch ein 11-seitiger Untersuchungsbericht zu den Wahlen in der Republik Moldau in englischer Sprache als →pdf zum download angeboten.


Vor diesem Posting erschienene Meldungen siehe:
Proteste in der Republik Moldau nach den Wahlen

andere Artikel über Republik Moldau

Proteste in der Republik Moldau nach den Wahlen

Moldauisches Internet blockiert / deutsche & russische Medien


update3: (7.4.09, 18:30 / MOL RO 19:30):
Der Blick lohnt auch auf Meldungen aus russischer Perspektive. Zusammenfassend berichtet RIA Novosti (auf deutsch) von den Protesten, die zur Destabilisierung gedient hätten.

Berichtet wird auch von Parolen, in denen die Vereinigung mit Rumänien gefordert wird – und dass auf dem Parlamentssitz die rumänische und die EU-Flagge von den Protestanten gehisst wurden. Zu diesem Artikel und auch bei ITAR-TASS werden Bilder von Demonstranten mit rumänischen Flaggen gezeigt. Diese symbolisieren die politische Brisanz der Proteste – die moldauische Regierung wirft Rumänien vor, die Proteste mit zu verantworten und auch Russland sieht in Rumänien einen Konkurrenten für den Einfluss auf die Republik Moldau, die ein GUS-Mitglied ist.

update2: (7.4.09, 17:30 / MOL RO 18:30):
Die moldauischen Internetseiten sind weitestgehend wieder verfügbar, zumindest von Deutschland aus.

Jetzt, nachdem es zu gewaltvollen Protesten kam, berichten neben internationalen auch deutsche Medien. Spiegel und FR haben Artikel zum Thema, die ziemlich deckungsgleich mit der Kurzmeldung von 17:00 bei Reuters sind. BBC berichtet etwas ausführlicher, wie auch die NZZ.

Mehreren moldauischen und rumänischen Berichten zufolge verhandeln derzeit Regierung und Opposition miteinander. Präsident Voronin soll Rumänien für die Proteste mitverantwortlich gemacht haben. Er wies in einer Rede darauf hin, dass die Wahlen von internationalen Beobachtern als rechtens angesehen werden.

update: (7.4.09, 14:30 / MOL RO 15:30)
Einige moldauische Medien im Internet sind nicht mehr erreichbar, auch die rumänische Nachrichtenseite Hotnews.ro soll dort blockiert sein.

Inzwischen ist von über 30, einigen darunter schwer Verletzten in Chişinău die Rede, sowohl Polizisten als auch Demonstranten seien darin mitgezählt.


Nach diesem Posting erschienene Meldungen siehe:
Neu-Auszählung der Stimmen in der Republik Moldau?

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Republik Moldau hat gewählt

andere Artikel über Republik Moldau

Republik Moldau hat gewählt

Ein vorläufiges Wahlergebnis, eine unzufriedene Opposition und in deutscher Presse nichts darüber


update4: (7.4.09, 14:00):
Moldauische Nachrichtenseiten im Internet sind OFFLINE bzw. blockiert. Das rumänische Nachrichtenportal Hotnews berichtet von Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten in der moldauischen Hauptstadt. Die Fensterscheiben des Präsidentenamtes sollen von Demonstranten eingeworfen worden sein. Ob die Zahl von 30.000 gegen das Wahlergebnis Protestierenden stimmt, ist unklar.

Die Demonstranten trügen die Trikolore (ohne Wappen = rumänische Staatsflagge) und EU-Flaggen und würden Parolen gegen die moldauische Regierung rufen, die nach bisherigem Ergebnis mit 50% die Parlamentswahlen am Sonntag gewann.

Straßen nach Chişinău seien blockiert. Auch rumänische Internet-Medien seien in der Republik Moldau nicht mehr zu empfangen. In rumänischen Städten sind Solidaritätsveranstaltungen geplant.

Die Opposition in der Republik Moldau hatte die Wahlergebnise angezweifelt und rief gesternabend zu den Protesten auf. Handfeste Beweise für gravierende Wahlfälschungen gibt es bisher nicht, die OSZE hat von Mängeln im Wahlverlauf gesprochen, kündigte nachträgliche Untersuchungen an, hat aber das Wahlergebnis bisher nicht angezweifelt.

update3: (7.4.09, 11:30)
Darüber ob und wie die Proteste in Chişinău heute eventuell fortgesetzt werden, gibt es noch keine genauen Angaben und Zahlen. Die Meldungen über die Anzahl der gestern Protestierenden weichen jedenfalls voneinander ab. Manche moldauische Medien sprechen von über 20.000 Teilnehmern, andere vorsichtiger von „Tausenden“ und wieder andere berufen sich auf Angaben von Sicherheitsorganen, denen zu folge 2,5 bis 4000 Spontandemonstranten gezählt wurden.

Auch die Einschätzungen der OSZE werden verschieden interpretiert – mal dramatisiert und mal als insgesamt positiv dargestellt (hier der englischsprachige Bericht, um sich selbst ein Bild zu machen).

In deutschen Medien wurden die Parlamentswahlen noch immer nicht thematisiert.

update2: (6.4.09, 21:30)
Die Liberal-Demokratische Partei und die Allianz „Unser Moldau“ werfen der Regierungspartei der Kommunisten massive Wahlfälschungen vor und erkennen das Wahlergebnis nicht an. Eine anstehende detaillierte Untersuchung der Wahlen soll die Vorwürfe untermauern. Als Beispiele werden Bestechung von Oppositionspolitikern, illegale Geldströme und andere Einflussnahmen auf die Wahlen durch finanzielle und administrative Vorteile der Regierungspartei angeführt.

Inzwischen seien zwischen 15 und 20.000 Menschen in der moldauischen Hauptstadt Chişinău auf der Straße, um gegen das Wahlergebnis zu protestieren, wie das moldauische Internetportal Unimedia berichtet.

Die OSZE hat ihren Bericht über den Wahlverlauf geändert. Es wird nun wesentlich stärker auf Unregelmäßigkeiten im Wahlverlauf hingewiesen und es sind nachträgliche Untersuchungen angekündigt, wenn dem Land auch insgesamt noch ein „Fortschritt an Demokratie“ bescheinigt wird.

update: (6.4.09, 17:30)
Nach fast abgeschlossener Stimmenauszählung nähern sich die Kommunisten der 50%-Marke und damit erneut der absoluten Mehrheit, die eine Suche nach einem Koalitionspartner überflüssig machen würde.

Die OSZE erklärt sich insgesamt zufrieden mit dem Verlauf der Wahlen , wenn auch der punktuelle Missbrauch administrativer Vorteile durch die Regierungspartei und die tendenziöse Medienberichterstattung im Bericht festgehalten werden (hier auf Englisch) (siehe update 2).

In der deutschen Presse sucht man noch immer nahezu vergeblich nach Meldungen über die Parlamentswahlen. Die online-Ausgabe des Handelsblatt hat inzwischen eine Meldung zum Thema, ansonsten berichtet nur die bereits erwähnte schweizer NZZ. Daneben meldet Die Presse (ich wusste gar nicht, dass das Wort „Sieg“ im Österreichischen Neutrum ist) das Wahlergebnis sowie die Oberösterreicherischen Nachrichten.

Taz, FAZ, FR, Süddeutsche, SpiegelOnline und ZeitOnline ignorieren die gestrigen Wahlen in dem europäischen Land.

ursprünglicher Artikel: (6.4.09, 00:24)
Nach den Wahlen in der Republik Moldau bleiben die Kommunisten stärkste Kraft. Sie verloren ihre absolute Mehrheit, erhielten aber 44,7% – während die zweitgrößte Kraft bei unter 15% blieb.

Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 60% (bei der dt. Bundestagswahl 2005 lag sie bei 77,7%). Neben den Kommunisten schaffen es zwei liberale Parteien (mit jeweils knapp 14%) und die Allianz „Unser Moldau“ (mit 10%) ins Parlament (verschiedene Quellen mit den Ergebnissen hier, hier und hier).

Einige Bewohner der Region Transnistrien, die für die moldauische Wahl registriert waren, sollen von den transnistrischen nach Unabhängigkeit strebenden Autoritäten eingeschüchtert und am Wahlsonntag in der Stadt Corjova auch an der Stimmabgabe gehindert worden sein.

Der Wunsch der Moldauer nach einer sogenannten „Wiedervereinigung“ mit Rumänien, von dem Uwe Klussmann auf Spiegel Online berichtet, spiegelt sich zumindest nicht in dem Wahlergebnis wider (es sei denn, sämtliche Nichtwähler sind Befürworter einer Vereinigung). Der Großteil der Wählenden vertraut der kommunistischen Regierung – die alles andere als eine Vereinigung mit Rumänien anstrebt. Der Spiegel-Artikel über die vermeintlichen Vereinigungs-Wünsche wird in der moldauischen Presse aber zur Kenntnis genommen.

Das Centrul Independent de Jurnalism hatte auch in der letzten, am 1.April veröffentlichten Untersuchung auf die parteiische Berichterstattung der Medien hingewiesen (hier auf Englisch). Während staatliche Medien zugunsten der Regierungspartei berichtet haben sollen, hätten private Medien die Opposition bevorzugt.

Einen großen Change haben die wahlberechtigten Moldauer nicht hervorgerufen, wahrscheinlich wollten sie auch keinen. Dies gilt mindestens für die politische Sphäre, die sich nach Wählerstimmen formt – und hier herrscht nicht mehr nur in osteuropäischen Ländern unter den Menschen immer größerer Zweifel, ob mit einem regelmäßig gesetzten Kreuz auch Lebenswirklichkeiten beeinflusst werden können.

Es wäre falsch, den Moldauern das Wahlergebnis als „ewig-gestrig“ oder ähnlich vorzuhalten, nur weil die favorisierte Partei die Bezeichnung Kommunisten trägt (in allen östlich-europäischen Ländern finden sich auch in der Opposition ehemalige Staatskader). Die Republik Moldau und ihre Bewohner haben mehr Aufmerksamkeit aus dem übrigen Europa verdient. Vielleicht wird eines Tages in deutschen Medien von „Parlamentswahlen in Moldova“ in dem Umfang berichtet, wie von anderen europäischen Ländern.


Die NZZ berichtet von den Wahlen.

Nach diesem Posting ab 14:30 erschienene Meldungen siehe:
Proteste in der Republik Moldau nach den Wahlen,
andere Artikel über Republik Moldau

Die NATO in den Medien

Eine „Doku“, eine neue, und zwar eine NATO-treue


Pünktlich, noch vor dem Gipfel, erfolgte in der Nacht zum 2. April die Erstausstrahlung der Dokumentation „Bündnis ohne Kompass – Wohin steuert die NATO?“ von Kai Niklasch. Der Film ist das 45-minütige unkritische Portrait des Militärbündnisses aus der Perspektive seiner Anhänger und Befürworter.

Nach einer Einleitung mit Bildern von den einstürzenden Twin-Towers folgen die ersten Talking Heads, unter denen auch Frau Clinton ist. Sie weist darauf hin, dass die USA und Europa heute vor denselben Bedrohungen stehen. Anschließend wird mit einem kommentierten Bilderrückblick erläutert, dass das Bündnis nach dem II. Weltkrieg der Verteidigung von Norwegen bis zur Türkei diente. Nur nebenbei wird erwähnt, dass die Anfrage auf Aufnahme der Sowjetunion 1954 abgelehnt wurde, während die BRD 1955 dem Bündnis beitrat. So wurde die Gründung des Warschauer Pakts provoziert. Ob ein Charakteristikum der NATO in der klaren Strategie der Konfrontation liegen könnte, wird nicht gefragt, obwohl diese Frage sich mit den dargestellten Fakten aufdrängt. Stattdessen werden historische Bilder gezeigt, zu denen abwechselnd Jamie Shea, Angela Merkel und Egon Bahr ihre Erinnerungen an die NATO reflektieren, die stets mit Frieden und Sicherheit verbunden sind. Kritik gibt es nicht.

Mit Frankreichs neuer Entschlossenheit nach mehr Einfluss in der bisher US-dominierten NATO wird auf die Gegenwart geschwenkt. Jürgen Todenhöfer ist der erste Kriegskritiker, der zu Wort kommt. Er erinnert daran, dass die Bilder der von NATO-Bomben in Afghanistan getöteten Frauen und Kinder Hass unter Muslimen auslösen können. Zu sehen sind solche Bilder nicht. Stattdessen wird dem Zuschauer vom Kommentator mitgeteilt, dass eine Strategie zum „Kampf um die Herzen“ fehlte – ohne Frage nach einem Warum und ohne Hinterfragen von militärischen Einsätzen. Bilder folgen dann wieder reichlich, allerdings sehen wir einen verletzten deutschen Soldaten in Afghanistan, der in einem Interview rückblickend die erlebte Autobomben-Explosion beschreibt. Die Verletzbarkeit der NATO wird durch den verwundeten Soldaten gezeigt, die Opfer der NATO nicht.

Dabei sei der Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan eigentlich unklar, wird kurz erwähnt, während die eingeblendeten Bilder von den Gefahren (für die Deutschen) an der Front erzählen. Volker Rühe nennt es in entrüsteter Weise ein Versagen, dass die deutsche Regierung bis heute so tue, als sei die Bundeswehr in „bewaffneter Entwicklungshilfe“, statt endlich vom „militärischen Kampf“ zu reden.

Die Botschaft des Films ergibt sich aus der Blickrichtung der vielen erzählenden NATO-Akteure, die ohne gegensätzliche Positionen durch den Film führen. Es mutet noch immer bizarr an, wenn Joschka Fischer erzählt, dass er im Gespräch mit Milošević keinen ernsthaften Friedenswillen hat erkennen können, um dann einmal mehr die Bomben auf Serbien zu rechtfertigen. In der erhaben-staatsmännischen Manier wirken seine erzieherischen Worte bedrohlich. Er ist in dem Moment die personifizierte NATO, ohne Selbstkritik und Zweifel. Niemand widerspricht.

Kritische Töne sind bei den Repräsentanten der NATO sicher nicht zu erwarten, aber warum tauchen in dem Film generell keine NATO-kritischen Fragen auf? Die Kontroversen um den Kosovo-Einsatz werden mit ein paar Worten vom Kommentator abgehakt:

„Der damalige Vorwurf an die NATO: Sie habe ihre Moral über das geltende Recht gestellt und Streubomben eingesetzt – Es sei nicht nur um Moral gegangen, sondern auch um Sicherheit; so ein Gegenargument.“

Der Film unterschlägt wichtige Tatsachen über die militärischen Angriffe der NATO-Länder gegen Serbien, die vor allem im Hinblick auf den Filmtitel zur Vollständigkeit eines Portraits der NATO gehören:

  • Verheerende Fehler in der Kriegsführung, wie die Bombardierung eines Flüchtlingskonvois (Meldungen bei Berliner Zeitung und Spiegel),
  • die von Amnesty International als „Kriegsverbrechen der NATO“ bezeichneten Verstöße gegen das Völkerrecht (insbesondere Luftangriffe gegen zivile Einrichtungen, Verwendung verbotener Munition),
  • die Erfindung des „Hufeisenplans“, 1999 vom ehemaligen Bundeswehrgeneral und OSZE-Berater Heinz Loquai als Lüge enttarnt (auch die taz berichtete)
  • und die Manipulation von Information zur Rechtfertigung der Angriffe im Vorfeld des Krieges (in der Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ befassten sich Jo Angerer und Mathias Werth 2001 damit, zu finden als Video-Stream und als Manuskript und auch die österreichische Tageszeitung der Standard weiß in kritischer Weise an die Bombardements zu erinnern).

Diese kritischen Punkte fehlen gänzlich in dem Bild, das Kai Niklasch in seiner Dokumentation von der NATO zeichnet. Einzig von „Friedensbewegten“ ist in dem Film die Rede, die in ihrer Mitgliederzahl nicht an die Antikriegsbewegung der 70er Jahre heranreiche – was vielleicht das Fehlen ihrer Perspektive in dem Film erklärt. „Ihr Protest richtet sich gegen die NATO als Relikt des Kalten Krieges“, hört man den Kommentator ohne weitere zusammenhängende Erläuterung sagen. Eine Aktivistin berichtet, dass sie Gegenmacht „von unten“ aufbauen wolle, aber Argumente der Friedensinitiative fehlen im Film. Die Darstellung der Friedensbewegung erfolgt als inhaltsleeres Phänomen, das thematisch ohne Einordnung bleibt:

„Sich Aufmerksamkeit verschaffen, wenn auch nur mit ganz einfachen Mitteln, das ist, was sie umtreibt. […] Jedes Ziel sei ein zu Hause, steht auf ihren Papphüten, jede Bombe also eine Bombe zu viel. Sie kämpfen für eine friedliche Welt, fürchten Atomwaffen, wollen deren Abschaffung und die NATO ist für sie kein Verteidigungsbündnis.“

Die Bilder dazu zeigen ungefährlich aussehende Menschen und Kinder, nachdem auch Polizisten zu sehen waren, die gewaltvoll gegen friedliche Demonstranten vorgingen. Der kommentierte Kontext: Es sind nur wenige, sie sind friedlich.

Der Film präsentiert die NATO als ein historisch gewachsenes, unumstößliches Phänomen, das dem Zuschauer mit großen historischen Bildern (Reden von Präsidenten, Kanzlern, wichtige Konferenzen, Checkpoint Charlie, Mauerfall, 11.9.) als Teil seiner Realität und Identität verbildlicht wird. Die Friedensbewegung bekommt die Rolle einer vernachlässigbaren Begleiterscheinung und Kritiker der NATO kommen gar nicht zu Wort – so verzichtet der Film auf Gegenargumente, was zu einer völlig einseitigen Darstellung des Militärbündnisses führt und mit den ausgewählten Talking Heads wie ein Werbefilm für die NATO wirkt. Die Frage, was die NATO eigentlich für eine Funktion hat, bleibt nicht nur unbeantwortet, sie wird gar nicht ernsthaft angesprochen.

Eine Dokumentation, die Schwächen und tödliche Fehler der NATO verschweigt, trägt gar nichts zur Auseinandersetzung mit dieser Militärorganisation bei. Zum Filmschluss heißt es: „Nur mit einer klaren Richtung erlebt das Bündnis eine erfolgreiche Fortsetzungsgeschichte.“ Mit einer klaren Richtung und mit journalistischen Geburtstagsgeschenken wie dem von Kai Niklasch.


„Bündnis ohne Kompass – Wohin steuert die NATO?“ in der ZDF-Mediathek oder direkt als Stream (Bandbreite 2000+ oder 1000 und Modem)

Was hat die Republik Moldau für eine Wahl ?

Ein Land zwischen den Sphären


Die zuletzt von den Vorwürfen des rumänischen Außenministers weiter strapazierten Spannungen zwischen Rumänien und der Republik Moldau müssen für die amtierende „Partei der Kommunisten der Republik Moldau“ am 5. April zu den Parlamentswahlen nicht unbedingt zum Nachteil sein. Wie erwartet, hat die moldauische Premierministerin Zinaida Greceanîi heute die rumänischen Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, die Abweisungen rumänischer Staatsbürger an der moldauischen Grenze seien alle begründet und legal gewesen. Sie stellt einen Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen her, in die sich der rumänische Staat einmischen wolle. In der Online-Ausgabe der Revista Moldova Azi wird sie zitiert:

„Warum muss jemand in unser Land kommen, mit, sagen wir, destruktiven Absichten, zudem jetzt in der Wahlkampfzeit? (…) Niemand hat das Recht, sich in die internen Angelegenheiten unseres Staates einzumischen. Es gibt akkreditierte Wahlbeobachter, die dazu bestimmt sind, die Wahlen bei uns im Land zu beobachten.“

Dem mag man zustimmen, aber wovor haben die regierenden Kommunisten dann Angst, dass sie so vielen Rumänen die Einreise verweigern? Natürlich braucht die Republik Moldau sich keine großrumänistischen Nationalisten ins Land holen, aber unter den Abgewiesenen waren harmlose Teenie-Pop-Bands. Ja, diese wollten das Jubiläum der Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien feiern, aber das geschieht nicht zum ersten Mal und stellt an sich noch keine Gefahr für die unangezweifelte Souveränität des Landes dar. Die moldauischen Behörden haben, wie die Ausführungen der Regierungschefin zeigen, Angst vor der Beeinflussung der Wahlen.

Die Befürchtungen der moldauischen Regierung sind an dieser Stelle aber keine spezifisch kommunistischen. Es ist auch keine Besonderheit, dass die Republik Moldau als langjähriges Mitglied der GUS intensive Beziehungen zu Moskau pflegt. Vielmehr liegt in der nach 1989 nötig gewordenen Selbstdefinition einer moldauischen nationalen Identität das Bedürfnis nach einem gesunden Abstand zu Rumänien und Russland – beides Länder, die in den letzten Jahrhunderten die kulturelle Identität der Region prägten. Wer der kommunistischen moldauischen Regierung unkritische Russophilie vorwirft, braucht nur nach Transnistrien zu fragen: Die auf der Grundlage russischer Identität nach Unabhängigkeit strebende Region und die dort stationierten russischen Soldaten sind den moldauischen Behörden mindestens ein Dorn im Auge. Auf der anderen Seite liegt der Staat namens Rumänien, der ohne sein Zutun eine potentielle Bedrohung darstellt – nämlich für die moldauische Identität. Straßen und Plätze in Chişinău sind nach den gleichen Künstlern und historischen Gestalten benannt, wie die in Bukarest und Iaşi, man beruft sich auf die gleichen historischen Mythen und man spricht eben auch dieselbe Sprache, wie diese auch immer genannt werden mag (in Transnistrien wird diese Sprache, wie vor 1989, wieder mit kyrillischen Buchstaben geschrieben).

Zurecht oder zu Unrecht, die moldauische Regierung fürchtet um die eigene moldauische Identität und sieht es darum nicht gern, wenn die Oppositionsparteien mit rumänischen Gästen Wahlkampf machen. In der rumänischen Presse existiert die Auffassung, dass der rumänische Staat nicht ganz unbeteiligt an der distanzierten Haltung der Republik Moldau ist: Seit fünf Jahren fehlen auf Seiten Rumäniens Anstrengungen zu gemeinsamen kulturellen Projekten mit Moldova, es wurde nichts getan, um auf der einfachen Ebene den ernstgemeinten Austausch zu fördern. Das gehört zur Vervollständigung ins Bild von den Rumänen, die jetzt im moldauischen Wahlkampf plötzlich zu Hunderten in die Republik Moldau reisen.

Mit den Einreiseverweigerungen für Rumänen könnte die derzeitige moldauische Regierung von den Wählern sogar als konsequent schützende Hand gedeutet werden, die das Ideal einer moldauischen Identität vor fremden Einflüssen bewahrt.

Die Rumänen werden sich in den nächsten Tagen auf die Zunge beißen müssen, wenn sie an einem rumänienfreundlichen Wahlergebnis interessiert sind. Und abgesehen davon, wie stark oder gering der Einfluss Rumäniens auf den moldauischen Wahlverlauf ist, wird sich der rumänische Staat nach dem 5. April in ernsthafter Austauschförderung üben müssen, um glaubhaft zu bleiben. Denn funktionierende Kontakte könnten neben dem einseitigen Transfer billiger Arbeitskräfte endlich auch einen konstruktiven Dialog zwischen den Menschen bewirken.


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