Die NATO in den Medien

Eine „Doku“, eine neue, und zwar eine NATO-treue


Pünktlich, noch vor dem Gipfel, erfolgte in der Nacht zum 2. April die Erstausstrahlung der Dokumentation „Bündnis ohne Kompass – Wohin steuert die NATO?“ von Kai Niklasch. Der Film ist das 45-minütige unkritische Portrait des Militärbündnisses aus der Perspektive seiner Anhänger und Befürworter.

Nach einer Einleitung mit Bildern von den einstürzenden Twin-Towers folgen die ersten Talking Heads, unter denen auch Frau Clinton ist. Sie weist darauf hin, dass die USA und Europa heute vor denselben Bedrohungen stehen. Anschließend wird mit einem kommentierten Bilderrückblick erläutert, dass das Bündnis nach dem II. Weltkrieg der Verteidigung von Norwegen bis zur Türkei diente. Nur nebenbei wird erwähnt, dass die Anfrage auf Aufnahme der Sowjetunion 1954 abgelehnt wurde, während die BRD 1955 dem Bündnis beitrat. So wurde die Gründung des Warschauer Pakts provoziert. Ob ein Charakteristikum der NATO in der klaren Strategie der Konfrontation liegen könnte, wird nicht gefragt, obwohl diese Frage sich mit den dargestellten Fakten aufdrängt. Stattdessen werden historische Bilder gezeigt, zu denen abwechselnd Jamie Shea, Angela Merkel und Egon Bahr ihre Erinnerungen an die NATO reflektieren, die stets mit Frieden und Sicherheit verbunden sind. Kritik gibt es nicht.

Mit Frankreichs neuer Entschlossenheit nach mehr Einfluss in der bisher US-dominierten NATO wird auf die Gegenwart geschwenkt. Jürgen Todenhöfer ist der erste Kriegskritiker, der zu Wort kommt. Er erinnert daran, dass die Bilder der von NATO-Bomben in Afghanistan getöteten Frauen und Kinder Hass unter Muslimen auslösen können. Zu sehen sind solche Bilder nicht. Stattdessen wird dem Zuschauer vom Kommentator mitgeteilt, dass eine Strategie zum „Kampf um die Herzen“ fehlte – ohne Frage nach einem Warum und ohne Hinterfragen von militärischen Einsätzen. Bilder folgen dann wieder reichlich, allerdings sehen wir einen verletzten deutschen Soldaten in Afghanistan, der in einem Interview rückblickend die erlebte Autobomben-Explosion beschreibt. Die Verletzbarkeit der NATO wird durch den verwundeten Soldaten gezeigt, die Opfer der NATO nicht.

Dabei sei der Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan eigentlich unklar, wird kurz erwähnt, während die eingeblendeten Bilder von den Gefahren (für die Deutschen) an der Front erzählen. Volker Rühe nennt es in entrüsteter Weise ein Versagen, dass die deutsche Regierung bis heute so tue, als sei die Bundeswehr in „bewaffneter Entwicklungshilfe“, statt endlich vom „militärischen Kampf“ zu reden.

Die Botschaft des Films ergibt sich aus der Blickrichtung der vielen erzählenden NATO-Akteure, die ohne gegensätzliche Positionen durch den Film führen. Es mutet noch immer bizarr an, wenn Joschka Fischer erzählt, dass er im Gespräch mit Milošević keinen ernsthaften Friedenswillen hat erkennen können, um dann einmal mehr die Bomben auf Serbien zu rechtfertigen. In der erhaben-staatsmännischen Manier wirken seine erzieherischen Worte bedrohlich. Er ist in dem Moment die personifizierte NATO, ohne Selbstkritik und Zweifel. Niemand widerspricht.

Kritische Töne sind bei den Repräsentanten der NATO sicher nicht zu erwarten, aber warum tauchen in dem Film generell keine NATO-kritischen Fragen auf? Die Kontroversen um den Kosovo-Einsatz werden mit ein paar Worten vom Kommentator abgehakt:

„Der damalige Vorwurf an die NATO: Sie habe ihre Moral über das geltende Recht gestellt und Streubomben eingesetzt – Es sei nicht nur um Moral gegangen, sondern auch um Sicherheit; so ein Gegenargument.“

Der Film unterschlägt wichtige Tatsachen über die militärischen Angriffe der NATO-Länder gegen Serbien, die vor allem im Hinblick auf den Filmtitel zur Vollständigkeit eines Portraits der NATO gehören:

  • Verheerende Fehler in der Kriegsführung, wie die Bombardierung eines Flüchtlingskonvois (Meldungen bei Berliner Zeitung und Spiegel),
  • die von Amnesty International als „Kriegsverbrechen der NATO“ bezeichneten Verstöße gegen das Völkerrecht (insbesondere Luftangriffe gegen zivile Einrichtungen, Verwendung verbotener Munition),
  • die Erfindung des „Hufeisenplans“, 1999 vom ehemaligen Bundeswehrgeneral und OSZE-Berater Heinz Loquai als Lüge enttarnt (auch die taz berichtete)
  • und die Manipulation von Information zur Rechtfertigung der Angriffe im Vorfeld des Krieges (in der Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ befassten sich Jo Angerer und Mathias Werth 2001 damit, zu finden als Video-Stream und als Manuskript und auch die österreichische Tageszeitung der Standard weiß in kritischer Weise an die Bombardements zu erinnern).

Diese kritischen Punkte fehlen gänzlich in dem Bild, das Kai Niklasch in seiner Dokumentation von der NATO zeichnet. Einzig von „Friedensbewegten“ ist in dem Film die Rede, die in ihrer Mitgliederzahl nicht an die Antikriegsbewegung der 70er Jahre heranreiche – was vielleicht das Fehlen ihrer Perspektive in dem Film erklärt. „Ihr Protest richtet sich gegen die NATO als Relikt des Kalten Krieges“, hört man den Kommentator ohne weitere zusammenhängende Erläuterung sagen. Eine Aktivistin berichtet, dass sie Gegenmacht „von unten“ aufbauen wolle, aber Argumente der Friedensinitiative fehlen im Film. Die Darstellung der Friedensbewegung erfolgt als inhaltsleeres Phänomen, das thematisch ohne Einordnung bleibt:

„Sich Aufmerksamkeit verschaffen, wenn auch nur mit ganz einfachen Mitteln, das ist, was sie umtreibt. […] Jedes Ziel sei ein zu Hause, steht auf ihren Papphüten, jede Bombe also eine Bombe zu viel. Sie kämpfen für eine friedliche Welt, fürchten Atomwaffen, wollen deren Abschaffung und die NATO ist für sie kein Verteidigungsbündnis.“

Die Bilder dazu zeigen ungefährlich aussehende Menschen und Kinder, nachdem auch Polizisten zu sehen waren, die gewaltvoll gegen friedliche Demonstranten vorgingen. Der kommentierte Kontext: Es sind nur wenige, sie sind friedlich.

Der Film präsentiert die NATO als ein historisch gewachsenes, unumstößliches Phänomen, das dem Zuschauer mit großen historischen Bildern (Reden von Präsidenten, Kanzlern, wichtige Konferenzen, Checkpoint Charlie, Mauerfall, 11.9.) als Teil seiner Realität und Identität verbildlicht wird. Die Friedensbewegung bekommt die Rolle einer vernachlässigbaren Begleiterscheinung und Kritiker der NATO kommen gar nicht zu Wort – so verzichtet der Film auf Gegenargumente, was zu einer völlig einseitigen Darstellung des Militärbündnisses führt und mit den ausgewählten Talking Heads wie ein Werbefilm für die NATO wirkt. Die Frage, was die NATO eigentlich für eine Funktion hat, bleibt nicht nur unbeantwortet, sie wird gar nicht ernsthaft angesprochen.

Eine Dokumentation, die Schwächen und tödliche Fehler der NATO verschweigt, trägt gar nichts zur Auseinandersetzung mit dieser Militärorganisation bei. Zum Filmschluss heißt es: „Nur mit einer klaren Richtung erlebt das Bündnis eine erfolgreiche Fortsetzungsgeschichte.“ Mit einer klaren Richtung und mit journalistischen Geburtstagsgeschenken wie dem von Kai Niklasch.


„Bündnis ohne Kompass – Wohin steuert die NATO?“ in der ZDF-Mediathek oder direkt als Stream (Bandbreite 2000+ oder 1000 und Modem)