Signal, 11.5.2009

Den Roma reicht es, einigen serbischen Fabrikarbeitern auch und an der HU ist (die Region) Moldau Thema


„Dosta“ – „Es reicht“, ist das Signal, das eine Kampagne für die europäischen Roma aussendet und dank arte von Bulgarien aus in unsere Fernsehapparate gesendet wird. Die taz sendet Protestsignale verzweifelter serbischer Fabrikarbeiter, die eigentlich für die serbische Regiernug gedacht sind, in die deutsche Druckpresse und an der Humboldt Universität wird die Peripherie Europas, die Region Moldau, ins Licht gerückt.

Dokumentation Die Stadt der Roma von Frédéric Castaignède, am Samstag, 23. Mai 2009 bei arte um 23:05 Uhr. Die Programmankündigung klingt interessant, aber „Dosta“ ist nicht Rumänisch, sondern Romani.

Hungerstreik in Novi Pazar, von dem berichtet Andrej Ivanji in der taz. Die Verzweiflung der Fabrikarbeiter wird symbolisch für die Situation vieler Menschen im Lande beleuchtet. Wenn Arbeiter zu Kannibalen werden

Buchpräsentation und Vortrag am Mittwoch, 13. Mai 2009 um 19:00 im Restaurant „Cum laude“ (Westflügel der Humboldt-Universität): Markus Bauer ist hier zu hören, nämlich unter der Überschrift „Hinter den Karpaten – zur kulturellen Topographie der Moldau“. (Mehr Infos bei der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft Berlin, unter Veranstaltungen.)

Europäische Arroganz

Das zivilisierte Europa und die wilden Beitrittskandidaten – ein Bild von Alois Berger beim Deutschlandfunk


Um Aufmerksamkeit zu bekommen, kann man provozieren. Die Formen journalistischer Provokation mögen vielfältig sein, Alois Berger entschied sich bei seinem politischen Kommentar „In der Warteschleife“ am 4.5.2009 bei Deutschlandfunk für eine bewährte Sportart: Stereotypenreiten.

„Albanien in der Europäischen Union, das ist so etwas wie die Vollendung des europäischen Alptraums.“

Dieser erste Satz verdeutlicht sofort: hier spricht jemand Klartext. Vielleicht ist ja das mitschwingende Bild, dass die EU bereits ohne Albanien ein (wenn auch unvollendeter) Alptraum ist, sogar beabsichtigt. Weiter geht’s mit Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien,

„aber viel besser sieht es dort auch nicht aus. Der ganze Westbalkan ist im Grunde nicht in der Verfassung, dass man sich einen Beitritt wünschen könnte.“

Selbst wenn ich Herrn Berger zustimmen würde, fehlt mir in dem Kommentar die Begründung für seine persönliche Abneigung. Aber der Autor redet lieber nicht über sich selbst, sondern über andere:

„Die EU wird die Länder auf dem Balkan irgendwann aufnehmen müssen, um diese seit Jahrhunderten unruhige Region endlich zu stabilisieren.“

Dieses Bild hängt sicherlich mit dem „Alptraum“ zusammen. Alois Berger sitzt fest im Sattel bei der Neu-Eroberung lange zerlatschter Territorien, wenn er das über 100 Jahre alte Bild des zivilisierten Europas, das den wilden Balkan zähmen muss, hervorkramt. Das Pulverfass. Wer sonst würde für Stabilität in der Welt sorgen, wenn nicht Menschen wie Alois Berger?

Demnach befände sich die EU in der Position eines Erziehungsberechtigten gegenüber den Nicht-EU-Ländern,

„dass es keine Kriege mehr in Europa gibt, keine ethnischen Säuberungen und keine Flüchtlingsströme. Dafür ist sie gegründet worden, dafür brauchen wir sie heute noch.“

Gerade mit Blick auf den Raum Ex-Jugoslawien hat die EU nicht mehr als ihre Unfähigkeit demonstriert. Sollte der Autor hier den Wunsch nach Stabilität und Demokratie-Export durch erzieherische Maßnahmen mit Luftangriffen und Stationierung von Militär implizieren, dann hätte er sich schon im 19. Jahrhundert für den Posten eines „europäischen“ Außenministers bewerben können.

„Natürlich wäre es schöner, in einer kuscheligen EU mit lauter reichen Ländern zu leben, die wir aus dem letzten Urlaub in schönster Erinnerung haben. Aber so ist die Welt halt nicht. Geschichte kann man sich so wenig heraussuchen wie seine Nachbarn.“

Wen der Autor hier mit seinem vermeintlichen Realismus ernüchtern will, ist mir unklar. Was hat Berger sich denn „sonst“ für ein Europa vorgestellt? Und wo macht er Urlaub? Wie grausam ist wohl ein Leben, in dem man sich seine Nachbarn nicht aussuchen kann? Hätte er lieber gar keine Nachbarn?

Aber als Schwarzmaler will Berger nicht gelten:

„Die Kosten sind beherrschbar. Der Beitritt Polens und selbst Rumäniens hat das EU-Budget nicht gesprengt, wie viele Wirtschaftsexperten vorausgesagt hatten. Deutschland zahlt heute ein Prozent des Bruttosozialproduktes nach Brüssel, genau so viel wie vor zehn Jahren auch.“

Und die aufgeblasene Antipathie? Doch nur journalistisches Mittel für möglichst viele nickende Radiozuhörerköpfe?

Zum Schluss deutet Berger noch vage Gründe für seine ablehnende Haltung an, indem er an Korruption und Organisiertes Verbrechen erinnert. Dieser Verweis wirkt wie die bekannte reflexartige Geste zur Ablenkung von eigenen Problemen. Aber das ist ja das Bequeme am Bild der „Anderen“, es dient als Müllkippe für das unreflektierte Bild des „Eigenen“, des „Ich“.

„Die Anderen“ sind korrupt und wir nicht – wollen „die Anderen“ mitmachen, so müssen sie unsere Regeln des fairen Miteinander akzeptieren. Es ist erstaunlich, dass diese plumpe Formel noch immer unkritisch in den Medien reproduziert wird.

„Dabei ist die Sache ganz einfach: Es reicht die Zusicherung, dass alle wirtschaftlichen und politischen Bedingungen für den Betritt erfüllt werden müssen – und zwar ohne Ausnahme. Das gibt den Ländern klare Vorgaben – und uns gibt es ausreichend Zeit, uns an den Gedanken zu gewöhnen, dass in Brüssel eines Tages auch albanische Minister mitreden.“

So einfach. Das Europa des Alois Berger.


Der Kommentar von Alois Berger kann ist nachlesbar.

Pressefreiheit in Rumänien

Im Gegensatz zu Deutschland hört man aus Rumänien zum „Tag der Pressefreiheit“ selbstkritische Töne


Den „Tag der Pressefreiheit“ nahm die rumänische Agenţia de Monitorizare a Presei zum Anlass, ihren knapp 40-seitigen Bericht zur Pressefreiheit in Rumänien 2008 zu veröffentlichen (→pdf: Raport FreeEx, Rumänisch).

Heute erschien dazu beim rumänischen Nachrichtenportal Ziare.com ein Interview mit Mircea Toma, dem Vorsitzenden der Agenţia de Monitorizare a Presei (Mircea Toma: Exista o dictatura a publicului cu un nivel de educatie scazut).

Toma äußert sich zu einigen zentralen Punkten des Berichts. Auf die Frage, ob die Pressefreiheit in Rumänien Fortschritte gemacht hat, antwortet er:

„Die wesentlichste Feststellung im Bericht bezieht sich auf die Geschehnisse, die sich im vorigen Jahr während des NATO-Gipfels abspielten, als die Reaktionen der Ordnungskräfte von einer unvorstellbaren Brutalität waren, die eine schwere Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, speziell der Rechte der freien Meinungsäußerung, darstellte.

Bürger Rumäniens und anderer Länder wurden für ihre Gedanken geschlagen und ihrer Freiheit beraubt, weil vermutet wurde, sie könnten ihre Anti-NATO-Botschaften öffentlich äußern. Dieser Umstand ist ein ernsthaftes Signal für die Brüchigkeit der rumänischen Demokratie.“

Toma bemängelt, dass die Reaktionen der rumänischen Behörden auf diese Ausuferungen „gleich null“ gewesen seien.

Einen zweiten besorgniserregenden Punkt sieht Mircea Toma in der Konzentration von wirtschaftlichem, politischem und medialem Einfluss in den Händen einzelner Akteure, die zu Interessenkonflikten führt, wobei er speziell auf die Ereignisse um den Bürgermeister von Constanţa, Radu Mazăre, hinweist. Der Politiker und Medienunternehmer beeinflusse die örtliche Justiz zu seinen Gunsten und setze lokale Medien unter Druck, die kritisch über ihn berichten.

Ansonsten scheinen die Probleme der rumänischen Presse sich weitgehend mit denen in den meisten „west“-europäischen Ländern zu decken:

„Gut bei uns ist, dass keine Journalisten umgebracht werden. Schlecht ist, dass es eine Selbstzensur gibt, die dafür sorgt, dass wir über keine der Firmen schreiben, die ihre Werbung auf den Zeitungsseiten haben.“

Politische Beeinflussung von Medien gäbe es in differenzierter Weise, sie hinge von den einzelnen Redaktionen ab, einige Fernsehsender oder Zeitungen seien aber neutral und unbeeinflussbar. Auch in Rumänien stehen Parlamentswahlen an.

Bezeichnend ist Tomas Antwort auf die Frage nach der Qualität und Glaubwürdigkeit der rumänischen Presse:

„Im Fernsehen wird die rasante Boulevardisierung der Medien erkennbar. Das bedeutet, es gibt eine Art Diktatur der Bevölkerungsschichten mit niedrigerem Bildungsniveau über andere Typen von Publikum.

Dabei geht es nicht um ein Phänomen, das nur die rumänische Presse betrifft, das ist ein internationales Problem. Es entsteht aus der finanziellen Abhängigkeit der Presse von Werbung, also von den Zuschauern.“

Mircea Toma befürchtet die Verdrängung nützlicher Informationen zugunsten einer qualitativ minderwertigen aber umso beliebteren Medienberichterstattung. Dennoch:

„Ich bin optimistisch. Ich erwarte eine Revolution des anspruchsvollen Publikums über die Massenmedien.

Ich bin überzeugt, dass das professionelle Niveau der Journalisten heute wesentlich höher ist, als noch vor zehn Jahren. (…)
Das große Problem der rumänischen Presse ist, dass die professionellen Werte des Journalisten faktisch von den Werten des Marketings überdeckt werden, und nicht, dass die Journalisten dumm sind oder unprofessionell, sondern dass sie akzeptieren, unprofessionell zu werden, entgegen ethischer Prinzipien zu handeln, weil aufgrund zu schwacher Gewerkschaften die Unterstützung fehlt und sie damit institutionellem Druck ausgesetzt sind.“

In den Tagesthemen wurde gestern anlässlich des „Tages der Pressefreiheit“ von unterdrückten Journalisten im Iran berichtet, was zweifellos ein wichtiges Thema ist. In der Tagesschau davor ging es um Journalisten in Afghanistan, Gaza, Italien, China und den USA. Solange es woanders schlimmer ist, braucht man nicht auf sich selbst zu schauen, denn auch in Deutschland wäre eine breite und öffentliche Auseinandersetzung mit der Situation der Presse- und Meinungsfreiheit überfällig, sowohl mit Blick auf marktwirtschaftliche Dominanz als auch in Anbetracht des wachsenden staatlichen Überwachungsinteresses. NATO und G8 sind sicher anregende Stichworte.

In Rumänien ist man da schon weiter.

Signal, 3.5.2009

Rumänische Nostalgia auf Deutsch, zwei Mal goEast, Bukarester Beziehungskiste im Fernsehen und musizierende Roma zu Besuch


Das Signal von heute sind die medialen Reaktionen auf Kunst aus Südosteuropa (Radio über Literatur und Printmedien über Film) sowie rohe Informationspakete über die Ausstrahlung eines Films im hiesigen TV und über die Ausstrahlung von tanzbarer Musik in verschiedenen Städten.

Rumänische Literatur auf Deutsch: Die neu überarbeitete Übersetzung Gerhardt Csejkas von Mircea Cărtărescus Erzählband Nostalgia war im April Anlass für zwei Kurzberichte bei Deutschlandradio Kultur und wurde zum Fazit Ein unverbesserlicher Träumer sowie in der Radiofeuilleton-Kritik Strömende Traumsucht verarbeitet. Von Cărtărescu war zuletzt 2008 auf Deutsch Warum wir die Frauen lieben erschienen.

Kinokritik zu einem serbischen und einem rumänischen Film: Das Wiesbadener Filmfestival goEast ist zu Ende und sorgt für positive Resonanz: Die Frankfurter Rundschau sieht kein Ende der rumänischen Kino-Welle und lobt den in Wiesbaden präsentierten Film „Das glücklichste Mädchen der Welt“ von Radu Jude (Die Fliegen auf der Mauer). Der Freitag hebt den Regisseur Boris Mitić mit seinem Werk „Auf Wiedersehen, wie geht es euch?“ hervor (Geschichtsverständnis zum Lachen).

Deutsch-rumänischer Film Offset am 10. Mai (Sonntag) um 23:50 bei ARD: Der in Deutschland gefloppte Film von Didi Danquart ist Geschmackssache. Trotz seiner Tendenz zum Osteuropa-Kitsch berührt der Film mindestens im Ansatz die Probleme eines „europäischen Zusammenwachsens“ und zwischenmenschlicher Ideale, Handlungsort ist Bukarest. Der Stoff ist etwas holprig umgesetzt, dafür glänzen Katharina Thalbach als wunderbar authentische Rumänien-Touristin und Răzvan Vasilescu (Balanţa, California Dreamin‘ – Nesfărşit) als verbitterter von Eifersucht gekränkter Deutschen-Hasser. Die für die männerherzenverdrehende Hauptfigur zuständige Alexandra Maria Lara bleibt in ihrer typischen Rolle leider etwas farblos, dafür spricht die gebürtige Bukaresterin zum ersten Mal in einem Kinofilm Rumänisch.

Musik von Roma-Kapellen: Die rumänische Fanfare Ciocărlia und die Taraf de Haidouks touren im Sommer durch Deutschland. Die wichtigsten Informationen dazu hat „die Rumänien-Seite“ Rennkuckuck: Termine und Infos zu Fanfare sowie Termine und Infos zu Taraf.

Vergessen in Europa

Verdrängter Alltagsrassismus jetzt auch mit Tortendiagrammen belegt


In mehreren Medien wurde von einer Studie berichtet, die ein offenbar unerwartet hohes Maß an rassistischer Diskriminierung in Europa belegt (u.a. Tagesspiegel: Rassismus trifft vor allem Roma und Afrikaner, Berliner Zeitung: Minderheiten in der EU massiv diskriminiert, ZEIT ONLINE: Rassismus trifft vor allem Roma und Afrikaner, tagesschau.de: Jeder dritte Zuwanderer ist schon diskriminiert worden und SPIEGEL ONLINE: Ausländer beklagen massiven Rassismus in Europa). Stets heißt es, die dargestellte Diskriminierung sei „höher als bisher angenommen“.

Die European Agency for Fundamental Right machte erstmals den Versuch, die Diskriminierung von Minderheiten statistisch in Zahlen darzustellen. Dem Bericht (→pdf) zufolge gehört rassistische Diskriminierung zur alltäglichen Erfahrung der Minderheiten. Neben afrikanischen (oder dem Aussehen nach als solche eingeordneten) Menschen trifft der europäische Rassismus insbesondere die in allen Ländern Europas lebenden Roma, so dass über die Diskriminierung dieser Gruppe ein gesonderter Bericht (→pdf) erschien.

Die heute nahezu ausschließlich sesshaft lebenden Roma werden noch immer gern als „Wandervolk“ dargestellt, die das Bedürfnis nach gelegentlichen Ortswechseln angeblich im Blut hätten. In den Medien werden die europäischen Roma nicht selten aus dem Kontext etwa kriegsbedingter Migration herausgenommen und zu einem separaten „Nomadenvolk“ stilisiert. Bei keiner anderen Gruppe, mag sie „ethnisch“, religiös oder anders begründet sein, wird der Verweis auf eine „Urheimat“ außerhalb Europas und den „Wandertrieb“ derart oft zur Erklärung von Problemen hervorgehoben, wie bei den Roma.

Wie der Unmut der Menschen unter verschiedensten Vorwänden in Hass und Gewalt gegenüber den Roma mündet, konnte in letzter Zeit mehrfach in Ungarn beobachtet werden, so dass die taz titelt Es herrscht „[***]nerhatz“. Auch in Tschechien scheinen sich in letzter Zeit pogromartige Überfälle auf die Minderheit zu häufen (Die Presse: Rassistische Gewalt versetzt tschechische Roma in Angst). Und vor kurzem tauchte ein schockierendes Video auf, von dem u.a. Der Standard berichtete (Slowakische Polizisten misshandelten Roma-Kinder): Kinder zwischen 11 und 16 Jahren werden von slowakischen Polizisten gezwungen, sich gegenseitig möglichst hart in die Gesichter zu schlagen. Während die Polizisten das Geschehen filmen, haben sie hörbar Spaß. Anschließend werden die Kinder von den brüllenden Uniformierten gezwungen, sich auszuziehen und dabei weiter gefilmt. (Das Video existiert bei Youtube Roma Rights Network verlinkt zum Video: Slovakia Police brutality video leaked online) Das Video zeigt nur einen Ausschnitt aus einer langen Reihe gefilmter Misshandlungen, wird in einem Slowakei-Blog berichtet. Die Szenen sollen sich in der Polizeistation der slowakischen Stadt Košice abgespielt haben, am 8. April, dem Internationalen Tag der Roma.

Die statistischen Ergebnisse der Studie übertreffen den Meldungen zufolge die bisherigen Annahmen über das Ausmaß von rassistischer Diskriminierung. In Anbetracht der wiederholten offenen Gewaltausbrüche gegen Roma ist das etwas verwunderlich, denn die Statistik zeigt schlicht die Realität. Zudem ist auch die von Ausgrenzung und sozialer Armut gekennzeichnete Situation eines Großteils der Roma mehr als augenscheinlich und lange bekannt, wenn auch besser verdrängbar, als offene rassistisch motivierte Gewalt. Die Studie bestätigt also nur bekannte Tatsachen. Als beispielhaft für die Situation aller Roma in Europa kann der vor einem Jahr erschienene Artikel von Nikoleta Popkostadinowa Kein Mathe, kein Wasser in Stoliponowo, über das Randdasein der Roma in Bulgarien gesehen werden. In den verschiedenen europäischen Nationalstaaten wächst offenbar die soziale Ausgrenzung dieser Gruppe proportional zur Größe ihres Bevölkerungsanteils. Als beliebte Optionen zur „Lösung“ des Problems wird dann „Integration“ angeführt, die in ihrer Ausführung nichts weiter als Homogenisierung mit der Mehrheitsgesellschaft bedeutet. Auch die BRD der 70er Jahre entschied sich für dieses „Angebot“ gegenüber den deutschen Sinti und Roma. Die bis heute gültige Formel lautet: „Ich habe nichts gegen xyz, solange sie sich benehmen wie hier üblich“. „Ich“ mache die Regeln und „die Anderen“ können mitmachen oder fallen durch.

Die Mechanismen sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung, damit einhergehende Diskriminierung und die Akkumulation von Unmut in Gewalt gegenüber einer Minderheit sollten in Europa eigentlich bekannt und zu Genüge untersucht sein. Aber sind sie das? In genau diesem Europa gibt es zum Beispiel für 2000 Menschen Ein Leben zwischen Ratten und Müll, unter unmenschlichen Bedingungen in Sichtweite zu modernen Hotels, im Zentrum einer Großstadt. Andrej Ivanji berichtet von einem „apokalyptischen Bild“ in Anbetracht dieser Belgrader Romasiedlung.

Was in ganz Europa sehenden Auges auf der Straße und im Alltag geschieht, musste erst in einer „Studie“ erscheinen, um in dem Ausmaß dann die Erwartungen zu übertreffen. Bevor es nicht schwarz auf weiß steht, heißt es: „Ich habe von nichts gewusst!“