Das zivilisierte Europa und die wilden Beitrittskandidaten – ein Bild von Alois Berger beim Deutschlandfunk
Um Aufmerksamkeit zu bekommen, kann man provozieren. Die Formen journalistischer Provokation mögen vielfältig sein, Alois Berger entschied sich bei seinem politischen Kommentar „In der Warteschleife“ am 4.5.2009 bei Deutschlandfunk für eine bewährte Sportart: Stereotypenreiten.
„Albanien in der Europäischen Union, das ist so etwas wie die Vollendung des europäischen Alptraums.“
Dieser erste Satz verdeutlicht sofort: hier spricht jemand Klartext. Vielleicht ist ja das mitschwingende Bild, dass die EU bereits ohne Albanien ein (wenn auch unvollendeter) Alptraum ist, sogar beabsichtigt. Weiter geht’s mit Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien,
„aber viel besser sieht es dort auch nicht aus. Der ganze Westbalkan ist im Grunde nicht in der Verfassung, dass man sich einen Beitritt wünschen könnte.“
Selbst wenn ich Herrn Berger zustimmen würde, fehlt mir in dem Kommentar die Begründung für seine persönliche Abneigung. Aber der Autor redet lieber nicht über sich selbst, sondern über andere:
„Die EU wird die Länder auf dem Balkan irgendwann aufnehmen müssen, um diese seit Jahrhunderten unruhige Region endlich zu stabilisieren.“
Dieses Bild hängt sicherlich mit dem „Alptraum“ zusammen. Alois Berger sitzt fest im Sattel bei der Neu-Eroberung lange zerlatschter Territorien, wenn er das über 100 Jahre alte Bild des zivilisierten Europas, das den wilden Balkan zähmen muss, hervorkramt. Das Pulverfass. Wer sonst würde für Stabilität in der Welt sorgen, wenn nicht Menschen wie Alois Berger?
Demnach befände sich die EU in der Position eines Erziehungsberechtigten gegenüber den Nicht-EU-Ländern,
„dass es keine Kriege mehr in Europa gibt, keine ethnischen Säuberungen und keine Flüchtlingsströme. Dafür ist sie gegründet worden, dafür brauchen wir sie heute noch.“
Gerade mit Blick auf den Raum Ex-Jugoslawien hat die EU nicht mehr als ihre Unfähigkeit demonstriert. Sollte der Autor hier den Wunsch nach Stabilität und Demokratie-Export durch erzieherische Maßnahmen mit Luftangriffen und Stationierung von Militär implizieren, dann hätte er sich schon im 19. Jahrhundert für den Posten eines „europäischen“ Außenministers bewerben können.
„Natürlich wäre es schöner, in einer kuscheligen EU mit lauter reichen Ländern zu leben, die wir aus dem letzten Urlaub in schönster Erinnerung haben. Aber so ist die Welt halt nicht. Geschichte kann man sich so wenig heraussuchen wie seine Nachbarn.“
Wen der Autor hier mit seinem vermeintlichen Realismus ernüchtern will, ist mir unklar. Was hat Berger sich denn „sonst“ für ein Europa vorgestellt? Und wo macht er Urlaub? Wie grausam ist wohl ein Leben, in dem man sich seine Nachbarn nicht aussuchen kann? Hätte er lieber gar keine Nachbarn?
Aber als Schwarzmaler will Berger nicht gelten:
„Die Kosten sind beherrschbar. Der Beitritt Polens und selbst Rumäniens hat das EU-Budget nicht gesprengt, wie viele Wirtschaftsexperten vorausgesagt hatten. Deutschland zahlt heute ein Prozent des Bruttosozialproduktes nach Brüssel, genau so viel wie vor zehn Jahren auch.“
Und die aufgeblasene Antipathie? Doch nur journalistisches Mittel für möglichst viele nickende Radiozuhörerköpfe?
Zum Schluss deutet Berger noch vage Gründe für seine ablehnende Haltung an, indem er an Korruption und Organisiertes Verbrechen erinnert. Dieser Verweis wirkt wie die bekannte reflexartige Geste zur Ablenkung von eigenen Problemen. Aber das ist ja das Bequeme am Bild der „Anderen“, es dient als Müllkippe für das unreflektierte Bild des „Eigenen“, des „Ich“.
„Die Anderen“ sind korrupt und wir nicht – wollen „die Anderen“ mitmachen, so müssen sie unsere Regeln des fairen Miteinander akzeptieren. Es ist erstaunlich, dass diese plumpe Formel noch immer unkritisch in den Medien reproduziert wird.
„Dabei ist die Sache ganz einfach: Es reicht die Zusicherung, dass alle wirtschaftlichen und politischen Bedingungen für den Betritt erfüllt werden müssen – und zwar ohne Ausnahme. Das gibt den Ländern klare Vorgaben – und uns gibt es ausreichend Zeit, uns an den Gedanken zu gewöhnen, dass in Brüssel eines Tages auch albanische Minister mitreden.“
So einfach. Das Europa des Alois Berger.
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Der Kommentar von Alois Berger kann ist nachlesbar.