Realität in Europa

Es gibt einen tiefschwarzen Bereich auf der Schattenseite Europas, in den nicht einmal das entfernte Echo der Bekundungen europäischer Ideale vordringt.


Das wirklich Beschämende an diesem Teil europäischer Realität ergibt sich aus den Versäumnissen europäischer und „internationaler“ Verantwortlicher, die, über Jahre hinweg, bis heute keine Veränderung der Situation erreichen konnten.

Isabel Fonseca beschreibt heute in der Frankfurter Rundschau das Lager, in dem unnatürliche Todesfälle, Fehlgeburten und Neugeborene mit Hirnschäden seit Jahren die Bewohner beschäftigen. (Über den zulässigen Höchstwerten) Es geht um die bleiverseuchten Behausungen hunderter Flüchtlinge nahe der Stadt Mitrovica im Kosovo.

„Die Lager wurden von den Vereinten Nationen errichtet, und die Vereinten Nationen tragen zusammen mit den Behörden im Kosovo die Verantwortung für diese Menschen, eine Verantwortung, der sie sich bewusst entziehen, trotz vieler Proteste von Europaabgeordneten, Roma- und Menschenrechtsvertretern, Umweltfachleuten, Anwälten, Journalisten, der Center for Disease Control and Prevention in den USA, dem Dänischen Flüchtlingsrat (DRC), dem Mercy Corps, der Norwegian Church Aid, der WHO und zumindest einer Baronin.“

Angesichts der Andeutungen Fonsecas zur langen Liste der Organisationen, die bereits auf die lebensgefährlichen Bedingungen in dem (von der internationalen Gemeinschaft geführten) Lager aufmerksam machten, erscheint der Fall umso unglaublicher. Viele Roma sind zusätzlich zu ihrer katastrophalen Wohnsituation bis heute andauernder Verfolgung im Kosovo ausgesetzt.

Einige, die auf die menschenunwürdigen Bedingungen unter der Aufsicht von UN, UNMIK, EU und NATO hinwiesen:

Vor dem Hintergrund dieser bis heute andauernden Zustände wird die Situation vom Europarats-Menschenrechtsbeauftragten Thomas Hammarberg als „humanitäre Katastrophe“ bezeichnet (Humanitäre Katastrophe in Nordkosovo). Der Europarat hat darum erneut betont, dass Abschiebungen von Flüchtlingen ins Kosovo unverantwortlich seien („Rückführung von Flüchtlingen kommt Menschenrechtsverletzung gleich“).

Österreich hat vor einigen Tagen Kosovo zu einem „sicheren Drittland“ erklärt (Kosovo gilt als „sicheres Drittland“).

Deutschland schiebt schon seit 2005 die bedrohte Minderheit ab (Abschiebung ins Kosovo) und wird dabei auch nicht müde (Erster Rom aus Hessen ins Kosovo abgeschoben).

Die für den NATO-Krieg im Kosovo aufgebauten westlichen Kameras sind heute, 10 Jahre später, abgebaut. Kein Interesse. Es geht um Roma.


update:

dROMa-Blog schreibt heute zum Thema: Kosovo: Lager hochgradig verseucht

Signal, 23.6.2009

Literatur im Austausch, Architektur im Kontrast und Bulgarischer Film in Berlin


Beispiele rumänischer Gegenwarts-Baukunst präsentieren fast zeitlgeich Kurt F. de Swaaf bei Spiegel Online und Martin Woker bei der NZZ online: de Swaaf liefert Hintergründe zu Ceauşescus „monumentalen Prunkbauten“ (Das finstere Kalkül Ceausescus), während Woker ein Buch vorstellt, mit dem man diesem „städtebaulichen Albtraum der Ceausescu-Ära“ entkommen kann (Schillernde Paläste).

„Einen besonderen Fall von Intertextualität“ hat Renate Lachmann anhand der Spuren des Werks von Bruno Schulz in Danilo Kišs „Bašta, pepeo“ (Garten, Asche) ausgemacht und stellt diesen am Donnerstag, 02.07.2009, 18 Uhr c.t. am Institut für Slawistik der HU Berlin vor. (Dorotheenstraße 65, Raum 5.57, 5. Etage, Veranstaltungskalender der HU-Slawistik)

„Ausgerechnet Bulgarien“, sagt Das Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. Berlin (Potsdamer Str.2) und hat darum dieser Tage einige bulgarische Filme im Programm.

Die Nomaden kommen

Auf Spiegel Online berichtet Zacharias Zacharakis über Roma in Berlin. Sein Artikel mit dem Namen Nomaden der Neuzeit verbreitet keine Informationen, sondern Angst.


Der Titel-Begriff „Nomaden“ ist beispielhaft für den Artikel. Roma, obwohl sie vorwiegend in Slum-ähnlichen Randbezirken, aber vor allem sesshaft, leben (Vergessen in Europa) lassen sich nach wie vor am besten in Bildern längst vergangener Zeiten verkaufen. Vielleicht ist es auch Unwissenheit und Zacharakis kennt die Lebensumstände der Roma Südosteuropas nicht, das ist aber unwahrscheinlich, denn eine kleine Internet-Recherche genügt, um das Nomaden-Bild als tief verwurzeltes Vorurteil zu erkennen (Brigitte Mihok und Peter Widmann: Sinti und Roma als Feindbilder). Die kritische Auseinandersetzung mit einem Problem wie Arbeitsmigration ist aber aufwändiger als der Griff nach dem Nomaden-Etikett.

Mit einschlägigem Vokabular auf Kosten Anderer klingen die Schlagzeilen eben auch flotter:

Erst haben die Roma-Familien unter freiem Himmel in einem öffentlichen Park gehaust, dann besetzten sie eine Kirche in Kreuzberg – und Fachleute erwarten für die Zukunft eine wahre Einwanderungswelle.

Die Bedeutungen des Verbs „hausen“ können im Wictionary nachgelesen werden, mit Verweisen auf mehrere Lexika.

Zacharakis dekoriert die lasche Faktenlage mit ein paar Klischeebildern, die am Begriff Roma so gut haften, wie die Sticker in einem Poesie-Album. Und seine angekündigten „Fachleute“ sind in Wirklichkeit nur einer, wie sich später herausstellt.

Interessant ist der (einzige) Absatz, in dem Äußerungen derer auftauchen, von denen uns der Spiegel-Online-Artikel erzählen will:

„Geht gut hier“, sagt die Frau. Auf die Frage, wie lange sie und ihre Angehörigen noch bleiben wollen, neigt sie den Kopf zur Seite, zuckt mit den Achseln. Warum sind sie nach Deutschland gekommen? Die Frau führt ihre Hand in schnellen Bewegungen zum Mund. Aus Hunger.

Diese Menschen (Weil sie fremd aussehen oder gebrochenes Deutsch sprechen?) werden gefragt, wie lange sie noch hier bleiben wollen und warum sie hier sind. Ist das eine persönliche Frage des Autors oder stellt er sie für seine Leserschaft?

Ansonsten bleiben die Roma in dem Artikel ein aus sicherer Entfernung ausgewertetes Phänomen. Mutmaßungen und Fakten verschwimmen ineinander. Was die Roma eigentlich wollen, wünschen oder vorhaben, erfahren wir aus der Sicht der Nicht-Roma:

„Sie würden gerne Leistungen vom Staat erhalten“

Diese Zwischenüberschrift soll verdeutlichen, was „schnelle Bewegungen der Hand zum Mund“, von Zacharakis eingangs als „Hunger“ interpretiert, eigentlich bedeutet. Da Sozialleistungsempfänger in Deutschland ohnehin kein hohes Ansehen haben, kann sich die Leserschaft nun zusammenreimen, warum diese Nomaden mit Wunsch nach Sozialleistungen nicht mit „Herzlich Willkommen“ begrüßt werden, sondern mit „Wann geht ihr wieder?“.
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Abgetrennte Hoffnung

Unliebsamer Realitäten entledigt man sich durch Ignoranz und Verdrängung. Auch wenn es um Menschen geht, die unter der zynisch klingenden Überschrift „Hoffnung“ in Isolation leben.


Roma im Fernsehen – das verspricht bunte Bilder musizierender und tanzender Menschen, die jenseits der Zivilisation in althergebrachter Weise ihre von außen schwer zugängliche Kultur leben. Aber ist das die Realität?

Der Dokumentarfilm Die Stadt der Roma von Frédéric Castaignède widmet sich dem Alltag einiger Bewohner der bulgarischen Stadt Sliven. Das Viertel mit dem Namen „Hoffnung“ ist vom Rest der Stadt durch die Eisenbahnlinie und eine Mauer abgetrennt. Viele der hier lebenden Menschen haben nicht Bulgarisch, sondern Romani als Muttersprache. Neben der Armut ist die Sprache die wesentliche Eigenschaft, die die Menschen im Bezirk „Hoffnung“ miteinander gemeinsam haben. Und, dass sie hier unsichtbar für die anderen Bewohner von Sliven sind.

Der Film porträtiert einige Personen in ihrem Alltag. Obwohl diese Menschen mit alltäglicher Ausgrenzung konfrontiert sind, sind sie keine Opfer und werden auch nicht als solche dargestellt. Sie sind souveräne Akteure in ihren verschiedenen Lebenssituationen, die bewusst über ihr gesellschaftliches Randdasein reflektieren, dem sie entkommen wollen.

Die Arbeit des aus dem Viertel stammenden Schulbeauftragten hat Erfolg, die Kinder besuchen die Schule, auch wenn sie dort nicht Romani sprechen dürfen. Aber wegen ihrer Herkunft bleiben die Kinder gekennzeichnet, sie können nicht einfach „normale“ Schüler sein. Keines der bulgarischen Kinder möchte neben einem „***ner“ sitzen. Kürzlich erst sei sogar ein bulgarischer Schüler, der sich neben eine „***ner“ setzte, daraufhin selbst als „***ner“ beschimpft worden. Der Stellungskrieg zwischen den Identitätsgräben beginnt im Klassenraum der Grundschule. Nation oder „pfui“.

Der Film bleibt unsentimental, Hintergrundmusik gibt es nur sehr sparsam, eine kommentierende Stimme bleibt dem Zuschauer erspart. Die Bilder und vor allem die Menschen sprechen für sich. In frappierender Lächerlichkeit präsentieren sich die Sätze des Schuldirektors, die „***ner“ hätten ein leichteres, weil sorgloseres, von Musik geprägtes Leben, die „Psychologie ihres Volkes“ sei bestimmt von Misstrauen, all das sei Teil einer genetischen Veranlagung. Diese Aussagen brauchen keinen Kommentar.

Die im Film umrissenen Probleme sind in ihrer großen und differenzierten Gesamtheit vorwiegend sozialer Natur. Die anderthalb Stunden geben einen Ausschnitt. Wer Romani spricht, outet sich als Teil einer unbeliebten Gruppe, die im bulgarischen Identitätskonzept nicht vorgesehen ist. Ein Mann habe sogar seinen langjährigen Job verloren, weil er sich irgendwann selbstbewusst als Rom bezeichnete. Seit die Kinder täglich ihr Viertel „Hoffnung“ verlassen, um in die Schule zu gehen, meiden bulgarische Schüler die Schule zunehmend. Die bulgarischen Eltern befürchten Nachteile für ihre Kinder, oder sie wollen nicht, dass ihre Schützlinge neben „***ner“ sitzen.

Die schlammigen Straßen des Viertels werden zufällig zur Zeit der Filmaufnahmen (die gleichzeitig die Zeit des Kommunalwahlkampfes ist) geteert. Der Teil „Hoffnung“ ist von der Stadt Sliven abgekoppelt. Die Isolation des Bezirks wird gleich am Filmanfang deutlich, an den Reaktionen zweier Lehrerinnen, die nicht aus dem Viertel sind. Für sie ist die kleine Exkursion ungewohnt, sie reagieren abgeneigt auf die Umgebung. Es ist unschwer erkennbar, dass die beiden nicht gern dort wohnen würden.

Von den Schülern wird erwartet, dass sie täglich ihr Viertel verlassen, um die Schule zu besuchen. Dafür benutzen sie die lange Unterführung unter der Mauer und den Gleisen entlang. „Und ab jetzt nur noch Bulgarisch sprechen!“


Filmrezension bei dROMa-Blog

Signal, 17.6.2009

Halle präsentiert das ferne Albanien, Berlin zeigt seine einheimischen Kroaten, Europa ignoriert seine ausgesperrten Serben und Deutschland spielt mit den Schicksalen von Flüchtlingen


Im Tee- und Kaffeehaus Roter Horizont in der Kleinen Ullrichstraße 27 in Halle gibt es am 18.6. ab 20 Uhr einen Veranstaltungsabend zu Albanien, organisiert von der Slawistik Halle und der SOE-Gesellschaft. Das Programm für den Abend ist vielfältig.

Bei Deutschlandradio Kultur erinnerte gestern früh der Publizist Rüdiger Rossig daran, dass die serbische Bevölkerung bis heute den besonders harten Visa-Bestimmungen der EU ausgesetzt ist und damit Europa nicht kennen lernen darf. Die Gesellschaft für bedrohte Völker begrüßt diesen Umstand – und Rossig erläutert, dass sich die Organisation mit dem Wunsch nach Erziehung der Serben „in der Ethno-Falle“ befindet. (hörbar als →mp3)

Von traumatisierten und unter Folterängsten leidenden Menschen in Mecklenburg-Vorpommern berichtet die taz. Ein Dasein in der Warteschleife führt das Ehepaar, das seit der ersten Ankündigung der Abschiebung psychisch krank und selbstmordgefährdet ist – in der Türkei drohen den Eheleuten Folter vom Staat und die PKK.

Im rbb wird den Berliner Kroaten am Samstagabend eine Viertelstunde gewidmet: Kroatien in Berlin, 20.6. 22:30-22:45.

P.S.:
Der medien- und globalisierungskritische Publizist Thomas Barth bescheinigt bei Telepolis dem neuen Bologna-Schwarzbuch „zahnlose Kritik“, wundert sich über das darin von den Geisteswissenschaftlern betriebene „68-er Bashing“ und vermisst die Darstellung des wachsenden Einflusses von Wirtschaft und Medien auf die Bildungspolitik. (Professoren-Protest gegen 10 Jahre „Bologna-Prozess“)