Human Rights Watch Bericht: Vergiftet mit Blei

Die NGO veröffentlichte heute den erschütternden Bericht: Kosovo: Poisoned by Lead – A Health and Human Rights Crisis in Mitrovica’s Roma Camps


dROMa-Blog und Chachipe widmen dem Erscheinen des Berichts Meldungen (HRW: Bericht über Mitrovica veröffentlicht bzw. HRW: Kosovo: Act Now to Close Poisoned Camps). Human Rights Watch selbst veröffentlicht auch einen Artikel in deutscher Sprache zum frisch erschienenen Bericht: Kosovo: Vergiftete Lager sollen umgehend geschlossen werden

Der Bericht, zusammengetragen und verfasst von Wanda Troszczynska-van Genderen, liefert Details und Hintergründe über die grausamen Lebensumstände der Lagerbewohner, die Isabel Fonseca gestern in der Frankfurter Rundschau ansprach (Über den zulässigen Höchstwerten). Internationale Institutionen, die für diese Realität in Europa verantwortlich sind, werden scharf kritisiert.

„The years of continuous failure of UNMIK and its international partners to find a durable solution for the inhabitants of the camps constitute multiple human rights violations, including of the right to life; the prohibition of cruel, inhuman and degrading treatment; the right to health, including medical treatment; the right to a healthy environment; and the right to adequate housing. This failure is the subject of growing international criticism, including from UN human rights bodies and experts.“

Nach einer zusammengefassten Zustandsbeschreibung mit detailliertem Forderungskatalog, entsprechend adressiert an die jeweils Verantwortlichen, folgt der ausführliche Bericht.

In einer Chronology of Events werden die wichtigsten Ereignisse mit den jeweils verantwortlichen Autoritäten in der Region dargestellt. Von Überfall, Plünderung und Zerstörung des von Roma bewohnten Gebietes samt ihrer Vertreibung unter den Augen der KFOR im Juni 1999 bis zu den ersten Bluttests durch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) an Kindern aus dem UN-Lager 2004 beläuft sich der Skandal auf die Tatenlosigkeit von KFOR, UNHCR und UNMIK. Denn zu diesem Zeitpunkt, 2004, lebten die Roma in den Lagern Česmin Lug, Žitkovac und Kablare bereits seit fünf Jahren in bleiverseuchter Umwelt, nach den Bluttests begannen die Proteste internationaler NGOs. Später wurden Flüchtlinge aus den drei Lagern in die von Soldaten verlassene KFOR-Basis „Osterode“ umgesiedelt, die auch in vergifteter Umgebung liegt.

Im Laufe wechselnder Kompetenzen und Lager-Auflösungen konnten einige Familien in neu erbaute Häuser an ihren alten Wohnorten zurückkehren. Die Übrigen leben heute seit nunmehr 10 Jahren in kontaminierten Gebieten. Die Bluttests zeigen immer höhere, lebensgefährdende Mengen Blei im Blut der Lagerbewohner, seit Januar 2009 fordert die WHO die unverzügliche Schließung der Lager Česmin Lug und Osterode.

Ausführliche Details, u.a. zur Geschichte der Roma im Kosovo, ihrer Vertreibung, ihren ehemaligen Wohngegenden und zu den Versäumnissen von UN bzw. UNHCR und UNMIK können im Bericht nachgelesen werden. Auch die unheimlichen Symptome einer Bleivergiftung, meist bei Kindern auftretend, werden beschrieben. Außerdem werden die einzelnen Lager mit den dort gegenwärtig herrschenden Zuständen dargestellt.

Neben den Bleivergiftungen mussten und müssen die Lagerbewohner eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen, gegen die seitens der Behörden nichts unternommen wird. Entsprechende Fälle sind im einzelnen gut dokumentiert.

Über mehrere Seiten verteilt stellt HRW Zukunftszenarios vor, um den Roma wieder menschenwürdige Wohnorte zu gewährleisten und sie medizinisch zu versorgen. Die Grundlage dafür bilden Gespräche mit örtlichen politischen Vertretern aus Kosovo und Serbien.

Mit dem Bericht werden ein weiteres Mal lange bekannte Fakten Schwarz auf Weiß untermauert. Die Konsequenzen stehen noch aus.

poisoned by lead


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Realität in Europa

Es gibt einen tiefschwarzen Bereich auf der Schattenseite Europas, in den nicht einmal das entfernte Echo der Bekundungen europäischer Ideale vordringt.


Das wirklich Beschämende an diesem Teil europäischer Realität ergibt sich aus den Versäumnissen europäischer und „internationaler“ Verantwortlicher, die, über Jahre hinweg, bis heute keine Veränderung der Situation erreichen konnten.

Isabel Fonseca beschreibt heute in der Frankfurter Rundschau das Lager, in dem unnatürliche Todesfälle, Fehlgeburten und Neugeborene mit Hirnschäden seit Jahren die Bewohner beschäftigen. (Über den zulässigen Höchstwerten) Es geht um die bleiverseuchten Behausungen hunderter Flüchtlinge nahe der Stadt Mitrovica im Kosovo.

„Die Lager wurden von den Vereinten Nationen errichtet, und die Vereinten Nationen tragen zusammen mit den Behörden im Kosovo die Verantwortung für diese Menschen, eine Verantwortung, der sie sich bewusst entziehen, trotz vieler Proteste von Europaabgeordneten, Roma- und Menschenrechtsvertretern, Umweltfachleuten, Anwälten, Journalisten, der Center for Disease Control and Prevention in den USA, dem Dänischen Flüchtlingsrat (DRC), dem Mercy Corps, der Norwegian Church Aid, der WHO und zumindest einer Baronin.“

Angesichts der Andeutungen Fonsecas zur langen Liste der Organisationen, die bereits auf die lebensgefährlichen Bedingungen in dem (von der internationalen Gemeinschaft geführten) Lager aufmerksam machten, erscheint der Fall umso unglaublicher. Viele Roma sind zusätzlich zu ihrer katastrophalen Wohnsituation bis heute andauernder Verfolgung im Kosovo ausgesetzt.

Einige, die auf die menschenunwürdigen Bedingungen unter der Aufsicht von UN, UNMIK, EU und NATO hinwiesen:

Vor dem Hintergrund dieser bis heute andauernden Zustände wird die Situation vom Europarats-Menschenrechtsbeauftragten Thomas Hammarberg als „humanitäre Katastrophe“ bezeichnet (Humanitäre Katastrophe in Nordkosovo). Der Europarat hat darum erneut betont, dass Abschiebungen von Flüchtlingen ins Kosovo unverantwortlich seien („Rückführung von Flüchtlingen kommt Menschenrechtsverletzung gleich“).

Österreich hat vor einigen Tagen Kosovo zu einem „sicheren Drittland“ erklärt (Kosovo gilt als „sicheres Drittland“).

Deutschland schiebt schon seit 2005 die bedrohte Minderheit ab (Abschiebung ins Kosovo) und wird dabei auch nicht müde (Erster Rom aus Hessen ins Kosovo abgeschoben).

Die für den NATO-Krieg im Kosovo aufgebauten westlichen Kameras sind heute, 10 Jahre später, abgebaut. Kein Interesse. Es geht um Roma.


update:

dROMa-Blog schreibt heute zum Thema: Kosovo: Lager hochgradig verseucht