Bettler nerven Bild

Wofür „Bild-Reporter“ Thomas Hoffmann am Alex 54 Euro investiert:


Der heutige Bild-Artikel Ihr Bettler, ihr nervt! wurde bereits bei BILD-blog auf seine Schwächen geprüft: Nicht nur, dass unter den Bettlerinnen betont oft „Roma-Frauen“ sind, auch der von Thomas Hoffmann ausgerechnete Stundenlohn eines Bettlers lässt ein wenig an dessen Beobachtungsgabe zweifeln – wohl kaum ein Mensch kann im 1-Sekundentakt jeweils einen Menschen ansprechen und wird dabei jede halbe Minute einen Euro erhalten, auch nicht im Durchschnitt, auch nicht Roma-Frauen.

Aber wenn man über Menschen, die man nicht kennt, berichten möchte, dann lohnt es natürlich nicht, über Roma zu berichten, die das Leben der Durchschnitts-Deutschen führen. Um gute Bilder zu liefern muss man sich schon mal undercover ins Feld wagen und darf dabei den Kontakt zu bettelnden Roma nicht scheuen. Thomas Hoffmann setzte sich in ein Café am Alexanderplatz:

„Was passiert, wenn man einem Bettler am Alex Geld gibt? Ich, der BILD-Reporter, wurde daraufhin von sieben weiteren angeschnorrt, 14-mal – in gut einer Stunde!“

Nanu, verfügt Herr Hoffmann etwa über eine große Anziehungskraft oder besonders individuelles Aussehen?

„Nach einer Stunde kostete mich der „eine Kaffee“ nicht 4 Euro – sondern 54 Euro! IHR NERVT, IHR BETTLER!“

Achso. Er hat 50 Euro in einer Stunde herausgegeben. Schade, dass ich um diese Zeit nicht am Alex war. Ich wusste aber leider nicht, dass ein Bild-Mitarbeiter dort den Menschen so viel Geld auf bloßes Bitten gibt. Na gut, ich hätte dann in Kauf (im wahrsten Sinne des Wortes) nehmen müssen, dass ich fotografiert werde und wäre dann mit meinem Gesicht ein Teil der Reportage von Thomas Hoffmann geworden, das hätte ich vielleicht doch nicht so gerne gewollt. Auch nicht für Geld. (In Anlehnung an seinen Satz könnte man fragen „Was passiert, wenn man Thomas Hoffmann am Alex um Geld bittet?“) Andererseits hätte ich es ohne Roma-Kleider vielleicht ohnehin nicht in den Hoffmannschen Alexanderplatz-Report geschafft.

Übrigens finde ich es widersprüchlich, dass Hoffmann im Fließtext den Eindruck erweckt, er habe jedem Fragenden etwas gegeben, auf den vielen Fotos hingegen ist er fast nur in ablehnender oder ignorierender Haltung (z.B. hier) den Menschen gegenüber zu sehen – außer im Falle zweier Kinder, denen er offenbar (man erkennt es nur schwer) eine Münze überreicht (hier).

Ha, man stelle sich vor, Thomas Hoffmann hätte nur schnell einen Nachweis gebraucht, um 50 Euro Ausgaben vor seiner Redaktion zu rechtfertigen, die er eigentlich für etwas ganz anderes ausgegeben hat, als für die Menschen am Alex. Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube er hat auch Fotos von sich machen lassen, auf denen klar erkennbar ist, dass er den „nervenden“ „Schnorrern“ insgesamt 50 Euro gab. Die auf den Fotos erkennbare ablehnende Haltung gegenüber diesen Menschen resultiert sicherlich nur aus einer anfänglichen Skepsis gegenüber dem Fremden, bis Thomas Hoffmann sich dann doch breitschlagen lies, Geld zu geben. Die Menschen fragen ja sicherlich auch gern danach und freuen sich jeden Morgen auf ihre geldbringende Tätigkeit. Schön, dass es dann Menschen wie Thomas Hoffmann gibt – ich würde, wenn ich Geld hätte, sogar einen Report machen über Menschen, die bei mir 1000 Euro in der Stunde erschnorren. Ich habe nur das Geld nicht.

„14:42
Die Roma geht nicht eher, bis sie 6 Euro erschnorrt hat.“

Aber eines würde ich machen, auch ohne Geld: Wenn ich als „Reporter“ über weibliche Roma schreiben würde, würde ich vorher im kostenlosen Online-Lexikon nachschlagen, wie der weibliche Singular von Roma ist. Herr Hoffmann, es muss heißen: „Die Romni geht nicht eher, bis sie 6 Euro errschnorrt hat“. Korrekt: Die Roma schnorren, die Romni schnorrt, der Rom schnorrt. Für’s nächste Mal. Vielleicht in Kreuzberg? Na dann müssen aber alle drei Formen sitzen. Achso, und die Scheine schon mal klein machen…

Quelle: Wikipedia


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Signal, 5.7.2009

Viel Kritisches: über deutsche Sorglos-Selbstdarstellung, über Rassismus in Italien, über bedenkliche Tendenzen im deutschen Journalismus und über den Schatten der Migration.


Den Anfang macht Canan Topçu in ihrem Beitrag auf DRadio Kultur am 3.7.: „Ich gehöre zu der Gruppe von Menschen, die einen Migrationshintergrund haben. Und neuerdings beschäftigt mich die Frage, wann ich ihn bekommen habe.“ (Text oder →mp3)

Außerdem zeigt der Journalist Rudolf Stumberger heute in seinem Telepolis-Artikel die Zusammenhänge zwischen journalistischer Abhängigkeit, Neoliberalismus und Bologna: „Der Finanzcrash, der Niedergang des kritischen Journalismus und warum wir keinen „Content“ brauchen“ – von ihm erläutert unter dem Titel Die Krise der publizistischen Repräsentation.

Vom wachsenden Hass der italienischen Bevölkerung auf rumänische Staatsbürger, insbesondere vom Rassismus gegenüber Roma, berichtete Kirstin Hausen am 25.6. bei Deutschlandfunk (Text).

Was die Bundeszentrale für politische Bildung in einer Ausstellung im Auswärtigen Amt so an Fakten ausblendet, um ein unbeschwertes Deutschland-Bild rüberzubringen, wurde im DRadio-Fazit am 2.7. kritisch wahrgenommen: Deutschland für Anfänger →mp3.

Und Volker Lilienthal antwortete am 28.6. auf die DRadio-Kulturfrage „Journalisten oder Journalistendarsteller?“ vor dem Hintergrund der jüngst bekanntgewordenen hohen Nebenverdienste einiger öffentlich-rechtlich beschäftigter Journalisten, wie u.a. Tom Buhrow (Text).

Arrangierte Revolutions-Symbolik

Ein Staat inszeniert seine Feinde


Wir erinnern uns: Im Rahmen des Sturms auf das moldauische Präsidentenamt in Chişinău am 7. April 2009 wurden eine rumänische und auch eine EU-Fahne von Protestierenden auf dem Dach gehisst. Unklar war, wie die Protestierenden, an den Sicherheitskräften vorbei, auf das Dach gelangten, um dort unter den Augen der daneben stehenden Polizisten die Flaggen zu hissen (Weiter Unklarheit in Chişinău).

Der stellvertretende Parlamentspräsident Vladimir Ţurcan, der eine Untersuchungskommission zu den Ereignissen des 7. April 2009 leitet, hat eine Erklärung: Er selbst habe mit fünf Protestierenden verhandelt und diesen den Zugang zum Dach gewährt, wie er in einem Interview sagte (Vladimir Turcan a negociat arborarea …). Er erhoffte sich von der Erlaubnis die Beruhigung der Massen und Deeskalation, gibt er an. Wohlgemerkt war es gerade das Hissen ausländischer Flaggen, das von der moldauischen Regierung, insbesondere Vladimir Voronin, im Nachhinein als staatsfeindlicher Akt eingeordnet wurde.

Nun taucht ein Video auf, das den Skandal noch größer werden lässt: In einem gefilmten Gespräch ist zu sehen, dass Vladimir Ţurcan seinerseits es ist, der die Protestierenden darum bittet, hinaufzuklettern und die Flaggen zu hissen (IMAGINI ŞOC: Ţurcan …). Also kamen die Flaggen doch nicht vom Druck der Straße, sondern auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung dort aufs Dach.

„… was ich sehen will: ihr macht euren Ausruf, klettert hoch und bringt sie an …“

Damit entpuppt sich die staatsfeindliche und Pro-Rumänien/EU-Symbolik einmal mehr als vorsätzlich inszenierter Zirkus, mit dem Voronin die protestierenden Menschen in Misskredit zu bringen versuchte. Ob das Skandal-Potential jetzt ausgeschöpft ist?


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Ach lass gut sein

Der 1952 in Rumänien geborene und 1987 vor den Repressionen gegen die deutsche Minderheit unter Ceauşescu nach Deutschland geflohene Schriftsteller und Publizist Richard Wagner schreibt für „die Achse des Guten“ (achgut.com).


Erst jetzt stieß ich auf einen gut drei Wochen alten Artikel, in dem sich Richard Wagner zu den heiß diskutierten Roma in Berlin äußert. Für „die Achse des Guten“, die nach eigenen Angaben „populären Mythen auf den Grund zu gehen“ versucht, zeigt der Autor mit seinem Artikel Roma ohne Grenzen?, was er über „die Roma“ denkt.

Gleich einleitend betont Wagner, dass es für „das Roma-Problem“ keine Lösung gibt. Wie sein „Roma-Problem“ dabei genau aussieht, bleibt offen, den Bezugsrahmen bildet die Phantasie der einzelnen Leser. Der Begriff „Problem“ mit einem vorangestellten ethnischen Attribut ist ja nicht ungewöhnlich, man kann sogar jede beliebige Gruppe vor das Wort „Problem“ stellen, ob es diese Gruppe nun de facto geben mag oder nicht. Wer stand nicht schon vor einem unlösbaren Problem?

Es deutet sich an, was Wagner wurmt:

„Ein Gemeinwesen kann nur erfolgreich bestehen, wenn die, die sich ihm angeschlossen haben, sich an die vereinbarten Spielregeln halten, also die Geschäftsgrundlage berücksichtigen. Die Roma, jene, von denen hier die Rede ist, sind Spieler, die die Regeln ignorieren. Sie konstituieren sich zur Gruppe, um damit ein Individualrecht zu erwerben, das ihnen als einzelnen Personen so nicht zustehen würde.“

Das Wort „Spielregeln“ bleibt eine weitere unklare Größe, auch hier muss jeder Lesende selbst erahnen, was Wagner damit meinen könnte. Er mag das deutsche Verbot vom Übernachten im Park oder das „Wild-Camping“-Verbot meinen, auf das die Roma von der Berliner Polizei mehrmals hingewiesen wurden. Er könnte aber auch ungeschriebene Regeln meinen. Aber wie kann jemand wie Wagner die gesellschaftlichen „Spielregeln“ als unabänderliche Konstante verstehen? In einer Demokratie sind es doch eben jene ungeschriebenen gesellschaftlichen „Spielregeln“, die es täglich zu überprüfen gilt. Frauen, Homosexuelle, Menschen mit dunklerer Hautfarbe und viele andere haben sich aus der Stigmatisierung heraus als Gruppen konstituiert, um herrschende „Spielregeln“ zu durchbrechen und der Gesellschaft häppchenweise neue Freiheiten abzuringen. Bis dahin gab es für sie gesellschaftlich die Rote Karte. Ist Richard Wagner der Meinung, dass nur die jeweils herrschende Gesellschaftsmehrheit die „Spielregeln“ festlegen darf?

„Das ist, kurz gesagt, die Statusfrage um die Roma aus Rumänien, die im Berliner Görlitzer Park kampierten und die auf jeden Fall in Berlin bleiben wollen. Viele Menschen möchten in Berlin bleiben. Und es ist in der Regel ja auch möglich. Und zwar für den Einzelnen, für die Person, nicht für die Gruppe.“

Weil die „Spielregeln“ dagegensprechen?

„Die Roma aus Rumänien sind EU-Bürger. Als solche genießen sie die Rechte und Freiheiten eines EU-Bürgers in Deutschland, aber nicht die Rechte der deutschen Staatsbürger. Dafür haben sie alle Rechte eines rumänischen Staatsbürgers. Es gibt keine gesetzliche Diskriminierung der Roma in Rumänien, auch wenn das gelegentlich in den deutschen Medien suggeriert wird.“

Wagner verschweigt die entscheidende Information, dass es derzeit zwei Klassen von EU-Bürgern gibt. Für die erste Klasse trifft seine Aussage zu, aber die Roma in Berlin sind nicht Teil dieser Klasse. Denn als rumänische Staatsbürger sind sie zunächst nur EU-Bürger einer zweiten Klasse, für die bis 2011 das Freizügigkeitsgesetz innerhalb der EU in Bezug auf freie Arbeitsplatz- und Wohnortwahl noch nicht in Kraft ist. Und in deutschen Medien, wenn sie sich denn mit Roma-Diskriminierung in Rumänien befassen, wird meiner Kenntnis nach eher auf die Form der Diskriminierung hingewiesen, die ohne Gesetz möglich ist. Für seine These nennt Wagner keine Beispiele.

„Dass viele der Roma in Berlin bleiben möchten, hat mehr mit dem Sozialgefälle innerhalb der EU zu tun als mit einer Verfolgung in Rumänien. Dort gibt es zwar eine ausgeprägte Anti-Roma-Rhetorik, einen oft ungehemmten Verbalrassismus, aber die Pogromstimmung, die man in unserer Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen zu berichten weiß, ist so nicht vorhanden.“

Seit Rumänien in die EU will, gilt es dort nicht mehr als „chic“, „Z***-Hütten“ anzuzünden, das stimmt. Zusammenhänge wären interessant. Warum bilden in jenem von Wagner angeschnittenen Sozialgefälle ausgerechnet die als Roma / „Z***“ (fremd- oder selbst-) bezeichneten Menschen den untersten Rand? Wieso benennt Wagner nicht, dass Sozialstruktur und Rassismus (auch unter EU-tauglichen Gesetzen) miteinander verknüpft sind?

Wagner kritisiert dann, wie ich finde zurecht, den Habitus europäischer Political Correctness:

„[…] Wenn wir uns politisch korrekt zu verhalten wissen, heißt das automatisch, dass wir von dem, was wir sagen, auch überzeugt sind? Werden wir tatsächlich von der Richtigkeit unseres Verhaltens gelenkt oder nur von dessen gefühlter Notwendigkeit? Kann es nicht sein, dass das Bekenntnis zum politisch Korrekten ein Ausdruck von Opportunismus geworden ist und schon lange nicht mehr den Gegenstand von Zivilcourage ausmacht?“

Dieser vernünftige Gedankengang reicht bis zur Nationalstaatsgrenze:

„Man kann durchaus berechtigt über die Roma in Rumänien behaupten, sie seien diskriminiert, das aber könnte man in der gleichen Weise auch von der Banlieue-Bevölkerung in Frankreich sagen. Käme aber jemand auf die Idee, diesen Franzosen in Berlin ein Aufenthaltsrecht zu geben? Nein.“

Abgesehen davon, dass man einem Franzosen in Berlin weder Arbeit noch Wohnung verwehren darf, einem Rumänen wegen der Einschränkung der Freizügigkeit aber schon, geht es Wagner stets um Legalität und Gesetzesmäßigkeit. Er fragt nicht, warum diese Menschen kommen wollen. Warum verlässt man sein Land mit dem Gedanken, in Deutschland besser überleben zu können? Stellt sich Wagner diese Frage mit Blick auf die Roma? Nicht in diesem Artikel.

Aber erst in der zweiten Hälfte seines Artikels schießt Richard Wagner richtig los.

„In der Romafrage wird gerne moralisiert. Die von den Papiertigern der NGO’s auf den Weg gebrachte Thematik hat gute Chancen zur Chefsache in der europäischen Moralzentrale zu werden. Das Gutmenschentum, das hauptamtliche wie das ehrenamtliche, betreibt die moralische Landnahme. Nichts gegen die Arbeit, die viele Verbände vor Ort leisten, trotzdem aber muss man Einspruch gegen die Art und Weise erheben, wie manche Leute, Helfer und Experten zugleich, die Romafrage moralisieren, ja geradezu inszenieren, um die Aufmerksamkeit der Politik zu erzwingen. Nur für die Roma oder auch für sich selbst?“

Welche NGOs moralisieren? Es fehlen Beispiele. Meint er Human Rights Watch (Vergiftet mit Blei)? Meint er Amnesty International (Jahresbericht Rumänien 2009)? Und die Studie zur rassistischen Diskriminierung in Europa stammt von den Papiertigern der Moralzentrale (Vergessen in Europa)? Und „Gutmenschen“, wie die vom Standard (Slowakische Polizisten misshandelten Roma-Kinder), von der Presse (Rassistische Gewalt versetzt tschechische Roma in Angst), von BBC (‚Lessons learned‘ on race attacks) sowie Nikoleta Popkostadinowa (Kein Mathe, kein Wasser in Stoliponowo) oder Andrej Ivanji (Leben zwischen Ratten und Müll) sind es, die „die Romafrage“ inszenieren?

Mir scheint, das Unkonkrete und die fehlenden Beispiele in Wagners Artikel haben System.

„Man ist offenbar bestrebt, das Roma-Thema zu einem gesamteuropäischen Problem umzudefinieren.“

Diese Aussage von Richard Wagner ist sogar ein bisschen lustig, denn wenn es kein europäisches Thema ist, dann nur ein tschechisches, slowakisches, britisches, polnisches, rumänisches, ungarisches, kosovarisches, bosnisches, italienisches, serbisches, bulgarisches, mazedonisches, … Aber kein europäisches.

„Wie immer in solchen Fällen, wenn die Moralpächter den Europäer in die Pflicht nehmen, wird kräftig zugelangt, Geschichtsklitterung inklusive. Oft genug erweist sich der im allgemeinen Getümmel ausgerufene Pflicht-Antirassismus als das, was er vor dem Hintergrund des politisch Korrekten längst geworden ist: eine Formel der moralischen Schutzgelderpressung.“

Das Thema ist Richard Wagner wohl ein Grund zu großem Ärgernis. Oder ist das eine Beschwerde und er sieht sich als Opfer? Warum nicht ohne Pflicht antirassistisch sein? Stören Wagner eher die Fakten oder eher diejenigen, die sie benennen?

„Wie man’s auch angeht, es bleibt die Wahrheit, dass das ungelöste rumänische Roma-Problem nicht in Berlin verwaltet werden kann, weil es in seinem Kern Teil der sozialen Lage in Rumänien ist. Man sollte für die Roma nicht weiter Gruppensonderrechte einklagen, statt dessen ihnen besser ihre individuellen Rechte und Pflichten klarmachen, und zwar jenseits der Frage, ob Bettelei und Kleinkriminalität als kulturelle Merkmale anzuerkennen sind oder nicht. Es gilt die Gleichstellung zu betonen, nicht den Sonderstatus.“

Der Hinweis darauf, dass Deutschland nicht für die Probleme anderer Länder zuständig ist, wird ja von vielen gern gegeben, warum nicht auch von Richard Wagner. Wo er gelesen hat, dass Bettelei und Kleinkriminalität kulturelle Merkmale sein könnten, sagt er auch nicht. Schade, das hätte mich jetzt wirklich sogar interessiert. Schön, wenn er die Gleichstellung der Roma von nun an mit betont. Während er eben noch meint, „man sollte ihnen … klarmachen“, wechselt er einen Absatz später, abschließend, seine Empfehlung:

„Im Übrigen muss man die Roma aus Berlin auch nicht abschieben, das Abschieben innerhalb der EU ist, bei fehlenden Grenzkontrollen, ohnehin zwecklos. Man erreicht damit nur eine Diskurs-Eskalation im Sinn der NGO’s. Die Roma werden so zu Abgeschobenen. Dabei würde es genügen, ihre Forderungen zu ignorieren. Sie gehen dann erfahrungsgemäß von selbst.“

Wagner kommt nun doch noch zu seinem ganz persönlichen Lösungsansatz und nennt zwei Methoden, dass diese Leute wieder gehen, mit anderen Worten: Möglichkeiten, sie loszuwerden. Weil Abschiebung zu viel Aufsehen erregt (und „ohnehin zwecklos“ ist), empfiehlt Wagner „erfahrungsgemäß“: Ignoranz.

Human Rights Watch Bericht: Vergiftet mit Blei

Die NGO veröffentlichte heute den erschütternden Bericht: Kosovo: Poisoned by Lead – A Health and Human Rights Crisis in Mitrovica’s Roma Camps


dROMa-Blog und Chachipe widmen dem Erscheinen des Berichts Meldungen (HRW: Bericht über Mitrovica veröffentlicht bzw. HRW: Kosovo: Act Now to Close Poisoned Camps). Human Rights Watch selbst veröffentlicht auch einen Artikel in deutscher Sprache zum frisch erschienenen Bericht: Kosovo: Vergiftete Lager sollen umgehend geschlossen werden

Der Bericht, zusammengetragen und verfasst von Wanda Troszczynska-van Genderen, liefert Details und Hintergründe über die grausamen Lebensumstände der Lagerbewohner, die Isabel Fonseca gestern in der Frankfurter Rundschau ansprach (Über den zulässigen Höchstwerten). Internationale Institutionen, die für diese Realität in Europa verantwortlich sind, werden scharf kritisiert.

„The years of continuous failure of UNMIK and its international partners to find a durable solution for the inhabitants of the camps constitute multiple human rights violations, including of the right to life; the prohibition of cruel, inhuman and degrading treatment; the right to health, including medical treatment; the right to a healthy environment; and the right to adequate housing. This failure is the subject of growing international criticism, including from UN human rights bodies and experts.“

Nach einer zusammengefassten Zustandsbeschreibung mit detailliertem Forderungskatalog, entsprechend adressiert an die jeweils Verantwortlichen, folgt der ausführliche Bericht.

In einer Chronology of Events werden die wichtigsten Ereignisse mit den jeweils verantwortlichen Autoritäten in der Region dargestellt. Von Überfall, Plünderung und Zerstörung des von Roma bewohnten Gebietes samt ihrer Vertreibung unter den Augen der KFOR im Juni 1999 bis zu den ersten Bluttests durch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) an Kindern aus dem UN-Lager 2004 beläuft sich der Skandal auf die Tatenlosigkeit von KFOR, UNHCR und UNMIK. Denn zu diesem Zeitpunkt, 2004, lebten die Roma in den Lagern Česmin Lug, Žitkovac und Kablare bereits seit fünf Jahren in bleiverseuchter Umwelt, nach den Bluttests begannen die Proteste internationaler NGOs. Später wurden Flüchtlinge aus den drei Lagern in die von Soldaten verlassene KFOR-Basis „Osterode“ umgesiedelt, die auch in vergifteter Umgebung liegt.

Im Laufe wechselnder Kompetenzen und Lager-Auflösungen konnten einige Familien in neu erbaute Häuser an ihren alten Wohnorten zurückkehren. Die Übrigen leben heute seit nunmehr 10 Jahren in kontaminierten Gebieten. Die Bluttests zeigen immer höhere, lebensgefährdende Mengen Blei im Blut der Lagerbewohner, seit Januar 2009 fordert die WHO die unverzügliche Schließung der Lager Česmin Lug und Osterode.

Ausführliche Details, u.a. zur Geschichte der Roma im Kosovo, ihrer Vertreibung, ihren ehemaligen Wohngegenden und zu den Versäumnissen von UN bzw. UNHCR und UNMIK können im Bericht nachgelesen werden. Auch die unheimlichen Symptome einer Bleivergiftung, meist bei Kindern auftretend, werden beschrieben. Außerdem werden die einzelnen Lager mit den dort gegenwärtig herrschenden Zuständen dargestellt.

Neben den Bleivergiftungen mussten und müssen die Lagerbewohner eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen, gegen die seitens der Behörden nichts unternommen wird. Entsprechende Fälle sind im einzelnen gut dokumentiert.

Über mehrere Seiten verteilt stellt HRW Zukunftszenarios vor, um den Roma wieder menschenwürdige Wohnorte zu gewährleisten und sie medizinisch zu versorgen. Die Grundlage dafür bilden Gespräche mit örtlichen politischen Vertretern aus Kosovo und Serbien.

Mit dem Bericht werden ein weiteres Mal lange bekannte Fakten Schwarz auf Weiß untermauert. Die Konsequenzen stehen noch aus.

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