Signal, 6.11.2009

Zweimal Kunst, ein dokumentierter Konflikt und ein Blick in die Geschichte:


Die rumänische NGO Romani CRISS hat jetzt Filmmaterial zu den Anti-Roma Ausschreitungen diesen Jahres in Sânmărtin, Harghita, veröffentlicht:

http://www.youtube.com/watch?v=jDwfmyvEfS0

(Für einen Text zu den Ereignissen siehe Die Ethnie im Visier.)

Kommende Woche beginnt das FilmFestival Cottbus, Festival des osteuropäischen Films. Der Vorverkauf ist wohl vorbei, aber Besucher werden vor Ort zu den jeweiligen Filmen Karten bekommen. Hier die Preise, hier die Kontaktadressen.
(siehe auch: Filmfestival Cottbus beginnt)

Vom 15. bis 19. November findet in Bad Kissingen eine Tagung unter der Überschrift „Deutsch-jüdische Kultur- und Beziehungsgeschichte in Ostmitteleuropa“ statt. Infos, Programm und Referentenliste gibt es hier.

In Berlin gibt es ab morgen (7.11.) eine Fotoausstellung zum Leben an der rumänischen Donau: „Einmal Alltag und zurück“. Vor der Vernissage gibt es ein Konzert, Veranstaltungsort ist das Rumänische Kulturinstitut im Grunewald (Königsallee 20A). Alle Infos hier.

Vortrag zu Kosovo-Abschiebungen

Signal spezial:


Am Freitag (30.10.) referiert Karin Waringo in Berlin über die Geschichte und heutige Situation der Roma in Europa: „Verdammt, vertrieben, abgeschoben – Kosovo-Roma zwischen Flucht und Abschiebung“ ist die Veranstaltung betitelt, die auch eine Diskussion mit einschließt. Beginn ist 19:30 im Rroma Aether Klub Theater in der Boddinstraße 5 (nahe Rathaus Neukölln).

Mehr Informationen zur Veranstaltung gibt es im Aushang (→pdf).

Karin Waringo ist auch Autorin auf der Website Chachipe.

Czernowitz – ein europäisches Symptom?

Czernowitz kann als Synonym für eine aufgeklärte jüdische Kultur in Europa stehen. Oder für die noch immer andauernde Vernichtung dieser Kultur.


Bis zum Holocaust waren die Juden die größte Bevölkerungsgruppe in der Stadt Czernowitz. Ein historischer Abriss über die Czernowitzer Juden auf Englisch kann hier nachgelesen werden, darüber hinaus ist dieses Buch zu empfehlen.

Czernowitz stand für mich als Inbegriff einer aufgeklärten europäischen Kulturmetropole. Rose Ausländer und Paul Celan repräsentieren genau diese deutschsprachige Kultur, sowie deren Auslöschung durch die Deutschen unter Mithilfe der Rumänen.

Heute sind Czernowitz und die Nordbukowina Teil der Ukraine. Neben Ukrainern und Russen haben Minderheiten wie Rumänen, Deutsche und Juden nur noch verschwindend geringe Bevölkerungsanteile. Die Vielsprachigkeit sowie die von den Juden gelebte deutsche Kultur prägten die Geschichte dieser Stadt. Beim Besuch im ukrainischen Czernowitz der Gegenwart konnte ich entdecken, was davon übrig ist.


Friedhof Czernowitz, Some Rights Reserved - sibiuanerLeichenhalle am Eingang des jüdischen Friedhofs Czernowitz.


Ich hatte mehr erwartet, als dieses zerfallende Haus mit rostiger Kuppel und zerschlagenen Fensterscheiben. In der Halle liegen Schutt und Müll, die Inschriften an den Wänden rieseln mit dem Putz herunter. Die Ruine wird geziert von einem kippenden Davidstern. Aber das Haus ist kein offizielles Mahnmal zur Geschichte der Juden. Es ist ein authentisches Mahnmal über den Umgang mit der Gegenwart der Juden von Czernowitz.


Friedhof Czernowitz 2, Some Rights Reserved - sibiuanerVerfall. 2005 hatte dieses Gebäude 100-jähriges Jubiläum.


Die jüdische Gemeinde mit ihren wenigen Mitgliedern schafft es finanziell nicht, den großen Friedhof mit seinen über 50.000 Grabstätten zu erhalten. (Zum Vergleich: der als größter in Europa geltende jüdische Friedhof in Berlin Weißensee beherbergt über 115.000 Grabstätten.) Die Stadt Czernowitz kümmert sich augenscheinlich nicht um den respektvollen Erhalt des jüdischen Friedhofs. Wer hier die Gräber seiner verstorbenen Nächsten besucht, muss sich mit dem Anblick einer großen Anzahl umgekippter Grabsteine abfinden.


Friedhof Czernowitz 3, Some Rights Reserved - sibiuanerGeraten die Czernowitzer Grabsteine nur aufgrund der Physik oder auch durch Menschenhand ins Wanken?


Ob nun die Natur oder Grabschänder die Steine umstürzen – sie sind zahlreich, die nicht wieder aufgestellt werden. Eine idyllische Naturbelassenheit kann nicht über die erkennbare Verwahrlosung des Geländes hinwegtäuschen.

Dem gegenüber stehen die gepflegten nicht-jüdischen Friedhöfe, aber insbesondere eine top-sanierte Innenstadt. Czernowitz vermarktet seinen Habsburg-Flair. Die restaurierten Fassaden werden flächendeckend jede Nacht intensiv beleuchtet.


Innenstadt Czernowitz, Some Rights Reserved - sibiuanerSchickes Czernowitzer Zentrum.


Die große einstige Synagoge im Zentrum der Stadt schmückt heute nur noch Postkarten und Werbebanner. Seit der Zerstörung durch einen Brand 1941 wird das ehemalige jüdische Gebetshaus als Kino genutzt. Diese Zweckentfremdung repräsentiert den Anfang des jüdischen Verschwindens aus Czernowitz, das nahtlos in die heutige Zeit reicht.


Ehemalige Synagoge Czernowitz, Some Rights Reserved - sibiuanerEin Werbefoto mit der Synagoge. Im Hintergrund, hellblau, das gleiche Gebäude heute: ein Kino.


Ehemalige Synagoge Czernowitz 2, Some Rights Reserved - sibiuanerAus der Nähe: Kino „Černivci“. Ein kleines Schild weist auf die ursprüngliche Bestimmung des Hauses als Synagoge hin.


Ein „Jüdisches Haus“ im Zentrum der Stadt beschäftigt sich mit der Geschichte der Bukowiner Juden. Wer gegenwärtiges jüdisches Leben in der heutigen Stadt Czernowitz finden will, muss länger suchen. Die von der Touristeninformation herausgegebene Karte im deutschsprachigen Stadtführer zeigt nicht, wo sich die letzte, gegenwärtig benutzte Synagoge der Stadt befindet. Mit etwas Glück findet man sie in einer Nebenstraße.

Glaubt man dem Vertreter der jüdischen Gemeinde Czernowitz, mit dem wir sprachen, so hat sich die Situation für die ukrainischen Juden, speziell in Czernowitz, seit der „Orangen Revolution“ verschlechtert. Die Hoffnungen an eine „pro-westliche“ Regierung wurden enttäuscht: Minderheiten wie die Juden sehen kein Geld für den Erhalt und die Pflege ihrer kulturellen Einrichtungen, es herrscht eine politische Stimmung der Einschüchterung gegenüber Juden. Die Rede ist von einem erstarkenden Antisemitismus, der den aus der „pro-russischen“ Zeit übertreffe.

Das Erzählte passt zu den Bildern. Im Rahmen einer Ukrainisierung der Gesellschaft scheint alles Jüdische nur noch für die Idealisierung der Czernowitzer Geschichte eine Rolle zu spielen. Wenn es um gegenwärtigen Austausch und um Unterstützung geht, herrscht offenbar Ignoranz.

Im 3sat-Interview auf der Frankfurter Buchmesse verwehrte sich Herta Müller dagegen, mit Paul Celan in einem Atemzug genannt zu werden.

„Ich habe, als ich anfing Celan zu lesen, ein riesiges Problem gehabt und begreifen müssen, auf welcher Seite ich geboren bin. (…) Ich gehöre nicht zu der Minderheit, zu der Paul Celan gehört. Man muss diese historischen Tatsachen ansehen.“ (Zitiert aus diesem Interview)

Wie Paul Celan als Schriftsteller für die deutsche Sprache steht, so steht er als Jude für eine „Seite“, die von Deutschen vernichtet werden wollte und größtenteils auch wurde. Herta Müller wurde durch das Handeln ihrer eigenen Verwandten von dem Schriftsteller Celan entfernt, der in der gleichen Sprache Literatur schrieb, wie sie.

Der Erfolg der NSDAP, die Juden aus dem „deutschen Volkskörper“ herauszudefinieren (was wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Partei, seit dem ersten Parteiprogramm 1920, war), äußert sich bis heute im bundesrepublikanischen deutschen Selbstverständnis, auf dessen Grundlage man sich den sogenannten „volksdeutschen“ (christlichen) Minderheiten und deren Nachkommen (etwa in Rumänien oder auch in der Ukraine) finanziell und kulturell verbunden fühlt, nicht aber den Juden.

Solange der nationalistische Schatten und die bis heute gültigen Einteilungskategorien von „Nation“ und „Minderheit“ Bestand haben, so lange wird eine deutsche Außenpolitik in der Ukraine behaglich das Thema Energieversorgung ansprechen und über den schleichenden Zerfall letzter Repräsentationen des Judentums hinwegsehen.

Czernowitz verbildlicht die Musealisierung und Mahnmalisierung des europäischen Judentums. Und die gelungene Auslöschung seiner Gegenwart in der Gegenwart.

Zwischen Stolz und Scham

Rumänische Stimmen zum Literatur-Nobelpreis für Herta Müller


Herta Müller hatte Rumänien 1987 verlassen, um der politischen Verfolgung und Einschüchterung zu entkommen. Der rumänische Geheimdienst Securitate folgte ihr bis nach Westberlin. Damit steht das Land Rumänien im Leben und in der Literatur Herta Müllers für leidvolle Erfahrungen, um die niemand sie beneidet.

Nach über 20 Jahren ist Rumänien ein Staat in der Europäischen Union und Herta Müller eine Berliner Nobelpreisträgerin. Aus rumänischer Sicht wird der diesjährige Nobelpreis sehr unterschiedlich wahrgenommen und könnte eine Diskussion über die Rolle des Staates in der Vergangenheit entfachen.

Der Gândul fragt, ob der Preis für Herta Müller ein Preis für Rumänien sei und fasst die Reaktionen einiger wichtiger kultureller Köpfe Rumäniens zusammen. Demnach sieht zum Beispiel Mircea Cărtărescu wenigstens zu einem kleinen Teil auch die rumänische Literatur mit dem Preis für Herta Müller geehrt. Andrei Pleşu äußert sich positiv darüber, dass mit diesem Nobelpreis eine dunkle Seite der rumänischen Geschichte ins Licht rückt.

In diesem Sinne mahnt Cristina Modreanu im Gândul, den Nobelpreis als Chance für Rumänien zu begreifen. Sie erinnert daran, dass Herta Müller auf jeder ihrer Rumänien-Reisen nach 1989 forderte, die Vergangenheit öffentlich zu thematisieren. Bis heute sitzen ehemalige Securitate-Kader in hohen Ämtern und die Securitate-Akten werden immer wieder zurückgehalten. Herta Müller wartet bis heute auf ihre Akte.

Die Romane der Autorin existieren größtenteils zwar in rumänischer Sprache, wahrgenommen wurde ihre Literatur aber in Rumänien, wie in fast allen Ländern – so gut wie gar nicht. Sie ist der rumänischen Öffentlichkeit eher als Dissidentin bekannt denn als Schriftstellerin, zudem geht sie selbst davon aus, in Rumänien unbeliebt zu sein.

Die rumänische Presse weist bei aller Euphorie darauf hin, dass Herta Müller nicht ein einziges Mal von rumänischer Seite für den Nobelpreis nominiert wurde, aber bereits mehrmals von deutscher. Claudia Candet nennt ihren Artikel in der Ziua de Constanţa Mit der Faust auf der Brust wegen etwas, das uns nicht gehört.

„Die meisten Vertreter rumänischer Kultur traten mit immer pompöseren Erklärungen über den besonderen Verdienst der rumänischen Autorin ins Rampenlicht. Ganz plötzlich war Herta Müller bekannt, geschätzt und gelobt von denjenigen, die sie noch vor 22 Jahren verleugneten. Ungeniert gegenüber ihr, der die Anerkennung für 20 Jahre literarische Arbeit gebühren müsste, hat man sich in Erklärungen gegenseitig überholt. Über die internationale Anerkennung für eine derartige Auszeichnung […]“. (Zitiert und übersetzt von hier)

Candet wundert sich, dass bisher niemand auf die „demütigenden“ Finanzierungen des Kultusministeriums hinwies und auf den „jämmerlichen“ Zustand der rumänischen Kultur. So kommt sie zu dem pessimistischen Schluss, dass es einen rumänischen Literatur-Nobelpreisträger wohl niemals geben wird.

Dan Tapalagă, der Herta Müller in seinem Kommentar bei Hotnews als nicht-rumänische Schriftstellerin einordnet, nennt sie neben Eginald Schlattner und bewundert die authentische literarische, wenn auch unterschiedliche, Verarbeitung beider Schriftsteller. Was ihm aber fehlt ist eine rumänische Herta Müller, die literarisch laute Fragen stellt, ein rumänischer Eginald Schlattner, der als Opfer oder Informant der Securitate seine Rolle literarisch verarbeitet. Müller und Schlattner sieht er als schmerzvolle Spiegel für andere Schriftsteller.

„Wir haben ihnen den Haupt-Stoff geliefert, das Leid, sie haben ihn anderen erzählt, auf Deutsch. Allmählich entdeckten wir sie wieder, als ihre Werke im Ausland Anerkennung fanden und sie absoluten Erfolg hatten. Wir haben sie in überschaubaren Auflagen in Rumänien übersetzt, nachdem sie in Deutschland Bestseller-Autoren waren. Heute fällt uns ein, dass es sie gibt, weil, ist es nicht so, sie inzwischen auch einen Nobelpreis bekommen haben. Wir haben sie hierzulande ignoriert, so sehr wir konnten oder wir haben sie heuchlerisch vereinnahmt, während wir die Nationalhymne anstimmten.“ (Zitiert und übersetzt von hier)

Es wird sich zeigen, ob die selbstkritischen Töne aus Rumänien erst der Anfang einer größeren Diskussion sind, die dem Literatur-Nobelpreis 2009 folgt. Diskussionsbedarf zur Situation von Minderheiten gibt es nicht nur in Rumänien.

Signal, 8.10.2009

Vernissagen hier und hier


Am morgigen Freitag (9.10.) eröffnet in Bukarest in der Galeria Art Point (Bd. Regina Maria nr.2) eine Bilder-Ausstellung unter der Überschrift Puncte de vedere (übersetzbar etwa mit „Sichtweisen“ oder „Standpunkte“). Die Werke von vier rumänischen Künstlern werden zu sehen sein.

Am selben, morgigen Freitag eröffnet in Berlin im Senatsreservenspeicher (Cuvrystr. 3-4) eine Ausstellung (Installation, Film, Zeichnung & Skulptur) unter der Überschrift Grenzgänge nach dem Mauerfall von mehreren Berliner Künstlern.

Der dritte Termin ist wieder der gleiche und betrifft nocheinmal Berlin. Jean-Luc Tillière präsentiert ab morgen seine Fotografien unter der Überschrift Brest – Brüssel – Berlin – Bukarest in der Fantom_ Galerie Hektorstraße 9-10.