Zwischen Stolz und Scham

Rumänische Stimmen zum Literatur-Nobelpreis für Herta Müller


Herta Müller hatte Rumänien 1987 verlassen, um der politischen Verfolgung und Einschüchterung zu entkommen. Der rumänische Geheimdienst Securitate folgte ihr bis nach Westberlin. Damit steht das Land Rumänien im Leben und in der Literatur Herta Müllers für leidvolle Erfahrungen, um die niemand sie beneidet.

Nach über 20 Jahren ist Rumänien ein Staat in der Europäischen Union und Herta Müller eine Berliner Nobelpreisträgerin. Aus rumänischer Sicht wird der diesjährige Nobelpreis sehr unterschiedlich wahrgenommen und könnte eine Diskussion über die Rolle des Staates in der Vergangenheit entfachen.

Der Gândul fragt, ob der Preis für Herta Müller ein Preis für Rumänien sei und fasst die Reaktionen einiger wichtiger kultureller Köpfe Rumäniens zusammen. Demnach sieht zum Beispiel Mircea Cărtărescu wenigstens zu einem kleinen Teil auch die rumänische Literatur mit dem Preis für Herta Müller geehrt. Andrei Pleşu äußert sich positiv darüber, dass mit diesem Nobelpreis eine dunkle Seite der rumänischen Geschichte ins Licht rückt.

In diesem Sinne mahnt Cristina Modreanu im Gândul, den Nobelpreis als Chance für Rumänien zu begreifen. Sie erinnert daran, dass Herta Müller auf jeder ihrer Rumänien-Reisen nach 1989 forderte, die Vergangenheit öffentlich zu thematisieren. Bis heute sitzen ehemalige Securitate-Kader in hohen Ämtern und die Securitate-Akten werden immer wieder zurückgehalten. Herta Müller wartet bis heute auf ihre Akte.

Die Romane der Autorin existieren größtenteils zwar in rumänischer Sprache, wahrgenommen wurde ihre Literatur aber in Rumänien, wie in fast allen Ländern – so gut wie gar nicht. Sie ist der rumänischen Öffentlichkeit eher als Dissidentin bekannt denn als Schriftstellerin, zudem geht sie selbst davon aus, in Rumänien unbeliebt zu sein.

Die rumänische Presse weist bei aller Euphorie darauf hin, dass Herta Müller nicht ein einziges Mal von rumänischer Seite für den Nobelpreis nominiert wurde, aber bereits mehrmals von deutscher. Claudia Candet nennt ihren Artikel in der Ziua de Constanţa Mit der Faust auf der Brust wegen etwas, das uns nicht gehört.

„Die meisten Vertreter rumänischer Kultur traten mit immer pompöseren Erklärungen über den besonderen Verdienst der rumänischen Autorin ins Rampenlicht. Ganz plötzlich war Herta Müller bekannt, geschätzt und gelobt von denjenigen, die sie noch vor 22 Jahren verleugneten. Ungeniert gegenüber ihr, der die Anerkennung für 20 Jahre literarische Arbeit gebühren müsste, hat man sich in Erklärungen gegenseitig überholt. Über die internationale Anerkennung für eine derartige Auszeichnung […]“. (Zitiert und übersetzt von hier)

Candet wundert sich, dass bisher niemand auf die „demütigenden“ Finanzierungen des Kultusministeriums hinwies und auf den „jämmerlichen“ Zustand der rumänischen Kultur. So kommt sie zu dem pessimistischen Schluss, dass es einen rumänischen Literatur-Nobelpreisträger wohl niemals geben wird.

Dan Tapalagă, der Herta Müller in seinem Kommentar bei Hotnews als nicht-rumänische Schriftstellerin einordnet, nennt sie neben Eginald Schlattner und bewundert die authentische literarische, wenn auch unterschiedliche, Verarbeitung beider Schriftsteller. Was ihm aber fehlt ist eine rumänische Herta Müller, die literarisch laute Fragen stellt, ein rumänischer Eginald Schlattner, der als Opfer oder Informant der Securitate seine Rolle literarisch verarbeitet. Müller und Schlattner sieht er als schmerzvolle Spiegel für andere Schriftsteller.

„Wir haben ihnen den Haupt-Stoff geliefert, das Leid, sie haben ihn anderen erzählt, auf Deutsch. Allmählich entdeckten wir sie wieder, als ihre Werke im Ausland Anerkennung fanden und sie absoluten Erfolg hatten. Wir haben sie in überschaubaren Auflagen in Rumänien übersetzt, nachdem sie in Deutschland Bestseller-Autoren waren. Heute fällt uns ein, dass es sie gibt, weil, ist es nicht so, sie inzwischen auch einen Nobelpreis bekommen haben. Wir haben sie hierzulande ignoriert, so sehr wir konnten oder wir haben sie heuchlerisch vereinnahmt, während wir die Nationalhymne anstimmten.“ (Zitiert und übersetzt von hier)

Es wird sich zeigen, ob die selbstkritischen Töne aus Rumänien erst der Anfang einer größeren Diskussion sind, die dem Literatur-Nobelpreis 2009 folgt. Diskussionsbedarf zur Situation von Minderheiten gibt es nicht nur in Rumänien.