Hermann Scheer

Energie und Utopie


Heute wurde der Tod von Hermann Scheer bekannt. Hermann Scheer ist u.a. Gründungsmitglied des Institut Solidarische Moderne e.V., das sich als parteiübergreifender, neoliberalismuskritischer Zusammenschluss versteht und den „ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragen“ der Zukunft widmet.

Scheer setzte sich als SPD-Politiker für internationale Rüstungskontrolle und Abrüstung ein. Außerdem kritisierte er die NATO-Bombardierung Serbiens sehr scharf und verfasste dazu im April 1999 eine Denkschrift für eine politische Initiative statt militärischer Eskalation.

Im folgenden Videoausschnitt von 2008 äußert sich Hermann Scheer zu Begriffen wie „Utopie“ und „Realität“ im Zusammenhang mit der Zukunft der Energieversorgung. Scheer wird als Vordenker bezeichnet, da er bereits seit den 80er Jahren versucht, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Er benennt die Folgen des Lobbyismus von klassischen Energiekonzernen und betont die Relevanz von regenerativer Energieversorgung.

http://www.youtube.com/watch?v=fC50H4s1oXI


Siehe auch:
»Scheer war kein „SPD-Politiker“. Er war Weltpolitiker.«, Nachruf von Peter Unfried (taz): Größer als die Beatles.

Siebenbürgen und die Securitate

Einblicke hinter die Fronten – Eine Tagung in Jena


Eine Tagung in Jena am letzten Wochenende (24.-26.9.2010, organisiert vom Historischen Institut der Stadt und vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde) ging mit der „Securitate in Siebenbürgen“ thematisch einem aktuell heißen Eisen nach (hier das Programm als →pdf). Auf einer ähnlichen Tagung in München im Dezember 2009 hatte der in Siebenbürgen geborene Schriftsteller Werner Söllner ein „Spitzelgeständnis“ abgelegt und damit die Diskussion darüber befeuert, welche Rolle Siebenbürger und Banater Deutsche in der rumänischen Securitate spielten. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch die Welt etwa in „gute deutsche Oppositionelle“ versus „böse rumänische Securisten“ eingeteilt hatte, musste spätestens da erkennen, dass die Zusammenhänge komplexer waren.

Die Komplexität der Zusammenhänge deutete sich schon Anfang der 2000er Jahre in den Diskussionen über Eginald Schlattner an. Wie auch immer man zu dessen Literatur und seinem Umgang mit der Vergangenheit stehen mag – die Tatsache, dass er für die offene Thematisierung seiner Fehler von vielen Siebenbürger und Banater Deutschen ausgegrenzt wurde, verriet wenig über die Person Schlattner. Vielmehr zeigten die Gesprächsverweigerungen, wie schwer der differenzierte Blick auf ein Thema ist, das bis heute für starke Emotionen sorgt und daher auch viele Tabus kennt.

Interessant sind nun die Reaktionen auf die erst wenige Tage alten Erkenntnisse über Oskar Pastior. Der Germanist Stefan Sienerth kam nämlich zu dem Ergebnis, dass der 2006 verstorbene enge Vertraute Herta Müllers für die Securitate zumindest eine IM-Bereitschaftserklärung unterschrieben habe. Herta Müller, die Pastior sehr nahe stand, versucht im Interview mit der FAZ zu einer differenzierten Bewertung der Securitate-Einlassungen Pastiors zu kommen. Sie sieht Oskar Pastior zunächst einmal als Mensch und nicht als feindlichen Kollaborateur. Sicherlich spielt ihre emotionale Beziehung zu Pastior hier eine große Rolle. Aber „feindliche Kollaborateure“ als Menschen zu verstehen, ist der entscheidende Schritt zum Verständnis des gesamten Themas.

In diesem Sinne formulierte etwa Ingmar Brantsch in der Diskussion in Jena die Hoffnung auf etwas mehr Menschlichkeit im Umgang mit denen, die heute moralisch angeklagt werden. Regelrechtes Einknüppeln auf die Menschen, wie es Horst Fassel nach Bekanntwerden seiner IM-Tätigkeit erlebt habe, würde in der Sache niemanden voranbringen. In Herta Müllers Äußerungen zu Pastior erkennt Brantsch die Chance einer Wende hin zu mehr Differenzierung im Umgang mit der Vergangenheit.

Reaktionen wie die von Richard Wagner, der „Kein Verständnis für Pastior“ hat, wurden auch auf der Tagung in Jena geäußert. Insbesondere meldeten sich hier Angehörige jener Generation zu Wort, die in den 50er Jahren harte Repressionen in Rumänien in Form von Überwachung, physischer Gewalt, jahrelangen Haftstrafen und Folter erlebt hatten. Für sie sind die Verletzungen und Enttäuschungen nur schwer überwindbar, weshalb auch das Verständnis für die Zusammenhänge um Pastiors IM-Tätigkeit fehle. In diesen Zusammenhängen aber liegt der Schlüssel zur Beschäftigung mit dem ganzen Repressionsapparat, das wurde auf der Tagung erkennbar.

Kritische Blicke hinter die Kulissen sind demnach notwendig. Sehr kritisch präsentierte Martin Jung in seinem Beitrag ein bezeichnendes Beispiel: Der rumänische Präsident Traian Băsescu berief 2006 eine Kommission zur „Untersuchung der kommunistischen Diktatur“, deren Ergebnis die offizielle Verurteilung des Kommunismus war. So unterstrich die Kommission eine Teilung der rumänischen Gesellschaft in böse Kommunisten (reduziert auf ein paar Namen) und gute Bürger (der Gegenwart) – relevante Ergebnisse zu Rollen und Funktionen vieler bis heute aktiver Politiker und Wirtschaftsfunktionäre erbrachte die Kommission nicht. Einen wesentlichen Beitrag zur tatsächlichen Aufklärung von Zusammenhängen über die autoritären Strukturen Rumäniens vor 1989 blieb die Kommission damit schuldig. Man beließ es bei verbalen Verurteilungen.

Die Historikerin Katharina Lenski sieht das Problem ähnlich gelagert, allerdings griff sie auf ihre Erfahrung im Umgang mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zurück. Sie bemängelt die Instrumentalisierung von Stasi-Akten zur bloßen Anklage ehemaliger IMs und befürchtet, dass die reflektierte Auseinandersetzung mit den Hintergründen des Überwachungsapparats damit aus dem Blick gerät. Die Vorführung von Opfern als Instrumente der Anklage sieht sie als sehr problematisch. In der Vereinfachung der Stasi zu einem vermeintlich klar definierten Feind werden wesentliche Erkenntnisse vernebelt, die DDR-Repressionen stünden dann nur noch als Handlungsakte von „bösen Anderen“. Damit würden Konsequenzen für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln unmöglich. Denn die Strukturen, die dem autoritären System zugrundelagen, bleiben unsichtbar, so lange Stasi, Securitate etc. in der Feindbild-Logik weiterleben.

Lenski ist überzeugt, dass richtig/ falsch, gut/ böse oder Freund/ Feind nicht die angemessenen Parameter sind, um sich mit den Zusammenhängen vergangener Repression auseinanderzusetzen. Die schwarz-weiße Einteilung der Gesellschaft entspräche genau der Kampflogik von Stasi und Securitate, deswegen muss diese hinterfragt und aufgegeben werden. Die Zusammenhänge hinter den Fronten sind von Bedeutung.


Siehe auch:
Hubert Spiegel war auch auf der Tagung in Jena und schrieb darüber am 29.9.2010 in der FAZ: Die Angst war der wichtigste Rohstoff

Signal, 23.9.2010

Umgang MitMenschen


Andreas Meyer-Feist ließ in seinem Beitrag vom 17.9.2010 im Rahmen der Deutschlandfunk-Sendung „Europa heute“ Roma aus Österreich zu Wort kommen (z.B. Harry Stojka und Rudolf Sarközy). Mit Förderung, Unterstützung und insbesondere Anerkennung durch den österreichischen Staat wird die gesellschaftliche Teilhabe der Roma dort ohne Assimilationszwänge offenbar erfolgreich gefördert. (Text & Audio aus dem dRadio-Archiv verschwunden)

Drei Tage später, am 20.9.2010, wurden in der gleichen Sendung „Europa heute“ Menschen vorgestellt, die am Flughafen Prishtina mit „Sondermaschinen“ ankamen: abgeschobene Roma aus Deutschland. Dirk Auer versuchte die Atmosphäre einzufangen – bei der Ankunft im Kosovo von Menschen, die mit geltendem deutschen Recht aussortiert wurden. (text)

Nächste Woche Donnerstag (30.9.2010) gibt es von Sevasti Trubeta (Ägäis-Universität Mytilene) um 16:15 Uhr einen Vortrag mit dem Titel: Roma-Abschiebungen nach Südosteuropa. Die Grenzen der Europäischen Bürgerschaft. Veranstaltungsort ist die HU Berlin, genauer das Institut für Slawistik (Dorotheenstraße 65, Raum 5.57, 5. Stock). Veranstalterin ist die Südosteuropagesellschaft, Zweigstelle Berlin.

Gefahrentag

Ein Beitrag von Vincent G. aus Silberland


Abgabetermin für das Fach Bildhauerei. Nachdem ich die Grundstrukturen von der Tischlerei in Empfang genommen habe – feststellen müssend, dass meine Vorgaben nicht befolgt wurden – beschäftigte ich mich damit, die restlichen Utensilien zusammenzukaufen und meine Arbeit heute fertig zu stellen.

Das Geld fließt aus meinen Taschen raus, um sich später in eine Kunst umzuwandeln, Kleber, Farben, Druckkosten, Knallfolie, Bohrer und andere Dinge werden im Tausch gegen 100er Scheine erworben. Auf dem Hunderter prangt das Gesicht eines Massenmörders, der durch die „Wüstenkampagne“, einen Vernichtungsfeldzug gegen die Indianer, Berühmtheit erlangte. Den Feldzug finanzierte er durch den Vorverkauf der später von den Ureinwohnern enteigneten Landstücke.

In einem Arbeitsdelirium brachte ich es fertig die Hälfte dessen, was ich mir vorgenommen hatte, zu beenden. Das Zimmer halbzertrümmert hinerlassend fuhr ich mit dem Taxi, um die kleine Vorstellung der Arbeiten zu improvisieren. Ich erhielt die Bestnote, aber die schmeckte nur halb, da ich durch Verspätungen während der Prüfung eine Diskussionseinladung nicht wahrnehmen konnte. Ich wurde eigentlich per Programmheft angekündigt. Nach Hause mit dem ganzen Prüfungskram um später dann noch zur Diskussion zu gelangen.

„Als ich nach Hause kam, stand die Haustür sperrangelweit offen!“ sagte mir mein Mitbewohner. (Ich wohne in Constitución, einem, Schilderungen nach, gefährlichen Viertel. Ich hatte das Haus vor etwa drei Stunden verlassen, das heißt, sollte ich der Übeltäter gewesen sein, stand die Tür drei Stunden offen. Kameras und Computer waren aber noch im Haus). Also zur Diskussionsrunde mit Publikum.

Ich setze mich, grüße nett, und versuche in die vorgetragenen Themenfelder einzudringen. Nach ca. 10 min. steht die vor mir sitzende Frau auf. Sie sucht ihre Sachen zusammen und greift unter ihren Sitz, doch da ist nichts. Sie fragt, ob ich ihr Köfferchen gesehen habe, woraufhin ich verneine. Dort ist kein Köfferchen. Sie verlässt halbpanisch den Raum, aber das Köfferchen scheint nicht aufzutauchen. Sie verschwindet. Andere Menschen betreten den Raum und wieder andere verlassen ihn. Der jetzt vor mir sitzende Mann guckt sich nervös um. Schon wieder. Er beugt sich immer wieder nach vorne und guckt auf sein Handy oder kramt in seinem Rucksack. Er ist gut gekleidet. Ah, o.k.! Vor ihm sitzt der Dekan meiner Uni. Die Füße des vor mir Sitzenden strecken sich immer wieder in Richtung Dekan. Wie nervös er ist, für eine doch eher behäbige Veranstaltung! Nach vorne beugen, umgucken und die Hände langsam in Richtung Rucksack des Dekans strecken. Aha, er will also den Rucksack entwenden. Mit den Füßen holt er ihn immer näher an sich heran. Er sieht sich um, ich drehe mich kurz weg. Meine Konzentration ist hin bzw. widmet sich diesem zu auffälligen Verhalten des vor mir Sitzenden. Der Rucksack des Dekans rückt immer näher an ihn heran. Fast, nein der Dekan ergreift den Rucksack und entnimmt eine größere digitale Spiegelreflexkamera, um ein Foto von der Bühne zu schießen. Der vor mir Sitzende simuliert, dass er ein Anruf erhält und verlässt den Saal. Nach 5 min. kehrt er zurück. Wird er es nun schaffen die Kamera zu entwenden? Er ist viel zu auffällig. Mein Dekan ist ein Vogel. Während der Diskussion wurde das Publikum aufgefordert, kleine Zettel mit Diskussionsanregungen in eine Kiste zu werfe. Der erste Zettel wird vorgelesen und es wird nach dem Verfasser ausgerufen: Es ist der Dekan! Dieser lässt es sich natürlich nicht nehmen, gleich mal eine Rede aus der Publikumsreihe zu schwingen um unterschwellig festzustellen, warum er denn nicht auf der Tribüne sitze. Währenddessen ist der Dieb weiterhin damit beschäftigt den Rucksack in Reichweite zu rücken, was zu einem bizarren Schauspiel führt. Während der eine redet und ihm der gesamte Saal die Aufmerksamkeit widmet ist der hinter ihm Sitzende damit beschäftigt, eine möglichst unauffällige Operation durchzuführen. Ich komme nicht um die Fragen herum: Ist der Dieb arm und benötigt den kleinen Diebstahl um seinen Lebensunterhalt zu sichern? Stehe ich auf und sage Bescheid? Was für eine bizarre Szenerie. Alle die neben mir sitzen, nehmen nichts dergleichen wahr. Bilde ich mir alles nur ein?

Eine Freundin setzt sich neben den vermeintlichen Dieb. Ich nähere mich ihr von hinten an und berichte von meinen Beobachtungen. Wir müssen lachen. Die Veranstaltung ist beendet und der zu auffällige Dieb schafft es nicht, die schöne Digitalkamera zu entwenden. Er hat es auch nicht verdient, denn er war viel zu auffällig. Zumindest applaudierte er immer an den Momenten, an denen das Publikum applaudieren sollte.

Andere Sachen sind auch verschwunden.