Gefahrentag

Ein Beitrag von Vincent G. aus Silberland


Abgabetermin für das Fach Bildhauerei. Nachdem ich die Grundstrukturen von der Tischlerei in Empfang genommen habe – feststellen müssend, dass meine Vorgaben nicht befolgt wurden – beschäftigte ich mich damit, die restlichen Utensilien zusammenzukaufen und meine Arbeit heute fertig zu stellen.

Das Geld fließt aus meinen Taschen raus, um sich später in eine Kunst umzuwandeln, Kleber, Farben, Druckkosten, Knallfolie, Bohrer und andere Dinge werden im Tausch gegen 100er Scheine erworben. Auf dem Hunderter prangt das Gesicht eines Massenmörders, der durch die „Wüstenkampagne“, einen Vernichtungsfeldzug gegen die Indianer, Berühmtheit erlangte. Den Feldzug finanzierte er durch den Vorverkauf der später von den Ureinwohnern enteigneten Landstücke.

In einem Arbeitsdelirium brachte ich es fertig die Hälfte dessen, was ich mir vorgenommen hatte, zu beenden. Das Zimmer halbzertrümmert hinerlassend fuhr ich mit dem Taxi, um die kleine Vorstellung der Arbeiten zu improvisieren. Ich erhielt die Bestnote, aber die schmeckte nur halb, da ich durch Verspätungen während der Prüfung eine Diskussionseinladung nicht wahrnehmen konnte. Ich wurde eigentlich per Programmheft angekündigt. Nach Hause mit dem ganzen Prüfungskram um später dann noch zur Diskussion zu gelangen.

„Als ich nach Hause kam, stand die Haustür sperrangelweit offen!“ sagte mir mein Mitbewohner. (Ich wohne in Constitución, einem, Schilderungen nach, gefährlichen Viertel. Ich hatte das Haus vor etwa drei Stunden verlassen, das heißt, sollte ich der Übeltäter gewesen sein, stand die Tür drei Stunden offen. Kameras und Computer waren aber noch im Haus). Also zur Diskussionsrunde mit Publikum.

Ich setze mich, grüße nett, und versuche in die vorgetragenen Themenfelder einzudringen. Nach ca. 10 min. steht die vor mir sitzende Frau auf. Sie sucht ihre Sachen zusammen und greift unter ihren Sitz, doch da ist nichts. Sie fragt, ob ich ihr Köfferchen gesehen habe, woraufhin ich verneine. Dort ist kein Köfferchen. Sie verlässt halbpanisch den Raum, aber das Köfferchen scheint nicht aufzutauchen. Sie verschwindet. Andere Menschen betreten den Raum und wieder andere verlassen ihn. Der jetzt vor mir sitzende Mann guckt sich nervös um. Schon wieder. Er beugt sich immer wieder nach vorne und guckt auf sein Handy oder kramt in seinem Rucksack. Er ist gut gekleidet. Ah, o.k.! Vor ihm sitzt der Dekan meiner Uni. Die Füße des vor mir Sitzenden strecken sich immer wieder in Richtung Dekan. Wie nervös er ist, für eine doch eher behäbige Veranstaltung! Nach vorne beugen, umgucken und die Hände langsam in Richtung Rucksack des Dekans strecken. Aha, er will also den Rucksack entwenden. Mit den Füßen holt er ihn immer näher an sich heran. Er sieht sich um, ich drehe mich kurz weg. Meine Konzentration ist hin bzw. widmet sich diesem zu auffälligen Verhalten des vor mir Sitzenden. Der Rucksack des Dekans rückt immer näher an ihn heran. Fast, nein der Dekan ergreift den Rucksack und entnimmt eine größere digitale Spiegelreflexkamera, um ein Foto von der Bühne zu schießen. Der vor mir Sitzende simuliert, dass er ein Anruf erhält und verlässt den Saal. Nach 5 min. kehrt er zurück. Wird er es nun schaffen die Kamera zu entwenden? Er ist viel zu auffällig. Mein Dekan ist ein Vogel. Während der Diskussion wurde das Publikum aufgefordert, kleine Zettel mit Diskussionsanregungen in eine Kiste zu werfe. Der erste Zettel wird vorgelesen und es wird nach dem Verfasser ausgerufen: Es ist der Dekan! Dieser lässt es sich natürlich nicht nehmen, gleich mal eine Rede aus der Publikumsreihe zu schwingen um unterschwellig festzustellen, warum er denn nicht auf der Tribüne sitze. Währenddessen ist der Dieb weiterhin damit beschäftigt den Rucksack in Reichweite zu rücken, was zu einem bizarren Schauspiel führt. Während der eine redet und ihm der gesamte Saal die Aufmerksamkeit widmet ist der hinter ihm Sitzende damit beschäftigt, eine möglichst unauffällige Operation durchzuführen. Ich komme nicht um die Fragen herum: Ist der Dieb arm und benötigt den kleinen Diebstahl um seinen Lebensunterhalt zu sichern? Stehe ich auf und sage Bescheid? Was für eine bizarre Szenerie. Alle die neben mir sitzen, nehmen nichts dergleichen wahr. Bilde ich mir alles nur ein?

Eine Freundin setzt sich neben den vermeintlichen Dieb. Ich nähere mich ihr von hinten an und berichte von meinen Beobachtungen. Wir müssen lachen. Die Veranstaltung ist beendet und der zu auffällige Dieb schafft es nicht, die schöne Digitalkamera zu entwenden. Er hat es auch nicht verdient, denn er war viel zu auffällig. Zumindest applaudierte er immer an den Momenten, an denen das Publikum applaudieren sollte.

Andere Sachen sind auch verschwunden.