DiePresse.com, ein deutscher Schriftsteller und die „***ner“

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Die Rehabilitation des Begriffs „***ner“ in der deutschen Sprache scheint in vollem Gange. Der in Deutschland auch als Schimpfwort verbreitete Terminus wurde im September 2011 mal eben von Spiegel-TV-Reportern zum journalistischen Arbeitsbegriff erhoben, und zwar mit der Begründung, rumänische Roma nannten sich ja „țigani“ untereinander. Im österreichischen online-Portal DiePresse.com heißt es seit 12.01.2012:

„Das Wort Rom beleidigt mich, nenn mich [***ner]!“ – Ein deutscher Schriftsteller hat auf dem Balkan recherchiert und meint nun: Das Wort „***ner“ ist zu Unrecht verpönt.

Das Problem an dem Artikel: Die Diskussion, die bereits seit Jahren in Rumänien zu dem Thema existiert, wird einfach ignoriert, und damit auch die Kritik an der in dem Presse-Artikel formulierten Position. Seit Tagen tippe ich immer wieder folgenden Kommentar unter den Artikel bei DiePresse.com:

Sehe ich es richtig, es geht darum „Wir, die Nicht-Roma sollen wieder [***ner] sagen dürfen“? Aufhänger ist, was ein „deutscher Schriftsteller“ von seiner „Balkanreise“ mitbringt. Und die (lange währende, alte) Debatte innerhalb Rumäniens wird damit einfach weggewischt? Hier mal die Gegensicht aus Rumänien (kein_e deutsche_r Schriftsteller_in) von Delia Grigore: „Warum rrom und nicht tigan“ (De ce rrom si nu tigan). Sie erläutert die Geschichte und Bedeutungen beider Begriffe und führt aus, dass viele Sprecher_innen des Romanes eher zu „Roma“ tendieren, weil es im Romanes das Wort „tigani“ nicht gibt. „Tigani“ ist aus der Sprache der Nicht-Roma und in Rumänien verbunden mit den Wortbedeutungen „Sklaven“, „Leibeigene“. Warum fehlen solche kritischen Bezüge, die immerhin die Debatte vor Ort widerspiegeln, warum ist der Aufhänger, was deutsche in Rumänien „recherchieren“?

Mein Kommentar ist nach 6-maligem Eintippen über mehrere Tage verteilt bis heute nicht unter dem Artikel erschienen. Meine Nachfrage via twitter und eine andere per e-Mail blieben unbeantwortet. Ich weiß nicht so recht warum.

Dürfen Deutsche ungeschminkt Juden spielen?

So, nochmal Schlosspark-Theater. In Beiträgen pro Blackface wird die Diskussion oft auf die Frage runtergebrochen „Wenn Deutsche nun nicht mehr Schwarze spielen dürfen, können sie dann auch nicht mehr xyz spielen?“ (Hallervorden selbst fragt: „Darf Hallervorden einen Juden spielen, obwohl er kein Jude ist?“)

1. Die Frage ist scheinheilig, denn die Praxis hat bereits geantwortet: Deutsche dürfen alles. Die Blackface-Aufführung findet problemlos statt, mit breiter Rückendeckung von Theatern und deutschen Medien. Die Norm („dürfen“, „sollen“, „können“) steht gar nicht infrage, sondern ist solide verankert: Ja, in Deutschland wird Schwarzsein mit Blackface auf die Bühne gebracht. So what? It’s Deutschland!

2. Soll die Diskussion suggerieren, Schwarzsein und Deutschsein oder Jüdischsein und Deutschsein seien Gegensätze? Schließt Deutschsein denn Schwarzsein oder Jüdischsein aus? Ich dachte, die Zeiten sind vorbei. Wie war das nochmal mit den neuerdings rassismuskritischen Medien?

3. Die Frage lenkt vom Problem ab, denn die Kritik bezieht sich gar nicht aufs „Spielen“, sondern auf die Bemalung. Die rassistische Handlung ist nicht, dass x eine_n y spielt, sondern woran primäre, in diesem Fall als gruppen-/ ethno-/ rassetypisch konstruierte, Merkmale einer Figur für das Publikum sichtbar festgemacht werden. (Und was dadurch überhaupt an primären Merkmalen [re]konstruiert wird.) Wenn es nur ums Spielen ginge, bräuchte es keine (wohlgemerkt „Haut“!-)Farbe. Deutsche sollen spielen was sie wollen, aber die Bemalung eines weißen Schauspielers, also die Rassifizierung einer Figur über das Merkmal „Farbe“ aus der weißen Perspektive ist das Problem. Deutsche weiße können auch Juden spielen, aber wenn sie sich dafür mit einer speziellen Nase maskieren wollten, dann wäre das auch rassistisch.

„Farben“, Nasengrößen, Schädelformen o.ä. sind ja wohl unbestritten Kriterien zur rassistischen Einteilung von Menschen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret in Deutschland (huch) und nicht nur mehr historisch. Und diese unsägliche Debatte konstruiert zusätzlich nebenbei Deutschsein=Weißsein und Schwarzsein=Schminke auf weißem? Warum werden nochmal Menschen in Deutschland gejagt und ermordet? Achso, wegen ihres Aussehens. Das ist ja nur „Farbe“, hab ich im Theater gesehen, die kannst du dir abwaschen! Oh, leider nur als weißer.

Diese Schminke rekonstruiert (im doppelten Sinne, praktisch und abstrakt) ein rassistisches Kriterium. Der Vorgang des Schminkens suggeriert, Schwarzsein sei eine Frage von 30 Minuten Schminkprozess. Hunderte Jahre Sklaverei, Unterdrückung, Kolonisation und gegenwärtige Rassismuserfahrung kann ich mir einfach ins Gesicht schminken. Weil ichs kann. Ich bin weiß. Vielen Dank für den Applaus.

Schwarze wissen bereits, was weiße mit ihrem Recht, ihrer Freiheit, ihren Privilegien alles „können“. In der Haltung „Diskussion egal, Schwarzsein ist nur Schminke“ steckt keine neue Errungenschaft, sondern ein historisches Privileg. Glückwunsch.

Es geht nicht darum, ob etwas rassistisch ist. Es geht darum, wie ich damit umgehe, wenn mich jemand darauf hinweist, dass in meiner Handlung Rassismus sichtbar wird. Es ist gar keine Frage, ob Deutsche Juden, Muslime, PoC (People of Colour) spielen „dürfen“. Sie können es sogar sein! Aber wer sich eine Nase aufsetzt, um Jüdischsein zu „spielen“, oder wer sich mit Schuhcreme schminkt, um Schwarzsein zu „spielen“, sollte dankbar sein für den Hinweis, dass das rassistisch ist. Besonders in Deutschland.

Die Macht Rassismus zu definieren

Die öffentliche Kritik an der Methode des Blackface, die aktuell im Schlossparktheater Berlin eingesetzt wird, erhält breite mediale Aufmerksamkeit. Allerdings geht es immer mehr um die Frage, wer etwas rassistisch findet oder nicht und warum. Ob etwas überhaupt rassistisch sein kann, wenn es nicht so gemeint ist, wird gefragt. Oder ob heute noch rassistisch ist, was „früher“ rassistisch war. Problematisch ist nicht nur die verklärte Vorstellung von Rassismus, die sich in diesen scheinbar unschuldigen Fragen zeigt, sondern insbesondere, dass kaum Stimmen der von Rassismus Betroffenen selbst zu hören sind. Mehrheitlich diskutieren weiße Deutsche. Das heißt weiße Deutsche tauschen sich darüber aus, ob sie sich selbst rassistisch finden oder nicht. Das ist keine Diskussion, sondern das ist das Problem.

Es geht nicht darum, was irgendwelche weißen Deutschen fühlen, wenn sie sich selbst anmalen und damit Schwarze „spielen“, sondern es geht darum, ob die, die sowas machen, sich ernsthaft mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen wollen oder nicht. Eine mögliche Haltung ist: Nein. Rassismus interessiert mich nicht (als gegenwärtiges Phänomen) und auch nicht das Verhältnis zwischen meinem Handeln und Rassismus. Eine andere mögliche Haltung ist: Ich höre insbesondere Betroffenen von Rassismus mal zu und erkenne die Realität an, dass Rassismus eine wesentliche Rolle in meiner Umwelt spielt. Ob ich mich selbst als rassistisch definiere hat dafür überhaupt keine Bedeutung. Dann erkenne ich an, dass ich mit (bewussten oder unbewussten) Unsensibilitäten selbst als Teil einer rassistischen Struktur funktioniere, und dass es dafür nämlich gar nicht notwendig ist, mich selbst rassistisch zu finden. Und erst recht als Betreiber von Blackface auf deutschen Bühnen nehme ich mal zur Kenntnis, dass die Menschen, die ich glaube „spielen“ zu können, eine eigene Perspektive haben.

Die erste Haltung scheint die aktuelle Debatte zu dominieren. Es gäbe ja kein Problem mit Rassismus, das sei ja alles nicht so gemeint. Die Verteidiger_innen von Blackface zeigen sich unbeeindruckt von Menschen mit konkreten Rassismuserfahrungen und von den Stimmen derer, die mit dem Blackfacing „gespielt“ werden sollen. Genau das ist ein Wesensmerkmal von Rassismus: weiße allein wollen festlegen, was Rassismus ist.
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Leseempfehlungen zum Thema:
Kunst, Herrschaft und Rassismus,
Deutscher Werberat: historische Amnesie im Fall Schlosspark Theater / Hallervorden / Blackface

Anne Roth über sächsische Verhältnisse

Was Anne Roth in ihrem Vortrag Sachsen dreht frei beim 28. Chaos Communication Congress in Berlin präsentierte, ist ganz schön finster. In komprimierter Form veranschaulichte sie anhand einiger Zahlen, Videoaufnahmen und Behörden-Statements aus den letzten Monaten, wie akribisch Nazi-Gegner_innen von Sachsen aus verfolgt werden.

Zwar gab es nach Bekanntwerden der Überwachungsmaßnahmen mediale Reaktionen auf „das seltsame Verhältnis der Dresdner Landesregierung zum Rechtsstaat“ (Spiegel, 01.08.11), die Anne Roth zitierte. Nachdenklich stimmt aber, dass aus der Politik nichts kam, abgesehen von regionalen und punktuellen Empörungen. In der Bundesregierung, so scheint es angesichts des Schweigens, genießt Sachsen also volle Rückendeckung für sein „Verhältnis zum Rechtsstaat“. Und dazu gehört eben nicht nur die technisch aufwendige Verfolgung von Nazi-Gegner_innen, sondern auch, „wie unfassbar lax Verfassungsschützer und Richter in Sachsen mit dem Thema Rechtsextremismus umgehen“ (Kontraste, 01.12.11) oder die heftig kritisierte Razzia beim Jenaer Pfarrer König.

Der ganze Vortrag (56min) als Video hier:
http://www.youtube.com/watch?v=5XRSSAZFPJ4

Einen Link zu den im Vortrag präsentierten Folien gibt’s im Blog von Anne Roth.

Portal gegen Rechts attestiert SPIEGEL-TV-Beiträgen „Antiziganismus“¹

Die fragwürdigen zwei SPIEGEL-TV-Berichte über Einwander_innen aus Rumänien (sibiuaner berichtete: 1, 2 und 3) hat Linda Polónyi gestern unter dem Titel „Spiegel antiziganistischer Vorurteile“ für das vom STERN und der Amadeu Antonio Stiftung betriebene Portal „MUT GEGEN RECHTE GEWALT“ aufgegriffen. Sie kommt zu dem Schluss:

Während die Berichterstattung deutscher Zeitungen und Magazine zu dieser Thematik in den letzten Monaten wesentlich differenzierter ausfiel, als dies noch bis vor Kurzem der Fall war, fällt der Spiegel mit diesen beiden Reportagen weit hinter die Ansprüche an eine professionell demokratischen Berichterstattung zurück. Die Art von Meinungsmache, wie sie in diesen Berichten betrieben wird, ist nicht nur bedenklich, sondern auch potentiell gefährlich. Sie füttert ein seit Jahrhunderten tradiertes Bild von den Sinti und Roma an, das weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht und die Grundlage der Anerkennung von Ausgrenzung, Ausweisung und mangelnder Bekämpfung von Angriffen auf Roma in ganz Europa bildet. Vom Spiegel hat man mehr erwartet. Bisher war Spiegel-TV nicht bereit, ein Statement zu den Berichten abzugeben. (Zitiert aus: „Spiegel antiziganistischer Vorurteile“.)

Seit dem 06.09.2011 warte auch ich auf eine Antwort von SPIEGEL TV (u.a. zu diesen Kritikpunkten) und wurde auf weiteres Nachfragen gebeten, die Anfrage erneut zu senden. Am 09.11.2011 schließlich erhielt ich eine Antwort aus der Abteilung „Zuschaueranfragen“. Darin hieß es, meine Anfrage samt Bitte um Beantwortung sei an die zuständigen Redakteure weitergeleitet worden. Zudem wurde ich um Verständnis gebeten, „wenn es etwas dauert, da die Redakteure sehr selten im Hause sind.“ Seitdem nichts.

Das öffentliche Interesse an Rassismus in Deutschland ist nach den Ereignissen und Enthüllungen um den NSU zweifellos gestiegen, viele Medien zeigen sich stärker sensibilisiert dafür als vorher. Trotzdem wird Rassismus weniger in seinen alltäglichen Erscheinungsformen, sondern weiter vornehmlich im Zusammenhang mit Rechtsextremismus thematisiert (Einige Bemerkungen zur aktuellen Debatte um die Morde des NSU). Im Quoten-Wettbewerb zum Thema NSU wurde übrigens die SPIEGEL-Gruppe vom Deutschen Journalistenverband dafür kritisiert, dass sie für einen Exklusivzugriff auf das NSU-Bekennervideo Geld gezahlt haben soll (Nazi-DVD: Mediengeschäft mit Terror). SPIEGEL TV strahlte dann auch als erstes Medium in Deutschland Auszüge aus dem NSU-Bekennervideo aus. Auf Anfragen zum Thema Rassismus in der eigenen Berichterstattung von SPIEGEL TV heißt es aber weiter: abwarten.

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¹ Den Begriff habe ich nachträglich mit Anführungszeichen versehen, da ich ihn hier eindeutig als Zitat markieren möchte. Zur Kritik am Begriff vgl. z.B. Demirova, Filiz: „Wer spricht in der Antiziganismusforschung“.