„ein Handwerksmeister, eine Migrantin und eine Unternehmerin“

Am Dienstag (17.6.2014) lud Thomas de Mazière ins Innenministerium zum Gespräch einige Gäste ein, die stellvertretend für den im deutschen Vergleich geburtenstarken Jahrgang 1964 stehen sollten. Dieses symbolische Treffen war der Berliner Zeitung gestern (18.6.2014) einen dreispaltigen Kurzbericht unten auf der Titelseite wert.

Aber nicht die Frage nach der Titelseitenrelevanz eines solchen Aktes von Symbolpolitik, sondern etwas anderes im Text selbst stieß mir unangenehm auf: Nämlich der Versuch, die Unterschiedlichkeit der eingeladenen Menschen zu betonen. So heißt es in dem Text der Berliner Zeitung:

„Der CDU-Politiker hatte etwa ein Dutzend Vertreter des Jahrgangs 1964 in sein Haus gebeten […]. Eine Bundespolizistin war darunter, ein Handwerksmeister, eine Migrantin und eine Unternehmerin.“¹


Fotografierte Titelseite der Berliner Zeitung vom 18.06.2014


Diese Aufzählung gibt Auskunft über eine herrschende Praxis ungleicher Identitätszuschreibung: Während drei der im Text genannten Gäste über ihre Berufe klassifiziert werden (Polizei, Handwerk, Unternehmen) wird eine Person über ein „Migrantin“-Sein definiert. Vom BMI kommt dieses Label nicht, auf der offiziellen Liste des Ministeriums mit den 11 geladenen Gästen ist nirgends von einer Migrantin die Rede, sondern nur von unterschiedlichen Berufen. Dennoch scheint es dem Autor des Zeitungstextes ein Anliegen zu sein, eine der geladenen Personen als „Migrantin“ zu labeln.

Die bewusste (wenn auch sicherlich nicht böse gemeinte) Bezeichnung eines der Gäste als „Migrantin“ gegenüber drei anderen Einordnungen nach Berufen zeigt die Besonderheit, die Abweichung, die mit diesem Begriff transportiert wird: Als sei das Label „Migrantin“ ein Unterscheidungsmerkmal per se, das sich von den Berufsbezeichnungen Bundespolizistin, Unternehmerin oder Handwerker abgrenzen lässt. Selbst wenn die im Zeitungstext aufgezählte Person also auch eine Bundespolizsitin, eine Unternehmerin oder eine Handwerkerin wäre, wird sie dennoch als „Migrantin“ erwähnt, und nicht mit ihrer Berufsbezeichnung.

Genau so funktioniert dieser Begriff. In einem Nachschlagewerk zu Rassismus in der deutschen Sprache heißt es zu „Migrant_in“:

„Als Fremdbezeichnung von außen, etwa durch Mitbürger_innen ohne Migrationshintergrund […] dient der Begriff ›Migrant_in‹, analog zu ›Gastarbeiter‹_in oder ›Mitbürger_in mit Migrationshintergrund‹ […] der Stigmatisierung und dem Verweis auf einen Platz außerhalb der Dominanzgesellschaft.
[…]
Rassifizierende Markierungen als ›anders‹ und ›fremd‹ sollen mit der Vokabel ›Migrant_in‹, die vorgibt, objektiv oder zumindest neutral und damit belastbar zu sein, in eine legitime Form der Klassifizierung überführt werden. Deswegen gilt sie […] logischerweise auch für PoC, die in Deutschland geboren sind. Und zwar zeitlos.“²

Die Aufzählung in dem Zeitungstext, in der allein einer von vier Personen statt eines Berufs das Label „Migrantin“ zugeordnet wird, veranschaulicht die in der Definition genannte Ausschlussfunktion des Begriffs. Der Zuschreibung als „Migrantin“ wird eine größere Bedeutung beigemessen, als ihrer beruflichen Identität. Eine Differenzierung nach sozialen/beruflichen Kategorien bleibt allein den nicht als „Migrant_in“ gelesenen (weißen, nicht rassifizierten) Menschen vorbehalten, der/dem „Migrant_in“ hingegen verwehrt.

Im vorgestellten Beispiel erfolgt die Ausschlusshandlung durch die Anwendung des Begriffs „Migrant_in“ als Fremdbezeichnung auf der Titelseite der Berliner Zeitung. Das ist ganz sicher kein Einzelfall. Auf eine Sensibilisierung für rassistischen Sprachgebrauch im deutschen Journalismus weist dieses Beispiel nicht hin.

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¹ Decker, Markus: „Die 64er“, in: Berliner Zeitung vom 18.06.2014, Titelseite.
² Sow, Noah: Migrant, in: Susan Arndt & Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht, Münster, 2011, S.444. (Inhalt und Vorwort)

Ein O-Ton für die Tagesthemen oder Das Recht auf rassistische Sprache + UPDATE

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Das Update (2.7.2012) gleich vorweg: ARD entschuldigt sich bei den Sinti und Roma für Sendung eines diskriminierenden Interviews in den Tagesthemen [pdf].

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Am 25.6.2012 hat mir Kai Gniffke von der ARD zur Verwendung des *-Worts der rassistischen Fremdbezeichnung von Roma in den Tagesthemen geantwortet. (Unten habe ich seine E-Mail und meine neue Antwort dokumentiert.) Die Übersetzung sei korrekt, also der griechische Mann sage „[***]ner“. Zu meiner Kritik an dem Begriff und dessen konkreter rassistischer Verwendung schreibt er nichts, nicht mal das Wort Rassismus kommt vor. Dafür schreibt Gniffke, dass die ARD verantwortungsvoll abwäge bevor so ein O-Ton in die Sendung kommt und das sei auch in dem Fall passiert. Mit anderen Worten: In den Tagesthemen in der Halbzeitpause eines EM-Spiels mit deutscher Beteiligung (also vor einem zweistelligen Millionenpublikum) mal eben das *-Wort die rassistische Fremdbezeichnung von Roma per O-Ton-Übersetzung über den Sender zu schicken ist voll ok und entspricht dem Rahmen von deutschem Qualitätsjournalismus. Ich bin ernüchtert und frage mich, ob das Unwissen ist oder Ignoranz gegenüber diesem klaren Fall, in dem das *-Wort der Begriff als rassistisches Pendant zum „braven Bürger“ reproduziert wird. Genau das ist die klassische Funktion des *-Worts dieser Fremdbezeichnung, mit der es sie seit Jahrhunderten von weißen Menschen benutzt wird. (Und zwar seit ca. zwei Jahrhunderten in Deutschland auf institutioneller Ebene.)

A propos Benutzung, die Kritik am *-Wort an dem Begriff kommt einigen, wohlgemerkt weißen Menschen, sogar einem Sprechverbot oder Maulkorb gleich. Es ist ihr Recht, das *-Wort verwenden zu können wann und wo sie wollen. Und zwar über 40 Jahre nachdem Roma sich im April 1971 für den Begriff Roma als Selbstbezeichnung entschieden haben und nachdem sie das auch heute immernoch tun. Das ist aber scheinbar egal. Denn aus der Sicht einiger wiegt das Recht weißer Menschen, das *-Wort zu sagen schwerer, als das Recht der Betroffenen, ihre Bezeichnung selbst zu wählen. Wahrscheinlich einfach die Gewohnheit der letzten Jahrhunderte.


Ein twitternder Weißer über sein Recht (zur Bezeichnung von Roma)

Um das klarzustellen: Ich bin gegen Sprechverbote. Meine Kritik richtet sich gegen die Haltung, die sich in der Benutzung des *-Worts der Fremdbezeichnung ausdrückt, das, was mit diesem Wort transportiert wird: Mir egal, ich kann, weil ich kann. Als weißer Nicht-Rom einfach auf das Recht verweisen, das *-Wort den Begriff benutzen zu können, zeigt ja nur, es geht absolut nicht um die Leidtragenden dieses Begriffs, deren Sprechendenposition und Perspektive ist schnuppe, was zählt sind die weißen Befindlichkeiten. Und das ist leider keine besonders neue Erkenntnis, auch nicht, wenn sie von den aktuellen deutschen Halbzeit-Tagesthemen angeregt wurde.


25.06.2012

Sehr geehrter Herr Kraft,

vielen Dank für Ihre E-Mail.

Die griechischen Wörter für ‚Bettler‘ und ‚[***]ner‘ klingen sehr ähnlich. Das ARD-Büro in Athen hat uns aber versichert, dass die Übersetzung in dem Tagesthemen-Bericht vom 17. Juni korrekt war. Der Grieche hat in dem Beitrag also tatsächlich gesagt: Wir werden brave Bürger sein und nicht [***]ner.

Mit diesem O-Ton wollten wir keinesfalls Vorurteile gegen Sinti und Roma bedienen. Tagesschau, Tagesthemen und die anderen Sendungen von ARD-aktuell achten sehr genau darauf, keine abwertenden Klischees zu verwenden. Stattdessen benutzen wir eine möglichst wertneutrale, sachliche Sprache. Bei Interviews kann es allerdings vorkommen, dass die Interview-Partner nicht ganz so überlegt formulieren. Die Redaktion muss dann zusammen mit dem Reporter entscheiden, ob es sich um eine kleinere sprachliche Ungeschicklichkeit handelte oder ob der O-Ton nicht sendbar ist. In dem Wahl-Bericht aus Griechenland hatten wir es mit einem Grenzfall zu tun. Sollte sich jemand von der Formulierung des Griechen angegriffen oder verletzt fühlen, so täte uns das Leid.

Wir würden uns freuen, wenn Sie unsere Sendungen weiter kritisch verfolgten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Kai Gniffke
Chefredakteur ARD-aktuell
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27.06.2012

Sehr geehrter Herr Gniffke,

vielen Dank für Ihre Antwort. Sie schreiben, Sie hatten es in Ihrer Entscheidung für den betreffenden O-Ton, in dem das [***]-Wort vorkommt, „mit einem Grenzfall zu tun“. Nun hatten Sie sich in diesem Grenzfall ja entschieden, das [***]-Wort ins Deutsche zu übersetzen (an der Übersetzung zweifeln nach wie vor mehrere Menschen mit Griechischkenntnissen) und dieses Wort in der Halbzeitpause eines Fußballspiels mit deutscher Beteiligung einem zahlenmäßig zweistelligen Millionen-Publikum zu präsentieren. Leider erschließt sich mir aus Ihren Ausführungen zum verantwortungsvollen Umgang Ihrer Redaktionen mit „Klischees“ nicht, wieso Sie sich im Rahmen eines Kommentars über Wahlen in Griechenland für eben diesen O-Ton entschieden, in dem das [***]-Wort als rassistisches Pendant zu „braven Bürgern“ reproduziert wird. Was die unter dem [***]-Wort leidenden Menschen davon haben, dass Ihnen dessen rassistische Bedeutung leidtut, kann ich nicht einschätzen, ich bin ein weißer Mann, genau wie Sie, und mit dem [***]-Wort meistens nicht gemeint bzw. nicht davon unmittelbar betroffen.


Ich hätte mir von Ihnen die Bereitschaft zum kritischen Umgang mit institutionellem Rassismus gewünscht, dessen Wesensmerkmal es ist, dass weiße Menschen — und nicht die Betroffenen — in entsprechenden Positionen einen Begriff wie das [***]-Wort in einem journalistischen TV-Beitrag zum griechischen Wahlausgang in der deutschen Halbzeitpause 2012 für angemessen halten.


Ernüchtert,
Hendrik Kraft.

Rassistischer Übersetzungsfehler bei den Tagesthemen

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Für die gestrigen Tagesthemen (17.6.2012, moderiert live aus Athen „direkt vom Fuße der Akropolis“) fing Ellen Trapp die Stimmung nach den griechischen Parlamentswahlen in Athen ein. Am Wahlkampf-Stand der Nea Dimokratia durfte ein Wähler ins ARD-Mikrofon sprechen, dessen griechische Worte von der Kommentarstimme so ins Deutsche übersetzt wurden:

„Griechenland wird seinen Weg finden, es wird sich entwickeln. Wir werden haushalten, brave Bürger sein und nicht [***]ner.“ (ab 01’34 in Tagesthemen vom 17.06.2012 um 21:35)

Die Tagesthemen-Redaktion findet für eine deutsche öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung die Reproduktion des [zitierten ***] Worts (das bereits selbst eine rassistische Bedeutung trägt) und dessen Verwendung in dem hier explizit rassistischen Kontext angemessen. Haushaltende, brave Bürger werden als Gegenteil von Menschen hingestellt, die mit dem [***]-Wort bezeichnet werden. Und das bleibt unkommentiert im Raum stehen.


Dieser Mann soll laut Tagesthemen die rassistische Fremdbezeichnung von Roma verwendet haben. Hat er aber nicht.
(Screenshot Tagesthemen vom 17.06.2012 um 21:35)

Damit nicht genug: Später twitterte mir eine gebürtige Athenerin, dass der Mann „sitani“ sagte und das bedeutet „Bettler“. Die Tagesthemen haben dem Mann die oben zitierte Fremdbezeichnung also per Übersetzungfehler in den Mund gelegt. Das ist ein starkes Stück, denn die Aussage des Mannes, die Griechen wollen „haushalten und brave Bürger sein, nicht Bettler“ ist eine völlig andere und zeugt sogar von einer gewissen Ironie im Angesicht eines deutschen ARD-Mikrofons.

In der Halbzeit des EM-Spiels Deutschland-Dänemark dürfte ein großes Publikum zugeschaut haben und so gelangte mit dem Übersetzungsfehler eine rassistische Aussage in deutsche Wohnzimmer, die jedenfalls nicht von dem interviewten Mann aus Athen stammt. Für die rassistische Bezeichnung und den rassistischen Kontext durch den fahrlässigen Übersetzungsfehler ist allein die Tagesthemen-Redaktion verantwortlich.

Was die Hamburger Medienanstalt beim Thema Einwanderung sachlich findet

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Anfang des Jahres reichte Johannes Hykel (der hier mit einem Gastbeitrag vertreten ist) eine Beschwerde wegen des tendenziösen, mit rassistischen Begriffen arbeitenden Spiegel-TV-Berichts (hier der Originalbeitrag, hier meine Kritik) bei der zuständigen Medienanstalt Hamburg/ Schleswig-Holstein ein. Deren ernüchternde Antwort kam vor einigen Tagen, darin heißt es u.a. „diskriminierende Darstellungen sind nicht erkennbar“. Die Hamburger Landesmedienanstalt findet den Beitrag sachlich. Wo ist die kritische Haltung dieser Institution, die sich der Überprüfung journalistischer Mindeststandards verschrieben hat? Hat die Landesmedienanstalt die problematischen Punkte vielleicht übersehen? Warum wird das Bedrohungsszenario nicht kritisiert, dass der Beitrag im Zusammenhang mit Roma aufbaut? Warum werden Begriffe wie „Clan“, „Treck der Armutsflüchtlinge“ oder „Welle von Armutsflüchtlingen“ in dem Zusammenhang nicht als unzulässig und rassistisch erkannt, warum wird das als sachlich durchgelassen?

Johannes Hykel gab sich mit der Antwort nicht zufrieden und hat die Medienanstalt an den Problemgehalt des Spiegel-TV-Beitrags erinnert. Hier nun zunächst die sehr eigene Einschätzung der Medienanstalt Hamburg/ Schleswig Holstein und im Anschluss daran die Antwort von Johannes Hykel, die ich auch unterzeichnet habe:

Sehr geehrter Herr Hykel,

ich komme zurück auf Ihre Beschwerde über den Beitrag „Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße in Berlin“ im Programm von „Spiegel.tv“ und möchte Sie hiermit über das Prüfergebnis informieren.

Unsere Recherchen zu dem Fall haben ergeben, dass es zu dem von Ihnen monierten Beitrag bereits zwei Vorprüfungen durch andere Institutionen gegeben hat. So war bereits im November 2011 gegen die TV-Ausstrahlung im Programm von RTL Programmbeschwerde eingelegt worden. Die Prüfung durch die für RTL zuständige Niedersächsische Landesmedienanstalt hatte keinen Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen die medienrecht­lichen Bestimmungen ergeben. Auch beim Deutschen Presserat war eine entsprechende Beschwerde eingegangen. Der Presserat konnte keine Verletzung der publizistischen Grundsätze feststellen. Unsere ergänzende Prüfung der Sendung hat diese Ergebnisse bestätigt.

Ein Angriff gegen die Menschenwürde der gezeigten Per­sonen lässt sich den Formulierungen und Darstellungsweisen des Beitrags nicht entnehmen. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Begriff der Menschenwürde verbunden ist, wird durch den Beitrag nicht infragegestellt. Auch diskriminierende Darstellungen sind nicht erkennbar, da der Beitrag sachlich gehalten ist und keine herabwürdigenden Aussagen über die Volksgruppe der Roma enthält. Die von Ihnen kritisierte Verwendung des Be­griffs „[***]ner“ kommt insgesamt zweimal vor und kann sicherlich mit guten Gründen kritisiert werden. Vor dem Hintergrund des ansonsten sachlich gehaltenen Beitrags ist dies jedoch noch nicht als Verstoß gegen den Pressekodex zu bewerten, zumal überwiegend neutrale Begriffe wie „Roma“, „Rumänen“ u.ä. benutzt werden.

Ein Verstoß gegen die Achtung der Persönlichkeitsrechte ist ebenfalls nicht festzustellen. So ist hinsichtlich der gezeigten Listen des Gewerbeamts zu berücksichtigen, dass das Betreiben eines Gewerbes nicht dem Bereich der Privatsphäre, sondern der Sozialsphäre zuzuordnen ist. Die Privatsphäre der Gewerbetreibenden wird durch die
Nennung der Daten, unter denen sie ihr Gewerbe angemeldet haben, nicht berührt. § 14 Abs. 5 Gewerbeordnung legt zudem fest, dass der Name, die betriebliche Anschrift und die angezeigte Tätigkeit des Gewerbetreibenden allgemein zugänglich gemacht werden dürfen. Auch werden die von Ihnen angeführten Personen auf der Straße von den Reportern nicht mit ihrem Namen angesprochen. Die Repor­terin liest ihnen lediglich Namen von der Liste des Gewerbeamts vor und fragt, ob sie diese Personen kennen würden. Dass auch einige Personen gezeigt werden, die sich weigern, mit den Reportern zu sprechen, ist nicht als Missachtung ihrer Privatsphäre zu bewerten, zumal über sie nichts weiter zu erfahren ist und ihre Namen nicht genannt werden. Gleiches gilt für die bei der Befragung eines Passanten anwesenden Kinder, zumal diese selbst nicht angesprochen werden und die Abbildung von Personen, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, nicht unzulässig ist.

Der Beitrag kann vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion um die Migration von Armutsflüchtlingen sicherlich kritisiert werden. So wäre eine differenzierte Darstellung wünschenswert gewesen. Ein Verstoß gegen die medienrechtlichen Bestimmungen lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Erläuterungen weiterhelfen konnte. Abschließend möchte ich mich für Ihre Beschwerde bedanken, die zu einer kritischen Überprüfung des Beitrags Anlass gegeben hat.

Mit freundlichen Grüßen
[***]
Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein
Bereich Programm und Medienkompetenz
www.ma-hsh.de

Und die Antwort:

Sehr geehrt* ***,

vielen Dank für Ihre Antwort und die medienrechtliche Prüfung. Allerdings kann ich Ihre Argumentation in fast allen von mir monierten Punkten keineswegs nachvollziehen. Aber der Reihe nach.

Sie schreiben, dass sich ein „Angriff gegen die Menschenwürde der gezeigten Personen […] den Formulierungen und Darstellungsweisen des Beitrags nicht entnehmen [lässt]. […] Auch diskriminierende Darstellungen sind nicht erkennbar, da der Beitrag sachlich gehalten ist und keine herabwürdigenden Aussagen über die Volksgruppe der Roma enthält“.

Diese Einschätzung ist sehr erstaunlich, denn mit welchen Bildern und Praxen werden die als Roma markierten Menschen in dem Beitrag in Zusammenhang gebracht? Die Grundaussage des Beitrags ist doch eindeutig: Die Deutschen — als kollektives Wir — würden von „den“ Roma bedroht, die das Sozialsystem systematisch ausnutzen und illegale Praxen (u.a. Untervermietung, Scheinselbständigkeit) ausüben. Wäre der Beitrag, wie Sie behaupten, sachlich gehalten, dann würden bspw. vielmehr die komplexen Ursachen beleuchtet, die hinter den im Beitrag gezeigten Phänomenen stehen. (Dafür wäre es wohl auch nicht notwendig, Listen von der Gewerbeauskunft einzublenden und in Wohnungen eindringen zu wollen.)

Dass das Erwähnen des [***]-Wortes keine Diskriminierung sei, da es lediglich zweimal (da gebe ich Ihnen recht) vorkomme und „überwiegend neutrale Begriffe wie ‚Roma‘, ‚Rumänen‘ u.ä. benutzt werden“, kann ich in keinster Weise nachvollziehen. Jedes Erwähnen des [***]-Wortes ist eine Diskriminierung!! Hinzuzufügen ist, dass neben „Roma“ und „Rumänen“ Begriffe wie „Clan“, „Treck der Armutsflüchtlinge“ oder „Welle von Armutsflüchtlingen“ fallen, die mit den gezeigten Menschen in einen Zusammenhang gestellt werden. Sind diese Wörter aus Ihrer Sicht sachliche Bezeichnungen? Wird hier nicht ein spezifisches Bild provoziert, dass die oben formulierte Grundaussage eines Bedrohungsszenarios unterstreicht?

Die Einblendung von Namen von der Gewerbeauskunft ist offensichtlich medienrechtlich zulässig. Auch das Ansprechen der sich weigernden Menschen sehen Sie nicht als Problem — mag medienrechtlich ebenfalls so sein. Allerdings übersehen Sie erstens, dass in einer Filmsequenz ein konkreter Name fällt — [0:40ff.]: ob XXX zu Hause sei (jedoch ohne Einblendung eines Gesichts) und dass Briefkästen mit deutlich zu lesenden Namen gefilmt werden [1:30ff.]. Darüber hinaus übersehen Sie, dass dies in einem *bestimmten* *Zusammenhang* geschieht, der wiederum mit der Grundaussage des Beitrags zusammenfällt. Dies u.a. genauer in dem Sinne, dass der Eindruck von etwas „Heimlichem“, „Verstecktem“ entsteht — etwas „Illegalem“, „Konspirativem“.

M.E. abstrahieren Sie in Ihrer Beurteilung von der Grundaussage des Beitrags, die einer rassistischen Logik folgt, in dem zwischen „Wir“ und „Ihnen“ unterschieden wird und eine machtvolle Abwertung der als Roma markierten Menschen vollzogen wird. Sie nehmen sich lediglich einzelne Aspekte heraus, die medienrechtlich zulässig sind, sehen aber nicht den *Gesamtzusammenhang* und die *Dramaturgie des Beitrages.* Schließlich widersprechen Sie sich: Auf der einen Seite betonen Sie zweimal, dass der Beitrag sachlich gehalten sei. Zum Schluss schreiben Sie jedoch, dass „vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion um die Migration von Armutsflüchtlingen“ eine „differenzierte Darstellung wünschenswert gewesen“ wäre. Sachlichkeit und Differenzierung schließen sich in meinem Verständnis nun keineswegs aus,
bedingen sich vielmehr — zumal im Journalismus.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Hykel und Hendrik Kraft

„Wir sind gegen das Wort [***]ner“¹

[Trigger-Warnung: Foto mit ausgeschriebeneer rassistischer Fremdbezeichnung von Rom_nija]


https://www.facebook.com/photo.php?fbid=3316593906635&set=p.3316593906635&type=1&theater

¹Hinweis: Nach dem berechtigten Hinweis vom Braunen Mob e.V., dass die rassistische Fremdbezeichnung von Betroffenen als verbale Gewalt erfahren werden kann, habe ich es in der Überschrift unkenntlich gemacht und den entsprechenden Tweet gelöscht. Um ihre Ablehnung zu diesem Begriff zu zeigen, zitieren Betroffene selbst auf dem Foto den Begriff, was etwas anderes ist, als wenn ich diesen Begriff losgelöst von dem Foto verbreite.

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Weitere Infos:
Homepage von Harri Stojka,
ROMBASE Uni Graz über die Familie Stojka