Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 3 — Noa Ha: „Dekoloniale Theorie und Perspektiven auf Stadt“

Teil 3 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

Vergangenen Montag (2.11.2015) sprach Noa Ha über „Dekoloniale Theorie und Perspektiven auf Stadt — Prozesse der Rassifizierung im Kontext neoliberaler Stadtproduktion“ auf der dritten Veranstaltung im Rahmen der Ringvorlesung zur Rassismusforschung in Deutschland an der TU Berlin.

Diesmal war ich früher dort und konnte erstmals einen echten Sitzplatz auf einem Stuhl ergattern. Wieder saßen um die 10 Personen auf dem Fußboden, aber von der anfangs in Aussicht gestellten Raumänderung wird nach Angaben der Veranstaltenden nun doch abgesehen (ich glaube es gilt noch nicht als „zu voll“, wenn nur 10 Personen auf dem Boden sitzen müssen).

Nun zum Inhaltlichen. Noa Ha interessiert das Verhältnis von Rassifizierung und Stadtproduktion, und somit die Frage, welchen Einfluss Rassismus und Kolonialismus auf die zeitgenössische Stadtplanung haben. Denn, wenngleich die formelle Kolonialisierung abgeschlossen sein mag, so blieben als Hinweise auf das Fortbestehen kolonialer Praxis beispielsweise die globalen Abhängigkeitsverhältnisse oder das Schweigen der vormaligen Kolonialmächte zu ihren Rollen im Kolonialismus. Die Idee von Rasse strukturiert ungebrochen die Welt im Kapitalismus, wobei die kolonialen Ordnungen heute in Form sozialer Ordnungen fortbestünden: Nach der praktischen kolonialen Phase erfolgt nun die soziale Klassifizierung von Menschen anhand der Idee von Rasse ortsunabhängig. Noa Ha bezieht sich hier auf das Konzept der Coloniality of power von Anibal Quijano und zitiert dazu aus dessen Essay „Coloniality of Power, Eurocentrism, and Latin America“ (2000).

Die europäische Stadt ist ein Raum der Inszenierung, in dem Plünderungen und Versklavung ausgeblendet werden, so Noa Ha. Zudem werde ‚Kolonialismus‘ als analytischer Begriff in Deutschland weitgehend gemieden, was die Auseinandersetzung mit Kolonialismus erschwere. Anknüpfungspunkte für eine kolonialismuskritische Analyse europäischer Stadtkonzepte sieht Noa Ha bei Henri Lefebvre, und insbesondere dessen „The Production of Space“ (1974): Das Verständnis von moderner Stadt als ein sozial strukturierter Raum, dessen Herausbildung konstitutiv mit der kolonialen Expansion und Planung verbunden ist, kann demnach bei der Analyse ungleicher Entwicklungen im städtischen Raum heute hilfreich sein.

Das Humboldtforum im Zentrum Berlins dient Noa Ha als Beispiel für die Kontinuität europäischer Stadtplanung bis ins 21. Jahrundert: Im Inneren eines Schlosses, also eines die Monarchie repräsentierenden Gebäudes, wird europäische Kunst als Hochkultur ausgestellt. Die Museumstradition des 19. Jahrunderts — Erforschen, Kartieren, Archivieren — werde damit ununterbrochen weitergeführt, und so ästhetisch an bürgerliche, wilhelminische, klassizistische Stile und die „Gründerzeit“ angeknüpft. Noa Ha weist darauf hin, dass dieses Schloss, als Teil eines auf „das alte Berlin“, „die historische Mitte“ ausgerichteten Planwerks, keine 500 Meter entfernt von dem Ort steht, an dem 1884/85 die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den Kolonialmächten im Rahmen einer „Konferenz“ verabredet worden war. Die historische Kontinuität bleibt auch augenscheinlich, wenn im Humboldtforum die außereuropäischen Anderen „im Dialog“ mit der europäischen Hochkultur Platz finden sollen. Es handelt sich um einen Machtraum, der koloniale Logiken reproduziert. Als Beispiel für Kritik daran nennt Noa Ha die Initiative „No Humboldt 21„. Und als ein Beispiel eines punktuell zu beobachtenden kritisch-reflektierten stadtpolitischen Entwicklungsansatzes in Berlin führt Noa Ha die Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer (nach der Schwarzen deutschen Wissenschaftlerin May Ayim) an.

Am Beispiel London — konkret an der öffentlichen und medialen Rezeption der „Riots“ 2011 — illustriert Noa Ha die soziale Ordnung der europäischen Stadt: Indem vornehmlich von „Ausschreitungen“ die Rede ist, wird der Kontext von Diskrminierungs- und Ausgrenzungsprozessen ausgeblendet und so bspw. die Verschärfung polizeilicher Befugnisse wie „Stop And Search“ (vgl. Criminal Justice and Public Order Act 1994, Changes: Section 60), die zu einem enormen Anstieg bei Durchsuchungen von Schwarzen Menschen führte, ignoriert. Das Beispiel zeige die unterschiedliche Behandlung sozialer Gruppen in einer Stadt nach rassistischen Kriterien und müsse bei der Frage Beachtung finden, welche Menschen von Verdrängung bedroht oder bei städtischen Veränderungen nicht mitgedacht würden.

Es gelte, die Repräsentation von Stadt als koloniales und kolonisierendes Projekt zu begreifen, dessen Dekolonisierung notwendig sei.
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Weiterführend: Zu dem Thema erschien ein Aufsatz von Noa Ha, in dem als Beispiel auch der Protest geflüchteter Menschen in Berlin angeführt wird, in der Zeitschrift sub\urban, Bd.2, Heft 1 (2014): Perspektiven urbaner Dekolonisierung: Die europäische Stadt als ‚Contact Zone‘.

Am nächsten Montag (9.11.2015) entfällt referiert Anette Dietrich über „Kritisches Weißsein“ (wie gehabt 16 Uhr in der UB der TU Berlin, hier die Ankündigung auf facebook.)
Am Montag darauf (16.11.2015) spricht Cengiz Barskanmaz über „Rassismus, Macht und Recht“, Beitrag hier im Blog.

++++ Am Mittwoch, 25.11.2015, präsentiert Noa Ha mit Studierenden der TU Berlin in Kooperation mit Postkolonial e.V. und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, das Projekt „Berlin als postkoloniale Stadt kartieren“ (Veranstaltung ursprünglich im August Bebel Institut geplant und nun verlegt, siehe facebook-Ankündigung). ++++

Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 2 — Urmila Goel: „Verflochtene Machtverhältnisse“

Teil 2 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

Am Montag den 26.10.2015 sprach Urmila Goel im Rahmen der Ringvorlesung zur Rassismusforschung in Deutschland. Der Referatstitel lautete „Verflochtene Machtverhältnisse — Forschungsperspektive Intersektionalität“.

Die Veranstaltung war wieder sehr gut besucht, diesmal hatte ich etwas mehr Beinfreiheit an meinem Platz am Boden und habe neben schriftlichen Aufzeichnungen auch Notizen bei Twitter hinterlassen. Nachfolgend gibt es wieder eine kurze Zusammenfassung des Vortrags.

Urmila Goel beginnt sehr grundlegend, erklärt den zentralen Begriff Intersektionalität: Isolierte Betrachtungen einzelner Kategorisiergungen (wie ethnicity/race, gender, ability, class …) stellten sich als unzureichend für die Analyse von Machtverhältnissen heraus. Diese Erkenntnis führte zum Ansatz der Intersektionalität (Kimberlé Crenshaw, Floya Anthias), der Verflechtungen und Überschneidungen bei der Wirkung der Kategorien in die Analyse einbezieht. Im deutschsprachigen Kontext sieht Urmila Goel Schwarze deutsche Frauen mit ihrer Bewegung als die Ersten, die in den 80er Jahren intersektional sensibilisiert arbeiteten.

Urmila Goel betont, dass es gelte, die Spezifik der einzelnen machtvollen Kategorisierungen zu beachten, auch, wenn sie verflochten wirken. So etwa sind Schwarze Frauen als Schwarze Menschen durch rassistische Machtverhältnisse und als Frauen durch sexistische Machtverhältnisse gleichsam diskriminiert. Der intersektionale Ansatz versucht — unter Beachtung der jeweiligen Spezifik — keines der wirkenden Machtverhältnisse auszublenden, ihre Verflechtung wahrzunehmen, und der daraus entstehenden Wirkmacht gerecht zu werden.

Die Kategorien bzw. Kategorisierungen dienen zwar der Analyse, allerdings seien die für diese Kategorisierungen verantwortlichen Machtverhältnisse das zentral zu untersuchende Problem: Die Machtverhältnisse, die sich etwa in Zugängen zu Rechten und Ressourcen ausdrücken, bedingen die Definitionen dessen, was als normal und zugehörig gilt, gesellschaftlich anerkannt ist, und was nicht. Die Komponente Macht ermöglicht überhaupt erst das Wirksamwerden der Kategorien, die unhinterfragt in der Akzeptanz herrschender Normen internalisiert werden. (hier nennt Urmila Goel auch Birgit Rommelspachers Verständnis von Dominanzkultur, in dem sie einen intersektionalen Ansatz erkennt, ohne dass Rommelspacher den Begriff Intersektionalität explizit verwendete). Zugang zu Ressourcen und Recht bedeutet demnach die Möglichkeit machtvoller Einflussnahme auf die herrschenden Normen, sowie auf die machtvoll ordnenden Kategorisierungen (siehe hierzu auch die Leseempfehlung ganz unten).

Die Hierarchisierung verschiedener Diskriminierungsmechanismen lehnt Urmila Goel ab. Auf die Frage aus dem Publikum, wie sie denn die von Kristina Schröder einst angeführte Äußerung zum „Rassismus gegen Deutsche“ einordnen würde, antwortet Goel, hier könne vielleicht von kontextbezogener Diskriminierung die Rede sein (Kontext Schulhof oder Klassenzimmer), allerdings nicht von einer machtvollen Diskriminierung im Sinne von Rassismus, für den eben der Zugang zu gesellschaftlichen Machtinstrumenten wie Lehrplan, Noten, Schulsystem, Gesetzen etc. notwendig sei. Genau solche Instrumente zur gesellschaftlichen Einflussnahme gelte es bei der Betrachtung verflochtener Machtverhältnisse zu untersuchen, und diese Einflussmöglichkeiten liegen beim sogenannten „Rassismus gegen Deutsche“ nicht vor. (Eigene Anmerkung: Der sich dann folglich auch nicht als Rassismus einordnen lässt.) Urmila Goel sagt aber auch, dass „verflochtene Rassismen“ je nach Kontext, Zeit und Ort unterschiedlich wirken können, je nachdem, nach welchen Kategorien in dem jeweiligen Kontext „Andere“ konstruiert werden. So könnten Menschen, die in einem gesellschaftlichen Kontext bspw. von antislawischem oder antijüdischem Rassismus betroffen sind, in einem anderen Kontext selbst rassistisch gegenüber Schwarzen Menschen sein. Urmila Goel sieht hier unterschiedliche Positionierungen innerhalb unterschiedlicher Rassismen gegeben.

Urmila Goel trägt abschließend zusammen: Intersektionalität ermögliche

  • die Analyse von Ausblendungen (sonst nicht beachteter sozialer Verortungen, die Machtverhältnisse verstärken),
  • die Analyse von Ambilvalenzen (z.B. wenn Marginalisierungen und Privilegierungen zusammenkommen oder wenn es zum Kampf unter Marginalisierten kommt, wie etwa in antimuslimischen Feminismen).
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    Die Vortragsfolien von Urmila Goel wurden freundlicherweise von der TU Berlin an Interessierte weitergeschickt und können sicherlich bei der TU Berlin hier angefragt werden.

    Weiterführende Leseempfehlung: Eine verständliche Darstellung der praktischen Ausschlüsse und der Verwehrung von Rechten, die mittels Fehlanalysen oder analytischen Ausblendungen (wie dem Verzicht auf eine intersektionale Perspektive) erreicht werden, bietet dieser Text.

    Am kommenden Montag (02.11.2015, 16:00) spricht Noa Ha über „Dekoloniale Theorie und Perspektiven auf Stadt“ (wieder in der UB der TU, Fasanenstr.88, facebook-Ankündigung, Beitrag hier im Blog).

    Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 1 — Nora Räthzel: „Geschichte der Rassismusforschung in Deutschland“

    Teil 1 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

    Am Montag (19.10.) war der Auftakt der Ringvorlesung zum Thema Rassismusforschung in Deutschland, für den Nora Räthzel (Inst. für Soziologie, Schweden) mit dem Beitrag Geschichte der Rassismusforschung in Deutschland (mit Ausflügen in anglophone Räume): Begriffe, Erklärungen, Methoden, Perspektiven angekündigt war. Die Referentin konnte krankheitsbedingt nicht anreisen. Da die TU Berlin die Veranstaltung nicht ausfallen lassen wollte, hielt Felix Axster (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) den Vortrag von Nora Räthzel, mit ihrem Einverständnis, auf der Grundlage der von ihr zugesandten Unterlagen und Power-Point-Präsentation.

    Die Veranstaltung war sehr gut besucht. Ich saß am Boden und konnte mit Mühe einige Notizen machen. Nachfolgend versuche ich eine knappe Zusammenfassung von Nora Räthzels Vortrag zu geben. An einigen Stellen kommentiere ich auch.

    Nora Räthzel (publizierte übrigens 1986 gemeinsam mit Annita Kalpaka Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein) beginnt ihren historischen Abriss mit der Bedeutung von Sprache und identifiziert Begriffe wie „Ausländer“ zur Bezeichnung eingewanderter Menschen als Teil des Problems Rassismus. Seit dem Auffliegen des NSU erkennt sie eine häufigere Verwendung dieses bereits in den Hintergrund gerückten Begriffs in der deutschen Medienberichterstattung. Auch den Begriff „Integration“ kritisiert sie.

    Sie veranschaulicht Externalisierungs- und Vermeidungsstrategien, mit denen das Thema Rassismus in Deutschland geleugnet wurde und wird: Antisemitismus diene primär als historisches Untersuchungsobjekt, Kolonialismus werde oft als Problem zwischen Weißen und Kolonisierten in afrikanischen Ländern dargestellt und Rechtsextremismus gelte als soziales (Rand-)Phänomen. Somit efolge eine erfolgreiche — zeitliche wie geografische — Verdrängung von Rassismus aus dem Kontext des zeitgenössischen Deutschlands.

    Sie betrachtet dann verschiedene Erscheinungsformen von Rassismus mit den unterschiedlichen, daraus folgenden, Analyseansätzen, und nennt hier beispielsweise biologischen Rassismus, Kulturrassismus (Martin Barker, Stuart Hall), Alltagsrassismus (Stichwort Dominanzkultur von Birgit Rommelspacher, hier geht sie aber auch auf ihr sozialpsychologisches Erklärungsmodell der „rebellierenden Selbstunterwerfung“ ein), sowie auch Weißsein (ich glaube es waren noch ein oder zwei Begriffe mehr dabei, die bekomme ich nicht mehr zusammen). Zum Weißsein zitiert sie Susann Arndt sowie eine zweite Person, ich glaube Grada Kilomba, aber ich bin nicht ganz sicher. Sie kritisiert Critical Whiteness (CW) bzw. den Weißseins-Begriff, da dieser auf einen Gegensatz von Schwarz-Weiß ausgerichtet sei. Diese Gefahr der möglichen Essentialisierung (und andere Schwachstellen kritischer Weißseinsforschung im deutschen Kontext) sind allerdings schon länger Teil von Auseinandersetzungen über CW, in denen trotzdem deren analytische Vorteile zur Sprache kommen (als online-Eindrücke z.B. hier oder da). Nora Räthzel nennt keine.

    Nach dem Abschnitt zur Critical Whiteness kommt sie auf die Bedeutung regionaler Kontexte für unterschiedliche Rassismen zu sprechen. Dabei fallen mehrere rassistische Begriffe, aber nicht als Gegenstand der Analyse, sondern als unkommentierter Bestandteil des Referats, ohne weiter eingeordnet oder problematisiert zu werden: So spricht Nora Räthzel von „Schwarzafrika“ (Problematisierung z.B. hier), dann wird zwei Mal der rassistische Begriff für native amaricans genannt und außerdem Wolf Biermann mit einem gut gemeinten Satz wörtlich zitiert, in dem der die rassistische Fremdbezeichnung für Sinti und Roma verwendet. Solche Begriffe in einer wissenschaftlichen Veranstaltung über Rassismus(forschung) ohne Einordnung und Problematisierung stehen zu lassen, ist unpassend.

    Bei der Formulierung einer Perspektive für die Zukunft der Rassismusforschung würde sie vorsichtig bleiben, da sie sich in der deutschen Forschungslandschaft, wortwörtlich, „nicht mehr auskenne“. Das erscheint mir als sehr ehrlicher Hinweis. Denn zweifellos ist die Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Forschungsstand für einen historischen Abriss vorteilhaft, etwa um zeitgenössische rassismustheoretische Entwicklungen einordnen und bewerten zu können.

    Sie kommt erneut darauf zu sprechen, dass Macht und Privileg nichts statisches, sondern orts-/ situationsabhängig Variierendes seien (Foucault, These der zirkulierenden Macht). Demgegenüber zeige etwa die Aussage, Schwarze könnten nicht rassistisch sein, ein deterministisches und statisches Verständnis von Rassismus. Und eine Analyse eines solchen als statisch vorgestellten Gegensatzpaares — Dominanz- versus unterdrückter Gruppe — sei ungeeignet, um die Mikroverhältnisse zu erfassen, in denen Rassismus ebenfalls sichtbar werde.

    Abschließend merkt sie an, dass sie Schreibweisen wie Groß/klein oder kursiv/nicht-kursiv ablehne, denn die Vorstellung, solche Maßnahmen würden eine Veränderung der Verhältnisse bedeuten, hält sie für illusorisch. Mit ihrer einleitenden Betonung der Bedeutung von Sprache und Begrifflichkeiten für die (Be_Schreibung von) Realität steht diese abschließende Bemerkung im Widerspruch.

    Eine Diskussion fand nicht statt, da die Referentin, wie gesagt, persönlich nicht anwesend war. Eine Wortmeldung gab es dennoch: Es wurde darum gebeten, doch eine Form zu finden, in der mit Bezug zu dem Referat diskutiert werden könne, da dieses sehr viel Kritikwürdige enthalten habe.
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    Nachtrag: Der nächste Vortrag ist Montag, 26.10.2015, 16:00 (wieder in der UB der TU, Fasanenstr.88), da spricht Urmila Goel über „Verflochtene Machtverhältnisse“. (Ankündigung auf Facebook, Beitrag hier im Blog.)

    Nachtrag 2: Vortragsfolien und Skript von Nora Räthzel wurden freundlicherweise von der TU Berlin an Interessierte weitergeschickt und können sicherlich bei der TU Berlin hier angefragt werden.

    ruhbarone-Beitrag zum rassismuskritischen Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher

    Ein paar Gedanken zum ruhrbarone-Beitrag, in dem Julius Hagen über die rassismuskritische Handreichung der Neuen Deutschen Medienmacher (NDM) schreibt: Besagtes Glossar der NDM für weniger diskriminierende Sprache (um das es hier nicht geht) „sabotiert“ Hagens Meinung nach „eine freie und präzise Berichterstattung“. Die Begriffe aus dem rassismuskritischen Verzeichnis passen nicht, wenn „der Journalist die Hyperkomplexität der Wirklichkeit“ für einen „gelungenen Artikel“ reduzieren will, so Hagen. Mit anderen Worten, es ist nicht mehr der Journalismus, wie Hagen ihn mag, der mit den Begriffen der NDM gemacht werden kann. Wenn Hagen die sprachkritischen Vorschläge nicht annehmen möchte, macht das ja nichts. Wo ist das Problem?

    Eigene Kritik Hagens an dem Leitfaden beschränkt sich auf vage Allgemeinplätze sowie subjektive Befürchtungen vor Veränderungen. Etwa spricht er von einer drohenden „Entfremdung“ zwischen Journalismus und Leser_innenschaft durch die „manierierten Sprachcodes der Neuen Deutschen Medienmacher“. Rassismuskritsche Sprachvorschläge könnten ja als „Vorwurf“ empfunden werden. (Was die von rassistischer Sprache Betroffenen angesichts manch deutscher Traditionsvokabel empfinden, erwägt Hagen nicht.) Schon sieht Hagen „eine zentrale Planung und Normierung von Sprache“ am Horizont und warnt, dass „der Anspruch auf bürgernahe Berichterstattung“ verloren gehe, wodurch Nazi-Blogs mehr Zulauf bekämen. Dieser Logik zufolge ist Rassismuskritik schädlich für die Bürgernähe: Trotzig wenden sich weiße Deutsche den Nazis zu. Hagen spricht vom „Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und Rechtsradikalen“. Die Sorgen drehen sich um die Befindlichkeiten derer, die rassistische Sprache nutzen und von ihr profitieren. Wie gehabt.

    Aber nicht nur die NDM drohen Deutschland zu überstrapazieren. Nebenbei holt Hagen gegen ganze wissenschaftliche Disziplinen aus, deren akademisches Vokabular die rassismuskritischen Begriffe erst hervorgebracht habe. Dass viele Begriffe eben nicht aus akademischen/elitären, sondern aktivistischen/emanzipatorischen Zusammenhängen stammen (und oft außerhalb Deutschlands bereits eine lange Geschichte haben), ist Hagen unbekannt oder interessiert ihn nicht. Er nennt die postcolonial studies, critical whiteness studies und gender studies, aber kritisiert deren Ansätze nicht, sondern klatscht zwei Quellen hin, laut denen die „Wissenschaftlichkeit“ dieser Disziplinen „hochumstritten“ sei. Meiner Erfahrung nach ist zum Beispiel der real existierende Kapitalismus auch hochumstritten, aber was ist das für eine Art, einfach zwei Buchtitel zum Beleg anzuführen, ohne auch nur einen Gedanken selbst nachzuvollziehen, auszuformulieren? Auf dem Niveau poltert Hagen. Und das zeigt sich auch an seinem antiquierten definitorischen Verständnis von Rassismus. Hagen scheint bei der Bearbeitung des Themas allein seinem Bauchgefühl gefolgt zu sein, seiner Sehnsucht nach einem „bürgernahen“ Journalismus.

    Rettet rassistische Begriffe! Die Mission des Peter Hahne

    Der Verlag Bastei-Lübbe hat kürlich ein Buch von BamS-Kolumnist Peter Hahne veröffentlicht. Im Buchtitel verwendet Hahne die rassistische Fremdbezeichnung für Sinti und Roma zur Bezeichnung einer Speise. Nicht nur das: Diese Bezeichnung zu „retten“ fordert Hahne im Titel. Mit Ausrufezeichen. Im Untertitel „Empörung gegen den täglichen Schwachsinn. Werte, die wichtig sind“ wird der Vorgeschmack auf die Richtung der Lektüre verfeinert.

    Vielleicht verspricht sich der Verlag Bastei-Lübbe (der u.a. für auflagenstarke Groschenromane in der Nachkriegszeit bekannt ist) mit Blick auf andere aktuelle deutsche rassistische Bestseller eine große Leser_innenschaft dank eines derartigen Titels. Aufmerksamkeitsgenerierung durch Provokation mittels rassistischer Sprache? Deutschland. Immernoch.

    Im Nachschlagewerk über rassistische Sprache schreibt Isidora Randjelovic über den betreffenden, von Hahne verwendeten Begriff (TW: Begriff wird zitiert):

    „Eine begriffsgeschichtliche Aufladung des Terminus ›Zigeuner_in‹, die mit dem Rückgriff auf tradierte Stereotype und rassistische Images einhergeht sowie diskriminierende Bedeutungsinhalte gleichermaßen reproduziert wie verfestigt, ist auch im deutschsprachigen Raum zu konstatieren. Da es sich hierbei um Konstruktionen handelt, die vornehmlich dominanten mehrheitsgesellschaftlichen Strukturen entspringen, spiegeln diese einen in der Mainstream-Gesellschaft verankerten herrschenden Konsens wider und verweisen auf zahlreiche, an den entsprechenden Herstellungsprozessen dauerhaft beteiligte Subjekte: Chronist_innen/ Historiker_innen, Verantwortliche diverser Ordnungsapparate, die in engem Austausch mit Sozial- und Naturwissenschaftler_innen standen, Repräsentant_innen der Literatur- und Musikindustrie sowie der Medien. Die mehrheitsgesellschaftlich sanktionierte, noch immer nahezu ungebrochene Ausformung des ›Zigeuner‹-Begriffes ist außerdem darauf zurückzuführen, dass Roma und Sinti bislang der Zugang zu wissensarchivierenden Strukturen fehlte bzw. verweigert wurde.“¹

    Die Verwendung rassistischer Sprache ist verletzend und bildet den Kitt für rassistische Dominanzverhältnisse. Der weiße Deutsche Peter Hahne ist so frei und fordert auf dem Titel seines neuen Buches auf, einen Teil dieses rassistischen Werkzeugs zu retten. Der Verlag Bastei-Lübbe hat ihn bei dieser Mission bereits wesentlich weiter gebracht.

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    ¹ Randjelovic, Isidora: ›Zigeuner_in‹, in: Susan Arndt & Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht, Münster, 2011, S.671-677. (Inhalt und Vorwort)