Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 1 — Nora Räthzel: „Geschichte der Rassismusforschung in Deutschland“

Teil 1 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

Am Montag (19.10.) war der Auftakt der Ringvorlesung zum Thema Rassismusforschung in Deutschland, für den Nora Räthzel (Inst. für Soziologie, Schweden) mit dem Beitrag Geschichte der Rassismusforschung in Deutschland (mit Ausflügen in anglophone Räume): Begriffe, Erklärungen, Methoden, Perspektiven angekündigt war. Die Referentin konnte krankheitsbedingt nicht anreisen. Da die TU Berlin die Veranstaltung nicht ausfallen lassen wollte, hielt Felix Axster (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) den Vortrag von Nora Räthzel, mit ihrem Einverständnis, auf der Grundlage der von ihr zugesandten Unterlagen und Power-Point-Präsentation.

Die Veranstaltung war sehr gut besucht. Ich saß am Boden und konnte mit Mühe einige Notizen machen. Nachfolgend versuche ich eine knappe Zusammenfassung von Nora Räthzels Vortrag zu geben. An einigen Stellen kommentiere ich auch.

Nora Räthzel (publizierte übrigens 1986 gemeinsam mit Annita Kalpaka Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein) beginnt ihren historischen Abriss mit der Bedeutung von Sprache und identifiziert Begriffe wie „Ausländer“ zur Bezeichnung eingewanderter Menschen als Teil des Problems Rassismus. Seit dem Auffliegen des NSU erkennt sie eine häufigere Verwendung dieses bereits in den Hintergrund gerückten Begriffs in der deutschen Medienberichterstattung. Auch den Begriff „Integration“ kritisiert sie.

Sie veranschaulicht Externalisierungs- und Vermeidungsstrategien, mit denen das Thema Rassismus in Deutschland geleugnet wurde und wird: Antisemitismus diene primär als historisches Untersuchungsobjekt, Kolonialismus werde oft als Problem zwischen Weißen und Kolonisierten in afrikanischen Ländern dargestellt und Rechtsextremismus gelte als soziales (Rand-)Phänomen. Somit efolge eine erfolgreiche — zeitliche wie geografische — Verdrängung von Rassismus aus dem Kontext des zeitgenössischen Deutschlands.

Sie betrachtet dann verschiedene Erscheinungsformen von Rassismus mit den unterschiedlichen, daraus folgenden, Analyseansätzen, und nennt hier beispielsweise biologischen Rassismus, Kulturrassismus (Martin Barker, Stuart Hall), Alltagsrassismus (Stichwort Dominanzkultur von Birgit Rommelspacher, hier geht sie aber auch auf ihr sozialpsychologisches Erklärungsmodell der „rebellierenden Selbstunterwerfung“ ein), sowie auch Weißsein (ich glaube es waren noch ein oder zwei Begriffe mehr dabei, die bekomme ich nicht mehr zusammen). Zum Weißsein zitiert sie Susann Arndt sowie eine zweite Person, ich glaube Grada Kilomba, aber ich bin nicht ganz sicher. Sie kritisiert Critical Whiteness (CW) bzw. den Weißseins-Begriff, da dieser auf einen Gegensatz von Schwarz-Weiß ausgerichtet sei. Diese Gefahr der möglichen Essentialisierung (und andere Schwachstellen kritischer Weißseinsforschung im deutschen Kontext) sind allerdings schon länger Teil von Auseinandersetzungen über CW, in denen trotzdem deren analytische Vorteile zur Sprache kommen (als online-Eindrücke z.B. hier oder da). Nora Räthzel nennt keine.

Nach dem Abschnitt zur Critical Whiteness kommt sie auf die Bedeutung regionaler Kontexte für unterschiedliche Rassismen zu sprechen. Dabei fallen mehrere rassistische Begriffe, aber nicht als Gegenstand der Analyse, sondern als unkommentierter Bestandteil des Referats, ohne weiter eingeordnet oder problematisiert zu werden: So spricht Nora Räthzel von „Schwarzafrika“ (Problematisierung z.B. hier), dann wird zwei Mal der rassistische Begriff für native amaricans genannt und außerdem Wolf Biermann mit einem gut gemeinten Satz wörtlich zitiert, in dem der die rassistische Fremdbezeichnung für Sinti und Roma verwendet. Solche Begriffe in einer wissenschaftlichen Veranstaltung über Rassismus(forschung) ohne Einordnung und Problematisierung stehen zu lassen, ist unpassend.

Bei der Formulierung einer Perspektive für die Zukunft der Rassismusforschung würde sie vorsichtig bleiben, da sie sich in der deutschen Forschungslandschaft, wortwörtlich, „nicht mehr auskenne“. Das erscheint mir als sehr ehrlicher Hinweis. Denn zweifellos ist die Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Forschungsstand für einen historischen Abriss vorteilhaft, etwa um zeitgenössische rassismustheoretische Entwicklungen einordnen und bewerten zu können.

Sie kommt erneut darauf zu sprechen, dass Macht und Privileg nichts statisches, sondern orts-/ situationsabhängig Variierendes seien (Foucault, These der zirkulierenden Macht). Demgegenüber zeige etwa die Aussage, Schwarze könnten nicht rassistisch sein, ein deterministisches und statisches Verständnis von Rassismus. Und eine Analyse eines solchen als statisch vorgestellten Gegensatzpaares — Dominanz- versus unterdrückter Gruppe — sei ungeeignet, um die Mikroverhältnisse zu erfassen, in denen Rassismus ebenfalls sichtbar werde.

Abschließend merkt sie an, dass sie Schreibweisen wie Groß/klein oder kursiv/nicht-kursiv ablehne, denn die Vorstellung, solche Maßnahmen würden eine Veränderung der Verhältnisse bedeuten, hält sie für illusorisch. Mit ihrer einleitenden Betonung der Bedeutung von Sprache und Begrifflichkeiten für die (Be_Schreibung von) Realität steht diese abschließende Bemerkung im Widerspruch.

Eine Diskussion fand nicht statt, da die Referentin, wie gesagt, persönlich nicht anwesend war. Eine Wortmeldung gab es dennoch: Es wurde darum gebeten, doch eine Form zu finden, in der mit Bezug zu dem Referat diskutiert werden könne, da dieses sehr viel Kritikwürdige enthalten habe.
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Nachtrag: Der nächste Vortrag ist Montag, 26.10.2015, 16:00 (wieder in der UB der TU, Fasanenstr.88), da spricht Urmila Goel über „Verflochtene Machtverhältnisse“. (Ankündigung auf Facebook, Beitrag hier im Blog.)

Nachtrag 2: Vortragsfolien und Skript von Nora Räthzel wurden freundlicherweise von der TU Berlin an Interessierte weitergeschickt und können sicherlich bei der TU Berlin hier angefragt werden.