FUOCOAMMARE — #Berlinale kurz notiert

Der Dokumentarfilm FUOCOAMMARE lief im Wettbewerb. Er nähert sich dem Themenkomplex Flucht/Migration mit klassischen Mitteln.

Die Bilder von Geflüchteten, von Registrierungen nach der Ankunft auf der Insel oder die Schiffsfunkdialoge kontrastieren mit dem dargestellten Alltagsleben des zwölfjährigen Lampedusabewohners Samuele. Farbenfrohe Inselnatur und althergebrachtes Wohnungsinterieur auf der einen, schlecht beleuchtete Bilder von Geflüchteten auf der anderen Seite. Eine Verbindung zwischen beiden Ebenen ist der Arzt: Er ist Samueles Hausarzt und er untersucht die Ankommenden bzw. obduziert deren Leichen.

Die Inselbewohnerschaft um Samuele steht im Mittelpunkt, ihre Geschichte wird im Film detaillierter erzählt. Die Geflüchteten dagegen bleiben eine unbestimmte, teils voyeuristisch abgefilmte Masse. In einer Situation polizeilicher Registrierung und Kleidungskontrolle blicken durchsuchte Geflüchtete verunsichert in die Dokumentarfilmkamera. Das verstärkt ihre Positionierung in dem Film als reine Darstellungsobjekte.

Von nützlichen und unnützen Menschen

Panorama berichtete am 7.3.13 von der Ausbeutung rumänischer und bulgarischer Menschen in der deutschen Arbeitswelt. Nach einem kurzen Einspieler mit aktuellen polemischen Zitaten des deutschen CSU-Innenministers Hans-Peter Friedrich spricht Anja Rechke einleitend zum Beitrag von den „übelsten Bedingungen“, unter denen Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Deutschland arbeiten:

„Andersrum wird nämlich ein Schuh draus. Nicht die Zuwanderer beuten uns aus, sondern wir beuten die Zuwanderer aus“ (ARD/ PANORAMA).

Der Panorama-Beitrag richtet seinen Fokus auf die Ausbeutungsverhältnisse in deutschen Betrieben. Entgegen der von Friedrich verbreiteten Mär von sozialleistungsbeziehenden Menschen aus Rumänien und Bulgarien sagt der Beitrag: „Die arbeiten doch hier. Und zwar hart“. Darin schwingt eine gefährliche Logik mit.

Es ist ja ein gutes und notwendig scheinendes Anliegen, der von Friedrich verbreiteten diffusen Stimmung mal Fakten entgegenzusetzen. Problematisch wirds bloß, wenn dabei die von Friedrich reproduzierten Kategorien zur Einteilung einwandernder Menschen übernommen und so als Prämisse zur Diskussion über Einwanderung akzeptiert werden. Wesentlicher Kern dieser Rhetorik ist die Herabwürdigung einwandernder Menschen zu Kostenfaktoren. (D’accord, die betrifft in anderen Fällen nicht nur einwandernde Menschen, aber es geht konkret um Friedrichs Rhetorik hier.) Dieser Einteilung von Einwanderung in Kategorien wie nützlich und unnütz sitzen Medien auf, wenn sie die Anzahl entlohnter unter den einwandernden Menschen als Kriterium übernehmen, nur um das Gegenteil von Friedrichs Aussage zu beweisen. Das ist ein Problem. Wenn alle nur noch in Kategorien nützlicher versus unnützer (sozialstaatsbelastender, Armuts-) Einwanderung argumentieren, sitzen wir in der Falle. Ich mein es gibt sicher Leute, die das so wollen, aber wenn das eine Mehrheit wird, sind fundamentale Grundrechte völlig über’n Haufen. Und darum kritisierte TheGurkenkaiser zurecht, dass die sich selbst als links (zumindest anti-rechts) verortende Seite Publikative.org in einem Artikel genau diese nationalökonomische Einteilung zur Bewertung von Einwanderung übernimmt. So ist bei Publikative.org ein Satz möglich wie dieser:

„Die Freizügigkeit innerhalb der EU kann neben vielen Vorteilen eben auch dazu führen, dass arme Menschen nach Deutschland kommen, die das deutsche Sozialsystem belasten.“ (Publikative.org)

Was sind EU-Rechte wie die „Freizügigkeit“ (die bereits Menschen aus Nicht-EU-Ländern diskriminieren) noch wert, wenn sie sogar innerhalb der EU für Menschen aus Rumänien und Bulgarien infrage stehen? Für „arme Menschen“? Das muss es wohl sein, wofür ein Begriff wie „Zeitgeist“ erfunden wurde, der sich zu dem Thema sonst eher bei Spiegel Online herumtreibt.

Der o.g. Panorama-Beitrag stellt die Rechte der einwandernden EU-Bürger*innen bei weitem nicht so drastisch infrage, wie SpOn oder das Publikative-Zitat. Trotzdem hätte ich mir jetzt allmählich auch die Thematisierung der Rechtsaußen-Rhetorik selbst gewünscht, die ja vor dem Panorama-Beitrag extra plakativ eingespielt wurde. Es bleibt in Friedrichs Logik, wenn wieder nur die Betroffenen ins Spiel gebracht werden, um das Gegenteil seiner Aussage zu beweisen. Stattdessen gehören wirkmächtige Akteure wie der deutsche Innenminister und ihre entmenschlichende Rhetorik selbst in den Fokus. Akteure, die sonst von angeblich europäischen Werten der Gleichbehandlung erzählen. Das wäre aber vielleicht etwas unangenehm, weil es an das in Deutschland verbreitete Selbstbild von einer Gesellschaft ginge, die solche Werte lebe (nicht nur aufschreibt!). Eigene Nase.

signal, 15.1.2013

Mindestens zwei sehr gute Radiobeiträge hab ich in jüngster Zeit gehört, die ich nicht nur zum Rausballern bei Twitter verwendbar, sondern auch für hier postenswert halte. Darum belebe ich mal eine alte Kategorie meines Blogs wieder. Die läuft mit unter „gefunden“ (oben in der Kategorien-Leiste).

Am 2.1.2013 fragte Naika Foroutan im Deutschlandradio Kultur „Deutschland – einig Einwanderungsland?“ und findet, „Unsere Gegenwart braucht ein neues „Narrativ“.“ Die meisten Narrationen unserer Gegenwart würden der Realität in Deutschland nicht mehr gerecht. In einem Land, „in dem jedes dritte eingeschulte Kind im letzten Jahr einen Hintergrund hatte, der heute noch Migrationshintergrund heißt“. [Deutschland – einig Einwanderungsland? Unsere Gegenwart braucht ein neues „Narrativ“, 4:30, DRadio >> Direkt zur mp3 oder zur Beitragsseite bei dradio.]

Und vor noch ein paar Tagen mehr, nämlich am 15.12.12, wurde beim Bayerischen Rundfunk die „Asylwirklichkeit in Deutschland“ betrachtet. Erich Reißig interessierte sich für die Anliegen protestierender asylsuchender Menschen in Deutschland und erstellte beeindruckende Portraits von souveränen Menschen mit klaren Zielen. In Kombination mit ernüchternden Fakten zur rechtstaatlichen Realität deutscher Asylgesetzgebung entstand ein unaufgeregtes Feature, das ganz ohne Polemik auskommt. [Weltlos. Asylwirklichkeit in Deutschland, 52min, BR2 >> direkt zur mp3 oder zur Beitragsseite bei BR2.]

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Signal, 26.6.2011

Migration, Prävention, Diskussion.


Wer außer Sarrazin noch Deutschland abschafft, konnte mir bisher sowieso niemand erklären, die Zahlen der Zuwanderung und Einbürgerung nach Deutschland sinken jedenfalls kontinuierlich. So berichtete Jens Rosbach im DLF Magazin am 23.6.2011 fünfeinhalb Minuten über die Schwindende Lust Deutscher zu werden. (Entkernt: Deutsche Staatsbürgerschaft nicht mehr gefragt. text, flash, →mp3)

Außerdem gab es ein kurzes dRadio-Interview mit Lale Akgün (MdB, SPD) am 25.6.2011, in dem sie anschaulich erklärt, welche Bedeutung sie dem sogenannten Präventionsgipfel von Innenminister Hans-Peter Friedrich beimisst. (→mp3)

TEN YEARS AFTER 9/11, unter dieser Überschrift findet eine internationale Konferenz am 29.6.2011 in Berlin (Passionskirche, Kreuzberg) statt, organisiert vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Amnesty International. Auf vier verschiedenen Panels werden z.B. staatliche Entführungen, Folter, der „Krieg gegen Terror“ mit seinen neuen Methoden der Kriegsführung (Drohnen, gezielte Tötungen) und mögliche Zukunftsszenarien thematisiert. Das Programm (deutsch →pdf, english →pdf) und viele weitere Infos gibt es auf der Homepage tenyears.eu.

Glücksspiel Internierung

Willkommen in der Europäischen Union – über Griechenland nach Nirgendwo


Menschen, die aus verschiedensten Gründen Zuflucht in Europa suchen, haben keine Lobby. Journalisten haben die politische Bezeichnung der „illegalen Einwanderung“ mehrheitlich übernommen – ungeachtet der Tatsache, dass dieser Begriff schutzsuchende Menschen mit egal welchen (lebensbedrohlichen) Gründen kriminalisiert. Während Polizei und Frontex im Jahr 2009 etwa 9000 Menschen an der EU-Grenze aufgriffen und verhafteten, wurden Ende Oktober für das Jahr 2010 bereits 34.000 Inhaftierungen gezählt, berichtet Pro Asyl.

Griechenland ist der Name eines europäischen Landes, in dem momentan wohl 80% der illegalisierten Flüchtlinge erstmals europäisches Festland betreten, so der ORF: Die Sendung WELTJournal widmete sich am 27.10.2010 mit einem Beitrag namens „Griechenland – Flucht ins Nirgendwo“ der Situation dieser Menschen, die an der Grenze abgefangenen und zumeist interniert werden (Bericht entdeckt via porrporr bei twitter). Spyros Kouloheris, der in dem ORF-Bericht als Rechtsanwalt für Asylangelegenheiten vorgestellt wird, sagt in dem Zusammenhang:

Ich schäme mich für das, was ich hier sehe. Es ist wie beim Glücksspiel Zufall, ob du interniert wirst oder nicht.

Kouloheris sagt auch, dass er es darum für ein „Verbrechen“ halte, wenn ein EU-Land Flüchtlinge nach Griechenland „zurück“schickt. Während Österreich auf die aktuelle Situation in Griechenland offenbar mit einem „teilweisen Abschiebestopp“ reagierte, beschäftigt sich in Deutschland noch das Bundesverfassungsgericht mit der Klage eines Irakers gegen seine Abschiebung nach Griechenland.

Der TV-Beitrag wurde vom ORF online gelöscht.


Siehe auch:
Ausführlicher Überblick zum Thema mit weiterführenden Links von ed2murrow im Freitag-Blog: Recht auf Asyl, die verlorene Unschuld.