Nachtrag zu Jobcenter, Vattenfall und Drogen-Task-Force

von Fritzi mit direktem Bezug hierzu

Meine Klienten möchten anonym bleiben. Ich schreibe das, weil es ein paar Anregungen gab, die Geschichte an die Presse zu geben.

Neben dem Wunsch anonym zu bleiben baten meine Klienten mich darum, juristischen Rat einzuholen. In dem Einsatzprotokoll, das mir vorlag, war vermerkt, dass die Tür beschädigt wurde und dass btm-suspektes Material gefunden worden ist. Mit diesen Angaben schilderte ich den Fall einer Rechtsberatungsstelle. Von dort hieß es: falls es zur Anzeige kommt wegen der gefundenen Menge, dann kann es passieren, dass die Ausländerbehörde einen Grund hat, die Freizügigkeit meiner Klienten einzuschränken, was zur Folge hätte, dass meine Klienten ihren letzten Anspruch auf existenzsichernde Hilfen verlieren. Zumal sich in letzter Zeit Fälle häufen würden, in denen Jobcenter mit Ausländerbehörden Informationen zum Nachteil des Status der Betroffenen austauschen. Suchen JobCenter gezielt nach Gründen zur Einschränkung der Freizügigkeit von Leistungsbeziehenden ohne deutsche Staatsbürgerschaft?

Nach dem Gespräch mit der juristischen Beratung und der Antwort von Vattenfall auf die Bitte um Stellungnahme bleiben für mich als beobachtende Helferin meiner Klienten Fragen ungeklärt: Woher kam der Anfangsverdacht der Polizei? Die Begründung, mit Vattenfall in der Woche vorher Kontakt gehabt zu haben, scheint mir unzureichend für eine derartige Durchsuchung. Zumal der Durchsuchungsbeschluss des Gerichts zeitlich weit vor letzter Woche liegt. Nach jetzigem Informationsstand scheint mir mein Erklärungsversuch 2 wahrscheinlicher.

Für meine Klienten ist die Situation jedenfalls sehr belastend, da sie sich bereits vor Montag ernsthaft Sorgen um ihre Existenz machen mussten, die nach der Durchsuchung nun noch bedrohter ist.

Vattenfall und die Berliner Drogen-Task-Force +3UPDATES

Fritzi, die bereits in diesem Blog schrieb, berichtet Neues aus ihrem Alltag als Berliner Sozialarbeiterin:

Heute morgen [11.6.12] um 10:30 Uhr sind sechs bewaffnete Polizisten mit einem Rammbock gewaltsam in die 1-Zimmer-Wohnung meiner Klienten eingedrungen. Sie zerrten einen aus dem Bett und richteten geladene Waffen auf Beide, während sie die Wohnung durchsuchten. Auf die Frage nach dem Grund, wurde den Beiden mitgeteilt, dass sie unter Verdacht stünden Cannabis in ihrer Wohnung anzubauen. Da ich meine Klienten regelmäßig in ihrer Wohnung besuche, wäre mir sicherlich aufgefallen, wenn sie da eine Plantage hätten. Sie teilen sich eine 50m²-Wohnung, die eingetretene Tür fiel da direkt ins Wohnzimmer. Auf die Frage warum die Polizei nicht geklingelt hat kam zur Antwort, dass in der Zeit bis das Einsatzkommando in den ersten Stock gelangt wäre wichtiges Beweismaterial hätte vernichtet werden können. Auf die Frage, warum sie unter Verdacht stehen, bekamen meine Klienten interessanterweise berichtet, dass die Polizei letzte Woche telefonischen Kontakt zu Vattenfall hatte. Vattenfall habe den Hinweis gegeben, dass in dieser Wohnung ein enormer Stromverbrauch herrscht. Das stimmt, denn die Beiden nutzen elektrische Heizgeräte. Als sie den Polizisten nun die Rechnungen von Vattenfall zeigten, um zu beweisen, dass die Stromrechnungen nicht erst seit letzter Woche so hoch sind, meinten die Beamten nur, dass sei jetzt zu spät. Die Tür bekämen sie auch nicht ersetzt, das sei ihr Problem. Nachdem keinerlei Beweismaterial in der Wohnung gefunden wurde, waren die Polizisten immerhin so nett, die Hausverwaltung zu kontaktieren und den Ersatz der Wohnungstür in Auftrag zu geben – auf Kosten meiner Klienten natürlich.

Ist Vattenfall berechtigt, solche Informationen wie die Höhe der Stromkosten von sich aus weiterzugeben? Wieso schließt die Polizei vom hohen Stromverbrauch direkt auf den Anbau illegaler Substanzen? Wenn der Staat meine Wohnungstür eintritt und seinen Verdacht dann aber nicht bestätigt findet, muss er dann nicht auch für den Schaden aufkommen? Offenbar nicht.

Mir fallen nur zwei mögliche Erklärungsversuche zu dieser “Aktion” ein:
1. Entweder Vattenfall hat ein Abkommen mit der Polizei, alle Haushalte mit hohem Stromverbrauch zu melden. Somit wären wir dem Überwachungsstaat ein Stückchen näher.
2. Oder das JobCenter will meine Klienten repatriieren (sie sind beide britische Staatsbürger). Als sie ihre Leistungen wegen des Vorbehaltes der Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen gestrichen bekamen, legten sie schließlich Widerspruch vor Gericht ein. Das Gericht beschloss immerhin für einen der beiden, dass die Leistungen zumindest für den Monat Mai noch gezahlt werden müssen. Und weil das JobCenter sparen muss, sucht es eventuell Wege, die beiden anders los zu werden. Die Fallmanagerin wusste, dass meine Klienten Cannabis konsumierten und sie wusste, dass sie einen hohen Stromverbrauch haben und sie wusste, dass sie gerade kein Geld haben.

UDATE (12.6.2012 19:30)
geschrieben von Hendrik:
Ich habe heute Vormittag per e-Mail sowohl die Pressestelle der Berliner Polizei als auch von Vattenfall um eine Stellungnahme zu den Schilderungen gebeten. Von Vattenfall hat vorhin ein Pressesprecher geantwortet und schreibt, er sei „auf keinen Hinweis gestoßen, dass Kundendaten an die Polizei übermittelt wurden.“ Damit trifft Erklärungsversuch 1. offenbar nicht zu und es wäre seitens Vattenfall die mündliche Auskunft des Berliner Beamten infrage gestellt. Aber vor allem ergibt sich die Frage, wie denn dann die Information des hohen Stromverbrauchs an die Berliner Polizei gelangte und ob diese Information vielleicht wirklich vom Jobcenter an die Beamten geschickt wurde.

UDATE 2 (13.6.2012 13:10)
Nachdem ich mich für die Antwort bei Vattenfall bedankt hatte, kam jetzt nochmal eine e-Mail. Das mit „keinen Hinweis“ war noch nicht die abschließende Antwort: der Pressesprecher schreibt, sie nehmen die Anfrage sehr ernst und prüfen noch den Sachverhalt und melden sich, wenn das abgeschlossen ist, mit einer abschließenden Antwort.

UDATE 3 (14.6.2012 13:40)
Gestern nachmittag antwortete mir das LKA Berlin zu dem geschilderten Sachverhalt, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt und „die Hoheit über das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Berlin liegt. Nur diese ist als Herrin des Verfahrens zur Auskunftserteilung berechtigt.“ Ich könne also bei der Staatsanwaltschaft anfragen, das LKA weist aber darauf hin, dass ich da nur mit einer berechtigten und nachvollziehbaren Begründung Auskunft erhalte. Kurze Zeit später antwortete auch Vattenfall nochmal und verwies auf die ja bekannte Tatsache, dass sie „gemäß § 161a Strafprozessordnung (Zeugenschaftliche Vernehmung)“ wie jedes Unternehmen verpflichtet sind, „auf Anfrage der Staatsanwaltschaft Daten zu bestimmten Wohnungen bzw. Häusern zu nennen. Die Anfragen beziehen sich in der Regel auf den jährlichen Stromverbrauch eines Wohn- oder Gewerbeobjekt. Rechtsgrundlage ist § 4 BDSG, laut dem Daten übermittelt werden müssen, wenn eine andere Rechtsvorschrift (§161a-StPO) dies anordnet. Derartige Einzelauskünfte werden ausschließlich auf schriftliche Anfrage der Staatsanwaltschaft oder der Vollzugsbeamten der Polizei mit Bezugnahme auf §161a-StPO gegeben. Telefonische Auskünfte werden generell nicht vorgenommen.“

Zusammengefasst: 1. Vattenfall hält sich an Gesetze und spricht nicht über private Kundendaten am Telefon, auch nicht mit der Polizei Berlin. 2. Das LKA Berlin gibt keine Auskunft zu den mündlichen Aussagen des Polizeibeamten und auch nicht, worauf der Anfangsverdacht für die Durchsuchung basiert.

Mehr Informationen kann ich als neugierige*r/ besorgte*r Bürger*in also nicht bekommen (sofern nicht ein großes öffentliches Interesse hier vorliegt, dafür kenne ich mich aber juristisch zu wenig aus). Offene Fragen bleiben nämlich: Auch wenn die Stromrechnung juristisch einwandfrei zur Polizei gelangt ist (also nicht per Telefonat, wie vom Beamten angegeben) erklärt sich mir immmernoch nicht, wie sich ein Anfangsverdacht zum Cannabis-Anbau aus einer hohen Stromrechnung ergibt.

Streichung der Hilfe für EU-Bürger*innen

Gastbeitrag von Fritzi

Ich bin Sozialarbeiterin und arbeite in einem Übergangswohnheim für obdachlose Männer. Unsere Hilfe richtet sich an Menschen mit mehreren sozialen Schwierigkeiten, die sie ohne fremde Hilfe nicht überwinden können (§67 SGB XII). Die Einrichtung bietet auch ambulante Betreuung an, die sich an Menschen richtet, die Obdachlosigkeit nicht zu ihren sozialen Schwierigkeiten zählen. Zur Zeit betreue ich im ambulanten Bereich zwei junge Männer aus Großbritannien. Sie sind Brüder und an unsere Einrichtung gelangt, weil sie wegen Stromschulden Hilfe beim Bezirksamt gesucht haben. Die Sozialarbeiterin beim Bezirksamt (Abteilung Soziale Wohnhilfe) hat den Beiden ambulante Betreuung angeboten, weil sie während des persönlichen Gesprächs feststellte, dass die Stromschulden nur ein Symptom für mehrere Probleme sind. Zu Beginn meiner Hilfe stellten sich schnell die Ursachen der Schulden heraus und während des Hilfeverlaufs offenbarte sich zudem eine komplexe problembehaftete Biografie. Ich berichte nur das Noetigste aus der Vorgeschichte, damit die Lesenden sich ein wenig in die Situation einfuehlen können:

Der Vater ist nach Deutschland ausgewandert, als die Beiden sehr jung waren. Er hat ab und zu mal einen Brief geschickt. Ihre Mutter ist gestorben, als sie kurz vor Ende der Schule waren. Einen Tag nach der Beerdigung hat der Vater sie zu sich geholt. Dort wurden sie in der neuen Familie des Vaters untergebracht, ohne sich willkommen oder wohl zu fühlen. Im Prinzip kannten die Beiden den Vater, das Land, die Sprache nicht, und wollten gar nicht wirklich hier sein. Sie versuchten nach einiger Zeit wieder in England Fuß zu fassen, doch ohne soziale Unterstützung, weder aus einem Bekanntenkreis, noch vom Staat, wurde ihnen bald klar, dass sie in ihrer Heimat keine Perspektive haben. So entschieden sie sich zurück nach Deutschland zu kommen und noch einmal neu zu starten und wenigstens in der Nähe einer bekannten Person, ihrem Vater, zu sein.

Im Verlauf unserer Zusammenarbeit wurde ihnen einiges klar und sie haben angefangen ihre Lebenssituation zu ändern: Schuldenregulierung, Geldeinteilung, Suchtbearbeitung, Psychotherapie, intensive Arbeits- /Ausbildungssuche. Ich dachte die beiden sind auf einem guten Weg, bald wieder ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein weiter leben zu koennen. Dann kam ein Brief vom JobCenter: Es wurde beschlossen, dass im ALGII-Leistungsbezug stehenden EU-Bürger*innen diese Leistungen gestrichen werden. Als Grundlage nimmt die Regierung Art.16 Buchstabe b des Europäischen Fürsorgeabkommens, in dem steht, dass die Unterzeichnerstaaten des EFA Vorbehalte einlegen können:

„Jeder Vertragschließende hat dem Generalsekretär des Europarates alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind. Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen.“

Bisher fanden die in §7 SGB II geregelten Auschlussgründe für ALG II-Antragsteller*innen keine Anwendung auf EU-Bürger*innen, aber mit diesem Vorbehalt nun tritt §7 SGB II für diese wieder in Kraft. In dem Brief vom JobCenter steht, dass die Leistungen vorläufig einbeahlten werden, bis zur endgültigen Entscheidung der Leistungsberechtigung, spaetestens in 2 Monaten und natürlich um eine Anhaeufung von Schulden „…in Ihrem Interesse…“ zu vermeiden. Dieser Brief kommt am 22.3.2012 — 8 Tage vor Monatsende.

Ein Widerspruch und persönlicher Besuch beim JobCenter ergibt, dass Leistungen für April doch noch angewiesen werden. Aber ab Mai nicht mehr, bis zur Entscheidung. Einen Monat Zeit sich darauf vorzubereiten, dass danach eventuell gar nichts mehr kommt. Womöglich werden sogar noch Leistungen zurückgefordert, immerhin sei der Vorbehalt der Bundesregierung am 19.12.2011 in Kraft getreten.

Meiner Meinung nach sind dies unzumutbare Härten und sollten so nicht durchführbar sein. Mal abgesehen von der existenziellen Not, die sich fuer die Klient*innen urplötzlich auftut, bedeutet diese Entscheidung für die sozialpädagogische Arbeit, eine Verantwortung zur Sicherung einer schon bestandenen Existenz übernehmen zu müssen, in deren Konsequenz qualitatives Arbeiten unmöglich gemacht wird. Hinzu kommt noch, dass der Vorbehalt laut Senat auch für die sozialen Hilfen gem. SGB XII gilt:

„Für die Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ist auch weiterhin nur ein Vorbehalt in Bezug auf die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten formuliert, der dazu führt, dass diese Leistungen nach entsprechender Prüfung gewährt werden können, jedoch kein Anspruch dafür auf der Grundlage des EFA besteht.“

Das heißt für Soziale Einrichtungen, dass bestehende Betreuungsverhältnisse nach SGB XII auf der gleichen Grundlage des Vorbehalts von heute auf morgen durch die Bezirksämter abgebrochen werden können und somit Unionsbürger*innen in schon besonders schwierigen sozialen Lagen mit diesem existenziellen Problem allein gelassen werden. Die Referate und Anwält*innen raten zum Antrag auf Eilverfahren vor Gericht, dass die Leistungen als einstweilige Verfuegung weiter angewiesen werden.

Aber was, wenn dieser Vorbehalt zum Gesetz wird und nicht nur meine Klienten, sondern auch viele andere seit Jahren in Deutschland lebende Unionsbürger*innen, die sich darauf verlassen mussten, dass Sozialleistungen gezahlt werden, ab Mai keine Miete mehr zahlen koennen, nicht mehr krankenversichert sind und sich und ihre Angehoerigen nicht mehr ernähren koennen? Ist das fair? Wird bei solchen Entscheidungen an gesellschaftliche Folgen gedacht, wie höhere Armut, Kriminalität, Obdachlosigkeit? Wird darueber nachgedacht, dass hier lebende Unionsbuerger*innen – wenn das das Ziel dieses Vorbehaltes der Bundesregierung sein soll – nicht von heut auf morgen in das Land, von dem sie zufaellig einen Pass haben, zurückkehren koennen? Meine Klienten haben nicht die finanziellen Mittel zurückzukehren, geschweige denn einen Platz zum Leben oder eine Perspektive. Und diese Entscheidung deutscher Sozialpolitik nimmt ihnen den letzten Rest einer Chance.

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Siehe auch Interview mit Dorothee Frings: „Gleichbehandlung ist Pflicht“.

Das Jobcenter und die Berliner Sozialwohnung. Oder: Der unerlaubte Umzug

Zu dieser Meldung:

Günstige Wohnungen werden nach einer Studie innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings knapper. In Innenstadtbezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte sowie in Tempelhof-Schöneberg wuchsen die Angebotsmieten 2011 mit zweistelligen Raten, wie der Wohnmarktreport des Immobilienunternehmens GSW ergab. (Quelle: dpa via berlin.de)

eine Gesprächssituation, die sich jüngst wie folgt ereignete:

Zeit: März, wochentags 8:20/ Ort: Empfangs-Schalter (für Menschen, die bereits ALG II beziehen) eines Berliner „Jobcenters“ in einem relativ zentral gelegenen Stadtteil (innerhalb des S-Bahn-Rings). Personen: 3 Jobcenter-Mitarbeiter*innen hinter dem Epfangsschalter, 2-3 ihnen gegenüberstehende und 4-5 anstehende Menschen mit Anliegen.

Eine (sichtlich) schwangere Frau und ihr männlicher Begleiter betreten den Raum, zeitglich betritt ein männlicher Security-Mitarbeiter durch eine separate Tür hinter dem Schalter den Raum und blickt auf das Paar (vielleicht weil alle anderen Menschen mit Anliegen einzeln in dem Raum sind und das Paar in seiner Paar-Konstellation auffällt?) Das Paar wartet in der Schlange, die Anliegen der am Schalter Stehenden sind für alle unvermeidbar deutlich zu hören. Zum Beispiel geht es um auszufüllende Anträge oder um Kontoauszüge, die ein Mann nicht vorlegen kann, weil er kein Konto hat. Nach 5 Minuten Warten und Zuhören begibt sich das Paar dem Aufruf „Nächste bitte“ folgend an den Thresen zur mittleren Empfangs-Mitarbeiterin. Der Security-Mann im Hintergrund hat alles im Blick. Die Atmosphäre ist beklemmend.

Schwangere Frau: „Guten Tag, ich will aus meiner WG (Anm.: innerhalb des S-Bahn-Rings) ausziehen und mit meinem Partner zusammenziehen, weil wir ein Kind erwarten. Weil ich ALGII beziehe hätte ich gern ein Gespräch über die Konditionen der Wohnung und des Umzugs usw.“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Wie viele Personen sollen dort wohnen? Haben Sie schon ein Angebot?“
Schwangere Frau: „Zu dritt. Ein Angebot (Anm.: außerhalb des S-Bahn-Rings) haben wir bereits.“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Gut dann füllen Sie bitte diesen Antrag auf Wohnungswechsel aus und lesen sich das Merkblatt dazu durch“ (Die Mitarbeiterin reicht zwei beidseitig bedruckte A4-Blätter).
Schwangere Frau: „Können wir für die Konditionen der Wohnung und Details zum Umzug einen Gesprächstermin erhalten?“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Nein brauchen Sie nicht. Die Konditionen stehen auf dem Merkblatt. Für drei Personen darf die Warmmiete 542€ nicht übersteigen.“
Schwangere Frau: „Oh, unser Angebot liegt drüber, dann zahlen wir die Differenz selbst?“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Nein. Sobald die Miete einen Euro über unserer Vorgabe ist, wird der Umzug gar nicht genehmigt und Sie erhalten gar keine Wohnkosten mehr.“
Partner der schwangeren Frau: „Was? Das ALGII wird dann gekürzt?“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Der Wohnkostenabschlag wird dann gestrichen. Wenn Sie Glück haben könnte sein, dass der bisherige Abschlag weiter bezahlt wird.“
Schwangere Frau: „… von meinem WG-Zimmer.“
Partner der schwangeren Frau: „Wir haben lange gesucht und das ist mit die billigste Wohnung, die wir finden konnten. Was, wenn’s keine Wohnungen nach Ihren Vorgaben gibt?“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Gibt es. Glauben Sie mir.“
Schwangere Frau: „Dieses Angebot ist sogar eine Sozialwohnung, die wir nur mit unserem Wohnberechtigungsschein bekommen. Das ist ein Mietpreis vom sozialen Wohnungsbau.“
Empfangs-Mitarbeiterin: „Dann sagen Sie dem Vermieter, er soll die Miete senken. Wir können nichts dafür.“

Inzwischen haben die anderen Empfangs-Mitarbeiter*innen bereits mehrfach zu dem Gespräch zwischen dem Paar und der mittleren Mitarbeiterin geschaut. Der Security-Mann, hinter den Mitarbeiter*innen mal langsam laufend, mal stehend, hat auch alles im Blick. Das Paar bedankt sich, wünscht einen schönen Tag, die Grüße werden erwidert. Das Paar verlässt den Raum, die zwei A4-Blätter in der Hand. Zeitgleich verlässt auch der Security-Mann den Raum durch seine separate Tür hinter den Empfangs-Mitarbeiter*innen.

Nicht nur innerhalb des S-Bahn-Rings gibt es hohe Mieten in Berlin, sondern die Miete einer Berliner Sozialwohnung außerhalb des S-Bahn-Rings übersteigt in dem konkreten Fall die vom Jobcenter anberaumte Übernahme-Obergrenze. Den Interessierten, die diese WBS-Wohnung trotzdem anmieten wollen und die Differenz selbst übernehmen würden, wird vom Jobcenter der Umzug in diese Wohnung verweigert. Dabei ist die Bedingung für diese Wohnung ein 3-Zimmer-WBS, das heißt diese Wohnung ist für einkommensschwache 3-Personenhaushalte gesetzlich reserviert. Nur was nutzen einer einkommensschwachen Familie Sozialwohnungen, wenn das Jobcenter die Kostenübernahme für diese Sozialwohnungen verweigert?

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Auch im Hauptstadblog wird mein Beitrag Im Hauptstadtblog wird der Beitrag ziemlich heiß diskutiert.