Armenien, Polen und die Babelsberger Filmhochschule
Anarak Vordu Veradardze (Rückkehr des verlorenen Sohnes), Narine Mkrtchyan/ Arsen Azatyan, Armenien 2008
Hier in Cottbus sah ich zum ersten Mal einen armenischen Film. Es war ein ruhiger, ernster Film. Der vor dem Krieg als Jugendlicher geflohene Mann kehrt nach Jahren zu seiner Familie zurück. Konfrontiert mit dem Unverständnis und den Vorwürfen fast aller Personen, die er trifft, kommen ihm triste Erinnerungsfetzen aus seiner Kindheit. Er hatte offenbar nichts zu verlieren, als er fortging. Nur die Frau, die ihn liebte und ihm weinend in den Armen liegt, hat inzwischen geheiratet und zwei Kinder. Darum freut auch sie sich nicht über seine Rückkehr. Niemand freut sich über seine Rückkehr, die Brüder nehmen sie ihm sogar übel. So verlässt er seine Familie wieder und steht zum Filmende erneut auf den Gleisen am Bahnhof, wo er am Anfang des Films stand. Der Bahnhofsvorsteher, (auch dieser hatte kein Verständnis für die Rückkehr) war aber inzwischen verschwunden. Der Protagonist macht sich allein wieder auf den Weg.
In dem ruhigen Film gibt es kaum Bewegungen. Die Kamera steht meist still, die Akteure bewegen sich nur wenig. Die Auftritte der Figuren haben etwas theatralisches. Zwischen den Landschaftsaufnahmen am Anfang und am Ende des Films ruhen die langen Einstellungen auf den Gesichtern der Protagonisten. Die Filmbilder werden dominiert von statischen, fotografischen Aufnahmen. So werden die ruhigen, aber intensiven Eindrücke der Hauptfigur dem Publikum vermittelt.
Dem Film fehlt jegliches Pathos, die Bilder besitzen eine emotionslose Neutralität. Es gibt keine schwere Musik, dafür Sonne und Naturgeräusche. Selbst als die verlassene Frau in Tränen ausbricht, behält der Rückkehrer sein klares Gesicht. In der gleichen Stimmung, mit der er kam, kehrt er wieder um.
Der Film wertet nicht die Handlungen seiner Akteure. Die Sicht des Protagonisten dominiert zwar das Gezeigte, aber es gibt genug Raum, um die ernüchterten Familienmitglieder nachzuvollziehen. Trauer oder gar Mitleid vermitteln sich nicht durch die Darstellung einer der beiden Seiten, die Dramatik ergibt sich vielmehr daraus, dass niemand mehr die Annäherung zum anderen braucht. In ihrem Wiedersehen fühlen sich beide Seiten in ihren inzwischen gefestigten Ansichten nur bestätigt: Wir können aufeinander verzichten.
Am Ende gibt es ein Motiv, das ich nicht ganz deuten konnte. Als der Rückkehrer auf den Gleisen das Dorf verlässt, erscheint ihm ein junges Mädchen, das einen Korb mit Teigrollen bei sich hat und ihm anbietet. Es gäbe ein Opferfest des Vaters, sagt sie, und bittet ihn, sich zu bedienen. Hiermit könnte auf den Tod des zurückgekehrten Sohnes hingewiesen sein.
Kochaj i tańcz (Liebe und Tanz), Bruce Parramore, Polen 2009
Ein Hochglanz-Dirty-Dancing im Warschau des 21. Jahrhunderts. Diese bewegte Foto-Love-Story könnte aus der Gala sein, die die Protagonistin abends vor dem Einschlafen liest. Es soll wohl ein Tanzfilm sein, nur leider sind sämtliche Tanzszenen völlig zerschnitten. Teilweise wird man in Sekundenbruchteilen mit flackernden Bildern bombardiert. Die eigentlichen Tänze gehen in der Effekthascherei leider unter. Was bleibt, sind die unangenehm perfekt wirkenden Jugendlichen mit Modellmaßen und unnatürlicher Gesichtsfrische nach durchtanzten Nächten.
Die Parabel ist die eines Kindermärchens: Der Vater, für die Karriere in die USA abgehauen, kommt als weltberühmter Tanzlehrer nach Polen zurück. Die Tochter, die ihren Vater bis dato nicht kannte, ist anfangs skeptisch und steht natürlich irgendwann auf ihren Papa. Während sie für eine Modezeitschrift über Tanz berichten soll, entdeckt sie mit dem Tanz-Märchenprinzen ganz schnell, dass sie auch „Tanz im Blut hat“, wie sie sagt. Klar, der Papa. Zum Schluss stehen jedenfalls alle vereint vor einer katholischen Kirche, Mama, Papa, Prinzessin und Prinz. Die Probleme haben sich in den 120 Minuten wie von selbst gelöst.
Das eigentlich Unangenehme neben der billigen Story ist aber die Inszenierung der Menschen. Ihre Reaktionen sind unmenschlich und puppenhaft, ihr Aussehen entspricht dem von Werbefiguren. Die Figuren haben keine Tiefen, sie sind charakterlich poliert und langweilig. Die Beleuchtung ist stets perfekt und die Bilder sind makellos. Macht euch ein eigenes Bild, Filmausschnitte (das sind keine Trailer oder Musikvideos) gibt es hier.
8 w poziomie (Horizontal 8), Grzegorz Lipiec, Polen 2009
Mit „Horizontal 8“ oder „8 waagerecht“ liefert der „Meister der Off-Szene“ Grzegorz Lipiec ein verwirrendes Filmwerk. in einem stilistischen Mosaik hangelt sich die Geschichte am Weg eines 100-Euro-Scheins um die Machenschaften einer kleinen Gruppe aggressiver Speed-süchtiger Drogenpolizisten, deren Hobby neben dem Zusammenschlagen jugendlicher Hasch-Dealer vor allem darin besteht, Araber zu jagen. In den klaren, kurzen Szenen, die stimmig und nie langweilig sind, beeindrucken insbesondere die verschiedenen Charakterfiguren. Die Mafiosi und Polizisten sind alle zwar derb überzeichnet, aber nie zu albern oder unglaubwürdig, und somit immer angsteinflößend und komisch zugleich. Wer Lust auf einen unkonventionellen Kleinstadtkrimi samt Komik und Sozialkritik hat, sollte diesen Film sehen. Hier ein Trailer.
Mein 89, Jospehine Frydetzki/ Ester Amrami/ Konrad Kästner/ Banu Kepenek/ Jöns Jönsson/ Štepan Altrichter, Deutschland 2009
Sechs Nachwuchsregisseure der HFF Potsdam stellten in ihren zu einer Episode zusammengefassten Kurzfilmen ihr wichtigstes Ereignis im Jahre 1989 vor. Der Mauerfall kam überall vor, mal zentral, mal nur am Rand. Lustig war Štepan Altrichters Idee, einen Schuljungen in Prag in seinen Träumen zu Knight Rider werden zu lassen, um dann mit KITT den Spitzel aus der Nachbarschaft zu jagen. Am besten gefiel mir aber der Beitrag von Jöns Jönsson, für den das Jahr 1989 eine Trennung bedeutete: die seiner Eltern und damit seiner Familie. In dem Dokumentarfilm reflektierten seine Eltern und Geschwister in Schweden die Ereignisse um den Bruch 1989. Ein Thema von dieser Intensität und auch Intimität vor die Kamera zu holen, kann in die Hose gehen. Mit Jönssons Film erhält man aber keinen Blick von außen auf ein Phänomen, sondern den kritisch begleiteten Rückblick jener Ereignisse, die der Regisseur selbst erlebt hat. Die Familie des Autors ist in diesem Film zwar das zentrale Beispiel, aber nicht das Thema. Das Thema ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Leben und Familie. Und die Wunden aller Beteiligten, die sich aus den Unregelmäßigkeiten von Familie und Leben ergeben.
Mein 89 ist am Donnerstag, 3.12.2009 um 23:20 im rbb zu sehen.
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Siehe auch:
Filmfestival Cottbus – Resumé Mittwoch,
Filmfestival Cottbus – mein Freitag und Samstag