Im Gegensatz zu Deutschland hört man aus Rumänien zum „Tag der Pressefreiheit“ selbstkritische Töne
Den „Tag der Pressefreiheit“ nahm die rumänische Agenţia de Monitorizare a Presei zum Anlass, ihren knapp 40-seitigen Bericht zur Pressefreiheit in Rumänien 2008 zu veröffentlichen (→pdf: Raport FreeEx, Rumänisch).
Heute erschien dazu beim rumänischen Nachrichtenportal Ziare.com ein Interview mit Mircea Toma, dem Vorsitzenden der Agenţia de Monitorizare a Presei (Mircea Toma: Exista o dictatura a publicului cu un nivel de educatie scazut).
Toma äußert sich zu einigen zentralen Punkten des Berichts. Auf die Frage, ob die Pressefreiheit in Rumänien Fortschritte gemacht hat, antwortet er:
„Die wesentlichste Feststellung im Bericht bezieht sich auf die Geschehnisse, die sich im vorigen Jahr während des NATO-Gipfels abspielten, als die Reaktionen der Ordnungskräfte von einer unvorstellbaren Brutalität waren, die eine schwere Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, speziell der Rechte der freien Meinungsäußerung, darstellte.
Bürger Rumäniens und anderer Länder wurden für ihre Gedanken geschlagen und ihrer Freiheit beraubt, weil vermutet wurde, sie könnten ihre Anti-NATO-Botschaften öffentlich äußern. Dieser Umstand ist ein ernsthaftes Signal für die Brüchigkeit der rumänischen Demokratie.“
Toma bemängelt, dass die Reaktionen der rumänischen Behörden auf diese Ausuferungen „gleich null“ gewesen seien.
Einen zweiten besorgniserregenden Punkt sieht Mircea Toma in der Konzentration von wirtschaftlichem, politischem und medialem Einfluss in den Händen einzelner Akteure, die zu Interessenkonflikten führt, wobei er speziell auf die Ereignisse um den Bürgermeister von Constanţa, Radu Mazăre, hinweist. Der Politiker und Medienunternehmer beeinflusse die örtliche Justiz zu seinen Gunsten und setze lokale Medien unter Druck, die kritisch über ihn berichten.
Ansonsten scheinen die Probleme der rumänischen Presse sich weitgehend mit denen in den meisten „west“-europäischen Ländern zu decken:
„Gut bei uns ist, dass keine Journalisten umgebracht werden. Schlecht ist, dass es eine Selbstzensur gibt, die dafür sorgt, dass wir über keine der Firmen schreiben, die ihre Werbung auf den Zeitungsseiten haben.“
Politische Beeinflussung von Medien gäbe es in differenzierter Weise, sie hinge von den einzelnen Redaktionen ab, einige Fernsehsender oder Zeitungen seien aber neutral und unbeeinflussbar. Auch in Rumänien stehen Parlamentswahlen an.
Bezeichnend ist Tomas Antwort auf die Frage nach der Qualität und Glaubwürdigkeit der rumänischen Presse:
„Im Fernsehen wird die rasante Boulevardisierung der Medien erkennbar. Das bedeutet, es gibt eine Art Diktatur der Bevölkerungsschichten mit niedrigerem Bildungsniveau über andere Typen von Publikum.
Dabei geht es nicht um ein Phänomen, das nur die rumänische Presse betrifft, das ist ein internationales Problem. Es entsteht aus der finanziellen Abhängigkeit der Presse von Werbung, also von den Zuschauern.“
Mircea Toma befürchtet die Verdrängung nützlicher Informationen zugunsten einer qualitativ minderwertigen aber umso beliebteren Medienberichterstattung. Dennoch:
„Ich bin optimistisch. Ich erwarte eine Revolution des anspruchsvollen Publikums über die Massenmedien.
Ich bin überzeugt, dass das professionelle Niveau der Journalisten heute wesentlich höher ist, als noch vor zehn Jahren. (…)
Das große Problem der rumänischen Presse ist, dass die professionellen Werte des Journalisten faktisch von den Werten des Marketings überdeckt werden, und nicht, dass die Journalisten dumm sind oder unprofessionell, sondern dass sie akzeptieren, unprofessionell zu werden, entgegen ethischer Prinzipien zu handeln, weil aufgrund zu schwacher Gewerkschaften die Unterstützung fehlt und sie damit institutionellem Druck ausgesetzt sind.“
In den Tagesthemen wurde gestern anlässlich des „Tages der Pressefreiheit“ von unterdrückten Journalisten im Iran berichtet, was zweifellos ein wichtiges Thema ist. In der Tagesschau davor ging es um Journalisten in Afghanistan, Gaza, Italien, China und den USA. Solange es woanders schlimmer ist, braucht man nicht auf sich selbst zu schauen, denn auch in Deutschland wäre eine breite und öffentliche Auseinandersetzung mit der Situation der Presse- und Meinungsfreiheit überfällig, sowohl mit Blick auf marktwirtschaftliche Dominanz als auch in Anbetracht des wachsenden staatlichen Überwachungsinteresses. NATO und G8 sind sicher anregende Stichworte.
In Rumänien ist man da schon weiter.