Teil 4 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung
Letzten Montag (16.11.2015) sprach Cengiz Barskanmaz über „Rassismus, Macht und Recht“ im Rahmen der Ringvorlesung Rassismusforschung der TU Berlin. Es waren etwas weniger Interessierte anwesend als beim letzten Mal, so dass diesmal der ein oder andere Platz leer blieb und nur ein Mensch auf dem Boden saß. Die Raumkalkulation der TU Berlin ging damit erstmals auf. Es folgt wieder eine kurze Zusammenfassung.
Cengiz Barskanmaz betrachtet aus einer jusristischen Perspektive die Schnittstellen zwischen den Konzepten Recht, Macht und Rassismus, wobei der Vortrag auf das Verhältnis von Recht und Rassismus fokussiere. Auf rechtlich-institutioneller Ebene werde das Verständnis von Rassismus durch das ICERD (international), die EMRK (in Europa) und das Grundgesetz (in Deutschland) juristisch definiert und geregelt — der Anspruch an diese Institutionen sei, mit ihren rechtlichen Maßgaben Schutz vor Rassismus zu bieten. Um die Ausgestaltung dieser Relation zwischen Recht und Rassismus zu analysieren, biete sich methodisch die Critical Race Theory an.
Cengiz Barskanmaz folgt einer Definition, wonach Rassismus als Oberbegriff verschiedene Rassismen pluralisiert, etwa postkolonialen, antimuslimischen, antijüdischen oder Anti-Roma-Rassismus (er meidet ausdrücklich bewusst den immer weiter verbreiteten AZ-Begriff.) Ein zentrales Problem erkennt Cengiz Barskanmaz in der Frage um die Bedeutung des juristischen Begriffs ‚Rasse‘: Nach wie vor taucht ‚Rasse‘ in deutschsprachigen Gesetzestexten auf (z.B. in Art. 3, Abs. 3 GG), wodurch die tatsächliche Existenz menschlicher ‚Rassen‘ impliziert wird — gleichzeitig werde der englischsprachige Begriff ‚race‘ inzwischen als analytischer Begriff sozialer Positionierung verwendet, auch in deutschsprachigen Kontexten zur Vermeidung des Wortes ‚Rasse‘. Das Ausweichen auf den englischen Terminus hält Cengiz Barskanmaz für überflüssig und fordert, den Begriff ‚Rasse‘ ebenfalls ausschließlich im Sinne einer „performativen Kategorie“ zu verwenden, wie das englische ‚race‘, auf das dann nicht mehr ausgewichen werden müsste. Diese Begriffsbedeutung werde auch der sozialen und politischen Selbstbezeichnung ‚Schwarz‘ als racial category gerecht, die sich nicht auf die Existenz von ‚Rassen‘ bezieht, sondern auf eine Positionierung innerhalb rassistischer Strukturen. In diesem Sinne könne sich auch ‚Rasse“ auf die konstruktivisitische und sozial relevante Bedeutung beziehen — dafür brauche es die Übersetzung dieser Analysekategorie zu ‚race‘ nicht. Cengiz Barskanmaz betonte, der rassistische Bedeutungsgehalt von ‚Rasse‘ ließe sich nicht durch die Tilgung des Begriffs bekämpfen, im Gegenteil, lebe ihr biologistischer Gehalt bereits jetzt in unhinterfragten Ersatzbegriffen wie ‚Ethnizität‘ oder ‚Hautfarbe‘ fort, die genau jene Rassifizierung von Menschen fortführten, die durch den Verzicht auf ‚Rasse‘ eigentlich beendet werden sollte. So verhalte sich seiner Ansicht nach der Begriff ‚Ethnizität‘ zu ‚Rasse‘ wie ‚Ausländerfeindlichkeit‘ zu ‚Rassismus‘: Für die Analyse notwendige Benennungen würden vermieden und verwaschen. Vielmehr gelte es daher, die soziale Bedeutung rassismuskritischer Ansätze in die Bedeutung des Begriffs ‚Rasse‘ zu übernehmen, der als juristischer Terminus real existiert. Und der als „performative Kategorie“ immer aktiviert werde, wenn von Schwaren Menschen, PoC oder weißen Menschen die Rede ist.
Seine Position für den Beibehalt des Begriffs ‚Rasse‘ in deutschen Gesetzestexten habe er auch als vom Berliner Senat gefragter Experte deutlich gemacht, und damit das Gegenteil der Empfehlungen bspw. der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (siehe Positionspapier dazu) oder des Deutschen Instituts für Menschenrechte (siehe Stallungnahme dazu) vertreten, die für die Streichung sind. (Zuletzt scheiterte die Streichung des Begriffs im Berliner Abgeordnetenhaus im Mai 2015.)
Der rassismuskritischen Bedeutungsaufladung des Begriffs ‚Rasse‘ steht die historische, traditionell geprägte biologistische Bedeutung des Begriffs gegenüber. Und mit dieser kann er nach wie vor als Bestätigung für die Existenz von ‚Rassen‘ angeführt werden. In diesem Sinne gab es die Nachfrage aus dem Publikum, wie denn Juristinnen davon zu überzeugen seien, dass ‚Rasse‘ im Gericht nicht mehr in der biologistischen Bedeutung (mit der der Begriff in die Gesetzestexte nach 1945 gelangte), sondern fortan ausschließlich als soziale Konstruktion, als Analyserkategorie verstanden werde. Darauf entgegnete Cengiz Barskanmaz, dass der Kampf gegen Rassismus von der Begriffsdiskussion entkoppelt werden müsse. Juristische Akteur_innen und andere Menschen, wo es nötig ist, an die Nichtexistenz von ‚Rassen‘ zu erinnern, sei grundsätzlich als eigenständige Aufgabe der Sensibilisierung und Rassismusanalyse zu verstehen.
Cengiz Barskanmaz ist grundsätzlich für eine machtkritische Rechtsforschung, die soziale Kategorien zwar kritisch reflektiert, aber ihre hohe Relevanz in Betracht zieht. Kategorien wie ‚Rasse‘, ‚Hautfarbe‘, ‚ethnische Herkunft‘, ‚Nationalität‘, ‚Sprache‘, ‚Religion‘ oder ‚Geschlecht‘ müssten hinterfragt werden, aber sie existierten als gesellschaftlich relevante Zuschreibungsebenen, „ob wir das wollen oder nicht“. Aus ihrer sozialen Relevanz heraus haben diese Kategorien Bedeutung als juristisch zu bewertende Diskriminierungsmerkmale. Das heißt, es müsse mit ihnen juristisch gearbeitet werden, ohne ihnen essenzialisierenden Charakter zuzuschreiben. Rassismus und essenzialisierende Sichtweisen kämen zwar vor in der (deutschen) Rechtssprechung, allerdings sollte das kritisiert und dafür sensibilisiert werden, ohne die Kritik allein auf die zur Diskriminierungsdefinition notwendigen Kategorien auszurichten.
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Mit der präsentierten Thematik setzt sich Cengiz Barskanmaz auch in diesen zwei Aufsätzen auseinander: „Rasse – Unwort des Antidiskriminierungsrechts?“, Kritische Justiz 3/2011, 382-389 [pdf], und: „Rassismus, Postkolonialismus und Recht – Zu einer deutschen Critical Race Theory?“, Kritische Justiz 3/2008, 296-302 [pdf].
Für den nächsten Montag, 23.11.2015, hat Lann Hornscheidt abgesagt (so der Newsletter). Es steht noch nicht fest, ob eine andere Person ersatzweise vorträgt. Natasha A. Kelly wird den Vortrag zu „Rassismus, Macht und Sprache“ übernehmen (facebook-Mitteilung, und hier entlang zum Beitrag hier im Blog).