„Deutschland, wohin zog es deine ***ner?“ – Teil 2

[Trigger-Warnung: Hinweise auf die rassistische Fremdbezeichnung von Rom_nija]

Unbefristetes Aufenthaltsrecht im deutschen Schlager


(„Deutschland, wohin zog es deine ***ner?“ – Teil 1: Die flotten 30er)

***ner-Schunkler aus den 30ern hatten die deutsche Ausrottungsmaschinerie im Gegensatz zu der besungenen Gruppe problemlos überlebt. Aber damit nicht genug, 1974, also 29 Jahre nach der industriellen Menschenvernichtung, erklimmte ein Hit namens „Aber am Abend da spielt der ***ner“ Platz 12 der deutschen Charts. Einmal mehr waren es nicht etwa Roma oder Sinti selbst, sondern zwei verkleidete Schlager-Deutsche namens Cindy und Bert, die in einem Liedtext das Wesen der „***ner“ melodiös in deutsche Wohnzimmer zu transportieren wussten.

Link zum Youtube-Video „Aber am Abend da spielt der [***]ner“

Aber am Abend, da spielt der ***ner/ auf der Gitarre uns beiden was vor./ Aber am Abend, da träumt unsereiner/ schönere Träume als jemals zuvor./ Aber am Abend, da spielt der ***ner/ auf der Gitarre den Cancion‘ d’amor.

Wir setzen uns’re großen Hüte auf,/ schau’n uns die Leute an, wir pfeifen drauf./ Jetzt ist er heiter, unser Lebenslauf/ Wir singen alle beide:/ „Hasta la vista, la vista, la vista,/ die Liebe, die ist da“

Instrumental

Aber am Abend, da spielt der ***ner/ in der Taverne zum Tanz für uns zwei/ Aber am Abend, da spürt unsereiner/ was wir erleben, das ist für uns neu./ Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ und seine Musik, die ist Zauberei

Die Castagnetten klappern neben mir,/ ich glaub‘, die zählen jeden Kuß von Dir./ D’rum schenke ich sie Dir als Souvenir,/ und sag‘ Dir dann auf Spanisch:/ „Cuanta la gusta, la gusta, la gusta/ die Liebe, die ist da“

Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ ich schau‘ Dir tief in die Augen hinein./ Aber am Abend, da trinkt unsereiner/ ein bisschen viel andalusischen Wein/ Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ wir können beide des Lebens uns freu’n

Aber am Abend, da spielt der ***ner/ in der Taverne zum Tanz für uns zwei./ Aber am Abend, da spürt unsereiner/ Was wir erleben, das ist für uns neu./ Aber am Abend, da spielt der ***ner,/ und seine Musik, die ist Zauberei.

In welchen deutschen Tavernen auch immer Cindy und Bert ihre „großen Hüte“ aufgesetzt haben mögen, bei Sinti und Roma dürften sie damit in den 70er Jahren kaum Eindruck gemacht haben. Erst in den 80er Jahren wurde der deutsche Genozid an den Sinti und Roma von der Bundesregierung anerkannt – und es war ein steiniger Weg für die „***ner“, dem deutschen Staat dieses Mindestmaß an Einsicht abzuringen. (Für weiterführende Überblicke zur BRD-„***nerpolitik“ siehe u.a. Ravensbrücker Blätter, Förderverein Roma e.V. oder Marko D. Knudsen.)

Ein kritischer Umgang mit diesem zynischen Kapitel des Widerspruchs zwischen deutscher Unterhaltungsindustrie und juristischer Verdrängung ist bis heute nicht zu erkennen. Während überlebende Sinti und Roma jahrzehntelang darum rangen, dass ihre Stimmen nach Auschwitz, Ravensbrück etc. überhaupt gehört wurden, sind im deutschen Unterhaltungsbetrieb bis heute die Stimmen von Cindy und Bert zu hören, und zwar auch 2007 noch mit dem gleichen Playback aus den 70ern:

[Video nicht mehr zu finden]

Ein bisschen Spaß muss offenbar sein – auch, wenn dabei „***ner“ musikalisch im Interesse des deutschen Gemüts bar jeglicher Realität verwertet, geradezu verhöhnt werden. Die deutsche Volksschlagerseele erquickt sich zum Zwecke der Unterhaltung an vermeintlichen „***ner“-Eigenschaften und verdrängt dabei, dass Deutschland unter der Führung der gewählten NSDAP ca. 90% der Sinti und Roma ermordete. Mehr noch: Während „***ner“ als Figuren in deutschen Liedtexten geduldet sind, werden Roma aus der Nachbarschaft abgeschoben. Schlagerfans stimmen ein mit Cindy und Bert: „Hasta la vista, la vista, la vista …“

Eine kleine Auswahl an Presse- und Medienbeiträgen zur deutschen (Roma-)Abschiebepolitik:

29.12.2010 Deutschlandfunk: Rückkehr in die Ungewissheit (Direkt-Links →mp3 oder flash Audio)

21.12.2010 Frankfurter Rundschau: Das verlorene Glück von Hiddestorf

2.12.2010 ProAsyl: Abschiebungen in den Kosovo trotz Winters

19.11.2010 taz: Ein Leben auf Abruf

März 2010 ZDF info: Rückkehr ins Elend – Abschiebung der Roma ins Kosovo, Infos zu der Dokumentation und
der 15-minütige Film:
http://www.youtube.com/watch?v=ocyEJ0YPUmg


Siehe auch:
„Deutschland, wohin zog es deine ***ner?“ – Teil 1: Die flotten 30er

Ab heute heißt Du ***ner!

In europäischen Regierungen lässt sich ein zweifelhafter Umgang mit Diskriminierung beobachten: Diskriminierte Menschen werden zum Problem erklärt. Und für jedes Problem gibt es eine Lösung.

Nachdem in Deutschland Asylbewerbereinrichtungen mit mehrfach tödlichem Ausgang brannten (Hoyerswerda September 1991, Rostock-Lichtenhagen August 1992, Mölln November 1992) und über diese Anschläge hinaus die Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland zunahmen, beschnitt der Bundestag das Asylrecht, um endgültig den „Zuzug von Ausländern“ zu begrenzen, mit dem „Asylkompromiss“ (Beschluss im Dezember 1992, Inkrafttreten im Mai 1993, worauf der Mordanschlag von Solingen folgte) . Der Ansturm unaufhaltbarer „Asylanten“-Massen hat sich als Angstbild in die deutschen Köpfe eingebrannt, so dass bis heute wohl eine Mehrheit von der Richtigkeit dieser Asylrechtsbeschneidung überzeugt ist.


Drei SPIEGEL-Cover von 1991/92 – exemplarisch für die Wahrnehmung von „Asylanten“ in der deutschen Öffentlichkeit? | Quelle spiegel.de

Sozial schwache EU-Bürger, die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit nutzen, können gegenwärtig in dieser Bewegungsfreiheit nicht per Gesetz eingeschränkt werden. Aber mit Geld bestochen. Wenn nun etwa Arbeitsmigranten in der europäischen Öffentlichkeit sichtbar werden und Ressentiments und Ablehnung in dieser Öffentlichkeit hervorrufen, kann es passieren, dass eine Regierung den Arbeitsmigranten Geld bietet, damit diese das Land verlassen (Frankreich und Berlin sind nur bekannte Beispiele).

Nun gibt es interessante Neuigkeiten aus Rumänien, einem Herkunftsland vieler europäischer Arbeitsmigranten: Einige rumänische Politiker wähnen nämlich aufgrund europaweit existierender Vorurteile gegenüber Roma den Ruf ihres Landes „România“ in Gefahr – aber sie fordern nicht die Bekämpfung von Vorurteilen, sondern die gesetzliche Umbenennung der Roma in „***ner“.

Was die beschriebenen Punkte gemeinsam haben: Ursache und Wirkung werden vertauscht. Anstelle der unmenschlichen Vorurteile (bzw. der Gesellschaft, in der diese existieren) werden diskriminierte Menschen selbst zum Problem erklärt („Problemgruppen“). Dieses Denkmuster liegt beispielsweise auch dem Spruch zugrunde: „Ausländer“ sind Schuld an der Fremdenfeindlichkeit.

Der SPIEGEL wusste 1991/92 (s.o.) also vom „Ansturm der Armen“ und fragte: „Wer nimmt die Flüchtlinge?“. Das war vor dem „Asylkompromiss“. Und was zeigen die Bilder dieser drei SPIEGEL-Cover? Gewiss keine Individuen aus unserer Gemeinschaft, die von ihrem guten Recht Gebrauch machen (das sie bis Dezember 1992 sehr wohl hatten), sondern wir sehen als abschreckende Massen schematisierte Figuren, auf zwei Covern noch mit dem Begriff „Ansturm“ beschriftet.

Als Problem werden diejenigen definiert, die eigentlich vom Problem betroffen sind und sie werden vor allen Dingen nicht in die Diskussion mit einbezogen. Es wird über sie berichtet und über sie entschieden, so, wie über einen Fremdkörper. Denn die entsprechenden Menschen werden gar nicht als Teil der Gemeinschaft oder Gesellschaft wahrgenommen.

Von den SPIEGEL-Covern bis zur rumänischen „***ner“-Umbenennungsinitiative lässt sich eine Linie ziehen, die symptomatisch ist für eine Haltung staatlicher Institutionen gegenüber dem, was als fremd gesehen wird: Über einen Fremdkörper kann man bestimmen – ohne dessen Einverständnis. Man kann „Fremde“ [ausweisen/ aufnehmen/ aussperren/ umbenennen/ verfrachten/ integrieren / _______ / _______ / _______ / … ] .

Mit Menschen beredet Mensch Dinge. Mit Fremden macht Mensch Dinge.

update:
Im Februar 2011 wurde der „***ner“-Umbenennungs-Vorschlag im rumänischen Parlament in letzter Instanz vorläufig abgelehnt.

Anne Will fragte nicht nach

Die gestrige Sendung „Im Visier der Terroristen – wie bedroht sind wir?“ war unkritisch


Ich sah die Sendung Anne Will einmal gern, das nimmt nun seit Monaten ab. Bisher hatte ich wenigstens immer noch die Vorstellung (und zuletzt die Hoffnung), dass mir bei Anne Will ein Querschnitt unterschiedlicher Perspektiven zu einem bestimmten Thema präsentiert wird und nun finde ich nicht mal mehr das. Die gestrige Ausgabe fand ich besonders schlecht. Unterschiede in den Positionen zum gewählten Thema (Bedrohungslage) wurden überhaupt nicht erkennbar. (Dafür lernte ich, dass Gerhart Baum nicht gegen die Vorratsdatenspeicherung an sich ist, sondern diese wohl in einer „Light-Version“ auch befürworten würde.)

Die gesamte Runde hatte, mit kaum erkennbaren Abstufungen, dieselbe Meinung. Denn Anne Will hatte keinen Menschen eingeladen, der dem medialen und politischen Umgang mit dem Terror-Thema kritisch gegenübersteht. Anne Will selbst war nicht kritisch genug und wesentliche Punkte, die in anderen Medien für Fragezeichen sorgen, thematisierte sie überhaupt nicht oder nur im Nebensatz. Besonders drei wichtige Punkte fielen unter den Tisch:

>>> Zu dem Namibia-Paket gibt es eine Menge offener Fragen, von denen gar keine in der Sendung auftauchte. Insbesondere zwei Fragen finde ich aber besonders wichtig, zumal Thomas de Maizière persönlich zu Gast war:
– Warum halten offizielle Amtsträger an der Darstellung fest, das Paket habe auf dem Rollband für den Flug nach Deutschland gelegen, obwohl AirBerlin sagt, das Paket habe sich nur in derselben Abfertigungshalle befunden, war aber für gar keine Richtung (und dementsprechend auch nicht nach Deutschland) deklariert?
– Warum haben die US-Behörden, die ja früher gewusst haben sollen, dass es sich um eine Attrappe handelte, nicht umgehend die deutschen Behörden darüber informiert?

>>> Die ethnische oder religiöse Eingrenzung sogenannter „Gefährder“ wurde kurz erwähnt und nicht vertieft. Gar nicht gefragt wurde danach, welche Gefahren die aktuelle Stimmung für deutsche Musliminnen und Muslime birgt. Dieser Frage liegt natürlich die nach den Menschenrechten (an die nur Herr Baum hin und wieder mit dem Grundgesetz erinnerte) zugrunde. Vor wenigen Tagen wurde aus bisher ungeklärten Motiven ein Brandanschlag auf eine Berliner Moschee verübt, warum wurde das mit keinem Wort erwähnt? Welche Stimmung erzeugen Warnungen à la Körting vor „fremdsprachigen“ Menschen, Aufrufe zu mehr Wachsamkeit gegenüber „Verdächtigen“, Forderungen nach mehr Polizei in „islamisch geprägten Vierteln“? Kurz: Was tut der Staat gegen den Rassismus, der im Fahrwasser der Terrorangst Blüten trägt und dessen Folgen?

>>> Niemanden in der Runde interessierte der Zufall, dass die aktuelle Terrorwarnung zeitlich genau auf die Termine der deutschen Innenministerkonferenz und des Nato-Gipfels fiel. Die CDU befindet sich gerade in einem sehr tiefen Tief, kritische Stimmen gegenüber der Regierung und ihrer Methoden in den letzten Wochen vor der Terrorwarnung vermehrten sich und die Öffentlichkeit wurde zunehmend sensibler für unverhältnismäßige Brutalität und Straftaten von Sicherheitsbehörden und Polizei. Die öffentliche Kritik am Regierungsgebaren ist mit der aktuell ausgerufenen Bedrohungslage praktisch aus den Medien verdrängt worden. In der Runde hinterfragte niemand die von Politikern postulierte Logik „Wer unsere Rufe nach mehr Überwachung nicht befürwortet, hat nichts verstanden“, die bereits von Kommentatoren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übernommen wurde. Diese Zusammenhänge zwischen Angst und Kontrolle wurden nicht angesprochen.

Ich halte die Thematisierung mindestens dieser drei Punkte als unverzichtbar für ein journalistisches Interesse am Thema Terrorangst. „Wie bedroht sind wir?“ fragte Anne Will – und präsentierte mit ihren Gästen eine sehr einseitige Perspektive, die sie selbst nicht hinterfragte.

Hier ein älterer kurzer Beitrag aus der WDR-Sendung „Quarks & Co“, der versucht, das Risiko eines Terroranschlags in einen statistischen Zusammenhang zu bringen:

http://www.youtube.com/watch?v=BjQj05Mr8oU

Eine aktuelle ausführliche Analyse der Rolle deutscher Medien in der aktuellen „Gefahrenlage“ gibt es von Marcus Klöckner bei Telepolis: Terror und deutsche Medien

Pixelbaum und Malhaus

Sichtweisen


Viele Hausfassaden in deutschen Städten zeigen sich aus der Sicht von Google StreetView schleierverhangen, die Gründe für die sogenannten verpixelten Häuser sind bekannt. Ich fand diese unverpixelte Berliner Hauswand, auf der sich eine Art analoger StreetView mit Fassadenfarbe befindet, während der Baum daneben mit einem Schleier verpixelt wurde.

Berliner Morgenpost bleibt wachsam

Ohne Hysterie: Schnell deutsche bewaffnete Polizisten entfernen und vom Jüdischen Museum berichten


Die Aufforderung des Juristen Ehrhart Körting an die Berliner, sie sollten „seltsam aussehende Menschen“ ab sofort den Behörden melden, wurde registriert. Zum Beispiel von einem anderen Juristen namens Udo Vetter, der Körtings Aussage kommentarlos in seinem law blog zitiert.

Körting formulierte seine Ermunterung der Berliner zu bürgerlichen Ermittlungen in der Nachbarschaft im RBB-Fernsehen, die Berliner Morgenpost griff das Zitat auf, und zwar unter einem unmissverständlichen Titel mit eindeutiger Artikelzusammenfassung:

Diese Artikelversion von 12:13 Uhr ist nicht mehr auf morgenpost.de erreichbar, stattdessen gelangt man über den alten Link …/Berliner-sollen-verdaechtige-Personen-melden.html nun zu einem Artikel mit veränderter Überschrift und veränderter Artikelzusammenfassung:

Neben der veränderten Überschrift fällt auf, dass die „bewaffneten Polizisten“ aus der Artikelzusammenfassung entfernt wurden und stattdessen U-Bahn-Durchsagen und zusätzlich noch Infos zu den Sicherheitsvorkehrungen am Jüdischen Museum ergänzt wurden.

Bewaffnete deutsche Polizisten und geforderte Aufmerksamkeit gegenüber „seltsam aussehenden Menschen“ – das war vielleicht sogar für die Berliner Morgenpost zu viel deutsche Leitkultur Schonmal-Dagewesenes, so dass man zackig die Überschrift entschärfte, die „bewaffneten Polizisten“ entfernte und schnell noch das Jüdische Museum erwähnte.

Im Cache von Bing gibt es die ursprüngliche Version des Morgenpost-Artikels (mit eindeutiger Überschrift, „bewaffneten Polizisten“ und ohne Jüdisches Museum).

Hier noch die Aufnahme des Körting-Statements in der RBB-Abendschau, gefunden via annalist:

http://www.youtube.com/watch?v=QmQoCKvEoBQ