Erste Reaktionen aus Rumänien auf den Süddeutsche-Artikel über CIA-Gefängnisse

Die Süddeutsche Zeitung meldete gestern, ihr und dem ARD-Magazin Panorama hätten ehemalige US-Agenten die Adresse eines alten geheimen CIA-Gefängnisses in Rumänien verraten (Geheimgefängnis der CIA in rumänischer Behörde entdeckt). Die rumänische Behörde zur „Verwaltung geheimer (Militär-)Informationen“ ORNISS, auf deren Gelände sich das Gefängnis befunden haben soll, stritt das gegenüber der Süddeutschen Zeitung ab.

Gegenüber dem rumänischen Nachrichtenportal hotnews.ro sagte der rumänische Außenminister Teodor Baconschi gestern, in dem Süddeutsche-Bericht seien „keine Beweise erschienen“. Das „scheint wie eine Filmwiederholung mit all diesen Vermutungen“. Weiter sagte Baconschi:

„Soweit ich weiß haben die ORNISS-Verantwortlichen volle Transparenz gezeigt, haben ihre Einrichtung geöffnet und nichts zu verstecken, und der Vorschlag einer juristischen Untersuchung kann nicht auf eigens dafür notwendigen Ermittlungen des Obersten Rumänischen Gerichts basieren, sondern auf der Vorlage von Beweisen und einer in diesem Sinne ausdrücklichen Erfordernis.“ (Teodor Baconschi über den Beitrag der Süddeutschen Zeitung zu CIA-Gefängnissen auf dem Gelände der ORNISS, Original hier)

Die Journalist_innen von hotnews haben sich gestern selbst in die Bukarester strada Mureș aufgemacht und sich in der Nachbarschaft umgehört, wo sich die Befragten einig waren, in den letzten Jahren nicht Auffälliges gesehen oder bemerkt zu haben (Beitrag hier).

Einige Bemerkungen zur aktuellen Debatte um die Morde des NSU

Gastbeitrag von Johannes Hykel

Die derzeitige Debatte um die Morde der sogenannten Zwickauer Terrorzelle mutet recht typisch für Debatten zum Thema Rechtsextremismus in Deutschland an. Typisch deswegen, weil sie eine Logik der Trennung in „Wir“ und die „Anderen“ verfolgt. Besonders prägnant kommt dies in der Metapher des „braunen Sumpfes“ zum Ausdruck, der, wie es Sigmar Gabriel in einem Spiegel-Online-Interview vom 15.11.2011 bezeichnet, angesichts der Morde ausgetrocknet werden müsse. Doch der „braune Sumpf“ ist nicht etwa der Verfassungsschutz oder die Kriminalbehörden, sondern es sind damit die extrem rechten AkteurInnen rund um die Zwickauer Terrorzelle gemeint. In dem von allen Bundestagsfraktionen am 22.11.2011 unterzeichneten Entschließungsantrag zu der vereinbarten Debatte. Mordserie der Neonazi-Bande und die Arbeit der Sicherheitsbehörden (pdf) wird zwar eingeräumt, dass „die Strukturen der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene dringend überprüft werden müssen“, dennoch ist nicht zu erwarten, dass eine radikale Umstrukturierung bspw. des Verfassungsschutzes oder anderer Behörden daraus folgen wird. Insofern berührt diese Kritik auch nicht die Trennung in „Wir“ und die „Anderen“.

Was ist daran nun eigentlich das Kernproblem? Ist es angesichts der von dem „Trio“ durchgeführten Morde, dem Begehen weiterer zahlreicher Straftaten, den Verstrickungen in hohe Kreise der NPD sowie Kontakten zu extrem rechten HelfershelferInnen nicht richtig, von einem „braunen Sumpf“ zu sprechen und diesen auszutrocknen? Handelt es sich dabei nicht um extrem rechte Menschen, die mit „uns“, d.h. der Gesellschaft im Allgemeinen, letztlich nicht viel zu tun haben? Mit anderen Worten: Sind diese Menschen nicht schlicht gewaltbereite Neonazis, die sich nicht auf dem Boden der demokratisch verfassten Gesellschaft bewegen? – Auf den ersten Blick erscheinen diese Fragen rhetorisch, denn fraglos verfügte das „Trio“ über entsprechende Strukturen, die nun genauestens erkundet und entsprechend bekämpft werden müssen. (Und auch im Allgemeinen kann wohl niemand etwas dagegen haben, dass extrem rechte Strukturen bekämpft werden.) Das ist also nicht das Problem. Aus meiner Sicht liegt das Problem auf einer anderen Ebene: im Diskurs über den sogenannten Rechtsextremismus und entsprechenden gesellschaftlichen Konsequenzen, die daraus derzeit gezogen werden.

Dieser Diskurs über den Rechtsextremismus (re-)produziert nämlich eine Logik des „Wir“ und der „Anderen“ – oder, um es anders zu formulieren: er orientiert sich am Extremismus-Modell. Dieses Modell behauptet bekanntlich eine demokratische „Mitte“ und extreme „Ränder“, die die „Mitte“ bedrohen und die es daher zu bekämpfen gilt. Das Grundproblem dabei ist erstens, dass dieses Modell ein, wie es Andreas Klärner und Michael Kohlstruck hervorheben¹, relationales Modell ist, d.h. „Mitte“ und „Rand“ aufeinander verwiesen sind, so dass das Verhältnis von „Mitte“ und „Rand“ unendlich gedreht werden kann (je nach der eigenen politischen Positionierung). Dadurch wird zweitens die Position der „Mitte“ nicht beleuchtet, denn diese ist ja demokratisch und nicht-extremistisch. Sie bleibt damit ein weißer blinder Fleck. Drittens sind daher sämtliche Handlungen der sogenannten „Mitte“ demokratisch und nicht weiter legitimierungspflichtig im Rahmen dieses Modells. Damit ist die „Mitte“ der Maßstab für sich selbst oder, wie es Sartre in dem Drama Geschlossene Gesellschaft formulierte: „Die Hölle, das sind die anderen“.

Nach genau dieser Logik läuft die derzeitige Debatte: man konzentriert sich fast ausschließlich auf das „Täter-Trio“ und dessen Umfeld, diskutiert hektisch ein NPD-Verbot (so als ob damit das Problem gelöst wäre) sowie eine sogenannte Verbunddatei für auffällig gewordene gewalttätige Neonazis nach dem Vorbild der Anti-Terror-Datei. Zudem sollen entsprechende Strukturen von Verfassungsschutz und Kriminalpolizei überprüft und deren Zusammenarbeit verbessert werden. Die Debatte fokussiert sich damit ausschließlich auf Sicherheitsaspekte. Rechtsextremismus wird damit zu einem reinen Sicherheitsproblem erklärt, das man aber in den Griff kriegen könne, wenn nur die entsprechenden Strukturen dafür verbessert bzw. geschafft würden. Mit solchen Maßnahmen könne der „braune Sumpf“ dann endlich ausgetrocknet und beseitigt werden, so die dahinter liegende Annahme (was natürlich zu bezweifeln ist).

Durch diesen Diskurs bleibt jedoch die scheinbare Normalität der „Mitte“ der Gesellschaft vollkommen ausgeblendet und unthematisiert. Zusammenhänge zwischen „Mitte“ und „extremem Rand“ bleiben verborgen, der „Extremismus der Mitte“ (Hans-Martin Lohmann) wird nicht hinterfragt. Rassismus und Nationalismus – zweifelsohne ideologische Kernelemente der extremen Rechten – erhalten in repräsentativen Umfragen in der Bevölkerung beispielsweise sehr hohe Zustimmungswerte (teilweise weit über 30%²). Zu fragen wäre weiterhin nach spezifischen Formen des Rassismus innerhalb unserer Gesellschaft. Birgit Rommelspacher fasst Rassismus als ein „gesellschaftliches Verhältnis“³ auf, d.h. als ein Verhältnis, das auf verschiedenen Ebenen – politisch-rechtlich, institutionell sowie individuell – gewaltförmige Ausschlusspraxen und Diskriminierungen gegenüber bestimmten Personengruppen erzeugt. Weil Rassismus (und auch Nationalismus, wie u.a. angesichts der aktuellen Eurokrise deutlich zu sehen) jedoch für die Mehrheit der in Deutschland Lebenden letztlich Privilegien (ab-)sichert – seien dies bspw. nun ArbeitgeberInnen oder auch ArbeitnehmerInnen –, d.h. damit eine spezifische Funktion in der bürgerlichen Gesellschaft beim Kampf um knappe Ressourcen umfasst, bleibt er so unsichtbar und unthematisiert. Die im Kontext der Ermittlungen so bezeichneten „Döner-Morde“ und die Arbeitsgruppe „Bosporus“ der Kriminalpolizei verdeutlichen u.a. auf drastische Art und Weise die Verstrickungen in den Rassismus: eine binäre Trennung in „Wir“ und die „Anderen“: „Wir Deutschen“ und „die vom Bosporus“, „die mit den Dönerläden“ – mit entsprechenden Abwertungen und Konnotationen.

Daraus folgt, dass der Rassismus und Nationalismus der „Mitte“ (und sowohl Antisemitismus als auch autoritäre Politikvorstellungen) in erster Linie zu thematisieren und zu bekämpfen sind. Zu fragen und gesellschaftlich breit zu diskutieren wäre, wie eine Gesellschaft zu gestalten ist, in der es weniger Rassismus – und andere Ismen – gibt, d.h., was wir, die wir alle in diese widersprüchlichen Verhältnisse involviert sind, jeweils tun und verändern könn(t)en oder müss(t)en. Dass dabei ebenfalls gegen AkteurInnen und Strukturen einer extrem rechten Szene vorgegangen werden muss, versteht sich von selbst und ist nur konsequent. Allerdings gilt dabei stets, wie es Stephan Bundschuh so treffend formuliert, folgende Prämisse: Wer vom Rassismus nicht sprechen will, sollte vom Rechtsextremismus schweigen (pdf).

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¹ Klärner, A., Kohlstruck, M. (Hrsg.) (2006). Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Leck: Claussen und Busse. S.13.
² Decker, O., Weißmann, M., Kiess, J., Brähler, E. (2010). Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010 (pdf). Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. S. 76f.
³ Rommelspacher, B. (2009). Was ist eigentlich Rassismus? In: C. Melter & P. Mecheril (Hg.), Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorie und -forschung (25-38). Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

Anne Roth und Andrej Holm – im Rahmen des Möglichen

Mir waren die Ereignisse um den Terrorismus-Vorwurf 2007 gegenüber Andrej Holm aus den Medien bekannt. Jetzt gab es die Möglichkeit, die Vorgänge nochmal direkt geschildert zu bekommen – in der JG Stadtmitte in Jena letzte Woche sprachen Anne Roth und ihr Freund Andrej Holm über die Erlebnisse. Viele Freunde, die ich fragte, ob sie mich zu der Veranstaltung begleiten, kannten die Namen der beiden nicht.

Andrej Holm war der bis dato (und wohl bisher) einzige nach § 129a festgenommene und über mehrere Jahre totalüberwachte Verdächtige, dessen Verfahren komplett eingestellt wurde. Eine Entschuldigung o.ä. gab es vom Staat nicht. Zur medialen Aufarbeitung des Falls mit Details und offenen Fragen finden sich viele Beiträge in der Mediathek von Anne Roths Blog.

Die Veranstaltung war sehr beeindruckend. Als Einleitung wurde der Kurzfilm „Gefährder“ (15min, s.u.) vorgestellt, der grob umreißt, was damals geschah. Anne Roth und Andrej Holm setzten dann mit ihren eigenen Schilderungen die Realität ins Verhältnis zum Film.

Da waren die Eindrücke von und der Umgang mit der alltäglichen Überwachung – z.B. durch Erkenntnisse aus Akteneinsichten, in welchem Umfang die Überwachung überhaupt stattfand (mehrere tausend Personen wurden durch die erfasste Kommunikation direkt mit erfasst), oder auch über die Definition dessen, was von den Behörden als auffällig und konspirativ eingestuft wurde. Ein vergessenes Handy, ein Umblicken, die Verschlüsselung von E-Mails, eine S-Bahn-Station zu weit auf dem Nachhauseweg oder Verabredungen à la „wie immer, in der üblichen Kneipe“ galten den deutschen Ermittlungsbehörden als Indizien dafür, die Überwachten hätten etwas zu verbergen. Also: Handy immer mitnehmen, nicht beim Lesen in der S-Bahn einschlafen, immer geradeaus kucken beim Spaziergang, Mails unverschlüsselt lassen und bei Verabredungen immer explizit betonen, wo und wann sich getroffen wird.

Durch die Ermittlungsakten lässt sich auch rekonstruieren, dass die Behörden durch das Fehlen von Hinweisen nicht etwa an den Verdächtigungen zweifelten, sondern der Verdacht vergrößerte sich dadurch sogar. Wenn die so wenig auffallen, so die Logik, dann verbergen die etwas. Das Nichtvorhandensein von belastbaren Fakten wurde also zu belastenden Indizien. Und es geht hier wohlgemerkt um den Verdacht auf „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“.

Das passiert ja nicht so leicht, oder? Im Falle von Holm reichte, dass er als Stadtsoziologe in seinen wissenschaftlichen Texten soziologische Fachbegriffe nutzte. Mit einer Internetrecherche war das BKA auf Holm bzw. dessen Texte gestoßen, weil die von ihm verwendeten Fachtermini sich mit Worten im Bekennerschreiben der militanten gruppe überschnitten. Das reichte. Zumindest zunächst, denn im Rückblick wurden die Indizien vom BGH als nicht ausreichend eingestuft. Die breite Palette nahezu aller technisch zur Verfügung stehenden Überwachungsmaßnahmen war da bereits jahrelang an Holm, dessen Familie und tausenden mit Betroffenen angewendet worden. (Für weitere Details zu den unglaublich anmutenden Vorgängen nochmal der Hinweis auf die annalist-Mediathek)

Eine breite Soli-Aktion mit Unterschriften von international renommierten Soziolog_innen sowie das wachsende Interesse der Medien an den skandalösen Vorgängen waren es dann, die Roth und Holm Hoffnung machten. Die staatlichen Ermittlungsbehörden stufen das Geschehene bis heute nicht als Versehen ein, im Gegenteil.

‚Gefährder‘ von Hanns Weingartner:
http://www.youtube.com/watch?v=hafw8qE-rps

Anne Roth / @annnalist in der Reihe 140 Sekunden:
http://www.youtube.com/watch?v=pyvxprjToNk

Rassismus in der Sprache

Plötzlich werden rassistische Formulierungen der deutschen Sprache einem kritischen Blick unterzogen, das ist sehr zu begrüßen. Begriffe, die gestern noch für reißerische Schlagzeilen in Print und Fernsehen sorgten, werden von vielen dieser Medien jetzt kritisch reflektiert. Erschütternd ist, dass offenbar erst dieser unglaubliche Fall mit vielen Toten und behördlichen Verstrickungen bekannt werden musste, damit sich eine breitere Öffentlichkeit für deutschen Alltagsrassismus interessiert.

Es könnte auch sein, dass die auffällig rassismuskritische Haltung vieler Medien nur ein Hype ist, der mit abnehmender Aktualität der Ereignisse wieder verfliegt. Hoffentlich aber nicht. Alltagsrassismus und dessen Wirkung auf die Sprache hätten viel mehr Sensibilität verdient in Deutschland.

„Du hast einfach zu viel Farbe“ – Beitrag über Rassismus in der deutschen Fernsehbranche

In der ZAPP-Ausgabe vom letzten Mittwoch (16.11.2011) gab es einen Beitrag über in Film und Fernsehen verbreitete rassistische Rollenzuschreibungen, die sich ganz konkret auf die Angebote etwa für schwarze Schauspieler_innen auswirken. Die Schauspielerin Liz Baffoe berichtet:

„(…) da gab’s dann einen Moment, wo ich dann hörte ‚Ja, du bist zwar echt gut und wir mögen dich auch, du hast auch einen gewissen Bekanntheitsgrad, aber du hast einfach zu viel Farbe‘ und dann war ich völlig irritiert, und meinte, was heißt zu viel Farbe? Das hat mir weh getan und ich hab‘ auch denjenigen gefragt, was soll ich jetzt tun? Dann wurde mir gesagt: Kämpf‘ halt weiter. (…)“