Teil 8 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung
Am vergangenen Montag (14.12.2015) war der für dieses Jahr letzte Termin der Ringvorlesung Rassismusforschung an der TU Berlin, und an dem sprach Pascal Grosse über „Koloniale Rassenpolitik vor und nach dem 1. Weltkrieg“. Auf der Grundlage einiger Notizen, die ich mir in dem gut gefüllten Hörsaal machte, folgt hier wieder eine Zusammenfassung des Vorgetragenen.
Eingangs hält Pascal Grosse fest, dass eine koloniale Beziehung nicht nur für die Kolonisierten, sondern auch für die koloniale Macht Veränderungen bedeute. Diese Wechselbeziehung lasse sich für den deutschen Kontext in der Gegenüberstellung der zwei Bilder „Kamerun“ (1891) und „Ausländer in Berlin“ (1903/1905) veranschaulichen.
Ein Blick auf die uns umgebenden Erinnerungsorte könne die Kolonialzeit in der Gegenwart sichtbar machen. Hier nennt Pascal Grosse das Afrikanische Viertel in Berlin Wedding, ein ursprünglich für Tierschauen konzipiertes Areal, wo noch immer Straßen und Plätze nach den Kolonialisten Carl Peters, Gustav Nachtigal oder Adolf Lüderitz benannt sind. Da nach dem Mauerfall die Namen kommunistischer und antifaschistischer Protagonist_innen problemlos entfernt wurden, sei es bezeichnend, dass Kolonialherren als Namensgeber bis heute offenbar kein Problem darstellen. (Mein Einschub: Nach 1990 umbenannt wurden z.B. Leninallee, Wilhelm-Pieck-Str., Dimitroffstr., und zur anhaltenden Idealisierung deutscher Kolonialherren im Afrikanischen Viertel siehe z.B. hier.) Auf dem Friedhof Columbiadamm in Berlin Neukölln steht der 1907 aufgestellte Gedenkstein, der an die „heldenhaften“ deutschen Kolonialtruppen erinnert, die 1904 den Genozid an den Herero und Nama begannen. Ein zusätzlicher Gedenkstein für die Opfer wurde 2009 eingeweiht. Auch die Personalie und die Statue von Robert Koch müssten im Kontext deutscher Kolonien gedeutet werden, die die Matrix für die Arbeit Kochs bildeten. Rudolf Virchow mit seiner Schädel- und Skelettsammlung sei ebenfalls in dem Zusammenhang zu nennen. Die Charité übergab am 30.09.2011 erstmals 20 Gebeine ermordeter Herero und Nama an ihre Nachfahren. (Aktuelles zu dem Thema auch hier.) Orte der Erinnerung an das koloniale System, das die Voraussetzung für diese Form des Transfers von Menschen bildete, müssten vergegenwärtigt werden.
Die kolonialen Dominanzbeziehungen zeigten sich nicht nur auf der militärischen und politischen Ebene, sondern schlugen sich auch in Namen und Bildern von Konsumprodukten der Kolonisierenden nieder. Schwarze Menschen repräsentierten hier Exotik (Bsp. Genussmittel) oder Unvollkommenheit und Defizite (Bsp. Kosmetik, Reinigungsmittel). Auch juristisch ist der Kapitalismus mit dem Kolonialismus verbunden, denn für deutsche Geschäftsmenschen bedeutete die Kolonisierung in den betroffenen Gebieten einen Übergang von ungeordneten in geordnete Handelsbeziehungen.
Der mit Ende des I. Weltkriegs 1919 besiegelte Verlust deutscher Kolonien habe zur Ausblendung von Kolonialismus in den Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs beigetragen. BRD und DDR waren nach 1945 nicht mit Unabhängigkeitsbewegungen konfrontiert, die deutsche Rolle während des Kolonialismus wurde heruntergespielt. Dabei gebe es mit der Kolonialwissenschaft einen Bereich, in dem deutsche Akteur_innen durch besondere Sorgfalt hervorstachen, und wo sie sich in verschiedenen Forschungsbereichen (z.B. Medizin, Ethnologie, Ingenieurswissenschaften) dank Kolonialismus profilierten. Diese koloniale Stärke basiere auf einem theoretischen Fundament, das eng mit einem Namen verknüpft sei: Bernhard Dernburg. Der Unternehmer und Politiker setzte sich für eine Abwendung von zerstörender Kolonisierung hin zur größtmöglichen Ausschöpfung des „Bodens, seiner Fauna und vor allem der Menschen zugunsten der Wirtschaft der kolonisierenden Nationen“ ein. Dies habe zu einer Versachlichung und Verwissenschaftlichung der Kolonisierung geführt, und der Ausbeutung einen ethischen Anstrich gegeben. Das Konzept der Nutzbarmachung von Menschen ließ sich problemlos mit der kolonialen Rassen-/Reproduktionpolitik verknüpfen. Im „Woermann-Preisausschreiben“ von 1912 wurde die deutsche Öffentlichkeit am Nachdenken über die Erhöhung der Erträge aus den Kolonien beteiligt. Maßnahmen wie Säuglingspflege, Impfungen und Geburtshilfe folgten dem Interesse an höchstmöglicher Wirtschaftlichkeit der Kolonisierten, die gleichzeitig keinen Zugang zu Europa erhielten und in den Kolonien für die weißen Europäer_innen arbeiteten. Hilfskonzepte der Gegenwart müssten vor diesem historischen Hintergrund bewertet werden.
Der Nationalsozialismus habe die logistische Matrix geboten für etwas, das bereits vorgedacht war. Die Zwangssterilisation hunderter Schwarzer deutscher Kinder ab 1937 war Teil der praktischen Umsetzung kolonialer Rassenkonzepte und erfolgte eingebettet in einen Diskurs, demzufolge die weiße Rasse von der Fruchtbarkeit Schwarzer Menschen bedroht sei und aussterben werde.
Abschließend geht Pascal Grosse auf die von Hannah Arendt in The Origins of Totalitarianism formulierte These ein, das Konzept Rasse widerspreche der bürgerlichen Idee der Nation. Er befürwortet diese These und lehnt die Gleichsetzung von Nationalismus und Rassismus ab. Wenngleich der Nationalsozialismus versucht habe, den völkischen Rassismus mit dem Nationalismus zu vereinen, existiere ein Widerspruch zwischen Rassismus als transnationalem und Nationalismus als staatsbürgerschaftlichem Konzept. (Völkischer Nationalismus argumentiere demnach rassistisch und nicht nationalistisch, um völkisch zu sein.) Die Phänomene Nationalismus — Rasse — Imperialismus bilden für ihn keinen Dreiklang, sondern ein Spannungsverhältnis. Sie sollten für die Analyse daher entkoppelt werden.
Die Frage in der anschließenden Diskussion zu seiner Sicht auf Schnittmengen zwischen Kolonialrassismus und Antisemitismus beantwortet Pascal Grosse damit, dass das Konzept Rasse hier wie dort auf der Idee biologischer Reproduktion aufbaue: Das zentrale Anliegen der Eugenik, die Zukunft der ‚besten‘, also arischen Rasse zu sichern, bilde die gemeinsame Matrix zwischen Rassenantisemitismus und Kolonialrassismus. Er lehnt die These ab, die Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika hätten zu Auschwitz geführt, und versteht den Kolonialismus somit nicht als notwendige Voraussetzung für den Holocaust.
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Mit dem nächsten Vortrag geht es am Montag, 4.1.2016 weiter. Angekündigt ist Philipp Dorestal mit dem Titel „Alltagsrassismus“ (siehe dazu hier die facebook-Ankündigung und hier mein Blogeintrag).