Vier Regeln zum korrekten deutschen Umgang mit Rassismus

Den öffentlich-rechtlichen Aufruf zum Blackfacing in der Wetten Dass …? Sendung letzten Sonntag beantwortet die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland mit einem Offenen Brief an Markus Lanz und das ZDF. Der Verein zeigt sich in dem Brief schockiert von dieser rassistischen Praxis im deutschen Fernsehen.

Dieses Verhalten verstößt gegen einige Gepflogenheiten. Viel zu schnell wird hier wieder die Rassismus-Keule geschwungen! Wenn Sie auch von den ganzen Rassismus-Vorwürfen genervt sind, halten Sie sich einfach an diese vier Regeln zum korrekten deutschen Umgang mit Rassismus:

1) Deutschland als Ausnahme verstehen! Handlungen, die außerhalb Deutschlands eindeutig als rassistisch erkannt werden (z.B. Blackface), sind in Deutschland nicht ZWANGSLÄUFIG Rassismus. Das ist einfach so, denn hier ist Deutschland. Von Rassismus betroffene Menschen brauchen dazu nicht gehört werden, weil ihre Meinung als Betroffene von Rassismus stark emotionalisiert ist. Und Menschen, die sich mit Rassismus beruflich/fachlich/wissenschaftlich beschäftigen, brauchen nicht gehört werden, weil sie elitär sind und keine Ahnung vom wahren Leben haben. In Deutschland entscheidet die Mehrheit darüber, was Rassismus ist!

2) Das Wort Rassismus vermeiden! Falls es in der postnationalsozialistischen Gesellschaft doch mal zu Vorfällen kommen SOLLTE, die ganz entfernt an Rassismus erinnern, dann bietet das Land der zusammengesetzten Substantive prima Ausweich-Termini wie z.B. „Fremden-Hass“, „Ausländer_innen-Feindlichkeit“ oder „Überfremdungs-Angst“. Das praktische an diesen Worten ist: sie lenken die Aufmerksamkeit auf die vermeintlich „Fremden/Ausländer_innen“ und festigen damit die Differenzierung und den Ausschluss derer, die von Rassismus betroffen sind — und lenken so prima vom eigentlichen Problem Rassismus ab.

3) Journalistische Vorbehalte zur Deutungshoheit von Rassismus bewahren! Menschen, die von Rassismus betroffen sind oder sich fachlich damit auskennen (oder sogar beides) halten sich blöderweise oft nicht an Regel 1 und 2. Wichtig, insbesondere im objektiven journalistischen Umgang mit solchen ewig-Moralisierenden ist nun Ruhe zu bewahren und sich nicht von der Rassismus-Keule beeindrucken zu lassen: Auf KEINEN Fall den Begriff Rassismus übernehmen, sondern von Rassismus-Vorwürfen sprechen! Sie sind in der Position objektiver Berichterstattung und müssen irgendwann, wenn Sie mal Zeit haben, erstmal ganz gründlich prüfen, ob diese Rassismus-Vorwürfe überhaupt zutreffen. Geben Sie auf keinen Fall die Deutungsmacht darüber, was Rassismus ist, an diejenigen ab, die davon betroffen sind oder sich damit fachlich auskennen (siehe Regel 1). Im Zweifel fragen sie einfach eine weiße deutsche Person, am besten ein politisches Urgestein, ob die Rassismus-Vorwürfe tatsächlich haltbar sind. Von Rassismus betroffene Menschen können Sie ja in einer Doku über die NS-Zeit oder zum Tod von Nelson Mandela zu Wort kommen lassen, aber ja wohl nicht zu zeitgenössischem Rassismus in Deutschland.

4) Rassismus-Vorwürfe kontern! Es besteht die leider immer wahrscheinlicher werdende Gefahr, einmal selbst von Rassismus-Vorwürfen betroffen zu sein. Der schlimmste Fall ist wohl, als weißer Mensch von einer nicht-weißen Person auf eine rassistische Handlung aufmerksam gemacht zu werden. Das kann wirklich ganz schön verletzend sein. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Reaktion, auf jeden Fall lassen Sie sich NICHT auf Erklärungen ein, warum eine Ihrer Handlungen als rassistisch empfunden wird. Rassismus-Vorwürfe sind in Deutschland ein No Go und Sie haben es nicht nötig, die erfolgreiche deutsche Aufarbeitungspolitik und den Umgang der deutschen Gesellschaft mit Rassismus zu hinterfragen, indem Sie selbstkritisch Ihre Handlungen auf rassistische Spuren untersuchen! Darum: Werfen Sie zum Beispiel Ihrem Gegenüber einfach ebenfalls Rassismus vor. Soll sie_er mal sehen, wie sich das anfühlt! Oder verweisen Sie auf ihren „bunten“ oder „Multikulti“-Freundeskreis oder ihre Nachbarschaft, ihre Toleranz oder ihren letzten Urlaubsort, irgendwas. Ansonsten sagen Sie einfach, dass es nicht so gemeint war. Das KANN nicht ignoriert werden, denn NUR wenn Sie es so meinen, dann kann etwas Rassismus sein.

Wenn Sie diese Regeln beachten, kann Deutschland als einziger Kolonialmacht-Nachfolgestaat mit nationalsozialistischer Entgleisung ein mehrheitlich von weißen Menschen bewohntes Land bleiben, in dem Rassismus soooo dolle jetzt erstmal nicht anzutreffen ist. (Also abgesehen natürlich von ein paar mordenden Jugendlichen. Mit denen haben Sie aber nichts zu tun, denn DIE sind ja wirklich rassistisch. Sagen die ja selbst.) Viel Glück!

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Weiterlesen zum konkreten Vorfall im ZDF:

  • Alis Afrika-Blog: Aber IHR macht Jim Knopf zum Opfer!
  • les flaneurs: Wetten, dass… Blackfacing rassistisch ist?
  • Edition Assemblage: ISD ist Schockiert über die Saalwette der Wettendass-Sendung in Augsburg
  • … und als Einstieg zum Thema Rassismus in Deutschland:

  • Blackface in Germany — Eine kurze Geschichte der Ignoranz oder der Anfang von Bühnenwatch
  • der braune mob e.V.: Informationen für Presse und Öffentlichkeit / FAQ zu Rassismus
  • Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiss
  • Arndt/Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht
  • Nduka-Agwu/Hornscheidt (Hg.): Rassismus auf gut Deutsch [amazon-Link]
  • Dürfen Deutsche ungeschminkt Juden spielen?

    So, nochmal Schlosspark-Theater. In Beiträgen pro Blackface wird die Diskussion oft auf die Frage runtergebrochen „Wenn Deutsche nun nicht mehr Schwarze spielen dürfen, können sie dann auch nicht mehr xyz spielen?“ (Hallervorden selbst fragt: „Darf Hallervorden einen Juden spielen, obwohl er kein Jude ist?“)

    1. Die Frage ist scheinheilig, denn die Praxis hat bereits geantwortet: Deutsche dürfen alles. Die Blackface-Aufführung findet problemlos statt, mit breiter Rückendeckung von Theatern und deutschen Medien. Die Norm („dürfen“, „sollen“, „können“) steht gar nicht infrage, sondern ist solide verankert: Ja, in Deutschland wird Schwarzsein mit Blackface auf die Bühne gebracht. So what? It’s Deutschland!

    2. Soll die Diskussion suggerieren, Schwarzsein und Deutschsein oder Jüdischsein und Deutschsein seien Gegensätze? Schließt Deutschsein denn Schwarzsein oder Jüdischsein aus? Ich dachte, die Zeiten sind vorbei. Wie war das nochmal mit den neuerdings rassismuskritischen Medien?

    3. Die Frage lenkt vom Problem ab, denn die Kritik bezieht sich gar nicht aufs „Spielen“, sondern auf die Bemalung. Die rassistische Handlung ist nicht, dass x eine_n y spielt, sondern woran primäre, in diesem Fall als gruppen-/ ethno-/ rassetypisch konstruierte, Merkmale einer Figur für das Publikum sichtbar festgemacht werden. (Und was dadurch überhaupt an primären Merkmalen [re]konstruiert wird.) Wenn es nur ums Spielen ginge, bräuchte es keine (wohlgemerkt „Haut“!-)Farbe. Deutsche sollen spielen was sie wollen, aber die Bemalung eines weißen Schauspielers, also die Rassifizierung einer Figur über das Merkmal „Farbe“ aus der weißen Perspektive ist das Problem. Deutsche weiße können auch Juden spielen, aber wenn sie sich dafür mit einer speziellen Nase maskieren wollten, dann wäre das auch rassistisch.

    „Farben“, Nasengrößen, Schädelformen o.ä. sind ja wohl unbestritten Kriterien zur rassistischen Einteilung von Menschen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret in Deutschland (huch) und nicht nur mehr historisch. Und diese unsägliche Debatte konstruiert zusätzlich nebenbei Deutschsein=Weißsein und Schwarzsein=Schminke auf weißem? Warum werden nochmal Menschen in Deutschland gejagt und ermordet? Achso, wegen ihres Aussehens. Das ist ja nur „Farbe“, hab ich im Theater gesehen, die kannst du dir abwaschen! Oh, leider nur als weißer.

    Diese Schminke rekonstruiert (im doppelten Sinne, praktisch und abstrakt) ein rassistisches Kriterium. Der Vorgang des Schminkens suggeriert, Schwarzsein sei eine Frage von 30 Minuten Schminkprozess. Hunderte Jahre Sklaverei, Unterdrückung, Kolonisation und gegenwärtige Rassismuserfahrung kann ich mir einfach ins Gesicht schminken. Weil ichs kann. Ich bin weiß. Vielen Dank für den Applaus.

    Schwarze wissen bereits, was weiße mit ihrem Recht, ihrer Freiheit, ihren Privilegien alles „können“. In der Haltung „Diskussion egal, Schwarzsein ist nur Schminke“ steckt keine neue Errungenschaft, sondern ein historisches Privileg. Glückwunsch.

    Es geht nicht darum, ob etwas rassistisch ist. Es geht darum, wie ich damit umgehe, wenn mich jemand darauf hinweist, dass in meiner Handlung Rassismus sichtbar wird. Es ist gar keine Frage, ob Deutsche Juden, Muslime, PoC (People of Colour) spielen „dürfen“. Sie können es sogar sein! Aber wer sich eine Nase aufsetzt, um Jüdischsein zu „spielen“, oder wer sich mit Schuhcreme schminkt, um Schwarzsein zu „spielen“, sollte dankbar sein für den Hinweis, dass das rassistisch ist. Besonders in Deutschland.

    Die Macht Rassismus zu definieren

    Die öffentliche Kritik an der Methode des Blackface, die aktuell im Schlossparktheater Berlin eingesetzt wird, erhält breite mediale Aufmerksamkeit. Allerdings geht es immer mehr um die Frage, wer etwas rassistisch findet oder nicht und warum. Ob etwas überhaupt rassistisch sein kann, wenn es nicht so gemeint ist, wird gefragt. Oder ob heute noch rassistisch ist, was „früher“ rassistisch war. Problematisch ist nicht nur die verklärte Vorstellung von Rassismus, die sich in diesen scheinbar unschuldigen Fragen zeigt, sondern insbesondere, dass kaum Stimmen der von Rassismus Betroffenen selbst zu hören sind. Mehrheitlich diskutieren weiße Deutsche. Das heißt weiße Deutsche tauschen sich darüber aus, ob sie sich selbst rassistisch finden oder nicht. Das ist keine Diskussion, sondern das ist das Problem.

    Es geht nicht darum, was irgendwelche weißen Deutschen fühlen, wenn sie sich selbst anmalen und damit Schwarze „spielen“, sondern es geht darum, ob die, die sowas machen, sich ernsthaft mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen wollen oder nicht. Eine mögliche Haltung ist: Nein. Rassismus interessiert mich nicht (als gegenwärtiges Phänomen) und auch nicht das Verhältnis zwischen meinem Handeln und Rassismus. Eine andere mögliche Haltung ist: Ich höre insbesondere Betroffenen von Rassismus mal zu und erkenne die Realität an, dass Rassismus eine wesentliche Rolle in meiner Umwelt spielt. Ob ich mich selbst als rassistisch definiere hat dafür überhaupt keine Bedeutung. Dann erkenne ich an, dass ich mit (bewussten oder unbewussten) Unsensibilitäten selbst als Teil einer rassistischen Struktur funktioniere, und dass es dafür nämlich gar nicht notwendig ist, mich selbst rassistisch zu finden. Und erst recht als Betreiber von Blackface auf deutschen Bühnen nehme ich mal zur Kenntnis, dass die Menschen, die ich glaube „spielen“ zu können, eine eigene Perspektive haben.

    Die erste Haltung scheint die aktuelle Debatte zu dominieren. Es gäbe ja kein Problem mit Rassismus, das sei ja alles nicht so gemeint. Die Verteidiger_innen von Blackface zeigen sich unbeeindruckt von Menschen mit konkreten Rassismuserfahrungen und von den Stimmen derer, die mit dem Blackfacing „gespielt“ werden sollen. Genau das ist ein Wesensmerkmal von Rassismus: weiße allein wollen festlegen, was Rassismus ist.
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    Leseempfehlungen zum Thema:
    Kunst, Herrschaft und Rassismus,
    Deutscher Werberat: historische Amnesie im Fall Schlosspark Theater / Hallervorden / Blackface