Signal, 20.10.2010

Herbst 2010


Ein Team von Amnesty International besuchte Roma in Miercurea Ciuc (Rumänien), die vor über sechs Jahre aus ihren Häusern vertrieben wurden. Die NGO musste feststellen, dass diese Menschen immer noch „wie Müll behandelt“ werden und unter menschenunwürdigen Bedingungen nahe einer Abwasseranlage angesiedelt sind – die Stadtverwaltung gibt sich planlos: Roma community in Romania still treated like waste six years on.

Von der Abschiebung bedroht sind Roma in Göttingen, so Ita Niehaus und Susanne Schrammar im gestrigen Länderreport auf Deutschlandradio Kultur. Mehr zur niedersächsischen Abschiebepraxis zum Nachlesen oder Nachhören [→mp3].

Der Deutschlandfunk sendete am 7.10. einen Beitrag von Dorothea Jung: Gefahr für die Gesellschaft – Die Islamfeindlichkeit in Deutschland nimmt zu. Die wachsende Verbreitung eines Feindbildes wird darin unter die Lupe genommen (zu Wort kommt u.a. auch Yasemin Shooman, Doktorandin am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung). Der Beitrag ist nachlesbar und -hörbar: [→mp3].

Yasemin Shooman kam vorgestern auch für das Internet-Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ mit einem Text zu Wort. Hierin zeigt sie knapp und auf den Punkt gebracht, dass der „rechte Kampfbegriff“ der „Deutschenfeindlichkeit“ eingesetzt wird, um von Machtverhältnissen, strukturellem Rassismus und institutioneller Ausgrenzung abzulenken: „Deutschenfeindlichkeit“ – Was soll das sein?

Ich habe es mir gestern Vormittag nicht nehmen lassen, beim Twitter-Account der Familienministerin Kristina Schröder (einer großen Verfechterin des Begriffs „Deutschenfeindlichkeit“) anzufragen, ob sie die von Shooman angeführten Fakten zur Herkunft und zur Bedeutung des Begriffs „Deutschenfeindlichkeit“ kenne – die Antwort lieferte mir dann ein am Abend gesendeter Fernsehauftritt der Ministerin im ZDF (hoffentlich noch nicht depublished).

Zuguterletzt ein sehr guter Artikel von Johnny Haeusler bei spreeblick, der die aktuelle populismusdurchtränkte Situation vergleichend mit der Stimmung in den 90er Jahren analysiert und benennt: Scheiter-Haufen.

Gewalt gegen eine Rumänin in Rom endet tödlich

Neuer mutmaßlich fremdenfeindlicher Übergriff in Italien mit Todesfolge


Wie hotnews.ro berichtet (englisch hier) wachte eine 32-jährige Rumänin in Italien nach Verletzungen am Kopf nicht mehr aus dem Koma auf und verstarb am letzten Freitag (15.10.10). Die Frau, die in Italien als Krankenschwester arbeitete, wurde Opfer einer mutmaßlich fremdenfeindlich rassistisch motivierten Gewalttat in einer Metro-Station in Rom am vorvergangenen Freitag (8.10.10). Offenbar war der Tat ein Streit vorausgegangen, wie hotnews.ro von einem Caféhaus-Besitzer erfahren habe (siehe hier). In dem Streit soll der 20-jährige Mann die Rumänin beleidigt und aufgefordert haben, in ihr Land zurückzukehren (rumänisch hier).


Siehe auch:
Ein etwas ausführlicherer Artikel auf Italienisch im Corriere della Sera: Lite alla biglietteria del metrò,
donna aggredita esce dal coma

Signal, 23.9.2010

Umgang MitMenschen


Andreas Meyer-Feist ließ in seinem Beitrag vom 17.9.2010 im Rahmen der Deutschlandfunk-Sendung „Europa heute“ Roma aus Österreich zu Wort kommen (z.B. Harry Stojka und Rudolf Sarközy). Mit Förderung, Unterstützung und insbesondere Anerkennung durch den österreichischen Staat wird die gesellschaftliche Teilhabe der Roma dort ohne Assimilationszwänge offenbar erfolgreich gefördert. (Text & Audio aus dem dRadio-Archiv verschwunden)

Drei Tage später, am 20.9.2010, wurden in der gleichen Sendung „Europa heute“ Menschen vorgestellt, die am Flughafen Prishtina mit „Sondermaschinen“ ankamen: abgeschobene Roma aus Deutschland. Dirk Auer versuchte die Atmosphäre einzufangen – bei der Ankunft im Kosovo von Menschen, die mit geltendem deutschen Recht aussortiert wurden. (text)

Nächste Woche Donnerstag (30.9.2010) gibt es von Sevasti Trubeta (Ägäis-Universität Mytilene) um 16:15 Uhr einen Vortrag mit dem Titel: Roma-Abschiebungen nach Südosteuropa. Die Grenzen der Europäischen Bürgerschaft. Veranstaltungsort ist die HU Berlin, genauer das Institut für Slawistik (Dorotheenstraße 65, Raum 5.57, 5. Stock). Veranstalterin ist die Südosteuropagesellschaft, Zweigstelle Berlin.

Signal, 7.9.2010

Kulissen fallen lassen: Literatur, Vergangenheit und Ausgrenzung


Eine sehr gute Glosse mit scharfem analytischen Blick gab es am 1.9.2010 bei Deutschlandradio Kultur zu hören. Hier brachte Reinhard Kreissl in 4 Minuten unter dem Titel «Die Furcht vor dem Fremden – Frankreichs Roma als „nützliche Feinde“» Wesentliches auf den Punkt. Der Beitrag ist nachhörbar als →mp3 oder auch nachlesbar.

Das Internationale Literaturfestival Berlin (15.9.-25.9.2010) hat in diesem Jahr einen Fokus Osteuropa. Viele Hinweise, das Programm und Flyer gibt es auf der offiziellen Homepage. Daneben gibt es das Programm als →pdf. (Hier eine separate Auflistung von Lesungen und Auftritten der AutorInnen aus Rumänien als →pdf)

Die Auseinandersetzung mit den Spitzeltätigkeiten unter Deutschen aus Rumänien steht im Zentrum einer Tagung vom 24.-26.9.2010 in Jena. Veranstaltet wird diese unter dem Titel Securitate in Siebenbürgen vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg. Infos zu Programm und Gästen hat die Siebenbürgische Zeitung und die Einladung für alle Interessierten inklusive Details zum Programm gibt es hier als →pdf.

Sarrazin – Ein Name und sein Thilo

Sehr eigen, das Fremde


Der Familienname „Sarrazin“ geht auf die Bezeichnung „Sarazenen“ zurück, mit der die „christlichen Europäer“ im Mittelalter die „unangepassten Muslime“ bezeichneten. Damit trägt der Oberlehrer in Sachen „unangepasste Muslime“ also den Namen, der vor hunderten von Jahren für die „drohende Islamisierung“ Europas stand. Dieser Tatsache widmete Jörg Lau vor einem Jahr bereits einen Artikel im Blog von Zeit.de. (Auch einen aktuellen Beitrag zum Thema gibt es von ihm.)

Der Name Sarrazin sagt natürlich nichts über die Person Thilo Sarrazin aus, aber über jenes Europa, das uns der Herr immer versucht zu erklären: In die große Kultur des Abendlandes, die von Thilo Sarrazin verteidigt wird, müssen sich in den letzten Jahrhunderten Muslime in großer Zahl eingeschlichen haben, denn der Name Sarrazin (Variante z.B.: Sarrasin) ist heute weit verbreitet.


Thilo Sarrazin, später Nachfahre (un)angepasster Muslime?
(Foto: CC Wikipedia/ Benutzerin Nina)

Thilo Sarrazin kennt die historische Dimension seines Namens. Möchte er davor fliehen? Ich meine ja. Denn ich glaube, Thilo Sarrazin hat keine Angst vor dem Islam in Europa heute, er hat Angst vor dem Islam als Teil seiner eigenen Identität. Aus dieser Angst heraus stört ihn alles in seinem Umfeld, was ihn an den Islam erinnert. Thilo Sarrazin bekämpft die muslimische Dimension der europäischen Identität – eine Dimension, die er in seinem eigenen Namen mit sich tragen muss. Darum ist er so ausweglos verzweifelt.